Interview mit Matty von Lost World Order

Bereits ihr letztes Album, „Marauders“, war eine echte Thrash-Granate. Mit „Parasites“ legen die Bielefelder Thrash Metaller LOST WORLD ORDER nun nochmal kräftig nach und präsentieren sich in Bestform. Höchste Zeit also, dass der ehemals als Spectre Dragon bekannten Band dafür auch die angemessene Augmerksamkeit zu Teil wird – höchste Zeit für ein Interview!
Lest hier, was Sänger Matty in der ersten Fragestunde zum neuen Album überhaupt über Album, Szene und den Weltuntergang zu berichten hatte…


Sers! Schön, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast! Wie geht es dir?
Hi! Mir geht es sehr gut, danke der Nachfrage. Ich freue mich, dass ich dieses Interview geben darf, besonders, da es das erste überhaupt für „Parasites“ ist. Und natürlich auch, weil Dir das Album so gut gefällt, haha.

Na das klingt doch nach guten Rahmenbedingungen für das Interview. Anlass ist, wie von dir schon angesprochen, euer drittes Album, „Parasites“, dessen Release in wenigen Tagen ansteht. Seid ihr auf die Reaktionen seitens der Fans und der Presse gespannt, oder lässt euch das kalt?Klar sind wir gespannt! Das ist jedes Mal ein bisschen wie Lotto spielen. Man steht zwei Jahre im Proberaum und arbeitet an einem Album, da freut man sich natürlich über Feedback. Wenn das gut ausfällt: Umso besser! Irgendwann fehlt einem einfach der Abstand zum eigenen Material, da ist Input von außen durchaus gesund und notwendig.

Wie geht ihr allgemein mit Kritik durch Presse und Fans um?
Wenn diese Kritik konstruktiv ist, haben wir da kein Problem mit und diskutieren dies auch schon mal gemeinsam. Wenn es sich um plumpe Angriffe handelt, blocken wir jedoch ab. Das passiert zum Glück eher selten.
Letztlich sind wir allerdings selbst unsere schärfsten Kritiker. Ich versuche zum Beispiel jedes Mal, meinen Gesang zu verbessern und mein Gitarrespiel so originell und tight wie möglich zu gestalten. Und auch die anderen drei arbeiten hart an sich. McZ etwa hat erst vor wenigen Jahren sein Bassspiel von Pick auf Finger umgestellt und in diesem Rahmen geübt wie ein Besessener. Der Erfolg gibt ihm recht, er hat völlig neue Möglichkeiten in seinem Spiel zum Vorschein gebracht.


Thrash Metal ist ja grade international wieder groß im Kommen, man denke an Bands wie Evile oder Warbringer. Denkst du, dass euch diese Welle auch von Nutzen sein wird?
In meinen Augen ist diese Welle sogar schon wieder dabei, ab zu ebben. Bands wie die oben genannten oder auch Bonded By Blood haben überlebt, weitere Bands rücken aber kaum nach. Das Ganze geht ja schon seit einigen Jahren so, aber wir haben davon eigentlich nicht profitiert.
Das geht ja nicht nur uns so. Deutschland ist einer der wichtigsten Märkte für Metal, aber der Prophet gilt im eigenen Land nicht viel. Mir fällt keine einzige deutsche Band ein, die im Zuge dieser Welle Erfolge feiern konnte. Hier ist eher der Black Thrash stark, klassischer Thrash bleibt ein Underground-Thema. Also völlig anders als in den Achtzigern, als wichtige Szene-Protagonisten aus Deutschland kamen. Das hast du ja im „Parasites“-Review auch angesprochen.Dass wir jetzt mit GoodDamn ein Label im Rücken haben, hat auch sicher nicht vordergründig etwas damit zu tun, dass man mit solcher Musik großen Erfolg haben kann. Der Labelboss steht einfach auf gute Musik und mag LOST WORLD ORDER. Manchmal kann das Leben so einfach sein, hahaha.
Meiner Meinung nach sind wir allerdings auch nicht mit vielen Bands aus dieser Welle zu vergleichen. Viele dieser Gruppen sind sehr gut, eifern ihren Vorbildern aber stark nach. Wir stehen natürlich auch auf Exodus, Overkill, Testament und Kreator, was man bestimmt auch hört. Trotzdem versuchen wir, unseren eigenen Stil zu etablieren, was uns in meinen Augen auch ganz gut gelingt.

Werdet ihr international schon wahrgenommen, was Reviews, aber vielleicht auch Konzertanfragen angeht?
Mit dem letzten Album „Marauders“ hatten wir einige tolle Reviews aus der ganzen Welt. Konzertanfragen nicht, aber da hätten wir uns sicher auch selbst ein wenig drum kümmern müssen.

