Review Evereve – Seasons

Musikalische Eintagsfliegen sind üblicherweise ein Phänomen der chartsverliebten, unkritischen Gesellschaft der Postmoderne. In ausdifferenzierten Sparten wie etwa dem Metal kommt es doch eher selten vor, dass eine Band ein großartiges Album veröffentlicht und dann in der Versenkung der Austauschbarkeit versinkt. Ein Beispiel, auf das dieser Umstand zumindest fast zutrifft, ist die süddeutsche Truppe EVEREVE. Fast auch nur deshalb, da es sich streng genommen um ein Two-Hit-Wonder handelt: Neben dem hier vorliegenden Debüt “Seasons” war nämlich auch der Zweitwerk “Stormbirds” von großartiger Qualität. Danach verlor man sich unter Zuhilfenahme von langweiligen Elektrospielereien und dusseligen Pseudonymen in der Belanglosigkeit.

Glücklichweise hatte man vorher aber noch die angesprochenen zwei Hammeralben abgeliefert. Stilistisch einigermaßen ähnlich, zeigt das Debüt allerdings, dass das Songwriting in der Frühphase der Band noch etwas progressiver von Statten ging, schon “Stormbirds” zeigte bei dem einen oder anderen Song die Marschrichtung für die spätere versuchte Kommerzialisierung an. Wie dem auch sei, betrachten wir “Seasons” doch einfach mal nicht nur im Vergleich zu anderen Cds, sondern als das, was es ist, nämlich das hervorragende Debüt einer jungen deutschen Band (welches, nebenbei gesagt, den Weg zum damals noch fast in den Kinderschuhen steckende Label Nuclear Blast ebnete).

“Seasons” ist ein durch und durch melancholisches Werk geworden, sämtliche Instrumente haben die Moll-Tonart für sich abonniert und auch textlich geht es mehr als nur negativ zur Sache. Das führt soweit, dass selbst die Lyrics zu den allgemein als Positiv empfundenen Jahreszeiten Frühling und Sommer nur Trübsal verbreiten. Freudig kann ich als Rezensent dabei festhalten, dass die Band es scheinbar mühelos schafft, diese Emotionen auch noch 1 zu 1 rüberzubringen. Wie schon in der Review zu “Stormbirds” muss dabei Sänger Tom Sedotschenko ein gewaltiges Lob ausgesprochen werden, denn er hat nicht nur eine sehr wohlklingende, prägnante und trotzdem einzigartige Cleanstimme, auch die Growls kommen ihm großartig über die Lippen. Wirklich tragisch, dass er seinem Leben so früh ein Ende gesetzt hatte.

Besonders stark sind die Vocalleistungen in “Phoenix – Spring” und dem folgenden “The Dancer – Under A Summer Sky”. Einige Durchläufe braucht es schon, aber dann offenbaren sich dem fleißigen Hörer wunderbare Ohrwürmer, die sich gar nicht wieder so leicht vertreiben lassen. Kaum vorstellbar bei Songs, die teilweise über neun Minuten lang, aber niemals langweilig sind. Die Entdeckungstour geht vielmehr auch nach Jahren immer noch weiter, ein Qualitätsmerkmal, welches Bands nur selten erreichen.

Erstaunlich, dass dies EVEREVE gleich bei ihrem Debüt gelungen ist. Starke Gesangsleistungen mit einem guten Gefühl für spannende, eingängige Melodien vor allem von Keyboarder Michael Zeissl, gepaart mit einer traurigen, aber nicht hoffnungslosen Grundstimmung und dem Augenmaß für das Spannungsfeld zwischen Eingängigkeit und Progressivität ergeben auch nach fast 15 Jahren immer noch eine der besten deutschen Gothic-Platten. Auch wenn sich EVEREVE durch die angesprochenen Umstrukturierungen etwas ins metallische Abseits manövriert haben, die ersten beiden Scheiben sprechen für sich und sollten in keiner Sammlung düstermetallischer Tonkunst fehlen. Einziger Wermutstropfen ist hier der etwas dünne Sound, vor allem die Gitarren können sich nicht wirklich gut durchsetzen bzw. klingen nicht sägend genug, sondern zu glattgebügelt, aber bei dem Songmaterial lässt sich das ohne weiteres verschmerzen. Wer die Gelegenheit hat und “Seasons” auf einem Wühltisch, einer Metal-Messe, einem Festival oder Mailorder noch einmal ausfindig zu machen, sollte dringend zuschlagen, wer weiß, wann sich die Chance wieder bietet.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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