Interview mit Nathan Gray und Josh Latshaw von Boysetsfire

Mitte März trafen wir uns an einem sehr kalten Tag mit Sänger Nathan Gray und Gitarrist Josh Latshaw von BOYSETSFIRE in München. Der Anlass ihres Besuchs waren zwar ursprünglich ihre Benefizkonzerte im bayrischen Frauenau – in unserem ausführlichen Gespräch verrieten die zwei sympathischen und etwas übermüdeten Musiker darüber hinaus aber unter anderem auch, was wir von ihrem im Juni erscheinenden neuen Album erwarten dürfen, was sie über die aktuelle Musiklandschaft denken und warum ihr bayrischer Freund Oise so wichtig für die Band ist.

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Hi Nathan, hi Josh. Estmal vielen Dank, dass ihr Zeit für dieses Interview gefunden habt. Wie geht es euch?
Josh: Uns geht es ziemlich gut, auch wenn wir in den letzten Wochen sehr beschäftigt waren: Letzten Mittwoch haben wir unser Album fertig aufgenommen und sind quasi direkt danach auch schon losgeflogen, um 2 Uhr früh unserer Zeit hier angekommen und haben sofort angefangen, Interviews zu geben. Zusammenfassend: Uns geht’s gut, aber wir sind ziemlich müde.

Wow, ok, das klingt wirklich ziemlich ereignisreich. Ist das Album damit vollständig im Kasten?
Josh: Sagen wirs so: Wir haben unseren Teil abgeliefert. Es wird jetzt von Lou Giordiano gemischt werden, der einige meiner Lieblingsbands, wie Sunny Day Real Estate, und auch schon „The Misery Index“ (das letzte Boysetfire-Album, Anm. d. Red.) gemischt hat. Das freut uns ziemlich, da wir sehr mögen, was er aus unseren Songs macht. Also ich meine, wie er tontechnisch an sie herangeht…
Nathan: Ach, auch so, wie er unsere Songs schreibt… (lacht)
Josh:
Ja, er mischt sie ziemlich lustig. Du weißt schon, Entenstimmen und sowas… (lacht)

Boysetsfire-WhileANationSleeps  Ich hatte bereits das Vergnügen, drei neue Songs hören zu dürfen und war doch ziemlich erstaunt, wie unterschiedlich diese klingen. Zum einen ist da euer Song „Bled Dry“…
Nathan: Ja, das ist unsere Single für den Record Story Day, die wir als 7“ veröffentlichen.

Dieses Lied wirkte auf mich wirklich sehr hart und aggressiv, während „Closure“ sehr poppig und melodiös klang. Was können wir demnach vom gesamten Album stilistisch erwarten?
Nathan: Genau das: Es wird ein wildes Durcheinander an verschiedenen Stilrichtungen werden. Ich finde, „The Misery Index“ funktioniert nach demselben Prinzip: Zum einen findest du darauf einen Song wie „Ten And Counting“, zum anderen aber auch eine Nummer wie „So Long… And Thanks For The Crutches“. Ich denke, dass das neue Album in diesem Sinne eine Fortführung von „The Misery Index“ darstellt.
Josh: Obwohl ich finde, dass unsere härteren Songs dieses Mal schneller sind. Vielleicht kann man es am besten als… hm… vielleicht punkiger beschreiben? Auf jeden Fall aggressiver und härter als vorher.

War das auch euer Plan, als ihr die Songs geschrieben habt?
Nathan: Nein, das kam einfach aus uns raus – aber wir haben das auch sehr genossen.

Als ihr letztes Jahr im Herbst in Deutschland wart, habt ihr ja auch schon einige neue Songs live gespielt. Wie würdet ihr die Reaktionen der Fans auf die neuen Lieder beschreiben? Haben sie sich, nach eurem Gefühl, gut ins Set eingefügt?
Josh: Um ehrlich zu sein: In der Vergangenheit haben wir neue Songs gespielt, die ungefähr so gut aufgenommen wurden wie ein Haufen Hundedreck. Da steht man dann schon auf der Bühne und denkt sich: „Hm, das ist jetzt nicht gut.“ Aber dieses Mal hat es sich gut angefühlt, die Reaktionen waren auch meistens super. Irgendwie merkt man das einfach, wenn die Songs auf der Bühne nicht mehr wirklich „neu“ wirken, weißt du?

