Review Custard – A Realm Of Tales

Schneewitchen? Blaubart? Die kleine Meerjungfrau? Oder das Mädchen mit den Schwefelhölzern? Diese (und andere) populäre Märchen sind nicht gerade der Inbegriff des Metallischen, in ihren teils bieder-moralischen Subtexten und dem Übermaß an süßlichen Remakes, die seit Jahrzehnten die Wahrnehmungskanäle der Rezipienten fluten, muss man sich schon die Mühe machen, um an die teils harschen, in ihrer Brutalität willkürlich wirkenden Originale (so es diese überhaupt gibt) heranzukommen. Aber ein Power-Metal-Album, das sich ausschließlich um die Vertonung von Märchenstoffen bemüht? Kann das gut gehen? Oder ist das eines jener Unterfangen, das zwangsläufig im Genre-Kitsch ersaufen muss? Kurz und gut, die Antwort ist: Jein.

Mit „A Realm Of Tales“ versuchen sich die deutschen Power-Metaller von CUSTARD an genau diesem Projekt; insgesamt 12 Songs und Intros widmen sich den oben genannten und weiteren Märchen und spüren der metallischen Ader dieser Erzählungen nach.  CUSTARD sind bei weitem keine Unbekannten in der Szene mehr, sondern können auf eine Handvoll stilbewusster und teils absolut überdurchschnittlicher Alben verweisen, deren Klangspektrum zwischen Helloween, Judas Priest und Primal Fear angesiedelt ist. Klassische Kost, zumeist gepaart mit dem ebenfalls klassischen lyrischen Fantasy-Setting. Auf den ersten Blick sind CUSTARD also vielleicht nicht die schlechteste Band, um sich an das märchenhafte Unternehmen heranzuwagen. Und musikalisch macht das Quintett auch einfach alles richtig – schon der Opener „Queen Of Snow“ mit seinem geradezu thrashigen Riffing baut ordentlich Druck auf und zeigt zudem, dass die Band ihr Gespür für eingängige Melodien und bombastische Refrains nicht verloren hat. Egal ob eher groovige Songs wie das die Geschichte um Scheherazade erzählende „Arabian Nights“ mit seinem Ohrwurm-Refrain oder klassische Up-Tempo-Kracher wie „Snow White“, musikalisch lässt die Band nichts anbrennen und demonstriert, dass sie die Klaviatur des Power Metals beherrscht. Und nachdem die Scheibe mit dem folklorisierenden Programm-Stück „Forged In Fantasy“ ausgeklungen ist, dürfte es eigentlich keinen Power-Metal-Fan geben, der sich nicht ausgiebig amüsiert hat. Tja – und die Märchen?

Die fallen entweder kaum ins Gewicht oder haben etwas leicht Peinliches an sich. Das liegt in erster Linie daran, dass CUSTARD die jeweiligen Märchen-Plots nicht wirklich lyrisch gestalten und ihnen somit ein eigenes Gepräge geben würden, sondern sie lediglich nacherzählen – teilweise wortwörtlich („Mirror, Mirror on the wall…“). Die sprachliche Simplizität, die dabei hin und wieder erreicht wird, ist mitunter schwer erträglich, so zum Beispiel wenn die bereits erwähnte Meerjungfrau mit „golden hair and naked breasts“ beschrieben wird und das gesprochene Intro zu „The Little Match Girl“ kann es in puncto süßlich-bitterer Emotionalisierung mit jeder Disney-Variante aufnehmen. Neben diesen etwas ärgerlichen Schnitzern bleibt aber die musikalische Leistung der Band absolut unberührt. Wer also auf sattes Power-Metal-Riffing und eingägige Refrains steht, der sollte „A Realm Of Tales“ definitiv eine Chance geben – und bei den Texten einfach nicht so genau hinhören …

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Manuel Förderer

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