Interview mit Torsten Hirsch von Agrypnie

Seit nunmehr 20 Jahren treibt Torsten nicht mehr nur als Unhold bei Nocte Obducta, sondern auch mit seinem Projekt AGRYPNIE sein Unwesen. Pünktlich zum Jubiläum sprachen wir mit dem umtriebigen Sänger, Gitarristen und Bassisten, der zwischenzeitlich bei Anomalie mitwirkte und aktuell bei Theotoxin und Suel Bass spielt, über jeden einzelnen AGRYPNIE-Release – und die Zeiten dazwischen.

Gratulation zu 20 Jahren AGRYPNIE! Als du die Band 2004 gegründet hast, war deine damalige Hauptband Nocte Obducta gerade zwischen Nektar 1 und 2, aus Sicht vieler Fans also in ihrer Hochphase. Was hat dich damals dazu bewegt, ein Nebenprojekt zu gründen?
Vielen lieben Dank! Die Antwort ist simpel: Bei Nocte Obducta bin ich in keinerlei Hinsicht an kreativen Prozessen beteiligt. Da ich aber selbst Musik schreibe und mich kreativ verwirklichen muss, entstand die Idee, dies mit einem eigenen Projekt beziehungsweise einer eigenen Band zu tun.

Das erste AGRYPNIE-Foto (2004); © AGRYPNIE

Hat dich die Suche nach einem passenden Bandnamen viele schlaflose Nächte gekostet, oder wie kam es zu AGRYPNIE?
Die Annahme ist nicht ganz abwegig. Ich kämpfe seit frühester Kindheit mit verschiedenen Arten von Schlafstörungen. In jungen Jahren hatten diese lange Zeit einen negativen Einfluss auf mein Leben. Mit dem Alter sind die Schlafstörungen weniger geworden, aber bis zum heutigen Tag weiterhin ein Teil meines Lebens. Für mich war es deshalb relativ naheliegend, einen Namen zu wählen, der in Zusammenhang mit dieser Thematik steht.

2005 kam dann der erste Release –eine Split mit einer etwas skurrilen Melo-Death-Band namens Fated, deren letzter Release damals 8 Jahre her war und von denen man nie wieder etwas gehört hat, über ein Mini-Label namens Umtrunk Mailorder. Wie kam es zu dieser Konstellation?
Claudius, der Songwriter von Fated, ist ein Freund von mir und wir hatten damals eine gemeinsame Band. Dadurch kamen wir auf die Idee, unsere Projekte auf einer gemeinsamen Split zu veröffentlichen. Zusätzlich nutzten wir die Gunst der Stunde und haben zusammen ein Cover von Morgana Lefays „To Isengard“ aufgenommen, da wir beide große Fans der Band und des Songs sind. Mit André hatte ich damals ebenfalls viel privaten Kontakt. Bei der Split kam mir noch nicht in den Sinn, diese über eine Plattenfirma zu veröffentlichen – geschweige denn, mich überhaupt auf die Suche nach einer Plattenfirma zu machen. Trotzdem wollte ich die Platte zumindest über einen Vertrieb laufen lassen. So bin ich auf die Idee gekommen, André wegen der Veröffentlichung zu fragen. Wir haben dann eine kleine Stückzahl der Split über Umtrunk veröffentlicht.

Was verbindest du mit dieser ersten Veröffentlichung, wenn sie dir heute mal in die Hand fällt?
Ich verbinde damit mittlerweile primär nostalgische Gefühle. Sie ist der Beginn von AGRYPNIE und ich hätte damals im Traum nicht daran geglaubt, dass sich mein Projekt so entwickeln könnte, wie es sich über all die Jahre entwickelt hat. Die Musik ist für mich persönlich zwar ein wenig in die Jahre gekommen, trotzdem bin ich stolz darauf, was ich damals auf die Beine gestellt habe.

