Interview mit Gsell & Håscht von Perchta

Mit ihrem zweiten Album „D’Muata“ haben PERCHTA ein außergewöhnliches Album geschaffen. Die Tiroler Band vereint darauf nicht nur melodischen Black Metal mit rituell anmutendem Folk, sondern behandelt darauf verschiedene Aspekte der Weiblichkeit – ein in dieser Musikrichtung äußerst selten beachtetes Thema.

Welche feministischen Implikationen das Album in sich trägt, weshalb es dennoch nicht primär als politisches Statement anzusehen ist und inwiefern sich das vorab veröffentlichte Musikvideo zu „Vom Verlånga“ von Werbung nach dem Motto „Sex sells“ unterscheidet, haben uns Gitarrist Lukas Massinger alias Gsell und Schlagzeuger Simon Schnückel alias Håscht neben anderen Dingen im Interview verraten.

Legen wir gleich mal los: Laut den Metalarchiven spielt ihr seit 2022 in PERCHTA Gitarre und Schlagzeug. Wie kam es dazu, dass ihr Teil des Projekts geworden seid?
Gsell: Das ist ganz lustig. Ich kenne die Julia (Anm.: Sängerin und Kopf der Band) schon lange. Eigentlich mehr von zufälligen Begegnungen und weil wir auf die gleichen Festivals gehen. Wir haben uns dann in Innsbruck in unserem Stamm-Metal-Lokal zu Halloween – da ist immer eine große Party – getroffen. Dann hat sie mir von dem Projekt erzählt und mich gefragt, ob ich einen Gitarristen kenne. Da habe ich ein bisschen lachen müssen, weil ich ihr vorher von meiner Gitarrenausbildung erzählt habe. Dann habe ich gesagt: „Julia, schau nach vorne, nicht nach hinten.“ Dann hat sie mich gleich am nächsten Tag um zehn Uhr, glaube ich, sogar angerufen. Wir haben wirklich nicht viel geschlafen. Dann war ich dabei und dann ist die Reise eigentlich schon losgegangen. Dann waren wir auf der Suche nach einem Schlagzeuger. Simon, jetzt richte das Wort an dich.
Håscht: Lukas und ich musizieren schon deutlich länger miteinander. Eigentlich haben wir jetzt bald unser Zehnjähriges. Dann war eigentlich die Frage früh geklärt. Dann hat Lukas direkt mich gefragt, ob ich Bock habe. Natürlich habe ich dann Bock gehabt. Dann haben wir uns bei einer Grillparty bei der Julia getroffen. Wir haben einen ersten Austausch gehabt, ein bisschen gequatscht und dann schnell realisiert, das passt eigentlich super. Vor allem menschlich, weil musikalisch haben wir bis zu dem Zeitpunkt noch wenig interagiert. Dann war irgendwann die erste Probe. Wir haben dann realisiert, es passt menschlich und musikalisch. Dann war eigentlich klar, dass wir planmäßig vorerst nur die Live-Shows mitspielen. Dann hat sich das über diese Tour mit Dornenreich im Jahr 2022 entwickelt. Wir haben in der Band mehr connected. Die eigentlichen Live-Musiker sind so familiär zusammengewachsen, dass es für die Julia, wie sie uns oft schon gesagt hat, eine total einfache Schlussfolgerung war, zu sagen, dass es jetzt eine vollständige Band wird. Wir sind nicht nur Live-Musiker, sondern wir sind ab diesem Album fixe Mitglieder im Songwriting-Prozess, im Live-Prozess und überall dabei.

