Interview mit Mannevond von Koldbrann

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Nach zehn Jahres sind die Norweger KOLDBRANN wieder da. Und wie! Mit „Ingen Skånsel“ überzeugt die Band durch oldschooligen, aber niemals primitiven Black Metal. Sänger Mannevond ist sichtlich erfreut über all das Lob und stellt sich bereitwillig und auskunftsfreudig allen Fragen.

Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album. Es ist ein sehr überzeugendes Album. Sehr hart, aber intelligent und dennoch direkt. Zunächst die offensichtlichste Frage, obwohl ich fürchte, dass du sie die ganze Zeit beantworten musst: Es sind zehn Jahre vergangen. Wo wart ihr die ganze Zeit? Wir haben euch irgendwie schon vermisst.
Nun, es freut mich zu hören, dass ihr uns vermisst habt. Wir waren nicht weg, aber zehn Jahre, um ein neues Album zu veröffentlichen, sind sicherlich eine lange Zeit. Das war nichts, was wir vorhatten. Ich denke, wir waren noch nie die produktivste Band, was Veröffentlichungen angeht. Wir haben immer Wert daraufgelegt, an den Songs, dem Material und den Aufnahmen so gut wie möglich zu arbeiten, bevor wir etwas veröffentlichen. Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund. Wir waren bis 2015 recht aktiv, haben einige Touren und Konzerte gemacht und auch an neuem Material gearbeitet; damals noch mit unserem ehemaligen Schlagzeuger. Aber das ist ein Teil des Problems. Wir hatten einige Veränderungen bei der Besetzung und einige Rückschläge, wenn man so will. Unser Schlagzeuger, der auf „Vertigo“ gespielt hatte, zog zu dieser Zeit an die Westküste Norwegens. Wir haben versucht, die Entfernung zu überbrücken, aber es war schwer, alles zusammenzuhalten. Also mussten wir uns nach einem neuen Schlagzeuger umsehen, und gleichzeitig beschlossen wir, das Material, an dem wir gearbeitet hatten, ruhen zu lassen und neu anzufangen. Ich schätze, dass das meiste Material auf dem neuen Album zwischen 2018 und 2020 entstanden ist. Aber es gibt Riffs und Material, das auf 2015 zurückgeht und sogar einige Riffs, die noch älter sind.

Stammt das Material teilweise aus den „Vertigo“-Sessions?
Nur ein paar Riffs. Aber das meiste davon ist ein paar Jahre nach „Vertigo“ entstanden. Ein wichtiger Punkt ist, dass unser Hauptkomponist etwa zur gleichen Zeit aufhörte, Musik zu schreiben, und mir und Voidar, dem anderen Gitarristen, mehr Verantwortung für das Songwriting überließ. Es hat auch einige Zeit gedauert, bis wir wieder damit angefangen haben. Ich persönlich habe keine Riffs oder Songs für „Vertigo“ geschrieben. Ich habe vielleicht drei Songs auf dem ersten Album und drei Songs auf dem zweiten Album geschrieben, aber jetzt bin ich selbst der Hauptsongwriter für das neue Album. In dieser Hinsicht gab es also einige Veränderungen in der Bandbesetzung. Aber Kvass schreibt immer noch alle Texte.

In zehn Jahren hat sich diese Welt extrem verändert. Hat diese Veränderung die Art und Weise beeinflusst, wie du Musik siehst oder wie du komponierst?
Vieles verändert sich in so einer langen Zeit. Aber ich denke, wir haben immer noch dieselbe Einstellung zur Musik, die wir schon immer hatten. Es mag eine klischeehafte Antwort sein, aber wir machen das in erster Linie für uns selbst und als kreatives Ventil. Auch für Emotionen und Gefühle, und wir tun das, was wir immer getan haben. Wir bleiben dem treu, was wir tun wollen.

Gab es ein Ereignis, das euch dazu gebracht hat, wieder Musik zu machen? Einen Punkt, an dem du gesagt hast, okay, wir müssen wieder anfangen, wir müssen ein neues Album herausbringen und wir müssen wieder auf die Bühne gehen, oder war es ein Prozess?
Es war eher ein Prozess. Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich keine Musik für „Vertigo“ geschrieben, aber ich war natürlich sehr stark in das Album involviert. Ich habe sozusagen meinen Weg zurückgefunden, um wieder Songs zu machen. Ich habe schon immer Riffs geschrieben und aufgenommen, aber es gab eine Periode von vielen, vielen Jahren, in denen ich sie nicht zusammengesetzt oder Songs geschrieben habe. Als Kvass mit dem Songwriting aufhörte, bekam ich vielleicht einen Tritt in den Hintern, um aus den Riffs ein paar Songs zu machen. Und dann fand ich plötzlich wieder die Inspiration und den Arbeitsfluss darin. Ich denke, es ist zum Teil Zufall und zum Teil der Wille, ein neues Album zu machen und allen zu zeigen, dass wir noch da sind.

