Interview mit Nathan Gray über Pantera und Phil Anselmo

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„Dieser Vorfall im Allgemeinen hat mir viel Stoff zum Schreiben gegeben.“

Als Pantera für Rock am Ring und Rock im Park angekündigt wurden, war zunächst die Freude bei vielen Fans der Musik der Band groß. Schnell überwog allerdings ein mulmiges Gefühl ob der offen rechten Aussagen ihres Sängers Phil Anselmo. In den sozialen Medien und auch der Politik braute sich ein Shitstorm zusammen – die Veranstalter blieben zunächst still und es folgten nur halbgare Statements (die mittlerweile alle wieder von den offiziellen Seiten gelöscht wurden). Unter anderem war NATHAN GRAY, der sowohl mit Boysetsfire als auch seiner neuen Band The Iron Roses von jeher aktiv für politische Aussagen eingetreten ist, in den sozialen Medien aktiv und versuchte, einen Auftritt der Band zu verhindern.

Nach einigen Chatnachrichten an einem kalten Januartag, kurz nachdem die Auftritte von Pantera bei den beiden Festivals sowie der Auftritt in Wien gestrichen wurden, sprachen wir mit Nathan über seinen Umgang mit den offen rechten Ausfällen von Phil Anselmo seit den 1990er-Jahren, Aktivismus, Hassnachrichten und seiner Rolle in dieser Sache.

Nathan Gray with the rest of the THE IRON ROSES
Nathan Gray mit THE IRON ROSES

Wie groß schätzt du die Rolle ein, die du und dein Engagement in den sozialen Medien dabei gespielt haben, dass Rock am Ring Pantera schlussendlich aus dem Line-up gekickt hat?
Ich würde sagen, ich habe eine kleine Rolle gespielt. Ich denke aber schon, dass meine Aktivität eine Menge Inspiration für andere dargestellt hat, selbst etwas zu sagen. Es ist eine lustige Geschichte, denn ich habe ja alles auf der Seite meiner anderen Band, The Iron Roses, gepostet. Ich habe mich zuerst aus Frustration geäußert, weil ich gesehen habe, dass Pantera angekündigt wurden, und mir nur gedacht hab: „Moment mal, was? So nah bei Nürnberg? Das ist krass, warum spielen die?“ Und ehrlich gesagt habe ich die Reaktion, die ich darauf bekam, nicht erwartet. Ich dachte, ich würde etwas sagen, es würde niemanden interessieren und wir würden weitermachen wie bisher – und dass ich einfach getan habe, was ich tun musste.

Aber die Reaktion war riesig und viele haben mir geschrieben, dass sie total froh waren, dass jemand den Mund aufmacht. Besonders gefreut hat mich, dass sich ein paar Leute gemeldet haben, die Aktivisten in der Gegend sind, wie meine Freundin Jasmina, die auf Instagram unter @quattromilf zu finden ist, und ein Rapper namens Chefket, und meinten: „Hey, die Leute bei Rock im Park zum Zuhören zu bewegen ist etwas, was wir schon eine Weile versuchen. Danke, dass ihr die einzige Band seid, die dort spielt und etwas sagt.“ Ich wollte die zwei explizit erwähnen, weil ich finde, dass es wichtig ist, wenn jemand wie ich etwas sagt, dass ich es richtig vertrete, damit vor allem marginalisierte Stimmen wie die von Jasmina gehört werden und es nicht nur eine „Das war ich alleine“-Sache ist. Es gab schon vor mir Stimmen, die sich geäußert haben, nur wurden sie leider öffentlich nicht so laut wahrgenommen.

Meine Posts haben aber offensichtlich einen Nerv getroffen, da sich viele Menschen gemeldet haben und auf dieses Problem hinweisen und helfen wollten. Ich habe mich mit Chefket in Verbindung gesetzt und gefragt, ob wir eine Petition oder etwas anderes auf die Beine stellen könnten, um den Veranstaltern wirklich Druck zu machen und vielleicht andere Bands zu motivieren, sich zu beteiligen. Das war eigentlich eine Idee von Jared von Boysetsfire, und ich wollte das wirklich versuchen. Dann sagte Chefket, warte mal, es wird gleich eine Ankündigung geben. Und wie es fast zu erwarten war … wurde in der Ankündigung nichts Substanzielles gesagt und wir waren alle sehr enttäuscht.