Das Interessante an dieser neuen Thrash-Welle ist, wie ich finde, dass sich hier keine neue Szene etabliert und groß wird, sondern im Endeffekt Bands gehyped werden, die sich wieder auf alte Werte zurückbesonnen haben. Siehst du das genauso, und warum, denkst du, ist ausgerechnet jetzt wieder ein Markt für Oldschool-Thrash vorhanden?
Es ist einfach gerade an der Zeit, hahaha. Meiner Erfahrung nach verlaufen Musikmärkte zyklisch. Als ich 1991 anfing, Metal zu hören, war Death Metal gerade das große Ding, dann kam der Black Metal. Nu Metal als musikalischer Sondermüll zählt nicht, und danach fing alles an, sich zu wiederholen. Heavy Metal kam in klassischer Form zurück, momentan ist Thrash halt wieder etwas größer. Zeitgleich haben viele neue Bands Schlaghosen, Black Sabbath und Led Zeppelin wieder entdeckt, andere berufen sich auf Roky Erickson oder Coven.
Der alte Death Metal ist – um die Brücke zurück zu schlagen – auch wieder da. Obwohl sich Dismember aufgelöst haben (schnüff!), gibt es zahlreiche gute alte und neue Bands. Hail Of Bullets, Entrails, Demonical, Evocation, Morbus Chrohn, und Autopsy leben auch wieder!
Ein Stück weit liegt das sicher daran, dass sowohl bei Musikern als auch bei Musikhörern der Nachwuchs da ist. Jede Generation braucht einfach ihren eigenen Krach, hahaha.

Bei euch ist es ja nicht viel anders – auch hier gibt es wenig komplett Neues zu hören, und dennoch funktioniert die Mischung am Ende. Was mich hier interessieren würde: Im Black Metal ist eine Band ja schnell durchgefallen, wenn sie zu stark nach der einen oder anderen Band klingt, oder generell nicht eigenständig genug, wohingegen man im Thrash Metal das Gefühl hat, es würde einer Band sogar hoch angerechnet, wenn sie an diese oder jene Szenelegende erinnert.
Woher denkst du kommen diese unterschiedlichen Einstellungen, und was ist deine Meinung dazu, gerade vor dem Hintergrund, dass du selbst auch bei einer BM-Band aktiv warst?

Das ist ein hausgemachtes Problem einzig und allein der Black Metal-Szene. Dort wird einem massiv vorgeschrieben, was true (Verzeihung: trve) oder nicht ist, und wo der Trend gerade hingeht. Heute ist es toll, möglichst „Post“ zu klingen, morgen muss man wieder billige Synthies auspacken und sich wie Troll anno 1995 anhören.
Die Einstellung einiger Black Metal-Fans hat mich in zahllosen Diskussionen beinahe in den Wahnsinn getrieben und war letztlich für mich einer der gravierendsten Gründe, bei der erwähnten Band auszusteigen.
Natürlich gibt es tolle Black Metal-Musik und auch einige tolle Leute in der Szene, aber im Großen und Ganzen komme ich persönlich nicht mit der Mentalität klar. Muss ich aber auch nicht, die Szene wird genau so gut ohne mich auskommen wie ich ohne sie.
Beim Thrash Metal zählt der Song! Die Hörer dieser Musik gehen mit einer völlig anderen Einstellung an die Sache heran. Ich empfinde das als ehrlicher.
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es sich hierbei um meine Meinung handelt, die anderen Musiker von LOST WORLD ORDER sehen das zum Teil sicher völlig anders.

Konkret würde ich euch ja, wie auch im Review geschehen, vor allem mit Kreator vergleichen, was wohl vor allem an deinem Gesang liegt. Sind das Vergleiche, die man gerne hört, oder langweilt auch das mit der Zeit?
Wenn man uns nicht als lauen Abklatsch von Kreator abtut, sondern als eine die Szene bereichernde Band, die Erinnerungen an die Altenessener weckt, finde ich das völlig in Ordnung. Und für einen Thrash-Sänger gibt es sicher schlechtere Referenzen als Mille, hahaha.

Wenn du „Parasites“ in einem Satz beschreiben müsstest, würde dieser lauten:
SO muss Thrash Metal im Jahre 2012 klingen!

Und was macht „Parasites“ zu einem besseren Album als seinen Vorgänger, „Marauders“?
Da gibt es ja nur eine Antwort: Weil es unser neuestes ist, hahaha.
Für uns ist „Parasites“ eigentlich der logische Nachfolger von „Marauders“. Wir haben unsere Trademarks einfach weiter vertieft: Abwechslungsreiches Songwriting, einprägsame Hooklines und ein geiler Sound von Großmeister Jörg Uken.
Der große Vorteil ist, dass „Parasites“ eher einen roten Faden erkennen lässt.

