Review Corie Emm – Die Plattenbossin – Ist das Kunst oder kann das in die Charts?

Finya Staiger ist eine „Karrierefrau“. Auf Kosten von Familie und Freizeit hat sie zumindest eines erreicht: ihr Hobby – Musik – zum Beruf gemacht. Nun sitzt sie also gut betucht in der Chefetage eines der führenden Musiklabels des Landes und könnte zufrieden auf Berlin und ihr Leben blicken – wären da nicht ein unerträglicher Co-Chef, ein naives TikTok-Sternchen, dessen rätselhaft agierender Bandmanager und ein alles entscheidender Fernsehauftritt der Newcomerin, der durch eine dubiose Entführung in Gefahr gerät … bis Finyas Leben restlos im Chaos versinkt.

So in etwa lässt sich der Plot umreißen, den sich Corie Emm für ihren Debüt-Roman „Die Plattenbossin“ erdacht hat. Spannend daran ist weniger der immer bizarrere Züge annehmende Kriminalfall selbst, als vielmehr der Fakt, dass die Autorin selbst durchaus gewisse Parallelen zu ihrer Protagonistin aufweist: Emm arbeitete selbst für Labels wie Mute, Virgin Records, EMI und Universal Music, ehe sie sich nach zwei Jahrzehnten in der Branche aus ebendieser verabschiedete, ihr Hobby Musik gegen ihr Hobby Reisen eintauschte und seitdem in einem Camper-Van „überall in Europa“ lebt, wie es im Umschlagtext heißt.

Es darf davon ausgegangen werden, dass so manches Detail und manche Type in dem an skurrilen Szenen und Figuren wahrlich nicht armen Buch trotz des Disclaimers, alles sei fiktiv und frei erfunden und rein zufällig, eben doch ein Abbild der Realität ist. Dass Emm dabei im Dienste der Lebhaftigkeit ihrer Erzählung kräftig übertreibt, möchte man ihr (und allen im Musikbusiness) wünschen – und doch bietet „Die Plattenbossin“ zwischen den Zeilen durchaus glaubwürdige Einblicke in die mal schallplattengoldgelb, mal kotzgrün schillernde Welt der Musikbranche.

Sexismus und Frauenfeindlichkeit bringt Emm dabei ebenso in der Geschichte unter wie so manche Anekdote, die die Mechanismen und Strippenzieher der Branche demystifiziert. Dass sich in dem Roman etwa ausgerechnet ein (natürlich rein fiktiver) Showmaster Thorsten Herrwitz als Chauvi-Arsch entpuppt, ist fast ironisch: „Die Plattenbossin“ erschien im Oktober 2023, also einen Monat, bevor die letzte Folge „Wetten, dass…?“ über die Fernseher flimmerte, von der bekanntermaßen wenig mehr hängengeblieben ist als die Debatte um Thomas Gottschalks misogyne Kommentare.

Dass die Story mitunter absurde Wendungen nimmt und der Handlungsverlauf die Grenzen des Glaubhaften und Plausiblen gewaltig ausdehnt, soll im Genre Comedy-Crime nicht weiter stören – zumal die über 344 Seiten immer rasanter eskalierende Story gerade deswegen bis zum Ende hin unterhaltsam bleibt. Dass bei dieser jede Menge bewusstseinserweiternder oder eher -raubender Substanzen mitwirken, lässt von Zeit zu Zeit an die „Hangover“-Filme denken. Es gibt Schlimmeres – zum Beispiel die Protagonisten in „Die Plattenbossin“.

Anders als in den „Hangover“-Filmen ist hier nicht jeder irgendwie, sondern eigentlich keiner auch nur im Ansatz sympathisch. Selbst die Storyheldin ist am Ende nur von Karriereträumen, Geld (und ein paar letzten Idealen) getrieben, kann aber – durch die eine oder andere eingestandene Schwäche – zumindest noch gelegentlich punkten. Dahinter wird es schnell dunkel: Man will sich gar nicht vorstellen, dass „Die Plattenbossin“ am Ende vielleicht doch eine realitätsnahe Milieustudie ist. Doch wer auch nur ein paarmal „backstage“ unterwegs war, weiß: All diese Facetten schwer erträglicher Persönlichkeiten, von Würstchen bis Widerling, tummeln sich dort wirklich.

Die Plattenbossin – Ist das Kunst oder kann das in die Charts?“ ist in seiner Story so grell und grotesk wie das Cover. Kombiniert mit der Drastik, mit der Emm noch die erbärmlichsten Momente im Leben ihrer Protagonistin ausleuchtet, lässt das bei einem Roman über die Verkommenheit von Musik- und Medienwelt natürlich an John Niven („Kill Your Friends“, „Straight White Male“) oder Nick Hornby („High Fidelity“) denken. Ganz so roh, düster und explizit wie bei den britischen Bestseller-Autoren geht es in „Die Plattenbossin“ dann zwar doch nicht zu, und auch sprachlich ist „Die Plattenbossin“ noch nicht auf dem Level „Weltliteratur“ angekommen. Unterhaltsam ist Emms Debüt dennoch von Anfang bis Ende – und lässt obendrein tiefer blicken, als das so manchem (mit Absicht nicht gegendert) im Musikgeschäft recht sein dürfte.

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