Perchta Bandfoto4Ich höre da heraus, dass eure Frontfrau die treibende Kraft des Projekts ist. Inwiefern bringt ihr euch über das Einspielen eurer Instrumente hinaus in den kreativen Prozess ein?
Gsell: Also ich muss sagen, die Julia ist natürlich die treibende Kraft und sie hat auch für die einzelnen Songs ihre Vision. Ich war bis jetzt ja nur bei einem Album beim Songwriting-Prozess dabei, aber es war so, dass sie mit einer Idee, einer Stimmung oder einer Vorstellung an uns herantritt und zu uns sagt: „Jungs, macht mal was draus.“ Und dann hat dieser oder jener eine bessere Idee, die dazu passt, aber im Grunde genommen gibt dann jeder etwas dazu, was gebraucht wird, oder man lässt eben mal etwas weg, was nicht gebraucht wird. Und so entstehen dann die Songs in einem sehr kollektiven, demokratischen Prozess, würde ich sagen. Die „heilige Hand“ drüber hat dann immer die Julia und sie hat ihre Vision, aber wir haben uns eigentlich bis jetzt immer gut ausgetauscht. Man hört es eh, dass sich das so entwickelt. Und ich glaube, ich spreche da auch für Simon, dass wir im Songwriting-Prozess eigentlich alle gleichberechtigt unterwegs sind.
Håscht: Absolut, Julia ist extrem gut darin, ihre Konzepte zu beschreiben, sie hat eine blühende Fantasie und wahnsinnig viele und gute Ideen. Und sie verlässt sich dann quasi auf uns, das musikalisch zu verpacken. Und sie schreibt uns, was sie von uns haben will – eben Gefühle, manchmal nur Farben, manchmal konkrete Stimmungen. Bei irgendwem zündet dann die Idee. Es war beim Songwriting-Prozess interessant, dass es selten so war, dass die Ideen immer von der gleichen Seite gekommen sind, sondern wirklich so, dass etwas Bestimmtes gebraucht wurde und dann einer eine Idee gehabt hat. Es war also wirklich total aufgeteilt und bei irgendwem hat dann immer der Schalter umgeschaltet, wie man eine Idee umsetzen könnte. Also es hat wirklich alles extrem gut ineinandergegriffen, der ganze Prozess.

In PERCHTA vermischt ihr typische Black-Metal-Instrumentierung mit traditionellem, rituell-anmutendem Folk. Wie geht euer Songwriting im Hinblick auf diese Kombination vonstatten? Was kommt bei euch im Allgemeinen zuerst?
Gsell: Was als Erstes kommt, ist jetzt gar nicht so festzumachen, aber der Christian Höll von Vinsta, unser Hackbrettspieler, hat ein ziemlich gutes Gespür für Melodien in die Richtung, was man auch in seiner Musik in Vinsta hört, und der Chris von Asphagor ist zum Beispiel ziemlich ein krasses Gegenbeispiel, der eher unser Morbid-Angel-Riffer ist, der ziemlich die Brecher-Riffs rauslässt. Ich glaube, diese zwei gegenüberstehenden Welten entstehen manchmal Riffs und der Chris hat dann eine gute Idee für eine Melodie oder umgekehrt. Was als Erstes und was danach kommt, ist also nicht so festzumachen. Ich habe so das Gefühl, dass diese folkigen Elemente, einerseits durch Julias Stimme und ihr Melodieverständnis, hervorkommen und oft eben auch super mit den Riffs zusammenpassen, aber das ist extrem viel Zusammenhören und sehr viel Kennenlernen. Wir kennen einander eben auch sehr gut, wie der Simon bereits gesagt hat. Wir sind wirklich gut zusammengewachsen und dadurch hat man ein bisschen auch ein Gespür. Man kennt das auch von Leuten, die man gut kennt, wenn man am Anfang die Sätze vom anderen vervollständigen kann und so ist es da auch ein bisschen – der eine hat einen Gedanken und der andere kann schon in die Richtung weiterdenken und deswegen entsteht das parallel. Oder was meinst du, Simon?
Håscht: Dem ist nichts hinzuzufügen.