boysetsfire13-02Wie war es für euch, nach so langer Zeit wieder zurück ins Studio zu gehen, nachdem „The Misery Index“ vor sieben Jahren erschienen ist?
Josh: Ja, das ist schon länger her.
Nathan: Wir mögen es eben, mal Pause zu machen. (beide lachen)
Josh:
Ein großer Einfluss auf dieses Album besteht darin, dass wir einfach so viel Spaß damit hatten, die Reunionshows zu spielen, die alle wirklich großartig waren. Aber irgendwann ist in diesem Fall der Punkt erreicht, an dem du als Band wirkst wie ein Arschloch, wenn du keine neuen Songs hast. Dann endet die ganze Sache als so etwas wie „The BOYSETSFIRE Experience“, die ihre Hits aus den 90ern spielen. Daher haben wir beschlossen, einfach mal zu versuchen, etwas Neues zu schreiben. Um ehrlich zu sein, ich glaube, dass niemand von uns wirklich geglaubt hat, dass irgendetwas Gutes dabei herauskommen würde – aber es war auf jeden Fall einen Versuch wert. Und jetzt bin ich wirklich absolut begeistert von dem Ergebnis. Wirklich begeistert.

Also hattet ihr nicht direkt vor, neue Songs zu schreiben, als ihr euch wieder zusammengefunden habt?
Josh: Kennst du das Gefühl, wenn du lange mit jemanden zusammen warst, dann Schluss gemacht hast und irgendwie froh warst, dass es vorbei war – nur um schließlich wieder mit der gleichen Person zusammenzukommen? Dann lässt du es lieber langsam angehen, man fordert nicht zu viel, wenn du weißt, was ich meine… (lacht) Ein Schritt nach dem anderen, sozusagen.

Der Grund, warum ihr heute für einen Interviewtag in München seit, liegt an den beiden Benefizshows für das Jugendcafé Zwiesel im bayrischen Frauenau, die ihr an diesem Wochenende spielen werdet. Was sind eure Beweggründe, euch an der finanziellen Rettung dieses Veranstaltungsortes zu beteiligen, oder anders gefragt: Worin besteht eure Verbindung zum Jugendcafé?
Josh: Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass unser Freund Oise uns gefragt hat, ob wir nicht Lust hätten, diese Shows zu spielen. Er ist seit Jahren ein Teil unserer Familie, also haben wir nicht lange überlegt. Ein weiterer Beweggrund ist, dass auch wir und allgemein wohl jeder in seiner Jugend diesen einen Ort hatte, der sich wie „zu Hause“ angefühlt hat. Vielleicht hatte man Stress mit seinen Eltern oder Stress in der Schule, aber dann gab es eben immer diesen einen Ort, an dem man eine Gemeinschaft war, an dem man Gleichgesinnte treffen konnte und wo es egal war, ob man zum Beispiel die „richtigen“ Schuhe getragen hat, oder so etwas in der Art. Als Oise uns erzählt hat, dass das Jugendcafé damals quasi sein Leben gerettet hat und dass er es mit unserer Unterstützung retten will, war die Sache für uns eigentlich klar. Er hat uns die Sache damit sehr einfach gemacht. Er ist so ein guter, verantwortungsbewusster Kerl geworden, im Vergleich zu dem Chaoten, den wir damals kennengelernt haben… vor 15 Jahren.

Ja, diese Orte gibt es in München auf jeden Fall auch. Ich habe das Gefühl, dass diese kleinen Räume irgendwie immer durch behördliche Schließungen bedroht sind, obwohl sie ein so wichtiges Element in der Jugend- und Musikkultur darstellen. Gibt es dieses Behördengegengel oder andere Bedrohungen für so kleine Locations auch in den USA?
Josh: Absolut. Da ist dann so ein netter kleiner Club, der neu eröffnet, und ehe man sich versieht, verkackt es irgendwer. Sei es irgend ein betrunkener Jugendlicher, irgendwelche Brandschutzgeschichten oder Lautstärkebeschwerden, weil auf einmal irgendwie 600 Leute vor dem eigentlichen Raum abhängen und der Club plötzlich an seinem eigenen Erfolg zugrunde geht…