2018 hast du unter dem Titel „Pavor Nocturnus“ die Songs der EP nochmal veröffentlicht. Wieso war dir das wichtig – und was symbolisiert das Schriffswrack auf dem Cover, im Hinblick auf das originale Cover mit dem Segelschiff in voller Fahrt?
Ich hatte das Bedürfnis, diese Songs, die ich damals selbst produziert und mit programmierten Drums veröffentlicht habe, den Fans nochmal mit richtigen Drums, sowie einem druckvollen und ordentlichen Sound verfügbar zu machen. Es könnte durchaus passieren, dass ich irgendwann mit dem Album „F51.4“ – oder zumindest einem Teil der Songs – ebenfalls so verfahren werde. Jedes Album ist eine Momentaufnahme und ich möchte nachträglich nichts ändern, aber 18, 19 Jahre später hört man dem Sound schon ein wenig das Alter an. (lacht)

Die Idee zum Cover hatte Marco von synquadrat.com, ein sehr enger Freund von mir, mit dem ich seit „Grenzgænger“ an den Konzepten, den Layouts und den Designs der Alben zusammenarbeite. Mir war es wichtig, für das Artwork auf irgendeine Art und Weise eine Verknüpfung zum damaligen Motiv der Split-Demo herzustellen. Marco kam mit der Idee, vom ursprünglichen Motiv des Segelschiffes abzuweichen und den Bogen zu einem modernen Schiffswracks zu schlagen. Das Wrack lässt sich dahingehend interpretieren, dass es vergangene Zeiten symbolisiert … Die moderne Art des Schiffes kann gleichzeitig für die zeitgemäßere Produktion stehen. Ich überlasse es wie immer den Fans, eigene Interpretationen zu finden. Letzten Endes soll ein Cover natürlich auch optisch ansprechend sein, was definitiv der Fall ist.

AGRYPNIE zur „F51.4“-Ära (2006); © M.R.

Fated und Umtrunk Mailorder gibt es längst nicht mehr – AGRYPNIE aber sind noch da. Wusstest du damals schon, dass dich dieses Projekt künftig dauerhaft begleiten würde, oder war AGRYPNIE erstmal nur ein Experiment, das nicht notgedrungen auf eine dauerhafte Fortführung ausgelegt war?
Ich hatte damals keinerlei Pläne oder Ideen, wie sich das mit AGRYPNIE alles entwickeln könnte beziehungsweise entwickeln sollte. Ich wollte Musik machen und habe mir um alles andere keinerlei Gedanken gemacht. Irgendwie ging es dann einfach immer weiter mit AGRYPNIE und plötzlich sind 20 Jahre vergangen.

2006 kam mit dem bereits angesprochenen „F51.4“ das erste Full-Length. Du hast es sicher schon mal irgendwo erklärt, aber: Wofür steht der kryptische Titel?
„F51.4“ ist einfach der ICD-Code für „Pavor Nocturnus“. Wie bereits erwähnt, sind Schlafstörungen meine treuen Begleiter in diesem Leben.

Das Cover ist sehr kalt, dasselbe gilt für den Sound – nicht zuletzt, weil du mit programmierten Drums gearbeitet hast. War das eine Notlösung oder ein gewünschter Effekt – und wie stehst du generell zu programmierten Drums im Black Metal?
Die programmierten Drums waren einerseits Notlösung, andererseits war ich damals vom Einsatz überzeugt. Budget für ein Album war kaum vorhanden und ich hatte die Befürchtung, dass der Sound nicht meinen Erwartungen entsprechen könnte, würde ich die Drums notgedrungen von einem Schlagzeuger im Proberaum aufnehmen lassen. Aus heutiger Perspektive wäre Proberaumaufnahmen vielleicht doch der bessere Entschluss gewesen, denn der Sound eines echten Schlagzeugs wäre wahrscheinlich besser gealtert. Aber retrospektiv betrachtet ist man immer schlauer. Damals hatte ich schlicht und ergreifend aus technischer Sicht kaum Ahnung von der ganzen Materie und fand die künstlichen Drums auch einfach cool. Heute ist die Technik so weit, dass zumindest dem „normalen“ Hörer nicht unbedingt ein Unterschied zwischen gespielt und programmiert auffallen muss. Ich bevorzuge aber den Einsatz von richtigen Drums bei Aufnahmen.

Das erste AGRYPNIE-Lineup (2007; in dieser Konstellation nie live aufgetreten); © J. L.

