Review Borknagar – True North

Den Leadsänger einzubüßen, ist wohl für keine Band eine Lappalie – schon gar nicht, wenn es sich dabei um einen stimmlichen Alleskönner wie Andreas „Vintersorg“ Hedlund handelt. Wenn es aber eine Musikgruppe gibt, die den Verlust eines solchen Talents zu überstehen vermag, dann ist es BORKNAGAR. Mit ICS Vortex und Lars Nedland (Solefald) haben die Norweger auch nach dem Ausstieg ihres langjährigen Frontmanns zwei formidable Gesangskünstler in ihren Reihen. In musikalischer Hinsicht kann sich das Quintett zudem nach wie vor auf Gründer und Songwriter Øystein G. Brun verlassen. Wie um ihren ungebrochenen Willen, die Band am Laufen zu halten, zu bekräftigen, haben BORKNAGAR ihr erstes Album seit Vintersorgs Fortgang auf den stolzen Namen „True North“ getauft.

„True Norwegian Black Metal“ spielen BORKNAGAR freilich schon lange nicht mehr und sie tun es trotz des in diese Richtung deutenden Albumtitels auch auf „True North“ nicht. Dass die Band ihren progressiven und melodiösen Stil auf ihrer elften LP noch ein Stück weiter mäßigen würde, dürfte aber wohl selbst manchen Langzeitfan überrascht haben. Im Opener „Thunderous“ geben BORKNAGAR mit ihren griffigen Riffs und Double-Bass-Drums zwar noch ein ordentliches Tempo vor und auch das über neun Minuten lange „Tidal“ bäumt sich mehrmals mächtig auf. Abgesehen von ein paar Überbleibseln wie etwa ICS Vortex‘ giftigen Screams weist hier jedoch weniger denn je auf die schwarzmetallischen Wurzeln der Norweger hin.

Das zweitplatzierte „Up North“ präsentiert sich beispielsweise vielmehr als schmissige Prog-Nummer mit himmelhohen, ungeniert enthusiastischen Clean-Vocals und kauzigen Retro-Keyboards. „Wild Father‘s Heart“ und das abschließende „Voices“ lassen sich mit ihrem behutsamen Gesang, ihren zarten Clean-Gitarren und ihren kühlen Keyboards derweil sogar fast schon als Balladen einordnen. Gerade an diesen beiden Polen – den schwungvollen Metal-Tracks und den sanftmütigen, beinahe folkigen Stücken – bringen BORKNAGAR ihr stärkstes Material zustande, das sich auch vor dem grandiosen Vorgänger „Winter Thrice“ (2016) nicht verstecken muss.

Leider hat „True North“ aber auch seine Durchhänger: Manche der getragenen Songs wie etwa „Lights“ oder die Strophen von „The Fire That Burns“, die weder besonders energiegeladen noch emotional daherkommen, erscheinen neben den mitreißenderen Tracks recht halbgar. Dass BORKNAGAR sich hiermit nicht selbst übertroffen haben, liegt folglich keineswegs an dem verminderten Härtegrad und der gediegenen Produktion, sondern daran, dass nicht alle neuen Kompositionen dasselbe Maß an Kreativität aufweisen.

„True North“ hat durchaus das Problem, ein wenig zu zahm zu klingen. Entgegen naheliegender Vermutungen hat dies jedoch nichts damit zu tun, dass ICS Vortex seltener als Vintersorg Schreigesang einsetzt oder dass BORKNAGAR in manchen Songs vollkommen auf Metal-Stilmittel verzichten. Tatsächlich sitzen ein paar der Tracks schlichtweg zwischen den Stühlen, weshalb sie weder mit roher Wucht noch mit Sensibilität punkten können. Alles in allem haben BORKNAGAR ihren Besetzungswechsel offenbar nichtsdestotrotz gut verkraftet und ein überwiegend einfallsreiches Album kreiert, das viele schöne, denkwürdige Arrangements in sich birgt.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 7 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert