Review Anna von Hausswolff – Dead Magic

Und plötzlich ist da nichts mehr. Leerer Kopf, leeres Herz, keine Fantasie. Es muss ein dunkler Ort gewesen sein, an dem das vierte Album der Schwedin ANNA VON HAUSSWOLFF entstand. Sie habe nichts mehr fühlen können, auch nicht die Magie ihrer eigenen Kunst, habe das Vertrauen in ihre Kreativität verloren, erzählt die Musikerin in Interviews. Ihre Lebensgeister hat sie mittlerweile wiedergefunden. Was bleibt, ist das Zeugnis einer beschwerlichen Suche: „Dead Magic“

VON HAUSSWOLFFs Klanggebilde zittern, flirren und beben. Die neuen Stücke bieten von vielem mehr: Sie sind im Durchschnitt länger, in der Klangfarbe dunkler, in der Stimmung noch elegischer. Und doch wirkt „Dead Magic“ besonders im Vergleich zum pompösen Vorgängeralbum „The Miraculous“ reduziert. Die 31-jährige Ausnahmekünstlerin konzentriert sich ganz auf ihre Alleinstellungsmerkmale: bluttriefende Totenorgel, drückende Drones, sirenenhafter Gesang. Ein Ansatz, den Produzent Randall Dunn unterstützt haben dürfte, der für seine Arbeit mit Minimalismus-Ikonen wie Sunn O))) oder Earth bekannt ist.

Mit „The Truth, The Glow, The Fall“ öffnet gleich ein Zwölfminüter das Tor zu den Klangkathedralen der ehemaligen Architektur-Studentin. Mit spärlichen Orgeltönen und Streicher-Tupfern gewährt VON HAUSSWOLFF ihren Zuhörern zunächst nur ein vorsichtiges Hineinspitzen in die Räume, die sich auf „Dead Magic“ noch auftun werden. „After the fall/ After the fall / After the fall / I’ll find you.“ Die Musikerin beschwört einen geheimnisvollen Liebhaber in süßer Todessehnsucht und spielt in den Lyrics mit volksliedhaften Strukturen: „My sweet John / My dear John / Oh my love“. Die Musik driftet derweil, sanft geführt von minimalistisch-repetitiven Drums, in beinahe krautrockige Gefilde ab.

Und so ist man als Hörer dem unheilvollen Bann der blondschöpfigen Nordhexe bereits verfallen, wenn mit dem vorab als Musikvideo veröffentlichten „The Mysterious Vanishing Of Electra“ der Albumhöhepunkt aus den Boxen dringt. Die stoischen Akustikgitarren und monotonen Trommeln verleihen der Nummer eine ritualistische Atmosphäre, die ANNA VON HAUSSWOLFF in die Nähe der großen Swans rückt, die sie selbst bereits auf Tour supportete. Dazu hat die Musikerin die bisher emotionalste Gesangsperformance ihrer Karriere auf Tonträger gebannt. Ihre Stimme neckt und bezirzt, kreischt und faucht. „My love is not enough/To save me.“ Wenn das Stück schließlich in einer überwältigenden Klimax kulminiert, scheint sich eine manisch-depressive Kate Bush des Mikros bemächtigt zu haben. Geplättet bleibt der Hörer zurück und kann das folgende Instrumentalstück „The Marble Eye“ als Verschnaufpause gut gebrauchen.

Die zweite Albumhälfte dominiert der Sechzehnminüter „Ugly And Vengeful“, der sich darauf versteht, heftigere Funeral-Doom-Vibes zu verbreiten als manche Genre-Band. Und das ganz ohne verzerrte E-Gitarren, dafür aber mit Gesangslinien, die so auch von Lisa Gerrard (Dead Can Dance) stammen könnten. Im imposanten Finale des Tracks demonstriert „Dead Magic“ noch ein letztes Mal seine drückende Schwere, bäumt sich auf, bevor in „Källans återuppståndelse“ nur noch karge, ambient-artige Orgelflächen zurückbleiben und die Stimme der Schwedin ätherisch sanft ins Endgültige entschwebt.

Auf „Dead Magic“ kommt ANNA VON HAUSSWOLFF der Perfektion ihres Schaffens so nahe wie niemals zuvor. Wirkten die Vorgängerplatten abseits der großen Standout-Tracks oft noch zerfahren, sitzt hier alles am richtigen Fleck und bildet zusammen ein dunkles, homogenes Ganzes, dem sich Freunde abgründiger Tonkunst kaum entziehen können dürften – sofern die Bereitschaft gegeben ist, langsame Songaufbauten, die ihre Wirkung erst nach und nach entfalten, auf sich wirken zu lassen. Mit ihrer vertonten Depressionsbewältigung bildet die Schwedin spätestens jetzt – zusammen mit Chelsea Wolfe, Myrkur und Zola Jesus – die Speerspitze einer losen Bewegung starker Frauen, die die dunkel-alternative Musikwelt um neue Impulse bereichern: Weil sie sich weit abseits bewegen von metaltypischer Kraftmeierei einerseits und gotischem Kitsch andererseits.

Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Nico Schwappacher

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