Perchta - D'MuataZu eurem neuen Album „D‘Muata“ wurde vorab seitens der Band kommuniziert, dass das Album dezidiert feministisch sein soll. Was hat euch dazu inspiriert, mit eurer Platte ein feministisches Statement zu setzen?
Håscht: Wie bei den meisten Dingen bei uns ist das natürlich die Vision von der Julia. Es hat sich aber recht früh, also schon bevor wir wirklich an diesem Album arbeitet haben, herauskristallisiert, dass dieser „Female Empowerment“-Gedanke bei PERCHTA eine Rolle spielt, weil es im Black Metal nicht sehr üblich ist, „Female-Fronted“-Bands zu haben – schon gar nicht mit so einem vielseitigen Stimmeinsatz. Deswegen war das immer schon ein bisschen ein Thema, weil es natürlich angesprochen wird. Eine Frau, die screamt und growlt, das ist schon außergewöhnlich und speziell. Es war immer schon ein Wunsch von der Julia, auch diese Aspekte des Femininen und der Weiblichkeit irgendwie in diesem ganz großen Konzept von PERCHTA musikalisch zu verarbeiten, wo es ja um das Leben selbst und Zyklen im Leben geht. Dementsprechend war es eigentlich, schon bevor wir wirklich dezidiert gearbeitet haben, klar, dass das in der Richtung irgendwie passieren wird. Dann hat Julia ihre Konzepte mitgebracht und natürlich jeden in der Band sofort voll damit gecatcht.
Gsell: Es ist noch hinzuzufügen, dass die Idee für dieses Album ja schon vor dem allerersten entstanden ist. Julia hatte die Ideen für dieses Album nicht ganz in dem vollen Ausmaß, aber die Grundidee für das Album war schon da, bevor das erste rausgekommen ist. Sie ist da mit ihren Ideen gedanklich sehr weit voraus, weswegen sie eigentlich immer sehr gut ausgereift sind. Was ich hinzufügen wollte, ist die Tatsache, dass die Julia ja Hebamme ist. Das war ein Thema, das sie von Haus aus schon immer musikalisch vertonen wollte, weil – ich kenne es von mir selber und ich glaube, ich spreche für die meisten Musikerinnen und Musiker – über etwas zu schreiben, was einem persönlich wichtig ist, eine Form von Authentizität ist. Das kann man nicht künstlich reproduzieren und für die Julia war das, glaube ich, ein ziemlich logischer Schluss, so ein Album in der Richtung zu machen. Wie Simon gesagt hat: Es war natürlich klar, die Idee ist neu, es ist anders und es ist auch für viele Hörerinnen und Hörer wahrscheinlich sehr überraschend, aber ich finde, es war notwendig und Julia war derselben Meinung und es war und ist gut so.