Der Titel des neuen Albums bedeutet (laut Deepl, Anm.d.Verf.) so viel wie „kein Schmuck“. Oder könnte man auch „keine verdammten Kompromisse“ sagen?
Wir sagen „Keine Gnade“.

Es ist also keine direkte Anspielung auf das Vorgängeralbum „Vertigo“, das eher progressive oder ungewöhnlichere Elemente enthielt?
Nein. Der Titel war ursprünglich ein Songtitel, aber ich mochte den Klang und die Bedeutung des Titels sehr. Ich wollte ihn unbedingt als Albumtitel verwenden. Vielleicht unabhängig vom Thema des eigentlichen Songtextes. „Keine Gnade“ ist eher eine Einstellung. Du kannst es verwenden, wie du willst. Wir haben in unserer Musik und in unserem Ausdruck schon immer diese Art von „Keine Gnade“-Einstellung gehabt, also passte es gut als Albumtitel. Und, ja, du hast recht, „Vertigo“ war ein bisschen experimentell, ein bisschen Prog-beeinflusst. Wir hatten hier und da ein paar alte Synthesizer und haben ein paar neue Elemente hinzugefügt. Aber mit den Veränderungen in der Band war es nur natürlich, in die Richtung des neuen Albums zu gehen. Generell kann ich sagen, dass ich schon immer dazu tendiert habe, mehr rohe und primitive Sachen zu machen. Und Kvass war schon immer etwas „feiner“, weißt du. Er ist ein bisschen geschickter als ich was das Songwriting angeht und ein bisschen experimenteller und melodischer. Es war eine natürliche Entwicklung. Wir hatten nicht das Bedürfnis, „Vertigo Teil zwei“ oder so etwas zu machen. Wir wollten dieses Mal in diese Richtung gehen. Mal sehen, was als nächstes passiert.

Es ist also keine Korrektur zum Vorgänger; du schätzt „Vertigo“ immer noch?
Ja. Ganz genau. Ich selbst schätze „Vertigo“ sehr. Ich finde, dass es eine großartige Sammlung von Songs ist, und ich bin wirklich froh, dass wir auf diesem Album diesen Weg gegangen sind und diese Themen und diese Atmosphären erforscht haben. Ohne dieses Album wären wir definitiv nicht hier, wo wir sind.

Dieses Mal sind die Texte komplett und ausschließlich auf Norwegisch. War das eine bewusste Entscheidung? Welche Rolle spielen die Texte für euch und den Kompositionsprozess?
Ich habe das große Glück, Kvass als Texter zu haben. Er hat immer die Texte geschrieben, mit nur wenigen Ausnahmen. Er hat eine einzigartige Art, die norwegische Sprache zu verwenden. Leider sprechen nur 0,07% oder so der Welt norwegisch, also gibt es nicht so viele, die die Texte verstehen werden. Aber wir werden Übersetzungen aller Texte in den Booklets haben, sowohl für die CD als auch für Vinyl, und wir werden sie auch online veröffentlichen, so dass jeder, der will, Kvass‘ eigene Übersetzungen der Texte lesen kann. Es ist kein Muss. Ich höre eine Menge Musik, bei der ich mich nicht um die Texte kümmere oder sie nie lese. Aber es trägt definitiv zur Atmosphäre bei. Um deine Frage zu beantworten: Es war ein bewusster Gedanke, dieses Mal zum guten, alten Norwegisch zurückzukehren. Ich weiß, dass es für Kvass sehr befriedigend ist, die Songs auf Norwegisch zu machen, denn wenn es funktioniert, funktioniert es für ihn und für uns sehr gut. Viel besser als in einer Sprache zu schreiben, die man nicht so oft spricht.

Die Texte sind also nicht nur ein Bonus. Sie sind ein Kernelement eures Sounds?
Ja, absolut.

Es wäre also eine andere Komposition, wenn ihr einen Song für eine Fremdsprache komponieren würdet? Beeinflusst das die melodische Komposition?
Nein. Wir schreiben normalerweise zuerst die Songs, oder die Riffs, wenn man so will, und Kvass lässt sich von deren Atmosphäre inspirieren. Er passt seine Texte an die Atmosphäre an. Es sind also zwei verschiedene Dinge, aber beide sind natürlich wichtig für das, was die Songs ausdrücken. Ohne seine Texte wären sie nicht dieselben. Auf jeden Fall.