Das Artwork schaut vom Stil her ja relativ ähnlich aus. Ist es vom gleichen Künstler, und wenn ja, erzähl uns doch ein bisschen was über Künstler und Artwork:
Ja, es stammen beide Artworks von Plamen Kolev (Homepage). Über den Künstler kann ich gar nicht viel sagen, er schrieb uns eines Tags an, ob wir nicht ein Cover gebrauchen könnten. Und weil das gerade der Fall war und uns sein Stil gefiel, fiel die Entscheidung leicht.
Das Frontcover von „Parasites“ zeigt die Person, die man auf der „Marauders“-Rückseite sehen konnte. Er ist zwar den Kerl mit der Knarre losgeworden, dafür wird jetzt sein Willen systematisch gebrochen.
Wir haben uns bewusst für eine kalte Grundfarbe entschieden. Wo es beim letzten Mal Explosionen gab, ist jetzt nur noch Tristesse.

Auch textlich knüpft ihr ja eigentlich direkt an das Konzept des letzten Albums an. Könntest du für den Leser das Textkonzept des neuen Albums (gerne im Kontext mit dem letzten) kurz zusammenfassen?
„Marauders“ hat die Zeit unmittelbar nach dem dritten Weltkrieg beschrieben. Die Erde war weitgehend zerstört und verseucht, nur eine Handvoll Menschen hatte überlebt. Der eine Teil hatte Glück und konnte sich den noch existierenden Rest an Besitztümern sichern, während der andere Teil vor sich hin vegetierte, krank und geschwächt von radioaktiver Strahlung und den Nachwirkungen von Biowaffen.
Dieses Ungleichgewicht musste zwangsläufig zu einer weiteren Schlacht führen, die mit primitiven, dafür aber umso brutaleren Mitteln ausgefochten wurde. Danach war Stille.
Doch etwas hat überlebt, und mit „Parasites“ erwacht es wieder. Die Evolution beginnt nun von neuem, trotz der verseuchten Erde und kaum vorhandener Vegetation. Wie die Kakerlaken konnte sich offenbar auch die Menschheit irgendwie auf die Nachwirkungen eines solchen Krieges einstellen.
Die Menschen, die auf den Plan treten, sind zunächst primitiv, vergleichbar mit Neandertalern. Sie hocken buchstäblich mit der Keule auf dem Baum. Langsam entwickeln sie sich jedoch weiter. Doch es gibt noch eine zweite Gruppe, die sich während der Kriege zurück gehalten und es sich in einem Bunker gemütlich gemacht hat. Diese Gruppe – die „Lost World Order“ – hat das Wissen der heutigen Zivilisation bewahrt und beginnt nun, während der Evolution Gott zu spielen. Ziel der Sache ist es, den perfekten Menschen zu formen. Dafür ist der Gruppe jedes Mittel recht, sowohl wissenschaftlicher als auch dogmatischer oder religiöser Natur. In einem perversen Ritual wird ein Mensch zum Sklaven gemacht, sein Wille vollständig gebrochen.
Später wird die Welt der Menschen in einen Überwachungsstaat umgewandelt, die Freiheit der Sprache oder auch nur des Gedankens ist abgeschafft.
Der versklavte Mensch steht in den Diensten der „Lost World Order“, erwacht jedoch eines Tages von seiner Gehirnwäsche. Er stellt fest, dass in seiner alten Gemeinschaft kein Platz mehr für ihn ist. Obwohl er keine Erinnerung an seine Taten hat, ist er für alle nur der Verräter.


Das klingt alles ziemlich gut durchdacht und detailliert ausgearbeitet… gerade im Thrash Metal erwartet man so etwas ja nicht unbedingt. Wie kommt man auf so ein Konzept?
Ich hole die Inspiration für meine Texte sowohl aus der Gegenwart als auch der Geschichte. Die Verbindung von Wissenschaft und Okkultismus etwa gab es bereits im Dritten Reich. Die Beschneidung der gesamten Freiheit sehe ich als eine stetig näher rückende Dystopie, und dass Menschen in ihrer gewohnten Umgebung vereinsamen, ist ein augenblicklich akutes Problem. Man muss sich nur mal mit dem täglichen Leben auseinander setzen, dann kann man bestens Thrash-Texte schreiben.