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Habt ihr auch in Amerika eine Rettungsaktion wie diese hier unterstützt?
Josh: Hm, in unserer Gegend gibt es kein wirklich richtig gutes All-Ages-Venue. Klar, es gibt Hallen, die gute Shows veranstalten, aber nicht so etwas.
(In diesem Moment betritt Oise das Büro und bringt uns Kaffee, da es draußen eisige Temperaturen hat und Nathan vor Übermüdung immer wieder die Augen zufallen. Josh trinkt einen Schluck und schließt die Augen.)
Oh mein Gott, wie gut ist denn dieser Café? Wie machst du das nur? (Er hält mit die Tasse unter die Nase) Schau dir mal den Schaum an! Das ist doch großartig. Aber nicht reinfassen, gell? (lacht) Ich muss zugeben, ich bin gerade echt froh hier mit dir zu sitzen, Kaffee zu trinken und nicht in einem kleinen, stickigen Bandraum mit den anderen zu stecken. Das machen wir heute abend noch lang genug. (lacht)

Ich frage euch deshalb nach den Verhältnissen in Amerika, da ich glaube, dass es in den USA unkomplizierter ist, „kleine“ Konzerte, wie Basementshows, zu organisieren, während in Deutschland auch bei kleinen Venues bereits oft ein großer Aufwand dahinter steckt. Das Jugendcafé erinnert mich mehr an diese „Freiheit“, vielleicht auch, da es mitten im Nirgendwo steht…
Josh: Ja, das hab ich auch schon gehört.
Nathan: Ich erinnere mich daran, als ich mit The Casting Out (Nathans Band während BOYSETSFIRE getrennt waren, Anm. d. Red.) dort gespielt habe und die Leute auf einmal aus den Wäldern zu diesem Club strömten, das war gruslig… Generell liegst du, glaube ich, richtig, du hast in Amerika einfach eine Vielzahl an Möglichkeiten, Konzerte zu spielen, unter anderem auch durch die von dir genannten Basementshows. Ich bin jetzt nicht so gut informiert, was die Venues in Deutschland betrifft, aber von meiner eigenen Erfahrung aus würde ich dir auf jeden Fall zustimmen.

boysetsfire13-01Da du gerade von deinen eigenen Erfahrungen mit deutschen Clubs sprichst: Wie erklärt ihr euch euren großen Erfolg in Deutschland? Ihr habt ja unter anderem auch eure Reunionshow in Berlin gespielt.
Josh: Wir haben das bandintern so oft diskutiert und besprochen… Ich glaube, das Beste ist, wenn ich diese Frage einfach an dich zurück geben: Warum mögt ihr Deutschen uns so? Wir machen ja nur das, was wir halt machen.
Nathan: Japp, wir haben echt nicht den Hauch einer Ahnung, warum wir in Deutschland so groß geworden sind. Es scheint so, als gäbe es da zwischen uns und den Fans in Deutschland eine besonders enge Verbindung, stärker als irgendwo sonst auf der Welt. Aber wieso? Ich kann mir das auch nicht erklären.

Wie ist es denn im Vergleich zu Deutschland, wenn ihr in Amerika spielt?
Nathan: Das letzte Mal als wir in New Jersey gespielt haben, waren da um die 300 Leute, wenn ich mich richtig erinnere. Also versteh mich nicht falsch, das ist immer noch super. Aber die Konsequenz ist eben, dass wir uns unsere Konzerte dort schon immer sehr gezielt aussuchen müssen. Wir können jetzt nicht eine komplette Tour quer durch die USA spielen und erwarten, dass jeden Abend so viele Leute kommen.
Josh: Ja, ich würde es so sagen: In den USA sind die Hallen zwar kleiner, aber die Leute drehen auch da so richtig durch. Das ist großartig, wir haben absolut keinen Grund uns zu beschweren.