Gibt es ein lyrisches Hauptthema auf dem Album?
Nein, nicht wirklich. Kvass lässt sich von allem inspirieren, von der Gesellschaft, von Büchern, von Psychologie, etc. Es gibt Songs über Außenseitertum, darüber, wie man außerhalb der Gesellschaft steht und der Welt sozusagen den Rücken zukehrt. Es gibt Texte, die unverblümter und nihilistischer sind und vielleicht nicht so bedeutungsvoll, aber immer noch ein Ausdruck von ursprünglicher Energie.

Kann Black Metal das Zeitgeschehen, die jüngsten Entwicklungen in unserer Welt kommentieren, oder sollte er eher „meta“ sein?
Ich denke, Bands können machen, was sie wollen. Die Leute können in ihren Texten schreiben, was sie wollen. Wir mögen das natürlich nicht immer gutheißen. Niemand mag alles. Auch wenn Kvass sich von der Gesellschaft und so inspirieren lässt, haben wir keine Texte, die sich mit solchen spezifischen Themen befassen. Es ist vielschichtiger und allgemeiner. Ich würde sagen, die Texte offen für eigene Interpretationen, wie es natürlich bei vielen Texten der Fall ist.

Was sind die nächsten Schritte für Koldbrann? Steht die Band wieder im Mittelpunkt eurer Arbeit? Gibt es irgendwelche aktuellen Pläne für die Zukunft und was sind die nächsten Schritte nach der Veröffentlichung des Albums?
Koldbrann ist auf jeden Fall wieder im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit. Das kann ich definitiv sagen. Um darauf zurückzukommen, worüber wir am Anfang gesprochen haben: in den zehn Jahren zwischen den Alben war ich zeitweise mit ein paar anderen Bands beschäftigt. Das ist auch etwas, was mir vor ein paar Jahren klar geworden ist: Ich wollte mehr Zeit für Koldbrann aufwenden und weniger Zeit für andere Bands, auch wenn das ebenfalls befriedigend war. Aber ganz ehrlich, Koldbrann ist definitiv das, wofür ich brenne. Das Album wird diese Woche endlich veröffentlicht. Wir hatten das Albummaster schon seit über einem Jahr fertig. Es ist eine lange Zeit vergangen, seit wir mit den Aufnahmen begonnen haben, also ist es gut, dass es jetzt endlich raus ist. Wir haben einige Festivals in diesem und im nächsten Jahr geplant. Wir sind begierig darauf, die Songs live aufzuführen. Wir haben alle das Gefühl, dass es uns sehr viel gibt, die Songs live zu spielen. Die Energie, die man in die Songs einbringt, und die Energie, die man von der Menge, den Songs und der Atmosphäre bekommt, ist immer noch sehr lohnend. Also freuen wir uns auch darauf.

Danke für das Interview!  Wir werden es mit unserem klassischen Metal1.info Brainstorming abschließen.

Auszeit: Oh. Eine Auszeit. Das ist etwas, was ich selten habe.
Bokmål oder Nynorsk? (Die beiden Standardvarietäten des Norwegischen, Anm.d.Verf.): Bokmål. Ich habe eigentlich eine sehr gute Note in Nynorsk bekommen. Jeder muss in Norwegen Prüfungen in Nynorsk ablegen, und ich bin immer noch stolz darauf, dass ich darin eine Eins bekommen habe. Ich glaube, es ist 22 Jahre her oder so.
Surströmming (Ein legendär stinkenden Gammelfisch mit ebenso legendären Youtube-Videos, Anm.d.Verf.) Oh, das ist ein bisschen zu viel für mich. Ich glaube, ich habe es mal gerochen. Ich meine, ich mag im Allgemeinen funky food, wenn man das so nennen kann. Aber das ist vielleicht zu extrem
Drumtrigger: Das ist nichts für uns, weißt du? Aber ich muss sagen, wenn man es richtig einsetzt, dann habe ich kein Problem damit. Wir benutzen es halt nicht. Ich mag, im Gegensatz zu vielen anderen Leuten, Mayhems „Grand declaration of war“, und für mich wäre die Platte mit einem anderen Schlagzeugsound nicht dieselbe gewesen. Aber das bedeutet nicht, dass dieser Schlagzeugsound zum Beispiel für „Freezing Moon“ verwendet werden sollte.
Endstille:  Gute Kameraden, gute Freunde. Ich habe letztes Jahr auf dem Party San Festival den Sänger getroffen, aber wir hoffen, dass wir in Zukunft mehr von ihnen sehen werden.
Koldbrann in zehn Jahren: Oh. Nun, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber in anderen Bands spiele ich mit Leuten, die zehn Jahre älter sind als ich. Also wir müssen nicht aufhören, denke ich. Schauen wir mal. Wir werden weitermachen.

Koldbrann 2024, Photo: AZ & Salowe Vision
Redaktion Metal1.info

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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