März 2012

Review Borknagar – Urd

Ob hiermit eine Band das Ziel ihrer Reise erreicht hat? Oder dem zumindest sehr nahe gekommen ist? So wirkt es, wenn man das neunte Studioalbum der Norweger BORKNAGAR anhört und dabei die Bandhistorie im Hinterkopf hat. Ende des Jahrtausends startete man als eine Truppe voller Hobbywikinger, die mit einer Riesenportion Herzblut ihre Version des nordischen Metals zelebrierten. Spätestens seit dem Einstieg von Andreas Hedlund beim Album „Empiricism“ änderte sich die Marschroute, ohne die Wurzeln zu verleugnen und alte Gewohnheiten gänzlich abzulegen, begann eine jahrelange Metamorphose, an deren Ende ein Album steht, welches in progressiver Erhabenheit aufleuchtet.

Interessant, ohne es beabsichtigt zu haben, ja, ohne es gewollt zu haben, habe ich in der Einleitung quasi ein komplettes Fazit zu „Urd“ abgegeben. Aber was soll man die Band um Øystein G. Brun auch groß vorstellen, wer BORKNAGAR nicht kennt, hat entweder in den letzten fünfzehn Jahren nicht gelebt oder ist ein solcher Ignorant, dass ihm eine Review zum neuen Output wohl auch nicht viel weiter helfen wird. Für allen anderen haben die Norweger mal wieder eine harte Nuss verpackt, easy-listening haben sie noch nie geboten und mit steigendem progressivem Anteil wurde es entsprechend nicht leichter in Sachen Musikkonsum. Andererseits ist für viele ohnehin der Wiedereinstieg von Simen „ICS Vortex“ Hestnæs DAS Ereignis rund um dieses Album. Wie man noch sehen wird, ist dies nicht ganz ohne Spuren an der Musik vorbei gegangen, alles andere wäre aber wohl auch unsinnig, da Vortex wohl nicht in erster Linie als Bassist angestellt worden sein dürfte.
Immerhin kann sich der Hörer einer enormen Langzeitwirkung sicher sein. Kaum ein Song, nein, kein einziger zündet während der ersten drei Durchgänge und auch dann kommt es nicht zum gerne erlebten Aha-Effekt, sondern Songs, Melodien und Strukturen offenbaren sich erst nach und nach. Selbst den noch weiter reduzierten Anteil an harrschem Gesang nimmt man zuerst mal gar nicht wahr, gewinnt ihn dafür im folgenden aber immer lieber. Dies ist vermutlich (oder augenscheinlich?!?) die wichtigste Erkenntnis bezüglich Vortex, der gerade aufgrund dieses Könnens damals Teil der Chartbreaker Dimmu Borgir wurde. Aber da die Musik BORKNAGARs genug hergibt, muss diese personelle Entscheidung vielleicht auch nicht mehr Raum bekommen als unbedingt nötig.
Auch im instrumentellen Bereich wurde der Härtegrad um einige Prozent zurückgefahren, hier und da blastbeatet es, Doublebasspassagen bleiben nicht gänzlich außen vor, unter dem Strich dominieren aber durchdachte Riffings im Midtempobereich, zu denen cleaner Gesang einfach ebenso gut passt wie Growls. Bevor ein falscher Eindruck entsteht: BORKNAGAR sind nicht etwa wahnsinnig soft geworden, die entspannten Anteile haben aber einfach noch mehr Raum bekommen.

Ein wenig zwiespältig lässt mich dies schon zurück. Sehr atmosphärische Songs brauchen manchmal reduzierte Härte, aber ich für meinen Teil fand BORKNAGAR eben auch oder gerade in ihrem schnellen Parts faszinierend. Oder präziser: die langsameren Teile funktionierten noch besser, wenn sie häufiger von Highspeed umarmt wurden. So ist „Urd“ ein Album, welches unglaublich gut durchdacht ist, das großartige Melodien enthält, das eine nordische Stimmung trotz aller Progressivität entfacht, aber eben auch ein Album, welches in meinen Ohren etwas zu konsequent zu Werke geht. Die jugendliche Naivität, die sich in den Anfangstagen durch einen emotionalen Sturm und Drang auszeichnete, ist den Norwegern ein bisschen verloren gegangen, dennoch ist „Urd“ eine Platte, die man nicht nur einmal gehört haben sollte – schon alleine, weil dies für ein Urteil einfach unzureichend ist.

Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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