Im Musik-Mainstream gilt klassische Musik als schön, geistreich und mitunter vielleicht etwas snobistisch. Man denkt mit Bewunderung, oft aber mit einer gewissen Distanziertheit an Beethovens „Mondscheinsonate“ oder Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. Dass klassische Musik aber auch hässlich und auf schonungslos brutale Weise lebensnah sein kann, demonstrieren insbesondere moderne und weniger bekannte Künstler*innen wie Kristin Hayter alias Lingua Ignota. Mit deren Durchbruchsalbum „Caligula“ (2019) teilt „Mausoleum“, das Debüt des lettischen Neoklassik-Trios PAMIRT, nicht nur eine so opulente wie bedrohliche, visuelle Ästhetik, sondern auch allerlei klangliche Charakteristika.
Wie in Hayters schockierenden, sexuelle Gewalt thematisierenden Liedern stehen auch bei PAMIRT schmerzerfüllter Gesang und elegantes, wenngleich oft recht minimalistisches Klavierspiel im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens. Mit nur wenigen Noten beschwört die Band etwa im Titeltrack eine zutiefst beunruhigende Atmosphäre herauf, die selbst in den helleren Momenten der Platte wie dem sphärischen Keyboard-Interlude „Early March“ bestenfalls in eine betäubende Traurigkeit umschlägt.
Die harschen Noise-Exzesse, die Lingua Ignotas Werke so eindringlich machen, findet man auf „Mausoleum“ nur selten („Danube“). Hingegen lassen PAMIRT immer wieder durchscheinen, dass die drei beteiligten Musiker*innen einen gemeinsamen Hintergrund in einer Black-Metal-Band namens Eschatos haben. Blast-Beats und typischen Schreigesang bekommt man im Zuge der mit 30 Minuten recht knapp bemessenen Laufzeit zwar nicht zu hören, wohl aber wuchtig dröhnende Distortion-Gitarren und schleppende Drums, die den Songs mehr Gewicht verleihen.
In instrumentaler Hinsicht wissen PAMIRT die von zum Scheitern verurteilter Liebe, missbrauchtem Vertrauen und Tod handelnden Texte erschütternd nachfühlbar zu vertonen. Kristiāna Kārkliņas Gesang kann diesbezüglich leider nicht mithalten. Zwar scheut die Frontfrau sich nicht davor, ihre Stimme grässlich zu verdrehen und der finsteren Natur ihrer Texte zum Beispiel mit irre stotterndem, an Anna von Hausswolff erinnerndem Gekicher Rechnung zu tragen („This Dinner“). Packende, ausdrucksstarke Melodien bleibt sie in ihrer oft ziellos wirkenden Performance jedoch schuldig.
Wie eindringlich „Mausoleum“ mit fokussierteren Vocal-Arrangements sein könnte, lässt sich immer wieder in kurzen Momenten und insbesondere im Cover von Willie Nelsons Country-Ballade „Crazy“ erahnen. Mit Patsy Clines schwärmerischer Version als Vorlage, die PAMIRT mit schiefen Clean-Gitarren und schleppenden Drums in einen wahren Albtraum verwandelt haben, bringt Kārkliņa ihre Gesangskünste hier zumindest halbwegs auf Schiene. Da „Mausoleum“ über weite Strecken recht unbeholfen von ihrem zerstreut wirkenden Gesang („Danube“) getragen wird, verschenken PAMIRT darauf jedoch viel Potential. Einen Meilenstein wie „Caligula“ oder Anna von Hausswolffs „Dead Magic“ (2018) hat die Band folglich leider noch nicht geschaffen.
Wertung: 7 / 10