Nathan Gray live with BOYSETSFIRE
Nathan Gray live with BOYSETSFIRE

Danach war ich sehr verärgert und fing an zu überlegen, was ich tun könnte, wenn sie nichts tun würden. Und mein Gedanke war: OK, ich werde diese Show spielen. Aber ich werde mich auf der Bühne äußern, nicht nur gegen Phil Anselmo und Pantera, sondern auch darüber, was das Festival macht und warum es falsch ist. Und ich habe sie wissen lassen, dass ich gehofft hatte, sie würden das Richtige tun, aber zu diesem Zeitpunkt taten sie es nicht – und dass ich das Thema ansprechen würde. Ob sie das überzeugt hat, wer weiß. Aber ich weiß, dass ich das Richtige tun musste. Also habe ich beschlossen, einen Teil des Geldes, das ich mit dieser Show verdiene, an die Seapunks und andere Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden. Das ergibt für mich einfach Sinn: Wenn die Veranstalter einer Person Geld geben, die die White Supremacy fördert, dann werde ich mein Geld für etwas Sinnvolles spenden, das dem entgegenwirkt.

Jetzt kommt der wirklich abgefahrene Teil: Diese Nachricht verbreitet sich, und das Festival streicht sie schlussendlich vom Line-up. Ich weiß nicht, ob ich irgendetwas damit zu tun hatte, aber ich glaube, dass es wahrscheinlich einige Leute gab, die sich nicht öffentlich äußern wollten und dem Festival gesagt haben, dass sie Pantera nicht spielen lassen sollen. Ich wurde sozusagen zum Sündenbock gemacht.

Eine Menge Pantera- und Phil-Anselmo-Fans haben meinen Posteingang geflutet, als ob ich das allein gemacht hätte. Ich meine, ich bin ein Typ, der über den Band-Account einer Gruppe spricht, die nicht einmal auf dem Festival spielt. Aber ich bin froh, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Ich habe gefeiert, als die Veranstalter sagten, Pantera würden nicht spielen – und jetzt spielen die Foo Fighters, umso besser. Ich freu mich schon sehr drauf, dort mit ihnen zu spielen.

Es ist sogar noch lustiger, weil diese Pantera-„Fans“ in meinem Posteingang, die mich anschnauzten, Amerikaner waren, die gar nicht auf das Festival gehen. Und nicht nur das, Pantera machen auch noch eine ganze Tournee. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich diesen „Kreuzzug“ fortsetzen muss, denn letzten Endes muss ich einfach vorsichtig sein, mit wem ich auf der Bühne stehe. Ich kann nicht die Mission von jedem für alle übernehmen. Ich habe gerade gehört, dass Österreich die Show abgesagt hat, und das ist gut für sie – ich unterstütze das und hoffe, dass andere Veranstalter und Veranstaltungsorte aufwachen und für sich selbst einstehen. Aber ich kann nur mit dem umgehen, was ich kann und was mir präsentiert wird und womit ich am Ende des Tages leben muss.

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Nach den Videos von 2016 und dem Material, das aus den 1990er- und frühen 2000er-Jahren aufgetaucht ist, habe ich nie wirklich verstanden, warum die Leute sich für so einen Typen wie Anselmo einsetzen und eine halbherzige „Entschuldigung“ verteidigen.
Ich glaube, dass viele Leute nicht verstehen, wie viele Jahrzehnte er sich schon so verhält. Dieser eine Vorfall 2016 war definitiv nicht der einzige. Und nicht nur das, sondern schauen dir das Video wirklich an: Er hat keine Witze gemacht. Das war ein gewaltsamer Akt, er hat es wütend geschrien. Er hat keine Witze über Weißwein oder was auch immer gemacht.

Aber darüber hinaus gab es einfach so viele andere Momente. Der Grund, warum ich zum Beispiel von den Superjoint-Ritual-Texten erfahren habe, war, weil Dave (Fortman – A. d. Red.), dessen Spitzname The Butcher ist und der Boysetsfires „Tomorrow Come Today“ produziert hat, auch einige von Phils Sachen produziert hat. Ich habe das erste Superjoint-Ritual-Album gehört und nicht viel auf die Texte geachtet, ich fand nur die Musik cool. Als dann das zweite Album herauskam, wollte ich es mir unbedingt anhören. Schließlich kam dann dieser eine Song, und ich dachte: „Warte, ich muss den Text lesen, was hat er gerade gesagt?“ Und dann habe ich ihn überprüft – es ging um die „jüdische Elite“ („Stealing A Page Or Two“) und ich sah das N-Wort darin („Personal Insult“). Ich rief Dave an und sagte: „Dave, das neue Album … du weißt, was ich fragen werde.“ Und ich habe nur seine resignierte Stimme gehört … „Mann, ich weiß nicht … ja, das hat er gesagt …“

Von da an habe ich viel genauer auf Anselmo und seine Bands geschaut. Zum Beispiel die Shirts mit dem dreiarmigen Hakenkreuz, die er trug, und die Dinge, die er von der Bühne aus gesagt hat – eine Menge. Das ist keine zufällige Sache, in die er hineingeraten ist, er unterstützt das schon seit Jahrzehnten.

Und da ist noch etwas anderes über Pantera, an das ich gar nicht gedacht habe. Als ich mich zu Wort gemeldet habe, sprangen The Iron Roses – meine Band – sofort auf, um mich zu unterstützen, obwohl sie nicht einmal für das Festival gebucht sind. Ich habe mich mit Phil, unserem Gitarristen, unterhalten, der schwarz ist. Er erzählte mir, dass er damals sofort Feuer und Flamme war, als ihm jemand sagte, er solle sich Pantera anhören – aber als er die Gitarre mit der Rebellenflagge sah, wusste er, dass er da nicht hingehörte. Und dass du in einer Band spielst, die etwas unterstützt, was manchen Leuten das Gefühl gibt, dass das für sie gefährlich sein könnte und dass sie dort nicht erwünscht sind … Ich meine, es ist einfach so eine lange Reihe von Dingen und so viele Gefühle und so viele Meinungen, auf die man eingehen kann, aber am Ende des Tages macht ein kleines Entschuldigungsvideo all das nicht wieder wett.

https://youtu.be/kHdYLg4itCQ

Ich kann sogar auf meine eigenen Probleme eingehen. Vor einigen Jahren habe ich ein Interview in der Visions gegeben und bin auf Facebook gegangen, wo ich einige ziemlich schreckliche anti-islamische Kommentare gemacht habe. Ich habe das ein paarmal angesprochen, und viele Leute haben mich darauf angesprochen und gefragt: „Und was ist damit?“ Was ich den Leuten sage, ist, dass es eben eine große Rolle spielt, wie man reagiert, wenn die Leute diese Dinge ansprechen. Es ist nicht so, wie Anselmo das sinngemäß gemacht hat: „Ja, ich entschuldige mich dafür, jetzt verpiss dich.“ Sondern: „Du hast Recht, das war absolut furchtbar.“ Und ich habe alles in meiner Macht Stehende getan und werde auch weiterhin alles in meiner Macht Stehende tun, um zu beweisen, dass ich so nicht mehr bin. Das ist der Unterschied: Du zeigst, dass du es ernst meinst. Und wenn die Leute es erwähnen, wirst du nicht sauer, weil sie es erwähnen, sondern du sagst: „Ja, du hast Recht. Ich nehme es dir nicht übel, dass du das scheiße fandst. Es WAR scheiße.“

2016 hat jeder über Phil Anselmos rassistischen Ausbruch geredet – aber danach und auch als Pantera sich wiedervereinigten, hat gefühlt niemand etwas gesagt. Warum glaubst du, dass niemand wirklich über andere Vorfälle gesprochen hat?
Es ist der Kult der White Supremacy. Meiner Meinung nach existieren der systemische Rassismus und die systemische White Supremacy auf einer Ebene. Ich glaube, viele Weiße fühlen sich mit beidem sehr wohl und wollen nicht, dass das in Frage gestellt wird, weil sie das selbst in Frage stellen würde. Es bringt sie dazu, ihr ganzes Leben neu zu bewerten und nichts zu tun. Es ist schwer, denn ich denke, dass manche Menschen einfach nichts dagegen tun wollen, aber manche Menschen sind sozusagen süchtig nach dem systemischen Rassismus, von dem sie profitieren. Und das ist wirklich scheiße, denn viele Leute wollen nicht aktiv werden, weil sie davon profitieren, dass niemand aktiv ist.

 

Hat dich jemand von den Rock-am-Ring-Veranstaltern oder anderen Bands nach deinen Posts in den sozialen Medien kontaktiert?
Nein. Ich habe tatsächlich mit ein paar Bands gesprochen, und wie ich schon ein paarmal gesagt habe, werde ich keine Namen nennen, weil es das nicht wert ist. Aber ehrlich gesagt wurde ich oft abgewimmelt, nach dem Motto: „Oh, du kennst mich, ich bin wirklich dagegen, wir werden sehen, was passiert.“ Die Sache ist aber eben: Wir wollen nicht nur sehen, was passiert, ich will auch hören, was du sagst, und DASS du etwas sagst. Aber es ist nicht passiert. Und das ist wirklich verdammt schade, denn es gibt so viele Bands in diesem Line-up, die eine Botschaft zu vermitteln haben. Und wenn du diese Botschaft nicht vermittelst, wenn du gerade keine Musik spielst, was bedeutet sie dir dann wirklich?

Nathan Gray live with BOYSETSFIRE
Nathan Gray live with BOYSETSFIRE

Es gab mehr als eine Gelegenheit, bei der ich wirklich fertig mit der ganzen Sache und frustriert über die Szene und die Musik im Allgemeinen war. Das hat aber auch eine gute Seite, indem man dieses Gefühl in seine Kunst, in seine Musik einfließen lässt. Ich werde das im Album verarbeiten, das ich gerade mit The Iron Roses schreibe, und dieses Gefühl ansprechen. Darum geht es in der Kunst, es geht darum, die Zerrissenheit des Herzens, den Schmerz und die Wut herauszulassen, denn man kann das alles nicht zurückhalten, sonst stirbt man einfach. Also benutzt man es, um anderen eine noch größere Botschaft zu vermitteln, dass das nicht so weitergehen kann, dass wir das nicht weiter ignorieren können, nur weil man einen Song mag. Weißt du, wie viele großartige Metalbands es gibt, die nicht rassistisch sind? Ich bitte dich.

Ich hatte ein Gespräch mit jemandem, der eine Band namens Harm’s Way erwähnte, eine wirklich heftige Hardcore-Band. Die sind verdammt gut und ihre Texte sind großartig. Warum hörst du dir nicht solche Sachen an? Warum muss es immer diese eine verdammte Band sein? Lass sie einfach los. Es gibt so viele tolle Bands da draußen, die man vergöttern kann, denen man vertrauen kann und denen man zutraut, eine gute Botschaft zu vermitteln. Ich mein, klar, es gibt einige Bands, die darüber singen, wie man feiert und eine gute Zeit hat. Und das ist doch auch total OK! Manchmal braucht man diese Art von Band. Ich meine, solange sie nicht den Nationalsozialismus fördern oder aktiv ignorieren …

[Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile wurde beide Statements zu Pantera von den offiziellen Profilen von Rock am Ring und Rock im Park gelöscht. Von einem bewussten Umgang mit dieser Thematik von Seiten der Veranstalter kann hier also nicht ausgegangen werden, wenn hier die eigenen Fehler direkt wieder vertuscht werden.]

Hast du dir damals Pantera angehört?
Oh ja, damals natürlich. Durch sie bin ich auch auf Superjoint Ritual aufmerksam geworden. Down mochte ich nie besonders, die waren mir immer zu sehr Stoner Metal, und das war nie mein Genre.

Aber sowohl Pantera als auch Superjoint Ritual hatten einige wirklich eingängige, heavy Lieder, was mir prinzipiell echt zusagt. Mir geht es nicht um Heavy und Metal, mir geht es mehr um die Hooks. Und natürlich haben Songs wie „Walk“ und solche Sachen eine coole Hook. Also habe ich mich darauf eingelassen. Aber ich kann Dinge loslassen, wenn sie gegen etwas sprechen, das mir wichtiger ist als eine coole Hook. Ich muss mir diesen Scheiß nicht anhören.

Ich erinnere mich noch daran, wie sie mit „Vulgar Display Of Power“ richtig explodiert sind, das war der Hammer. Das Album kam heraus und ich dachte: „Wow, das ist so heavy und cool!“ Damals hatte ich noch keine Ahnung. Aber es hat sich schnell gezeigt, was da passiert. Ich weiß nicht, warum es bis 2016 gedauert hat, bis die Leute es bemerkt haben. Damals war es auf MTV, der Typ trug einfach ein südafrikanisches Hakenkreuz. Also dachte ich: „Oh, dieser Skinhead-Look ist nicht nur ein Look, hm?“ Und dann habe ich mir angeschaut, was er auf der Bühne trägt und sagt und habe schnell beschlossen, dass ich da nicht mitmachen will.

Es war also selbst in den 1990er-Jahren nicht so schwer, diese Dinge herauszufinden?
Nein, ganz und gar nicht, es war überall zu finden.

Nathan Gray with the rest of the THE IRON ROSES
Nathan Gray und THE IRON ROSES

Wie war das damals in der Hardcore-Szene, warum hat sich niemand dazu geäußert?
Damals war es anders, denn wenn du in der Hardcore-Szene warst, hatte diese Band nichts mit dir zu tun. Es war so eine seltsame Trennung, wo die Hardcore-Szene so DIY und separiert war, während sie jetzt viel mehr mit Mainstream-Acts zusammengenommen wird. Damals gehörte das nicht zu deiner Welt. Du konntest sagen: „Scheiß auf die“, und niemanden hat es interessiert. Natürlich, scheiß auf die, sie waren eine Corporate-Metal-Band, richtig? Jetzt ist es ein bisschen anders, weil sich diese Welten überschneiden.

Es ist auch ein großes Risiko, sich zu prominent und eindeutig zu positionieren und für eine Sache wie diese einzustehen. Pantera-Fans haben nach der Absage von Rock am Ring oder der Show in Wien einen riesigen Shitstorm ausgelöst und drohen den Veranstaltern online. Du hast auch erwähnt, dass dein Posteingang mit hasserfüllten Nachrichten überflutet wird. Wie schwer ist es, sich nicht davon abhalten zu lassen, für das einzustehen, was man für richtig hält?
Mut bedeutet nicht, dass man keine Angst hat, sondern dass man es trotzdem tut. Ich sag das jetzt und ich habe es online gesagt, als sie noch angekündigt waren: Es wäre mir scheißegal gewesen, wenn Phil auf der Bühne gestanden hätte – ich hätte etwas gesagt. Ich hätte ein verdammtes Kleid getragen und verdammt noch mal etwas gesagt. Meine Beine hätten gezittert, meine Stimme wäre brüchig gewesen, ich hätte eine Scheißangst gehabt, dass mir jemand auf die Schnauze haut – aber ich hätte es getan. Ich würde es immer noch tun und werde es tun, wenn sich die Situation ergibt.

Nathan Gray live with BOYSETSFIRE
Nathan Gray live with BOYSETSFIRE

Das ist etwas, das schon so lange ein Teil von mir ist, dass die Angst da ist, aber das ist verdammt egal, weil es darum nicht geht. Ja, jemand könnte mir auf die Fresse hauen, ich könnte erschossen oder sonst wie getötet werden. Aber was nützt es, etwas zu sagen zu haben und zu schweigen? Wie sollen wir für eine bessere Welt kämpfen, wenn wir nicht bereit sind, alles zu riskieren? Was ist der Sinn der Sache? Ich habe große Angst, dass mich jemand angreifen könnte, wenn ich auf der Bühne stehe, und das wäre echt scheiße. Aber das ist es wert. Es wird sich immer lohnen, für seine Überzeugung einzustehen.