Perchta Gsell Foto2Menschen, die mit Feminismus nicht viel am Hut haben oder eure Texte nicht verstehen, werden das vielleicht nicht nachvollziehen können. Worin besteht aus eurer Sicht das feministische Element des Albums?
Gsell: Ich glaube, ich sollte das ein bisschen differenzieren. Es geht nicht per se um Feminismus, sondern um die Weiblichkeit. Das sind zwar ein bisschen anders konnotierte Begriffe, weil Feminismus ist eigentlich ein Begriff aus der Politik, während Weiblichkeit, würde ich jetzt mal sagen, eigentlich mehr aus der Natur kommt und insofern ist dieses Album automatisch durch seine Thematik und den Bereich, in dem es sich bewegt, feministisch. Aber wenn man sich die Texte anhört, geht es sehr viel ums Frausein und bei manchen Liedern so wie „Ois wås ma san“ auch darum, man selbst zu sein, ein Ich-Bewusstsein zu haben. Da wird auch ein bisschen abgerechnet und gesagt: „Hey, wir werden geschlagen, wir werden unterdrückt, wir dürfen uns um die Kinder kümmern, aber wir dürfen dieses und jenes nicht.“ Das ist schon auch ein bisschen ein musikalischer Rückschlag, mit dem gesagt wird: „Hey, wir sind wir und wir wollen genauso ernstgenommen werden.“ Hier geht es nicht nur darum, einen feministischen Kampf auszutragen, es geht auch darum, die Weiblichkeit in ihrer Form so darzustellen und natürlich auch aufzuzeigen, was nicht gut läuft. Klar, das mündet dann in einer Form von Feminismus, aber es ist vorrangig auch wichtig, zu sehen, dass es um die Weiblichkeit geht.
Håscht: Was man vielleicht noch hinzufügen sollte, ist, dass in einigen Songs Themen angesprochen werden, die in der aktuellen Gesellschaft immer noch völlig fälschlicherweise und auf überholte Weise tabuisiert werden – sei es Menstruation, sei es weibliche Lust in der Sexualität. Das sind Themen, die in unseren Augen zu wenig Aufmerksamkeit kriegen und dadurch, dass wir sie in den Songs so in den Vordergrund stellen und dass sie Teil des Ganzen sind und ihren Platz haben, wirkt es nach außen natürlich auch irgendwo ein bisschen aktivistisch – in dem Sinne, dass wir bewusst solche Scheintabus, die ja eigentlich in einem normalen Mindset gar keine sein sollten, brechen und in die Öffentlichkeit tragen.

Inwiefern findet ihr euch auch selbst in den Inhalten des Albums wieder?
Gsell: Ich muss sagen, dass ich durch private Kontakte sehr viel mit feministischen Themen in Berührung gekommen bin, sehr viele negative Sachen gehört und in meinem Umfeld gesehen habe und dass mich das Thema eigentlich immer interessiert hat, sogar unbewusst als Jugendlicher schon. Ich habe immer wieder gedacht: „Warum ist das so?“ Ich hätte es nicht benennen können, aber es war immer Teil von meinem Denken und für mich waren die ganzen Sachen, die wir jetzt Patriarchat nennen und die so falsch laufen, immer irgendwie komisch. Ich habe sie damals eben nicht als Patriarchat einordnen können. Ich wusste nicht, dass es eine feministische Bewegung gibt. Mir ist immer vorgekommen, dass da irgendwas nicht stimmt. Julia, muss ich sagen, ist natürlich neben anderen wichtigen Personen in meinem Leben auch eine der Frauen, die mir sehr viel über das Thema beigebracht haben, sowie unter anderem natürlich auch meine Mutter, die so gesehen keine aktive Feministin ist, aber zu sehr vielen Dingen von sich aus sagt, dass sie das anders sieht. Von daher war es für mich nicht so neu und überraschend, aber sehr lehrreich und eigentlich ein bisschen wie ein Ankommen, zu sehen, dass es da eine Bewegung gibt, in der man etwas machen kann. Ich meine, viele Sachen sind zuvor gegangen, aber so eine klare, harte Linie wie die Julia habe ich erst mit der Zeit durch sie und eben andere Leute in meinem Umfeld dann so richtig kennengelernt. Und zur Frage, wo wir uns selbst wiederfinden: Den größten Hebel, um das Patriarchat auszuhebeln, haben die Männer, denn – blöd gesagt – wer das Problem ist, kann auch die Lösung sein. Klar, das ist jetzt ein bisschen einfach gesprochen, aber ich glaube, dass es darum geht, unsere Männer – uns – quasi zu erziehen, unser Mindset zu ändern. Dann werden sich sehr, sehr viele Probleme, die Frauen in unserer Gesellschaft haben, ziemlich gut auflösen und dann könnte man, glaube ich, ein anderes Zusammenleben gestalten. So denke ich und deswegen finde ich mich im Feminismus wieder. Schließlich könnten wir auch davon profitieren, denn ich glaube, es gibt sicher einige Männer da draußen, die froh wären, eine Karenz zu machen und bei ihren Kindern zu sein; die froh wären, wenn die Frau ihre Karriere ohne irgendwelche Einbußen in der Pension fortsetzen kann. Es wäre eine Win-Win-Situation und ich glaube, da finde ich mich insofern wieder, als es für uns auch ein Gewinn ist – also dezidiert für Männer.
Håscht: Bei mir ist es halt so, dass ich das überhaupt als Teil von einem Selbstentwicklungsprozess sehe, weil diese ganzen Themen mir eben auch, wie der Lukas gesagt hat, oft unterbewusst klar waren, aber nicht so wirklich präsent da waren. Diese Awareness hat sich nicht wie irgendein Teil, den ich mir neu aneigne, angefühlt, sondern wie ein Teil, der da ist und freigelegt wird. Im Schaffensprozess dieses Albums und in der ganzen Entstehungsphase habe ich in Bezug auf Selbstentwicklung sehr, sehr viele Fortschritte gemacht, weil mir sehr viele Themen besser bewusst worden sind – gar nicht nur die ganzen Themen bezüglich Weiblichkeit und Feminismus, sondern generell wie man zu Dingen im Leben steht, wie man Dinge angeht, wie man mit neuen, unangenehmen oder falsch eingeschätzten Themen umgeht. Das ist ein ziemlich großer Lernprozess, der dahintergesteckt ist. Ich bin auch ein bisschen jünger als der Rest der Band und dementsprechend habe ich halt weniger Lebenserfahrung, aber ich habe es extrem wertvoll gefunden, so quasi zu finden, wer ich eigentlich bin und wo ich mit meinen Gedanken und meinen Gefühle hin will.