Wie wichtig sind dir generell die Texte bei deiner Musik, aber auch bei Musik, die du nur konsumierst? Erwartest du, dass die Fans deine Texte lesen, und verhältst du dich entsprechend, wenn du dir eine CD kaufst?
Die Texte sind mir schon sehr wichtig. Sie sollen die Musik unterstützen und intensivieren und tragen demnach einen wichtigen Teil zum Gelingen oder Misslingen eines Albums bei.
Wenn jemand die Texte liest, freut mich das. Erstens kann er sie dann bei Konzerten besser mitgrölen, und zweitens interessiert ihn vielleicht, was ich so von mir gebe. Das ist kein Muss, wird den Hörgenuss aber sicher verstärken.
Ich selbst lese gern Songtexte und versuche auch, mich mit Songs und Alben auseinander zu setzen. Durch diese intensive Beschäftigung mit der Materie kann ich mich besser fallen lassen und erhalte dadurch einen Mehrwert, den ich in Geld nicht messen kann.

Euer Album wird ja auch auf Vinyl erscheinen. Wie wichtig ist dir das persönlich, und warum, denkst du, gibt es in Zeiten, in denen sich Musik eigentlich in jeder Form schlecht verkauft, noch einen Markt für dieses Medium?
Mir liegt das sehr am Herzen, denn ich bin leidenschaftlicher Vinyl-Sammler! Dass der Markt da ist, sieht man daran, dass zum einen fast jedes Metal-Album wieder auf Vinyl erscheint und zum anderen sogar große Ketten wie Saturn, Media Markt oder Müller dieses Medium wieder im Programm haben.
Die CD ist eigentlich ein echter Wegwerf-Artikel, Vinyl strahlt alleine durch die Größe des Artworks etwas Majestätisches aus. Als Sammler-Artikel wird die LP meiner Einschätzung nach länger überleben als die CD, die eigentlich jetzt schon fast ein Auslaufmodell ist..


Ok, das war dann eigentlich schon meine letzte Frage zu LOST WORLD ORDER – trotzdem hätte ich noch eine Frage:
Ihr wart ja bis vor kurzem bis auf euren Bassisten geschlossen Teil der deutschen Black Metaller Eïs (ehemals Geïst) – bis man in einem Statement von Alboin neulich lesen konnte, dass er euch allesamt verabschiedet hat, weil das Material, das entstanden war, nicht seiner Vision entsprach. Das klingt nach einem relativ unschönen Ende dieser Zusammenarbeit, schließlich hört so etwas wohl niemand gerne, gerade, wenn er Zeit in neues Material gesteckt hat.
Könntest du uns ein wenig über die Hintergründe und deine Gedanken zu der ganzen Sache verraten?

Zu dem Zeitpunkt war ich schon lange ausgestiegen (s.o.), daher kann ich zu dem Thema nichts weiter sagen. Ich möchte es auch nicht in einem LOST WORLD ORDER-Interview thematisieren, wenn du mir das nicht übel nimmst. Mit dem Thema habe ich abgeschlossen.

Und was darf man jetzt vom kommenden Eïs-Album erwarten?
Keine Ahnung. Da ich keinen Kontakt mehr zu Alboin habe, bin ich für diese Frage der falsche Ansprechpartner. Sorry!

Danke für deine Zeit, von meiner Seite wären wir quasi durch – wenn du noch etwas loswerden willst, hast du dazu jetzt die Gelegenheit:
Ja, zwei Dinge:
1. Besorgt Euch „Parasites“, das Teil ist ein MUSS für jede Thrash-Sammlung!
2. Danke für das ausführliche Interview. Mir glühen die Finger, hahaha.

Ich habe zu danken! Abschließend würde ich dich noch bitten, bei unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming mitzuspielen. Was fällt dir ein, wenn du folgende Begriffe hörst:
Syrien:
Ein weiteres Beispiel dafür, was passiert, wenn Menschen für ihre Rechte kämpfen. Grausam, was dort zur Zeit passiert!
Fussball: Nicht meine Baustelle.
ACTA: Bleibt abzuwarten, ob die Gegner recht behalten. Gegen Piraterie anzugehen, ist ja okay. Nur darf daraus keine Zensur erwachsen.
Bielefeld: Die schönste Stadt der Welt! Keine Widerrede!
Metal1.info: Das Mag, dass das erste Interview zu „Parasites“ ergattern konnte.
Christian Wulff: Hat ein schönes Haus in Hannover…
Slayer: Pioniere, deren tolles letztes Album „World Painted Blood“ nur an dem miesen Sound krankt. Woher hat Rick Rubin eigentlich seinen guten Ruf?
Parasit: Saugt seinen Wirt bis zum letzten aus.
Perfekt! Vielen Dank nochmal, und viel Erfolg weiterhin!

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