Review Leech – The Stolen View

Ein schlechter Witz zum Anfang: Nein, allen Vermutungen zum Trotz hat Urs Meier nicht vor 10 Jahren unerkannt eine instrumentale Post-Rock-Band gegründet und seinen Posten als Schiedsrichter-Experte beim ZDF jetzt nur niedergelegt, um ein neues Album mit dieser Band einzuspielen – Davon trennt ihn ein kleiner aber feiner orthograpischer Unterschied zum Gitarristen und Pianisten seiner Landsmänner LEECH.
Womit wir auch wieder beim Thema sind: „The Stolen View“. Wie schon gesagt, wird gesangsfreier Post-Rock geboten. Wie Post-Rock im wesentlichen klingt, wissen wir ja alle, und hier heben sich auch LEECH nicht wirklich ab – schwelgende, angezerrte Gitarrenmelodien, die sich im Duett mit Synthesizern träumerisch über einer wohltönenden aber zumeist unscheinbaren Basis aus Schlagzeug und Bass bewegen. Folglich ist es gerade in diesem Sektor natürlich eine Frage des „wie“, ob das Album funktioniert, genauer gesagt „wie detailverliebt“. Musiktheoretisch hat es jede Band dieses Sektors drauf, über diese Schiene kann man also nicht punkten.
Genau darauf pocht „The Stolen View“ aber glücklicherweise auch nicht. Vielmehr hält man es ähnlich wie etwa die Genre-Kollegen von Explosions in the Sky und konzentriert sich auf einen Spannungsbogen, der sowohl über einzelne Songs als auch und vor allem über die ganze Scheibe aufgebaut wird, wobei man vielleicht noch etwas straighter zu Werke geht als die Texaner. Dies tritt vor allem in „The Man with the Hammer“ hervor, wo plötzlich ein direktes, im Kontext regelrecht plättendes Riff eingesetzt wird. Solche Dinge sind es auch, die LEECH extrem sympathisch machen, man hat das Gefühl, es passiert etwas in der Musik. Während andere Bands dieser Richtung meiner Meinung nach oft daran leiden, ihre eigenen Melodien zu schön zu finden, schaffen es die Schweizer problemlos, den Zuhörer über die vollen 53 Minuten in ihrem Klangkosmos gefangen zu halten.
Wie man das Album nun hört, ob mit Kopfhörer oder mal so nebenbei, ist primär egal, funktionieren tut es so oder so, allerdings muss natürlich klar sein, dass die Schönheit der Klangwelt, die LEECH erzeugen, nur bei echter Aufmerksamkeit an den Tag tritt.

Dementsprechend auch: Musik ist zum Hören und nicht zum Lesen da, und man merkt beim Antesten sehr schnell, worum es bei LEECH tatsächlich geht. Ob „The Stolen View“ nun ein wirklich hervorstechendes Album ist, kann ich nicht beurteilen, mir gefällts aufgrund seines Detailreichtums und der großen musikalischen Vielfalt aber außerordentlich gut und ich würde im speziellen auch dem diesem Sektor sonst eher abgeneigten Hörer empfehlen, mit dieser Scheibe mal einen ersten Schritt zu wagen. Es lohnt sich.

Hättet ihr gedacht, dass Leech Blutegel heißt?

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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