Perchta Håscht Foto1Wir haben vorhin schon angeschnitten, dass die Themen, die ihr auf dem neuen Album behandelt, in der Black-Metal- und Folk-Szene recht selten besprochen werden und für manche vielleicht überraschend kommen. Beide Szenen scheinen von Männern dominiert zu werden, von denen viele ein reaktionäres, chauvinistisches Weltbild vertreten und sich zugleich darüber echauffieren, wenn Politik im Zusammenhang mit Musik explizit thematisiert wird. Wie seht ihr das – sowohl persönlich als auch in Bezug auf die Reaktionen auf euer Schaffen PERCHTA?
Gsell: Wenn es für dich okay ist, Simon, würde ich gleich antworten und zwar relativ kurz, denn ich will nicht so viel ins Detail gehen, weil ich denen denen, die etwas nicht schätzen und die ihren Unmut laut machen, auch keine Plattform geben möchte. Deswegen möchte ich das auch gar nicht lange diskutieren. Es ist logisch, dass es Leute gibt, denen es nicht gefällt, aber ich glaube, dass die Reaktionen in der Szene und bei den Konzerten, die wir gespielt haben, von vielen – speziell von Musikerinnen und Musikerkollegen und auch vom Publikum – sehr positiv sind. Ich glaube, dass wir in der Szene grundsätzlich meiner Wahrnehmung nach – und da könnte ich jetzt auch ein, zwei bekanntere Bands nennen – positiv ankommen.
Håscht: Ja, das würde ich bestätigen. Die meisten Reaktionen sind sehr, sehr positiv und zeitweise merkt man auch an den Reaktionen, dass es wirklich über eine normale musikalische Freude hinausgeht. Es kommen wirklich Menschen zu uns und bedanken sich dediziert für das, was wir machen, und bringen zum Ausdruck, dass das, was wir liefern, eigentlich etwas ist, was sie im Leben gesucht, aber bisher nicht gefunden haben. Wenn man sowas hört, erfüllt einen das extrem mit Freude und Begeisterung.

