Review La Dispute – Wildlife

Was musikalisch im Nachhinein von 2011 bleiben wird, ist wohl unter anderem der Siegeszug modernen emotionalen Hardcores, vor allem aus Amerika. Von vielen bereits unter dem Namen „The Wave“ klassifiziert, haben sich Bands wie Touché Amoré, Pianos Become The Teeth, Make Do And Mend, Defeater und eben auch LA DISPUTE nachhaltig ins Gespräch gebracht, was sich nicht zuletzt an ausverkauften Shows und riesigen Presseecho zeigt. Letztere haben bereits mit ihrem ersten Album „Somewhere At The Bottom Of The River Between Vega And Altair“, welches in Deutschland immer noch seiner Veröffentlichung harrt, durchaus für Aufsehen gesorgt, sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht: Den einen ist Jordan Dreyers Stimme zu weinerlich und seine Songtexte zu sehr auf Beziehungs- und Liebesprobleme zentriert ohne sich um andere Themen zu scheren, die anderen lieben LA DISPUTE eben gerade wegen ihrer Texte und dem verzweifelten Geheule welches ihr Frontmann über den instrumentalen Teil der Band legt.
Egal welche Seite man hier nun einnehmen will, eines steht fest: Jordan Dreyer schreibt nicht einfach simple Songtexte. Er schreibt Geschichten, die er über die drängende Musik spricht, schreit, flüstert, mal schnell, mal langsam, mal leise, mal laut. Atemlos. Den Kritikern, welche LA DISPUTE bisher nur auf ihre emotionale Seite reduziert haben setzt „Wildlife“ ein komplexes Konzept vor, ohne dabei Konzeptalbum zu sein: Neben der nach wie vor vorhanden persönlichen Ebene gibt es eine zweite Schicht, welche, eben dem Titel folgend, auch andere persönliche Tragödien, und eben nicht nur zwischenmenschliche, in den Fokus rügt.

Wie ein roter Faden ziehen sich „A Departure“, „A Letter“, „A Poem“ und „A Broken Jar“ durch das Album: Diese Songs präsentieren die verzweifelte und verlorene Existenz eines Erzählers, der eine andere Person zu erreichen versucht und dabei sowohl an sich selbst als auch an den Umständen scheitert und zerbricht. Die Wortlosigkeit und die beredte Sprachkrise hinsichtlich des Verlusts der eigenen Identität und des verzweifelten Versuchs ein geliebtes Gegenüber zu erreichen wurde wohl selten derartig emotional und herzzereißend formuliert und vorgetragen. Songs wie das herausragende „The Most Beautiful Bitter Fruit“ sind ebenso persönliche Geschichten und loten dieses Feld in einem breiteren Kontext weiter aus.
Auf der anderen Seite, inhaltlich aber eng verbunden mit der persönlichen Storyline, stehen die Beobachtungen fremder Leben, welche durch Schicksalsschläge und Tragödien heimgesucht wurde, und sich thematisch ebenso um das Thema der Identitätsfindung drehen: Gedanken über ein verfallenes Kirchengebäude, das alleinige Zurückbleiben in der alten Heimatstadt und den Verlust der alten Freunde, eine Geschichte um einen tragischen Krebstod eines Kindes, ein Vater, der von seinem schizophrenen Sohn mit einem Messer angegriffen wird… LA DISPUTE greifen hier tief in die Kiste menschlicher Tragödien. Dabei übertreiben sie nie, sondern wissen die Songs mit einer umwerfenden Dynamik und Leidenschaft umzusetzen.

War es auf dem bereits hervorragenden Vorgänger noch hauptsächlich Jordan Dreyers Stimme und dessen Texte, welche die Songs nach vorne getragen haben, und die Musik lediglich als ein packendes Beiwerk stehen fungierte, stehen hier nun beide Ebenen auf einer Ebene. Das Zusammenspiel zwischen Gesang und Musik ist perfekt getimed, die Dynamiken umwerfend. Das Tempo der Song ist in den seltensten Fällen wirklich hoch, verzerrte Gitarren spielen zwar eine große Rolle, sehr häufig aber bleibt es musikalisch ruhiger, um die verzweifelten Schreie Jordan Dreyers noch besser zu betonen. LA DISPUTE deswegen als Screamo Band zu bezeichnen ginge wohl zu weit, Anleihen aus dieser Musikrichtung sind allerdings durchaus gegeben.

Diese perfekte Symbiose all dieser Aspekte wird im absoluten Übersong der Platte, „King Park“ deutlich. Inhaltlich wird hier die Geschichte eines missglückten Raubüberfalls erzählt, in welchem der Täter ungeplant einen kleinen Jungen erschießt, flieht und schließlich, von der Polizei in die Ecke gedrängt, hinter der verschlossenen Tür nicht mehr mit seiner Tat leben kann und sich erschießt. Die Art und Weise, wie hier mit Dynamiken gespielt wird, wie jeder Moment der Geschichte vor dem Auge abläuft, wie die Musik alles perfekt unterstreicht, die Musik zum dramatischen Finale immer mehr anschwillt und schließlich ein verzweifeltes „Can I still get into heaven if I kill myself?“ wieder und wieder gebrüllt wird ist schlichtweg atemberaubend – hier schließlich dreht der Erzähler ab „I left the hotel behind, don’t want to know how it ends.“

LA DISPUTE gehen mit ihrem Zweitling einen riesigen Schritt nach vorne und lassen die Hoffnung wachsen, das aus dieser Musikrichtung auch in Zukunft noch große Taten zu erwarten sind – denn wer derart innovativ und leidenschaftlich ans Werk geht wird auch bald Anhänger finden, die es ihren Idolen gleich tun wollen.

Wertung: 9 / 10

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