Eure Verbindung zu Deutschland ist ja auch innerhalb der Band sehr groß: Wie genau habt ihr eigentlich euren Bassisten Robert Ehrenbrand kennengelernt und wie kam es, dass er Teil von BOYSETSFIRE wurde?
Josh: Das war so, wir haben damals ein Wettlesen veranstaltet… (lacht) Wir haben vor Millionen von Jahren öfter mit seiner alten Band gespielt, My Hero Died Today, und haben uns einfach super mit den Jungs verstanden. Schließlich hat unser alter Bassspieler uns in der Mitte der Tour verlassen und wir haben ihn gefragt, ob er nicht bei uns spielen möchte. Und seitdem ist er unser Bassist – wobei, stopp, das stimmt ja gar nicht, er war es ja jetzt eine Zeitlang nicht mehr, das hatte ich gerade total vergessen. (lacht) Aber jetzt ist er wieder da und wir haben wieder unseren Deutschen in der Band.

Wie sieht euer Line-Up demnach jetzt genau aus? Offiziell habt ihr ja jetzt zwei Bassspieler und seit zu sechst, wenn ich mich nicht täusche?
Josh: Das hat ganz pragmatische Gründe. Wenn wir in New Jersey eine Basementshow spielen wollen, dann wollen wir die Möglichkeit haben, das zu tun, ohne Robert für ein paar tausend Dollar nach Amerika einzufliegen. Das bedeutet, du wirst BOYSETSFIRE niemals mit zwei Bassspielern sehen, behaupte ich jetzt mal…
Nathan: Ja, das wird nicht passieren.
Josh: Das bedeutet, im Normalfall wird in Amerika unsere alter Freund Chris Rakus Bass spielen und Robert die Position in Europa einnehmen.

Wer von beiden ist für die Bassparts auf dem neuen Album verantwortlich?
Josh: Beide spielen Bass auf dem Album. Robert ist für ein Wochenende in die USA geflogen, um seine Parts einzuspielen und jeder hat ein paar Sachen gespielt. Ich könnte dir jetzt nicht genau sagen, wer was gespielt hat, also einzelne Songs oder Teile rauspicken. Also es gibt jetzt keine funky Basslines, oder so etwas. (lacht)

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Wie darf man sich denn euer Songwriting vorstellen? Gibt es Unterschiede zwischen früher und der Herangehensweise an eure neuen Songs?
Josh: Wir benutzen da ein Computerprogramm und geben einfach drei verschiedene Worte ein… (lacht) Nein, also es gibt da eigentlich keinen direkten Plan oder ein festes Vorgehen. Es ist aber auch nicht so, dass wir einfach drauflos jammen. Meistens kommt jemand mit einem Part an, und wenn wir ihn gut finden, dann bauen wir darauf auf. Ich würde sagen, das Songwriting ist bei uns ein ziemlich organischer Prozess. Vielleicht ist es ein, zwei Mal vorgekommen, dass jemand einen vollständigen Song vorgestellt hat, aber das passiert eigentlich nicht. Meistens ist es „Schaut mal, ich hab da so einen Frickelteil“, dann spielen wir damit herum und dann steht der neue Song manchmal nach einer halben Stunde und manchmal dauert es endlos. Wir haben einen Song, „Never Said“, den wir jetzt schon locker 14-16 mal umgeschrieben haben.
Nathan: Nicht nur umgeschrieben, auch umbenannt. Wahrscheinlich sogar öfter.
Josh: Das Wichtigste ist, dass du nicht mit einem Teil ankommen kannst, ohne offen dafür zu sein, damit herumzuexperimentieren. Also du kannst schon, aber dann wirst du traurig sein. Außer dir, DU kannst das schon machen, mit deinem Part würden wir nicht herumdoktern. (lacht)

In eurer aktuellen Presseinfo habe ich einen Satz gefunden, den ich sehr schön fand und zu dem ich euch gerne einige paar Fragen stellen würde. Der Satz lautet: “We lived through the terror of rap‐rock, the tyranny of nu‐metal, and the dark days of pop‐punk. We were around before the internet.”
(beide lachen) Nathan: Haha, ja, das hat Josh geschrieben.