Zum Thema Tabuisierung: Ihr habt zum ersten Vorab-Track „Vom Verlånga“ ein recht gewagtes Musikvideo mit Aufnahmen eines Liebesspiels veröffentlicht. Provokant gefragt: Worin unterscheidet sich dieser Clip von einem Promo-Video nach dem Motto „Sex sells“?
Gsell: Das Video unterscheidet sich insofern dadurch von „Sex sells“, als es bei „Sex sells“ um Stereotypen und vermeintliche Idealvorstellungen geht. Ich sehe es so und nehme es auch so wahr, dass wir es geschafft haben, Sex darzustellen, der sehr zur Lust der Frau ist und nicht nur zu der des Mannes wie in der Pornoindustrie. Ich glaube, wir haben es auch geschafft, darzustellen, dass das ein Prozess zwischen zwei Liebenden ist und dass es nicht um Brüste oder so etwas geht. Ich glaube, das unterscheidet es von einem „Sex sells“-Video.
Håscht: Was man auch noch dazu sagen muss, ist, dass der ganze Entstehungsprozess dieses Videos sich ja grundlegend von dem, was die Pornoindustrie an sich in manchen Teilen für Frauen schlimm macht, unterscheidet – dieses ganze Drumherum, dass man den eigenen Körper quasi verkauft oder zu Dingen gezwungen wird, dass die Darstellung völlig in die Hand von anderen gegeben wird, dass andere entscheiden, wie man verwendet wird, um damit Geld zu verdienen. Das waren alles Aspekte, bei denen es uns ganz wichtig war, dass diese in dem Entstehungsprozess dieses Videos nicht stattfinden. Da geht es um Selbstbestimmung und darum, dass die Darstellung so ist, wie die liebenden Personen es wollen, dass die Darstellungen authentisch sind und dass es nicht darum geht, dass man zum 18. Mal die Brüste so oder so in die Kamera hebt, weil das die Shots sind, die am besten geklickt werden. Es geht darum, diese Lust und die Sexualität darzustellen, ohne etwas zu verfälschen und ohne diesen Kommerzaspekt reindrücken zu wollen. Vor allem war dieser ganze Prozess wirklich ein einziger Safe-Space für alle Beteiligten mit voller Selbstbestimmung und mit vollem Zugeständnis der Darstellenden. Diese großen negativen Aspekte der standardmäßigen Pornoindustrie haben bei uns nicht stattgefunden. So haben wir nicht nur mit dem Endresultat, sondern auch mit dem ganzen Weg dahin quasi zeigen können, dass es auch anders geht. Es ist Sexualität als Kunstobjekt. Gut, Kunst ist auch irgendwo da, um verkauft zu werden, aber man kann Sexualität im Kunstsinne auch anders machen, als einen stumpfen Porno zu drehen, um das Ganze mal mit der klassischen Pornoindustrie zu vergleichen.
Gsell: Und man sollte diese Denkweise, dass man bei Nacktszenen in einem Musikvideo gleich denkt, dass es um „Sex sells“ geht, hinterfragen, oder? Ich weiß, dass ganz, ganz viele sich die Frage leider nicht stellen und ganz, ganz viele auch an „Sex sells“ denken. Man sieht es an dem einen oder anderen YouTube-Kommentar. Man sieht, dass in den Köpfen vieler Männer diese Frage gar nicht aufkommt, sondern gleich diese Kategorisierung stattfindet: „Frauennippel ist Sex sells“.