An den Texten für das Album hat Marcel mitgewirkt. Wolltest du bewusst an Nocte Obducta anknüpfen, oder wäre es nicht gerade in der Konstellation reizvoller gewesen, diesbezüglich einen anderen Weg einzuschlagen?
Die Texte von „F51.4“ hat Marcel komplett allein geschrieben. Ich habe es mir zum damaligen Zeitpunkt schlicht und ergreifend nicht zugetraut, eigene Texte zu verfassen … und vielleicht hatte ich zum Teil auch einfach keine Lust darauf. Bis zum heutigen Tage ist es sehr aufwendig für mich, Texte zu schreiben. Ich muss mich immer auch ein wenig dazu zwingen, mich an einen neuen Text zu setzen oder an einem neuen Text weiterzuarbeiten. Musik zu schreiben fällt mir einfacher und ist auch mit deutlich mehr Spaß verbunden. Während das Schreiben von Songs meistens intuitiv ist, hat Texte zu schreiben mehr was von einer komplizierten, über Stunden andauernden, schweren Geburt. Bevor ich mich an einen Text setze, muss ich mich fast schon seelisch und moralisch darauf vorbereiten. (lacht) Davon abgesehen bin ich natürlich ein großer Fan von Marcels Texten und es war eine große Erleichterung für mich, dass er sich der Texte annahm. Er hat von mir zu jedem Song eine Art Storyboard bekommen, damit er grob die Themen der einzelnen Songs kannte.

2007 hast du – nun mit Band – die erste AGRYPNIE-Show gespielt. Welche Erinnerungen hast du an diesen Auftritt, was für ein Gefühl war es, erstmalig mit AGRYPNIE auf der Bühne zu stehen?
Der erste Gig ist eine ganze Weile her, weshalb meine Erinnerungen daran wirklich stark zu wünschen übrig lassen. Vergessen habe ich allerdings nicht, wie unser damaliger Gitarrist Niko während des Sets das Gleichgewicht verloren hat und rücklings in die Backline gekracht ist. (lacht) Damals gingen wir ohne Corpsepaint auf die Bühne, das hat erst später Einzug bei AGRYPNIE gefunden. An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass wir in genau diesem Club – dem Steinbruch Theater in Mühltal bei Darmstadt – am 02.November 2024 eine Jubiläums-Show spielen werden. Dieses Mal dann bestenfalls ohne Sturz in die Backline. (lacht)

2008 erschien dann „Exit“, das erste Album mit Drummer – und im August dieses Jahres konntet ihr auf dem Summer-Breeze spielen. Welche Erinnerungen hast du an dieses sicherlich sehr richtungsweisende Jahr?
Habe ich erwähnt, dass mein Erinnerungsvermögen generell nicht unbedingt das beste ist? (lacht) 2008 ist mittlerweile ein wenig nebulös in meiner Erinnerung. Mit „Exit“ waren wir zum ersten Mal richtig im Studio. Gleichzeitig war dies unser erster Aufenthalt im SU2 Studio bei Phil Hillen. Carsten, unser damaliger Bassist, hatte den Kontakt zu Phil hergestellt und seitdem waren wir für alle Produktionen bei ihm. Die Aufnahmen habe ich als relativ stressfrei in Erinnerung behalten, sowohl René am Schlagzeug als auch Carsten am Bass haben damals einen tollen Job gemacht. Es war ziemlich cool, zum ersten Mal gemeinsamen im Studio zu arbeiten. Bis auf die Keyboards haben wir dort alles aufgenommen. Meine ersten AGRYPNIE-Lyrics sind auf „Exit“ zu finden, wenngleich Marco V., ein guter Freund von mir, mehr als die Hälfte der Texte verfasst hat. Darüber hinaus habe ich das Artwork umgesetzt, von den verwendeten Fotos mal abgesehen. Diese stammen von unterschiedlichen Fotografen.
Das Konzert auf dem Summer Breeze Open Air war natürlich eine extrem große Sache für uns. Da meine Nerven vor Konzerten manchmal etwas blank liegen können, war dies bei der Größenordnung natürlich der Fall. Ich würde aber sagen, dass wir ordentlich abgeliefert haben. Zumindest war dies nicht der letzte Auftritt, den wir auf dem Summer Breeze absolviert haben.

Für „16[485]“ hast du dann alle Texte selbst geschrieben – wie hat sich das auf die Songs oder das Feeling des Albums im Ganzen ausgewirkt?
Nein, nicht ganz: Der Text von „16[485] / Brücke aus Glas“ wurde von Alboin, seines Zeichens der Sänger von Eïs, verfasst. Er hat bei besagtem Song auch Guest Vocals beigesteuert. Es fällt mir wie gesagt weitaus schwerer, Texte zu verfassen als Songs zu schreiben. Diese Umstände haben mich am Anfang davon abgehalten, mich näher mit der Thematik zu beschäftigen. Mit Exit kam der unausweichliche Punkt, mich dieser Herausforderung zu stellen. Mir wurde es immer wichtiger, die Texte aus meiner eigenen Feder zu verfassen. Auf „16[485]“ war der Gast also des Gastes willen dabei und sein Engagement war nicht dem Umstand geschuldet, die Texte nicht schreiben zu können oder zu wollen. Bei all den „Gastautoren“ war es mir natürlich trotzdem extrem wichtig, dass ich hinter den Texten stehen konnte, die von anderen verfasst wurden. Meistens habe ich eine Art Storyboard zu jedem einzelnen Song geschrieben, damit die Texter einen Einblick bekommen haben, worum es in dem jeweiligen Song geht.

