Review Antimatter – Planetary Confinement

  • Label: Prophecy
  • Veröffentlicht: 2005
  • Spielart: Rock

„Schlicht“ – dieser Gedanke dürfte dem einen oder anderen gekommen sein, als er das erste Mal das Cover der aktuellen ANTIMATTER-CD „Planetary Confinement“ gesehen hat. Stacheldraht, gespannt vor einem wolkenverhangenen Himmel, weckt die ersten Erwartungen, die durch einen Aufkleber auf der Hülle, der beinahe schon stolz das „traurigste Album des Jahres“ ankündigt, weitere Nahrung erhalten. Ein dritter Hinweis auf das zu Erwartende stellt das Label dar: die kleine, aber sehr feine Firma Prophecy Productions hat sich dank Bands wie Empyrium oder den Finnen Tenhi einen Namen in Sachen besonderer Musik gemacht. Und speziell mit Empyrium kann man ANTIMATTER gut vergleichen, ähneln sich beide Bands doch sehr in ihrer Entwicklungsgeschichte. Zu Beginn standen teils recht harsche, fast wütende Werke, deren Elemente im folgenden immer mehr reduziert wurden und schließlich in reinen Akustikalben mündeten. Schlicht eben.

Wenden wir uns also „Planetary Confinement“ und den dahinter stehenden Protagonisten einmal etwas näher zu. Die eine Hälfte der Band, Duncan Patterson (Ex-Anathema), dürfte vielen wohl bekannt sein; der kongeniale Gegenpart ist Mick Moss. Und genau so kann man es auch stehen lassen, denn die Beiden haben auf diesem dritten, leider letzten gemeinsamen Album, die Songs völlig unabhängig voneinander geschrieben und aufgenommen, noch dazu in zwei unterschiedlichen Studios. Erstaunlich, wenn man die CD hört und den Eindruck eine sehr homogenen Scheibe bekommt.
Der Titeltrack und gleichzeitige Opener stellt sich als kurzes Intro warmer Klavierakkorde dar, der den Hörer auf eine akustische Reise zur Entdeckung der eigenen Seele einlädt. Bereits in diesen eineinhalb Minuten wird eine Atmosphäre kreiert, die andere Bands ihr Leben lang such, aber nicht finden können. Großes deutet sich an!

Mit klaren Akustikgitarren und zerbrechlich wirkenden Streichern ertönt „The Weight Of The World“, der erste richtige Song des Albums. Der Titel lässt vermuten, dass es lyrisch hier nicht unbedingt klischeefrei zu gehen wird, was in diesem Falle aber nicht wirklich negativ zu Buche schlägt, denn Klischees können durchaus überzeugen, wenn sie gut umgesetzt werden. Viereinhalb Minuten gehen zunächst einmal viel zu schnell vorüber, die Trauer darf sich aber in Grenzen halten, denn mit „Line Of Fire“ und vor allem „Epitaph“ folgen zwei absolute Glanzlichter, die in ihrer Genialität schon an „In Stone“ und „Reality Clash“ vom Vorgängeralbum „Lights Out“ erinnern. Da Patterson im Gegensatz zu Moss nicht selber singt, hat er mit Amèlie Festa eine Gastsängerin mit einer wunderbaren weichen Stimme engagiert, die zu dezenten Pianoklängen Patterson`s Gedanken von einem einsamen, unter ständigen Ängsten leidenden Individuum vorträgt. Wunderschön auch die den Song abschließende Instrumentalpassage, in der sogar eine Djembe zum Einsatz kommt.

„Epitaph“ erinnert von allen Songs (vor allem im Instrumentalbereich) am stärksten der Schamanen-Rock-CD „Väre“ der Labelkollegen Tenh“; getragen von einer feinen Akustik-Gitarre, über der eine wahrhaft ergreifende Geige schwebt, dazu ein Text, der die Sehnsucht nach einer anderen (besseren?) Welt auszudrücken scheint. Ich verzichte an dieser Stelle mal bewusst auf Superlative, da mir keine einfallen, die diesem Meisterwerk auch nur annähernd gerecht werden. Explizit möchte ich noch auf den siebten Song „Relapse“ eingehen, bei dem erneut die zarte Stimme von Amèlie Festa für eine Gänsehaut nach der anderen sorgt. Unfassbar, wie in den ersten vier Minuten fast ausschließlich vier verschiedene Töne auf der Gitarre und zwei Akkorde einer Orgel im Hintergrund nicht langweilig werden können. Immer wieder ertappt man sich dabei, Gefühle zu entwickeln, die dem ersten Mal verliebt sein sehr ähnlich sind.

Auch die anderen Songs strahlen diese Magie, die Antimatter ausmacht, aus, aber es würde absolut den Rahmen sprengen, auf jede dieser Juwelen einzeln in der gebotenen Ausführlichkeit einzugehen, außerdem würden sich die Lobeshymnen ohnehin nur wiederholen. In aller Kürze: Mr. White ist eine Coverversion eines Liedes der Band „Trouble“. Das Original kenne ich leider nicht, aber die Interpretation von „Antimatter“ lässt vermuten, dass sie den Song auch gerne selber geschrieben hätten. „A Portrait Of The Young Man As An Artist“ ist die Selbstreflexion eines Künstlers, der sich offenbar nicht wohl fühlt in seiner Haut und „Legions“ erzählt in teilweise gewaltigen emotionalen Ausbrüchen von der gescheiterten Masse Mensch. Den Abschluss markiert das Instrumental „Eternity Part 24“, welches nicht nur vom Titel, sondern auch von den eingesampelten Kinderstimmen an Patterson`s glorreiche Zeit bei Anathema erinnert. „Good Night, Patterson, I See You In The Morning“: eine Stimme, die am Ende dieser verzweifelten Reise Hoffnung macht.

Um die CD kennen zu lernen, sie zu verstehen und in die eigene Gefühlswelt einordnen zu können, braucht es sicher etwas Zeit und persönlichen Einsatz des Hörers. Am besten geniesst man sie bei einer Flasche Wein, mit Kopfhörern und unbedingt den Texten in der Hand, denn diese waren von jeher für das Verständnis der Antimatter`schen Welt essentiell. Wer sich auf das Abentuer einlässt, darf diese 47 Minuten Musik immer wieder neu erleben und neu entdecken.
„Schlicht“ – in diesem Fall nichts anderes als groß. Ganz groß!

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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