Und das ist auch der Punkt: Es gibt zu viele Bullys auf dieser Welt. Zu viele Menschen werden schikaniert und wissen nicht, dass sie sich wehren können. Und wenn wir aufstehen, zeigt das den Menschen, die mit diesen Mobbern leben, dass sie auch aufstehen können. Es gibt kein Versprechen, dass man gewinnen wird. Du könntest verlieren, geschlagen werden, du könntest sterben. Aber wenn ich etwas von Aktivisten aus der Vergangenheit gelernt habe, dann, dass wir uns davon nicht aufhalten lassen dürfen und weiter kämpfen müssen.

Ich habe keine Angst davor, eine Meinung zu haben und diese laut zu vertreten. Wenn die Leute ein Problem damit haben, werde ich mit ihnen darüber reden. Ich glaube, dass wir in der Linken viel zu viel Angst davor haben, jemanden zu beleidigen. Die andere Seite ist immer laut und schroff, und ich denke mir: Na ja, ich kann auch so sein – für die gute, die richtige Sache.

Nathan Gray live with BOYSETSFIRE
Nathan Gray live with BOYSETSFIRE

Als Rock am Ring Pantera schließlich Pantera vom Line-up gestrichen hat, haben die Veranstalter ein weiteres recht leeres Statement verfasst. Was hast du von ihrer Begründung gehalten, vor allem nach dem ersten Nicht-Statement, als sie versuchten zu erklären, warum sie Pantera nicht absagen werden?
Um ehrlich zu sein, finde ich das ein bisschen sketchy. Ich meine … Sie wussten es. Sie wussten, dass es falsch war, Pantera zu buchen, als ich mich zu Wort meldete, als sich einige Leute zu Wort meldeten – und sie haben sich entschuldigt. Ich glaube immer noch, dass irgendetwas hinter den Kulissen passiert ist, das sie dazu gebracht hat, einzuknicken. Ich war es nicht. Ich unbedeutende Person habe nicht Pantera gecancelt. Aber irgendetwas ist passiert, das ihnen klar gemacht hat, dass es sich lohnt, es zu tun. Und Geld regiert die Welt. Ich denke, wir können dankbar sein, dass es passiert ist und trotzdem sagen: „Hm … ein bisschen zu spät, aber immerhin.“ Es ist, was es ist. Wir können einen kleinen Sieg feiern und uns sagen: Hey, wir als Gruppe, nicht ich alleine, haben das geschafft. Wir haben diesen Druck erzeugt und auf welche Weise auch immer, wir haben es geschafft.

Du willst also nicht in deine Instagram-Bio schreiben: „Der Typ, der Pantera gecancelt hat“?
Oh Gott, nein, absolut nicht. Aber es ist lustig … Wie ich schon sagte, habe ich natürlich eine Menge Hassnachrichten bekommen, die absolut abscheulich und ekelhaft waren, und auch Becky von The Iron Roses hat welche bekommen, denn das ist es, was diese Leute tun, sie hacken auf Frauen herum und das ist für sie cool.

Aber was ich irgendwie wieder stark finde: Es gab mindestens zwei oder drei Leute, die einfach nur ein Gespräch führen wollten. Wir waren am Ende nicht einer Meinung, und das ist auch in Ordnung – aber sie wollten einfach nur darüber reden. So können wir Dinge verändern, wenn wir respektvoll über diese Dinge sprechen und versuchen, sie den Menschen verständlich zu machen.