Auch diesen recht kryptischen Albumtitel könntest du an dieser Stelle natürlich kurz erklären!
Ich verkneife es mir bis zum heutigen Tag, die Bedeutung dieses Titels der Öffentlichkeit zu offenbaren. In eurem Interview zum 40. Jubiläum werde ich dann blank ziehen. (lacht)

AGRYPNIE 2010; © AGRYPNIE

Ich erinnere dich dannd daran! Musikalisch wurden AGRYPNIE mit dem Album etwas eingängiger – war das eine bewusste Entscheidung, hat sich das über die „Routine“ ergeben, weil du dich mit dem Projekt eingegroovt hast, oder würdest du dieser Behauptung gar nicht zustimmen?
Nein, es ist keine bewusste Entscheidung gewesen. Ich treffe aus musikalischer Sicht eigentlich selten bewusste Entscheidungen. Was ich damit sagen möchte: Ich schreibe ein Album und mach mir keine Gedanken darüber, ob es beispielsweise mehr Blastbeats als sein Vorgänger hat. Die Songs, die ich schreibe, sind immer Momentaufnahmen und entstehen, ohne dass ich bewusst versuche, irgendwas zu „konstruieren“. Auf diese Weise arbeite ich seit Anbeginn.

2011 erschien dann eine EP mit dem Titel „Asche“ – das finde ich witzig, weil es von Nocte ja bereits die Single „Aschefrühling“ gab. Gibt es da einen Kontext?
Nein, hier gibt es keinerlei Zusammenhänge. Bewegt man sich in einem ähnlichen Kosmos, ist es sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis es zu Überschneidungen oder Ähnlichkeiten kommt.

Mit „Asche“ hast du dich auch einem anderen Stil bei den Artworks zugewandt, der bei „Aetas Cineris“ dann weitergeführt wurde. Was verbindest du mit der Kunst von Hicham Haddaji?
Bei den ersten Alben habe ich mich um die Designs gekümmert. Dabei habe ich immer relativ viel Recherchearbeit geleistet und im Zuge dessen bin ich auf Hichams alte Seite „Strychneen Studio“ gestoßen. Ich war ziemlich begeistert von seiner Arbeit und wir haben uns per E-Mail zu meinen Ideen ausgetauscht. Hicham kam dann, soweit ich mich erinnern kann, mit einer relativ weit fortgeschrittenen Version des Covers um die Ecke. Wir hatten einige Detailanpassungen, aber im Grunde verlief die Zusammenarbeit sehr produktiv und ohne dass wir viel Abstimmungsbedarf hatten.

„Aetas Cineris“ wurde wieder als Band aufgenommen – unter anderem mit Dave von Heretoir. Wieso war dir das wichtig?
Der Grund bei „Aetas Cineris“ war ziemlich unspektakulär und ebenso eigennützig: Ich hatte einfach keine Lust, wieder alle Gitarren alleine einspielen zu müssen – was auch bei Exit der Fall gewesen ist. (lacht) Zu diesem Zeitpunkt haben wir die Gitarren noch im Studio aufgenommen, was für mich persönlich jedes Mal ein wenig mit Zeitdruck verbunden war. Diesem Stress wollte ich bei diesen Aufnahmen entgegenwirken, weshalb wir die Aufnahmen der Gitarren aufgeteilt haben. Aber davon abgesehen hat es mich natürlich auch sehr gefreut, mit meinen Jungs gemeinsam Zeit im Studio verbringen zu können: Seit Anbeginn der Band und mit fast jedem Line-up leben wir alle Stunden voneinander entfernt. Deshalb ist jede Möglichkeit, zusammen Zeit verbringen und gemeinsam Musik machen zu können, eine gute Gelegenheit. Aus musikalischer Sicht hatte dieser Schritt aber keinerlei Auswirkungen: Die Musik habe wieder ich alleine geschrieben.

Dieses Lineup hat leider nicht lange gehalten – bei „Grenzgænger“ hattest du mit Moe einen neuen Drummer und viele Gastmusiker. Wie kam es zu diesem Umbruch?
Wie das Leben halt manchmal so spielt … René und ich haben aufgrund diverser Umstände irgendwann beschlossen, getrennte Wege zu gehen. Es gibt aber kein böses Blut zwischen uns. Moe habe ich durch eine gemeinsame Tour mit Heretoir kennengelernt, auf der wir beide als Session Mitglieder ausgeholfen haben – Moe am Schlagzeug, ich am Bass. Wir haben uns auf der Tour gut verstanden und sein spielerisches Können hat auch gut zu AGRYPNIE gepasst. Nach dem Ausstieg von René habe ich ihn deshalb gefragt, ob er bei uns einsteigen möchte.

AGRYPNIE 2016; © Sunvemetal

Neben der Band waren gleich drei Gastsänger involviert. Wie kam es zu dieser ungewöhnlich hohen Zahl?
Es gibt sehr viele Musiker die ich sehr schätze, sowohl in persönlicher, als auch in künstlerischer Hinsicht. Deshalb ist es für mich immer wieder eine absolute Ehre, solche Persönlichkeiten auf meinen Alben dabei haben zu dürfen – warum sollen es dann nicht drei sein dürfen? Mit Eviga verbinde ich mittlerweile eine jahrelange Freundschaft und vor allem „Flammentriebe“, auf dessen Tour wir Dornenreich damals begleiten durften, hat mich wirklich umgehauen … von den alten Alben ganz zu schweigen. Ich habe aber wirklich sehr lange an ihm „rumgegraben“ müssen, bis ich ihn dazu „überreden“ konnte, als Gastmusiker dabei zu sein. (lacht) Zur Erklärung: Zumindest zum damaligen Zeitpunkt hat er solche Angebote kategorisch abgelehnt.
Mit Todtgelichter haben wir einige gemeinsame Gigs gespielt – sowohl mit Nocte Obducta, als auch mit AGRYPNIE. Auf einer Minitour habe ich Marta darauf angesprochen, ob sie Lust hätte, zu einem eher ungewöhnlichen Agrypnie Song – „Neon“ – Text und cleanen Gesang beizusteuern. Bereits am nächsten Tag hatte sie einen Text fertig, der wie die Faust auf Auge gepasst hat. Es war dann irgendwie nur logisch, dass ich sie auch bei einem normalen AGRYPNIE-Song mit Kreischgesang dabei haben wollte.
Mit J.J. von Harakiri For The Sky verhält es sich ähnlich. Wir kennen uns mittlerweile seit über zehn Jahren, sind eine gemeinsame Tour gefahren, haben Konzerte und Festivals bestritten und sein Gesang gefällt mir einfach außerordentlich gut.

Das Artwork ist komplett anders als alle bisherigen – und du hast es wieder selbst angefertigt. Was sehen wir und in welchem Kontext zum Albumkonzept steht das Bild?
Das Album befasst sich unter anderem mit der Überwindung eigener Grenzen und mit der Konfrontation chaotischer Abgründe. Das Artwork reflektiert besagte Themengebiete und irgendwie passend hierzu, hat der Prozess rund um „Grenzgænger“ ebenfalls in diese Kerben geschlagen. Die Geschichte ist ein einziger Albtraum, der mich extrem viel Nerven gekostet hat. Die Arbeit, die bis zur endgültigen Fertigstellung des Artworks entstanden ist, spottet jeder Beschreibung. Viel mehr Arbeit kann Michelangelo mit der Sixtinischen Kapelle auch nicht gehabt haben. Spaß beiseite … und hier nicht den Rahmen zu sprengen, versuche ich die Kurzfassung: Von einem Künstler wurden Artworks für beiden Platten („Grenzgænger“ und „Pavor Nocturnus“) angefertigt und diese waren im Prinzip halbwegs fertig, als es zu unvorhergesehenen Komplikationen kam. Die Zusammenarbeit wurde daraufhin beendet und ich war wieder ganz am Anfang. Daraufhin habe ich meinen guten Freund Marco K. (syn2) angesprochen, ob er Interesse daran hätte, dass Artwork von „Pavor Nocturnus“ zu übernehmen, sowie die Typografie zu „Grenzgænger“ zu gestalten. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt entschlossen, mich um das Artwork zu „Grenzgænger“ selbst zu kümmern.