boysetsfire13-07Ich finde das eine ziemlich gute Zusammenfassung der Musik der letzten Jahre. Gleichzeitig denke ich, dass in eurer „Abwesenheit” das Genre des Metalcore, um einen weiteren schwammigen Begriff zu gebrauchen, die Vorherrschaft in der alternativen Musikszene übernommen hat. Ist das für euch demnach eine neue „Tyrannei“ oder mögt ihr Bands aus diesem Genre?
Josh: Ich denke, die Antworten von Nathan und mir werden sich hier ziemlich unterscheiden. Ich mag zum Beispiel Bring Me The Horizon oder Architects sehr gerne, welche ziemlich gut in dieses Genre passen, A Day To Remember sind auch nicht schlecht, wobei sich dann hier schon wieder die Frage stellt, ob sie wirklich Metalcore sind. Was all diesen Genres gemeinsam ist, sowohl denen aus der Presseinfo, als auch Metalcore, ist, dass du wirklich verdammt gut sein musst, damit du irgendwie aus der Masse herausstichst. Also ich meine wirklich richtig gut.
Nathan: Ja, das sehe ich auch so. Das neue Album von Bring Me The Horizon hat bei mir auch sofort klick gemacht.
Joss: Ah, nicht so wie die neue von den Deftones? (lacht)
Nathan:
Ja, weil sie meiner Meinung nach zu weit von ihrem Stil abgewichen sind und für mich jetzt langweilig und ermüdend klingen. Aber das ist nur meine Meinung, wenn andere das gut finden, habe ich absolut kein Problem damit. Weißt du, es gibt so viel Musik, die ich einfach nicht hören kann, aber ich verstehe total, wenn andere eine Verbindung dazu haben. Ich hasse das, wenn mir irgendjemand sagt: „Der Stil ist doch total scheiße“ und meint, mich belehren zu müssen. Also klar, ich werde dir definitiv meine Meinung sagen, wenn ich irgendwas für totalen Müll halte, aber in den meisten Fällen verstehe ich, was andere Leute daran gut finden können. Zusätzlich hätte ich auch Angst, dass ich alt klinge. (lacht)
Josh: (mit verstellter Stimme)
Seit 85 hat es sowieso keinen guten Song mehr gegeben! (beide lachen)

Ich hab mir immer schwer getan, eure Band in eine dieser Schubladen zu stecken. Ihr habt damals nie so wirklich in die Emoschiene gepasst, wart aber auch nie wirklich Metalcore. Wie würdet ihr eure eigene Musik kategorisieren?
Nathan: Gar nicht. Wenn du dir unsere Musik anhörst, wo würdest du das am besten einordnen? Wie ich vorher ja schon meinte, du hast auf einem Album „Ten And Counting“ und „So Long… And Thanks For The Crutches“, wo man sich dann schon denkt, wow, da ist so etwas wie ein Countrysong auf einem Album gemeinsam mit einem Metalsong. Es geht mir jetzt nicht darum uns irgendwie als besonders originell darzustellen und uns ein eigenes Label zu verpassen, aber ich finde, das passiert auf anderen Alben nicht so oft. Ich habe das Gefühl, dass es bei uns auch Sinn ergibt, und dass es aus irgendeinem Grund nicht total seltsam klingt. Ich bin in dieser Hinsicht schon ziemlich stolz auf uns.

Boysetsfire-Promo2Würdet ihr sagen, dass diese Stilvielfalt auf eure Einflüssen zurückzuführen ist?
Beide: Ja, absolut.

Auch in einer Form, dass ihr diese konkret benennen könntet?
Nathan: Oh, das ist so viel. Jeder von uns hat so viele verschieden Vorlieben, was Ideen, Stile und Bands betrifft. Es treffen hier einfach hinsichtlich der Ideologien und der Musik so viele verschiedene Richtungen aufeinander..
Josh: Ich denke, der größte Einfluss besteht in unserer Offenheit, neue Dinge auszuprobieren und die Regeln zwar zu kennen, sie dann aber einfach ein bisschen zu biegen und zu wenden. Im Zweifel auch mit dem Ergebnis, dass das dann scheiße klingt, so nach dem Motto: „Hey, warum probieren wir nicht mal das aus“, und dann steht man da und denkt sich „Meh…“. Also ich hoffe, dass du niemals einen Song von uns hören wirst, der wirklich schlecht ist. Meistens ist es so, wenn man es diskutiert, klingt die Idee total gut, aber wenn man es dann umsetzen willst, klappt es einfach nicht. Wichtig ist für uns demnach die Offenheit, seine eigene Komfortzone einfach mal zu verlassen, es aber auch zu akzeptieren, wenn es nicht klappt.