Perchta Foto2Die unzensierte Version des Videos konnte erst nachträglich über eine Porno-Webseite veröffentlicht werden. Feministisch war die gewählte Seite aber gewiss nicht, obwohl es durchaus auch feministische Pornos gibt. Warum habt ihr dafür gerade diese und nicht eine auf Frauen ausgerichtete Plattform gewählt? Seht ihr da eine Diskrepanz?
Håscht: Der Prozess war ziemlich schwierig und es war ein unglaublich steiniger Weg, dieses Video in der unzensierten Form überhaupt veröffentlichen zu können, weil da ein riesiger Prozess dahintersteckt – egal bei welcher Webseite. Das war uns im Vorfeld gar nicht so bewusst und im Endeffekt ist es dann darum gegangen, ob wir diesen Kampf gegen verschiedenste Richtlinien und Auflagen von Websites, der sowohl die Band als auch das Label belastet hat, monatelang weiter treiben, um irgendwie die perfekte Plattform zu finden, oder ob wir es schaffen, unser Werk irgendwie noch rauszubringen. Dementsprechend mussten wir gewisse Abstriche machen, was die Plattform betrifft. Da waren uns fast ein bisschen die Hände gebunden, zumal es darum ging, mit dem Kunstwerk eine gewisse Reichweite zu haben. Es war uns wegen der Message und des künstlerischen Werts zu wertvoll, dass es dann gar keine Aufmerksamkeit bekommt oder wir es am Ende vielleicht gar nicht schaffen, es auf einer Plattform, die all unseren Ansprüchen genügt, zu veröffentlichen. Ich weiß es nicht konkret, aber es waren definitiv Plattformen im Gespräch, die sich für Female Empowerment einsetzen und bei denen das im Fokus steht. Woran genau es gescheitert ist, weiß ich leider nicht. Vielleicht kann Lukas noch etwas dazu sagen.
Gsell: Ich bin leider – oder im Nachhinein betrachtet eigentlich zum Glück – in den Prozess auch nicht so involviert gewesen. Aber es ist ein bisschen so wie die Frage, warum ein Musiker auf Spotify ist. Unser System und die Internetlandschaft bieten nun mal Plattformen – da beißt man in den sauren Apfel und ist dabei oder man ist eben leider in vielen Formen nicht dabei. Das ist, speziell was die Musikbranche anbelangt, extrem schwierig. Ähnlich ist es mit diesen Nacktszenen im Video. Es soll ja auch eine gewisse Reichweite kriegen, wie der Simon sagt. Und ein Female-Empowerment-Video bzw. ein Video, in dem es um weibliche Lust geht, auf einer eigentlich rein männlich orientierten Seite ist eigentlich doch ein Stachel im Fleisch der Pornoindustrie. Man kann es also durchaus auch positiv sehen.

Ihr habt mit PERCHTA nun bereits einige Konzerte gespielt und auch bereits weitere Auftritte geplant. Wie sehen davon abgesehen eure Pläne für die Zukunft der Band aus? Habt ihr Vorstellungen, was ihr in Zukunft noch umsetzen wollt?
Gsell: Ich weiß nicht, was ich erzählen darf und was noch nicht.
Håscht: Ich würde es ganz simpel machen: Ja, einiges – zwei Wörter.
Gsell: Es wird extrem viel kommen und es wird sehr, sehr spannend – sowohl für uns als auch für das Publikum. Es wird einiges passieren im nächsten Jahr, beziehungsweise in den nächsten anderthalb Jahren. Bei uns geht einiges vor sich – ihr dürft gespannt sein, was noch auf euch zukommt.

Zum Schluss noch ein kurzes Brainstorming. Was kommt euch bei den folgenden Schlagworten in den Sinn?
„Female-fronted Metal“: Håscht: Vielseitig, das fällt mir als Erstes ein.
Gsell: Suzi Quatro
Susanne Raab (Anm.: österreichische Frauenministerin und selbsterklärte Nicht-Feministin): Gsell: Schwierig
Håscht: Ja, schwierig reicht. (lacht)
Abtreibung: Håscht: Menschenrecht
Gsell: Freie Wahl
Tradition: Gsell: Wichtig, aber nicht notwendig.
Håscht: Offen für Neues
Muttertag: Gsell: (überlegt kurz) Ist das nicht jeder Tag?
Håscht: Da füge ich nichts hinzu. (lacht)

Danke für das Interview!
Gsell: Schönen Abend!
Håscht: Vielen Dank für das Interview, hat sehr viel Spaß gemacht.

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Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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