Review Crippled Black Phoenix – Ellengæst

[Post-Rock / Progressive Rock / Post-Punk] Für manche Bands kommt es einem Todesurteil gleich, wenn der Frontmann beschließt, neue Wege zu gehen: Nach sechs Jahren verließ Sänger und Gitarrist Daniel Anghede 2019 die schwedisch-britische Formation CRIPPLED BLACK PHOENIX – was Bandleader und Multiinstrumentalist Justin Graves direkt dazu bewegte, eine neue Ära in der Geschichte der Band auszurufen. Mit lediglich vier Kernmitgliedern und auf der Suche nach einem neuen Sänger veröffentlicht die Truppe schließlich „Ellengæst“ – und versammelt auf dem Album allerlei Prominenz vor dem (Gast-)Mikrofon. Vermeintlicher Flickenteppich oder genau der richtige Schritt, noch dazu in diesen unwirklichen Zeiten ohne Auftrittsmöglichkeiten?

Die meisten Instrumente (Gitarre, Bass und Schlagzeug) auf „Ellengæst“ hat Graeves selbst eingespielt, unterstützt wurde er dabei von seiner besseren Hälfte Belinda Kordic (Gesang, Percussion), Helen Stanley (Keyboards, Synthesizer, Piano, Trompete und ebenfalls Gesang) und dem Gitarristen Andy Taylor. Kordic ist dabei gesanglich auf einem Großteil der Stücke vertreten und somit ein bisschen so etwas wie der rote Faden auf dem neuesten Output von CRIPPLED BLACK PHOENIX – nicht verkehrt in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Gastsänger.

So geben sich Anathemas Vincent Cavanagh, Gaahl von Gaahls Wyrd, die Sängerin Suzie Stapleton sowie die Gitarristen und Sänger Ryan Patterson und Jonathan Hulten das Mikro in die Hand und ergänzen das in sich ausgesprochen homogene Instrumentalgerüst stimmlich hervorragend. Es entsteht der zu Anfang ungewohnte Eindruck, „Ellengæst“ sei mehr so etwas wie eine sehr gelungene, in sich geschlossene Compilation und kein „richtiges“ Bandalbum. Ob dies gefällt, ist selbstverständlich Geschmackssache – aber das Konzept als solches funktioniert hier ziemlich gut.

Was sich auf „Great Escape“ abgezeichnet hat, setzt sich auf „Ellengæst“ fort: Neben Versatzstücken aus Post- und Progressive-Rock fällt auch der Post-Punk-Einschlag deutlicher aus als zuvor. Dass die eine oder andere Gitarre dabei auch folkige und Western-Assoziationen auslöst (und dabei überraschend „amerikanisch“ klingt) ergibt durchaus Sinn, bezeichnen CRIPPLED BLACK PHOENIX selbst doch selbst ihre Musik auch als „Stoner Prog“, „Freak Folk“ oder „Psych Doom“. Das alles kann man unterschreiben, trotzdem fällt es schwer, „Ellengæst“ in eine Schublade einzuordnen. Lyrisch geht die angefangene Reise ebenfalls kompromisslos weiter, gerade Kordic liegen globale Themen wie Natur- und Tierschutz oder auch der Klimawandel (sei es ökologisch oder politisch) am Herzen.

Und so hauen CRIPPLED BLACK PHOENIX dann auch noch nebenbei ein paar der coolsten Songs ihrer langjährigen Bandgeschichte raus, allen voran die Singleauskopplung „Lost“, sowie der Swans-lastige Opener „House Of Fools“ (beide mit Vincent Cavanagh). Aber auch „In The Night“ (mit Gaahl), „Cry Of Love“ (mit Ryan Patterson) und „The Invisible Past“ (mit Jonathan Hulten) bleiben mehr als nur ein bisschen im Ohr hängen. Mit „Everything I Say“ von Singer/Songwriter Vic Chesnutt und „She‘s In Parties“ von Bauhaus sind noch zwei Cover mit an Bord, die die stilistische Bandbreite der Band auf einer anderen Ebene großartig verdeutlichen.

Trotz aller Widrigkeiten haben CRIPPLED BLACK PHOENIX das Kunststück vollbracht, mit „Ellengæst“ ein herausragendes Album veröffentlicht zu haben, das zu den Höhepunkten in der Diskografie der Band gehört – und zusätzlich ein 1-A-Soundtrack für das ausklingende Scheißjahr 2020 ist. Beeindruckende Platte, die man so nicht erwartet hätte.

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Wertung: 10 / 10

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