AGRYPNIE 2019; © Anna Apostata

Ich habe umfangreich zu möglichen Künstler und Motiven recherchiert, bin aber zu keinem für mich zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. Da ich ein Fan abstrakter Kunst bin, entschied ich während der Recherche, vom ursprünglichen Konzept abzuweichen und einen Weg in diese stilistische Richtung einzuschlagen. Ich wurde auf das Programm Chaotica von Glare Technologies aufmerksam, habe mich in die Software eingearbeitet, verschiedene Bilder zeitintensiv rendern lassen und danach diese mit Photoshop weiter bearbeitet. Zum Teil habe ich aus verschiedenen „Einzelteilen“ sehr aufwendig komplett neuen Designs zusammengesetzt. Einige Photopshop-Dateien hatten eine Größe erreicht, die das Programm beim Öffnen immer wieder zum Absturz gebracht haben. Aufgrund zusätzlicher widriger Umstände stand eigentlich alles, was mit dem Album zu tun hatte, unter einem wirklich schlechten Stern. Selbst nach der Veröffentlichung kam es noch zu Problemen und ich war zeitweise an einem Punkt, an dem am liebsten alles hingeschmissen hätte. Mit Abstand zu dieser Zeit kann ich über einige Umstände mittlerweile – voller Galgenhumor – lachen.

Apropos Albumkonzept: Warum „Grenzgænger“ mit „æ“?
Das æ wurde ehrlich gesagt aus ästhetischen Gründen gewählt, es steckt keine tiefere Bedeutung dahinter.

Agrypnie - Metamorphosis Cover2021 erschien das bislang letzte Album, „Metamorphosis“. Die Mischung aus dem Cover-Motiv und diesem Runen-Sigel auf dem Cover erinnert mich an Bands wie Our Survival Depends On Us oder auch Anomalie – ein deutlicher Bruch mit dem sonst sehr klaren, nüchternen Layout bei AGRYPNIE. Wie kam es dazu, beziehungsweise was war die Idee dahinter?
Wenn ich beginne, über das Konzept eines neuen Albums nachzudenken, zündet der kreative Funke mal schneller, mal langsamer. Diese Herausforderung kennt sicherlich jeder, der sich auf kreative Weise auslebt. In diesem Fall ließ die zündende Idee etwas auf sich warten. Unabhängig davon fühle ich mich mit AGRYPNIE nicht an irgendwelche Rahmenbedingungen gekettet. Der stilistische „Wandel“ mit diesem Album war im allerersten Moment zugegebenermaßen auch für mich etwas neu, hat sich aber trotzdem zu keinem Zeitpunkt unnatürlich oder gar aufgezwungen angefühlt. Wie dem auch sei … eines Tages lief eine Dokumentation über einen Apnoetaucher. Dieser erwähnte ein Buch aus seiner Kindheit über Seeungeheuer, mit dem Titel „Metamorphosis“. Die Zeichnungen erinnerten mich an Skizzen von Leonardo da Vinci. Die Geschichte hat mich beschäftigt und ich begann daraufhin, mich auf verschiedenen, vor allem künstlerischen Ebenen mit der Thematik der Verwandlung zu beschäftigen. Als ich Marco von der Dokumentation erzählte, stellte sich heraus, dass auch er sie kannte und das Buch ihn ebenso faszinierte. Gemeinsam begannen wir, Ideen zu dieser Thematik zu sammeln. Marco übernahm federführend die konzeptionelle Arbeit und hat die verschiedenen Momente der Verwandlung immer detaillierter ausgearbeitet. Cartismandua wurde für die Sigillen gewonnen, die ebenfalls eine Wandlung durchlaufen haben. Ihre Kunst begeistert mich sehr und sie war sofort von unserem Konzept begeistert. Die Fotosessions zu den einzelnen Momenten waren allesamt abenteuerlich. Wir haben einen Abend in einem einsturzgefährdeten Gebäude und danach in einer zwangsgeräumten Wohnung eines Messies fotografiert. Frühmorgens bin ich vollständig mit Schlamm bedeckt stundenlang durch eine Schlucht und den darin fließenden Bach gewatet.Eine Weile nach der Veröffentlichung des Albums habe ich erkannt, dass auch abseits der Musik einige Vorkommnisse den Titel widerspiegeln.
Mit Flo hatte ich einen neuen, unglaublich talentierten und zuverlässigen Schlagzeuger an meiner Seite, mit dem ich mittlerweile auch sehr eng befreundet bin. Aus meiner Sicht ist der Sound des Albums der brachialste, den wir je hatten. Abgesehen von den Schlagzeugaufnahmen sind alle anderen Aufnahmen zum ersten Mal in Eigenregie entstanden. Das Reamping der Gitarren und des Basses, sowie das Mixing, Mastering usw., wurden jedoch im Studio gemacht.
Die Auseinandersetzung mit dem Konzept hat mich dieses Mal sowohl physisch als auch psychisch mehr gefordert als je zuvor. Erstmals in der Geschichte der Band haben wir die Plattenfirma gewechselt. Wir haben unseren ersten eigenen Videoclip veröffentlicht. Zu guter Letzt sei erwähnt, dass ich enorm viel Arbeit und Zeit darauf verwendet habe, zum ersten Mal zwei komplett orchestrale, „nicht metallische“ Stücke zu komponieren, zu arrangieren, zu mixen und zu mastern: „Wir Ertrunkenen – Prolog“ und „Epilog“. Rückblickend betrachtet könnte der Albumtitel angesichts all dieser Umstände und der Neuerungen nicht besser gewählt sein.

AGRYPNIE, „Metamorphosis“-Promofoto (2021); © Synquadrat, Marco Klein

Du hast es eben schon einfließen lassen: Mit diesem Release hast du Supreme Chaos verlassen, bei denen seit dem Debüt alle AGRYPNIE-Releases erschienen waren, und bist zu AOP gewechselt. Wie kam es dazu?
Es wurde schlicht und ergreifend Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Während meiner Zeit als Gitarrist bei Anomalie habe ich auf einer Tour bei AOP Records Interesse bezüglich eines Deals bekundet. Dieses Interesse beruhte glücklicherweise auf Gegenseitigkeit und so kam dann der Wechsel zustande.

Auf „Pavor Nocturnus“ hattest du orchestrierte Instrumental-Versionen einiger deiner Songs veröffentlicht. Auch auf „Metamorphosis“ hört man an manchen Stellen symphonische Keyboard-Parts. Was hat dich daran gereizt, dich an dieses Stilelement heranzuwagen? Und wird Orchestrierungen in Zukunft noch mehr Raum in deiner Musik einnehmen?
Die orchestrierten Versionen der Songs wurden von Rüdiger Gleisberg komponiert und umgesetzt, mit dem ich bereits an einem anderen Projekt zusammengearbeitet habe. Ich bin seit jeher ein großer Fan von Soundtracks, moderner Klassik und Ambient Soundscapes und habe diese Einflüsse auch immer wieder in meiner Musik zum Ausdruck gebracht. Vor einigen Jahren, genauer gesagt während der Corona-Pandemie, habe ich damit begonnen, immer mehr VST-Plugins, also virtuelle Instrumente, zu kaufen und damit zu arbeiten. Ich habe mich mit den Basics der Orchestrierung beschäftigt und dann damit begonnen, eigene Musik in dieser Richtung zu schreiben und zu produzieren. Da diese Art der Musik aber unfassbar viel Zeit in Anspruch nimmt und mich mein Perfektionismus bei der Produktion mich zeitweise nahezu in den Wahnsinn getrieben hat, habe ich bisher nur einen einzigen Song veröffentlicht. Dieser ist bei Sporify unter „The Forgotten Name“ von Torsten Hirsch zu finden. Mein Hauptaugenmerk liegt deshalb darauf, an passenden Stellen solche Arrangements bei AGRYPNIE einfließen zu lassen. Für weitere komplette Stücke abseits von AGRYPNIE fehlt mir gegenwärtig einfach die Zeit.

Agrypnie Erg CoverartworkDas Album ist nun drei Jahre alt – aber wenn man dir auf Social Media folgt, verliert man fast die Übersicht darüber, wie viele weitere Alben du nun schon geschrieben und aufgenommen hast. Kläre uns auf!
Während ich dieses Interview beantworte, sind sowohl die Aufnahmen, also auch die Arbeiten am Artwork zum nächsten AGRYPNIE Album schon eine ganze Weile abgeschlossen. Wir starten gerade die Promoarbeit zum Release. In Zusammenarbeit mit Mbience Visuals arbeiten wir beispielsweise gerade auch an einem Videoclip für einen der neuen Songs. Das Album trägt den Titel „erg“ und wird im September dieses Jahres veröffentlicht. Dessen Nachfolger ist seit Anfang 2022 fertig geschrieben und im Juli 2023 wurde das Schlagzeug hierfür im DDP Studio in Braunau eingespielt. Die Arbeiten an diesem Album werden demnächst wieder aufgenommen.