Was passiert ist, war, dass jemand auf einer Pantera-Fanpage geschrieben hat, dass ich dafür gesorgt habe, dass Pantera von Festivals ausgeladen wurden. Also kam jemand mit diesem ganzen Scheiß bei mir an, und ich habe ihm gesagt: „Das ist nicht wahr, hier ist die ganze Geschichte.“ Und dann meinten sie: „Oh, OK. Aber warum hast du ein Problem mit der Band?“ Und dann haben sie meinen Standpunkt verstanden. Wahrscheinlich hat sich dadurch nicht viel geändert, aber zumindest gibt es da draußen ein paar anständige Menschen, die ein vernünftiges Gespräch führen können, im Gegensatz zu dem, was wir ständig im Internet mit Todesdrohungen sehen. Es ist also etwas Gutes dabei herausgekommen, und zumindest ein Mensch hat gesagt, dass er meinen Standpunkt versteht und von diesen Dingen nichts wusste. Es ist jetzt vermutlich nicht so, dass er nach Hause geht und seine Pantera-Alben wegwirft – aber ich habe ihm etwas zum Nachdenken gegeben, weil er tatsächlich zugehört hat.

Nathan Gray live with BOYSETSFIRE
Nathan Gray live mit BOYSETSFIRE

Du hast erwähnt, dass du über all das auf dem Account von The Iron Roses gepostet hast, aber es werden Boysetsfire sein, mit denen du bei Rock am Ring spielst. Obwohl ihr im Moment nicht wirklich eine aktive Band seid: Habt ihr auch darüber nachgedacht, von eurem Account aus zu posten, um mehr Leute zu erreichen?
Keiner in der Band widerspricht mir inhaltlich, ganz im Gegenteil. Aber als ich mich mit den Jungs unterhalten habe, gab es unterschiedliche Meinungen darüber, was wir tun sollten. Das war, nachdem ich mein Statement abgegeben hatte, denn ich wollte nur für mich sprechen und ich wusste, dass ich das von der Iron-Roses-Seite aus tun konnte und es als meine Stimme erkannt werden würde. Dann eröffnete Josh von Boysetsfire ein Gespräch in unserem Band-Chat, dass wir vielleicht etwas tun sollten – und leider kam es zu keinem Ergebnis. Es war etwas, das schnell passieren musste und es konnte nicht schnell genug passieren. Es war nur die Frage, WIE wir es machen sollten – und so, wie wir das in der Band machen, alles in einem Komitee, hat es zu lange gedauert. Im Sommer stehen wir zusammen auf einer Bühne und ich werde etwas sagen – und es wird im Namen von uns allen sein.

Du sagtest, es waren hauptsächlich US-Fans, die deinen Posteingang überflutet haben – gibt es auch Stimmen, die die rassistischen und antisemitischen Äußerungen von Phil Anselmo zur Sprache bringen und versuchen, das auch den Veranstaltern zu zeigen?
In den USA gibt es nicht wirklich eine Diskussion darüber. Ich glaube, die Leute reagieren einfach, weil irgendein Typ in eine Gruppe ging und sagte: „Dieser Typ hat Pantera gecancelt“. Es hat sie nicht wirklich interessiert, worum es ging, sie hatten keine Ahnung, was Rock am Ring ist. Die zwei oder drei Leute, mit denen ich ein nettes Gespräch hatte, gaben zu, dass sie keine Ahnung hatten, worum es mir ging. Also … man greift einfach jemanden an, ohne zu wissen, worum es geht? Das ist so ziemlich die Art und Weise, wie Rechte handeln.

Es ist scheiße, aber wenn ich einfach anfangen würde, das mit jeder Band zu tun, die so tickt wie Anselmo … Es ist wie die Frage, warum ich das nicht mit jeder anderen Band mache, die gerade auf Tour ist und es wahrscheinlich wert ist, dass man sich das näher ansieht. Aber dann würde ich mich selbst und meinen eigenen Weg verlieren. Ich denke, das Wichtigste ist, die Leute zu inspirieren, rauszugehen und etwas zu tun, wo es nötig ist. Spielen sie in Texas? Lebst du in Texas? Tu etwas dagegen! Sag etwas! Ich kann nur etwas sagen, wenn es mich direkt betrifft – und ich hätte auf der gleichen Bühne wie dieser Typ stehen sollen. Wir tun, was wir können, verstehst du?

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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