Neben diesen Genrefragen erwähnt ihrer in eurer Pressinfo euren Bezug zum Internet. Ihr hattet ja eure Probleme mit Recordlabels in der Vergangenheit, um es harmlos auszudrücken.
Josh: Och ja… (lacht)

Glaubt ihr, dass das Internet heute eine bessere Möglichkeit darstellt, eure Musik zu promoten?
Josh: Ja und nein. Ich hab so ein bisschen das Gefühl, es gibt da schon wieder zu viele Möglichkeiten. Klar, es ist jetzt schon einfacher für uns als BOYSETSFIRE uns selbst ins Gespräch zu bringen, aber für „Neue Band A“? Ich glaube, das ist echt richtig schwer. Ich frage mich auch, ob man das noch irgendwie mit dem in Einklang bringen kann, was wir gemacht haben: Schreiben, aufnehmen und spielen. Wir haben in Detroit vor zehn Leuten gespielt, beim nächsten Mal waren es 50, das nächste Mal 100. Ich weiß echt nicht, ob das heute noch so funktionieren kann.
Nathan: Ja, es ist einfach zu viel los und es gibt auch zu viel Zugriff. Heutzutage haben viele Leute nicht mehr das gleiche, aufregende Gefühl, eine neue Band zu entdecken.
Josh: Wir haben damals noch endlos Mailorderlisten durchgewühlt und im Plattenladen in die Bands reingehört.
Nathan: Ich weiß noch, in der achten oder neunten Klasse, als mir ein Kumpel eine Kassette von Black Flag in die Hand gedrückt hat. Zwei Wochen später kam er an und meinte „Verdammte Scheiße, Black Flag sind in der Stadt, sie spielen heute abend die Straße runter!“. Das war bei ihrer letzten Tour damals. Also bin ich runtergegangen zur South Lodge, habe mir Black Flag angeschaut, und die haben mich zu Tode erschreckt. Ich bin danach ziemlich lange auf kein Punkkonzert mehr gegangen. Aber trotzdem, das war diese richtige coole Erfahrung, einfach so etwas zu entdecken, das gleichzeitig unglaublich schockierend und großartig war. Ich glaube, das passiert einfach nicht mehr so oft.

boysetsfire13-04Ihr werdet euer neues Album ja nun über euer eigenes Label End Hit Records veröffentlichen. Wann habt ihr euch entschieden, das selber in die Hand zu nehmen?
Josh: Ja, es ist unser eigenes Label, aber um ehrlich zu sein, spielt unser Freund Oise schon eine sehr große Rolle – er führt es. (lacht) Er war auch die treibende Kraft hinter ziemlich viel, was unsere Band in letzter Zeit betrifft. Wir waren eher auf dem Trip zu sagen, „Hm, vielleicht schreiben wir jetzt erstmal eine EP und schauen, wie das ankommt“, worauf er sofort meinte „Nein, ihr solltet ein ganzes Album aufnehmen, ihr solltet zu diesem Zeitpunkt fertig sein. Hier ist die Planung, los geht’s.“ Und ich bin wirklich froh, dass er das für uns getan hat.

Also hat die Frage nach dem Label auch keine Einwirkungen auf euer Songwriting gehabt?
Beide: Nein.

Auch nicht in der Vergangenheit?
Josh: Nein. (lacht) Also versteh mich nicht falsch, ich weißt total, was du meinst – aber wir haben auch bei „The Misery Index“ gemacht, was wir wollten und uns nicht reinreden lassen.

Eure Band gibt es jetzt – inklusive der bereits erwähnten Pause – seit 1994.
Nathan: Japp, unsere erste Show haben wir 1997 gespielt.
Josh: Stimmt. Wow.