Darüber hinaus und dazu gab es bisher relativ wenig Informationen, aber bei den besagten Aufnahmen wurden auch die Drums für ein komplettes Album eines anderen Projekts aufgenommen. Ich würde es vorsichtig als „AGRYPNIE mit angezogener Handbremse und Frauengesang“ beschreiben. Hier stehen die weiteren Aufnahmen – Gitarren, Gesang etc. – allerdings noch aus. Ella, die Sängerin, ist phasenweise viel unterwegs – unter anderem mit Saor. Und ich habe durch meine Einstiege als Bassist bei Theotoxin und Suel auch nicht unbedingt mehr Zeit zur Verfügung. Perspektivisch würden wir aber zum Release des Albums auch gerne das ein oder andere Konzert spielen.

AGRYPNIE, „Erg“-Promofoto (2024); © Synquadrat, Marco Klein

Hast du zum AGRYPNIE-Jubiläum eigentlich irgendwelche Pläne – eine Jubiläumstour, weitere Special-Shows oder dergleichen?
Wir haben unser Set für unsere diesjährigen Shows umgestellt. Es haben sowohl Songs vom ganz neuen, bisher unveröffentlichten Album Einzug gehalten, als auch ganz alte Songs. Darüber hinaus gibt es ein Jubiläums-Shirt, das wir nur auf unseren Konzerten verkaufen. Die eine oder andere weitere Idee ist noch im Hinterkopf, um dieses Jubiläum gebührend zu feiern. Ich möchte allerdings ungern über ungelegte Eier sprechen.

Apropos live: Ihr seid bisher vergleichsweise selten aus dem deutschsprachigen Raum herausgekommen. Woran denkst du liegt das? Bands wie Kanonenfieber zeigen ja derzeit sehr gut, dass man auch mit deutschen Texte im Ausland punkten kann …
Tatsächlich sind wir bisher in der Tat primär im deutschsprachigen Raum unterwegs. Eine Band wie Kanonenfieber lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht mit Agrypnie vergleichen. Unter anderem haben Kanonenfieber eine Booking-Agentur für sich arbeiten, was bei uns gegenwärtig nicht der Fall ist. Darüber hinaus, vollkommen wertfrei, spricht Kanonenfieber ein breiteres Publikum an. Solche Aspekte spielen beim Booking von Shows immer auch eine Rolle.

Danke dir für deine Antworten.
Vielen lieben Dank an dich, deine Mühe und die Möglichkeit, dieses Interview zum Jubiläum geben zu können!

Zum Abschluss noch unser Metal1.info-Brainstorming – Jubiläums-Edition:
Dein liebstes AGRYPNIE-Artwork: „Metamorphosis“
Dein Lieblingssong von AGRYPNIE: „Wir Ertrunkenen“
Diesen AGRYPNIE-Song hättest du lieber nicht geschrieben: Gibt es keinen.
Die bisher beste AGRYPNIE Show: Kann ich keine einzelne hervorheben.
Eine Show, die du lieber nicht gespielt hättest: Sollte es wirklich eine gegeben haben, habe ich sie verdrängt.
Dein Highlight aus 20 Jahren AGRYPNIE: Viele unglaublich großartige Momente!
AGRYPNIE in zehn Jahren: Sowohl in kreativer Hinsicht, als auch auf der Bühne noch aktiv – so es denn sein soll.

Hier gehts zur Jubiläumsgalerie:

20 Jahre Agrypnie

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

Ein Kommentar zu “Agrypnie

  1. Agrypnie haben mich damals mit „16 (485)“ und „Aetas Cineris“ komplett abgeholt. Das war eine Zeit wo ich für diesen sehr cleanen und modernen „Black Metal“ Sound und die Ästhetik zu begeistern war. Danach hat mich die Musik irgendwie verloren. Ich wünsche der Band und Thorsten im Speziellen aber alles Gute zum Jubiläum! Was ich persönlich aber nie verstanden habe, ist das Corpsepaint, welches sie später irgendwann verwendet haben. Ich glaube ich kenne keine Band bei der ich das unpassender finde.

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