Glaubt ihr, dass irgendwann der Punkt erreicht sein wird, wenn ihr euch zu alt fühlt, um noch glaubhaft aggressive Musik zu spielen, so wie ihr es jetzt tut? Derzeit ist das meiner Meinung nach bei euch kein Problem, da ihr einfach authentisch wirkt, aber vielleicht in, sagen wir, zehn Jahren?
Nathan: Hm. Erstmal danke, dass du uns authentisch findest. Ich denke, das liegt derzeit einfach daran, dass wir machen, worauf wir Lust haben, nicht weil es irgendwie in einer bestimmten Form zu passieren hat, sondern einfach, weil wir das sind, was wir tun. Es sind nicht wir, weil es jetzt irgendwie harte Musik ist, daher hat das nichts mit unserem Alter zu tun.
Josh: Wenn wir uns danach fühlen, dann könnte das nächste Album auch sehr ruhig sein, wer weiß.

boysetsfire13-06Ok, wir kommen langsam zum Ende unseres Gesprächs. Was sind denn eure weiteren Pläne für 2013?
Nathan: Unser neues Album wird im Juni erscheinen, wir werden im Sommer ein paar Konzerte und Festivals in Europa spielen und im Herbst auch einige Shows in den USA. Aber wir wissen noch nicht, ob wir überall spielen werden – es ist einfach ein zu großes Land.
Josh: Ja wir werden wahrscheinlich in Chicago spielen und Detroit ist auch spitze – aber ich hab wirklich keine Ambitionen, noch einmal in Montana zu spielen. (lacht)
Nathan: Darüber hinaus haben wir noch keine Pläne.

Ihr habt beide in „The Casting Out“ gespielt, Nathan, du spielst derzeit auch bei „I Am Heresy“, Robert spielt bei „Lifeline“. Was bedeuten euch diese Nebenprojekte?
Nathan: Ich kann jetzt natürlich nur für mich antworten, was „I Am Heresy“ betrifft. Es würde für mich keinen Sinn ergeben, wenn „I Am Heresy“ genauso wie BOYSETSFIRE klingen würden, daher ist diese Band für mich eine Möglichkeit, andere Musik mit anderen Leuten zu machen. Da wir mit BOYSETSFIRE auch keine festen Pläne haben, was wir wann machen, besitzen wir die Möglichkeit, unsere anderen Projekte gleichzeitig zu betreiben. Was BOYSETSFIRE betrifft, sind wir, wie ich schon erwähnt hatte, darüber hinaus alle sehr unterschiedlich was unsere Glaubenssysteme und unseren Musikvorlieben betrifft, weswegen wir hier eher auf unsere Themen aufpassen müssen, da sich hierin ja die gesamte Band wiederfinden soll. In meinen Nebenprojekten kann ich tun und sagen was auch immer ich will, ohne mir darüber Sorgen zu machen, ob zum Beispiel Josh mit allem einverstanden ist. Gleichzeitig bin ich sehr froh darüber, BOYSETSFIRE zu haben und eben genau diese Diskussionen über unsere Themen und all das zu führen, und zu wissen, dass wir irgendwie doch immer auf einen Zweig kommen. Beide Seiten haben also ihre Vorteile und machen Spaß.

Was bedeutet diese „Kompromissfindung“ denn im Bezug auf die Texte von BOYSETSFIRE, besonders auf dem neuen Album? Geht es, wie auf den alten Alben, primär in eine politische Richtung?
Nathan: Nein, das würde ich so nicht sagen. Du hast ja drei Songs gehört, ich denke „Cutting / Letting Go“ ist kein politischer, sondern ein sehr persönlicher Song, „Until Nothing Remains“ besitzt eine Mischung aus verschiedenen Themen… Generell versuchen wir alle Songs, egal ob sie jetzt politische, persönliche oder soziale Themen behandeln, relativ vage zu halten. Das machen wir auch ganz bewusst, da ich finde, dass du, wenn du etwas tust, das Leute inspirieren soll, etwas erschaffst, das sie auch auf ihr Leben anwenden können. Wenn du den Leuten genau sagst, wovon die Songs eigentlich handeln, wie sollen sie es dann schaffen, diese Songs auf ihr eigenes Leben zu beziehen? Ich sehe hier auch die Gemeinsamkeit, zu dem was ich vorher über BOYSETSFIRE gesagt habe: Während wir innerhalb der Band über Dinge diskutieren und uns auf einen gemeinsamen Nenner einigen, passiert das durch diese textliche Vagheit auch über diese Grenze hinaus mit den Fans. Man stopft den Leuten nicht irgendwas in den Rachen, sondern wirft Ideen in den Raum und sagt den Leuten somit: „Hey, denkt mal nach.“

Das ist doch ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für eure Zeit und viel Spaß bei euren anstehenden Konzerten. Ich freue mich auf das neue Album!

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