Review Saviour Machine – Legend I

Die Mühlen Gottes mahlen bekanntlich sehr fein. Da trifft es sich ganz gut, dass SAVIOUR MACHINE eine christliche Band ist, denn hier kann das Gleiche gelten: kurz vor der Jahrtausendwende setzte man sich das ehrgeizige Ziel, die Offenbarung des Johannes in seiner Gesamtheit bis zum Millenium zu vertonen. Heute weiß man längst, dass daraus aus den unterschiedlichsten Gründen nichts geworden ist. Ein sehr gewichtiger dieser Gründe ist die Komplexität, die die Band 1. so einzigartig, 2. so interessant und 3. so schwer zu erfassen macht. Geboten wird zu keiner Sekunde (Metal-) Musik der herkömmlichen Art, teilweise wähnt man sich in einer Oper, dann wird wieder mit eindringlichen Klangcollagen gearbeitet, Einflüsse aus Klassik, orientalischer Musik und ähnlichem werden mit einander kombiniert, die Booklets sind mit hochinteressanten Werken der alten Meister wie den Cranach-Brüdern oder Hieronimus Bosch gestaltet, die Texte sind hochwissenschaftlich fundierte Ausarbeitungen anhand der 2000 Jahre alten Worte des Johannes und, und, und.

All dies führt zu einem Schluss: wer SAVIOUR MACHINE erleben will, braucht Zeit und Konzentration. Daher auch diese einleitenden Worte: sie mögen den interessierten Leser neugierig machen, ihn aber vielleicht auch waren, SAVIOUR MACHINE ist absolut innovativ, nicht alltäglich und daher auch schwer zu greifen. Dies sollte man beim Lesen der Reviews jederzeit im Hinterkopf haben, dann gelingt es auch, die Tiefe, die Kunst, das Wesen der Musik auf dem ihr angemessenen Niveau zu ergründen.

SAVIOUR MACHINE, eine nicht ganz alltägliche Band aus Kalifornien in den USA, können mittlerweile auf eine fast 20-jährige Geschichte zurückblicken, doch richtig bekannt wurden sie erst mit dem ersten Teil des “Legend”-Zyklus, welcher im Jahr 1997 das Licht der Welt erblickte. Nur wenige ahnten wohl damals, welche Ausmaße das Gesamtwerk einmal einnehmen würde und vor allem, welche Bedeutung für eine Szene ihm zugebilligt werden würde. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass SAVIOUR MACHINEs „Legend“ alles bisher da gewesene in den Schatten stellt. Sicher trägt zu einem großen Teil die ungewöhnliche Ausrichtung und das theatralische Auftreten vor allem von Frontmann Eric Clayton dazu bei. SAVIOUR MACHINE ist eine Band, die polarisiert, vor allem in der Metalszene, denn eine christlich ausgelegte Band ist in einer Szene, die sich als Auflehnung gegen konservative Strukturen der Gesellschaft versteht, sicher nicht eben die Regel. Wie ist es jedoch zu erklären, dass SAVIOUR MACHINE als eine von ganz wenigen christlichen Bands in fast allen Teilen der Szene vollauf akzeptiert wird?

Die Frage scheint recht einfach zu beantworten zu sein: Qualität in Verbindung mit Innovation. Die Band ist einfach anders, sie beschreitet mutig neue Wege, sie scheut sich nicht, sich von den Fesseln der stillen Regeln, die beinahe jede Szene bestimmen und häufig lahm legen, zu lösen. Qualität setzt sich meistens durch und diese ist bei SAVIOUR MACHINE an allen Fronten erkennbar: beginnend mit einem exzellenten Songwriting, über die geniale Stimme von Eric Clayton (klassisch ausgebildeter Tenor) bis zu einem Konzept, welches sicher seinesgleichen sucht und es wohl nicht finden wird. Für eine Review ist es vielleicht etwas ungewöhnlich, aber gerade wegen dem besonderen Konzept, welches sich logischerweise durch alle „Legend“-Teile zieht, möchte ich mit einigen Worten dazu beginnen. „The Unofficial Soundtrack For The End Of The World“ lautet konsequenterweise ein bekanntes T-Shirt-Motiv, denn sämtliche Texte behandeln Themen der Johannes-Offenbarung, obwohl einzelne Textpassagen auch anderen Bibelstellen entnommen worden sind. Für den interessierten Hörer sind die wichtigsten Stellen in jedem Booklet aufgeführt, so dass man die nicht immer leichten Texte durch das Studium der Originalstellen etwas leichter nachvollziehen kann. Aufgrund der Wichtigkeit des Konzeptes für das Verständnis des gesamten Zyklus erfolgt an dieser eine kurze Inhaltsangabe:

Die „Offenbarung des Johannes“ ist das letzte und einzig durchgehend prophetische Buch des neuen Testaments. Der Name ist aus heutiger Sicht etwas irreführend, da es nicht mal als gesichert gilt, dass der Verfasser wirklich Johannes gewesen ist. Inhaltlich geht es darum, was einmal aus der Erde werden wird. In vielerlei Metaphern ist von einem Drachen, einem Tier, einer Frau und anderen Figuren die Rede, die alle Menschen, Städte, Länder und ähnliches symbolisieren, die in der Zukunft noch eine wichtige Bedeutung haben werden. So ist mit der großen Hure (Babylon) etwa die Stadt Rom gemeint, das Meer ist ein Bild für die Gesamtheit der Nationen, das neue Jerusalem beschreibt die neue Welt Gottes ohne Krankheit, Tod und Leid. Bis es soweit ist, steht der Menschheit jedoch noch eine schwere Zeit bevor (u.a. das Auftreten der vier apokalyptischen Reiter, das Auftreten des Antichristen und die kurze Herrschaft des Satan), daher sind die meisten Texte SAVIOUR MACHINEs trotz des positiven Endes der Offenbarung sehr düster gehalten.

Dies gilt mit wenigen Einschränkungen auch für die Musik, Spaß und Freude sucht man vergebens, eher schon hoffnungsvoll stimmende Melodien, größtenteils sind die erschaffenen Klangwelten – als solche muss man die Lieder bezeichnen, da geregelte Songstrukturen nur sehr selten vorkommen, einen durchgehenden Schlagzeugrhythmus oder regelmäßig wiederkehrende Gitarrenarrangements sucht man ebenso vergebens – jedoch von einer wahrhaft apokalyptischen Atmosphäre. Die einleitende „Overture“ ist hierfür schon fast das beste Beispiel, düstere Trommeln führen in einen orchestralen Part ein, in den dämonischen (selten passte ein Ausdruck besser) Glocken einbrechen. Dennoch schleicht sich ein episches Gefühl ein, hier wird hohe Kunst zelebriert, wie sie eigentlich nur die alten Meister beherrschten. Das folgende „A Prophecy“ ist weniger ein Lied, sondern „nur“ ein mit Grabesstimme gesprochener Text auf einem Hintergrund aus Streichinstrumenten, das erste „richtige“ Lied ist der Doppelsong Legend I:I/The Lamb, welcher damals auf diversen Samplern vertreten war. Textlich wird die Beauftragung des Johannes zur Niederschrift seiner Visionen dargelegt, im Gegensatz zu vielen anderen Liedern ist die Botschaft hier jedoch tröstend („I Am With You, I Am Coming Soon“), ein mächtiger Hintergrundchor „singt“ hier zum ersten mal eines der musikalischen Leitmotive, welches auf den weiteren Veröffentlichungen noch viele Male auftreten sollte.

„The Eyes Of The Storm“ und vor allem „The Birth Pangs“ sind da schon deutlich härter und mit orientalisch-klingenden Gitarrenriffs durchsetzt, ständige Schlagzeugbreaks hinterlassen einen verstörenden Eindruck, immer wieder ist vom Untergang die Rede, die ohnehin schon aufgeheizte Atmosphäre wird durch einen gegen Ende einsetzenden Chor noch verstärkt. Etwas überraschend, dass nach den beiden Liedern zwei wunderbare Balladen folgen, aber wie schon mehrfach angedeutet, scheren SAVIOUR MACHINE sind nicht im geringsten um Konventionen, sondern verfolgen strikt ihren eigenen Weg. „The Woman“, „The Night“ und auch das anschließende, wieder deutlich härtere „The Sword Of Islam“ scheinen lyrisch noch einmal ein kleines Unterkapitel darzustellen, in dem es um den Staat Israel und die Gefahr, in der er schwebt, geht. Dies setzt sich zwar im weiteren Verlauf („The Invasion Of Israel“) fort, doch diese drei Lieder passen scheinbar im Besonderen zusammen. Vor allem „The Night“ ist wunderschön gelungen, auf einmal wird man sanft aus all der das Album beherrschenden Verzweifelung hinausgeführt und bekommt ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Freilich wird diese spätestens beim sehr apokalyptischen „Gog: Kings Of The North“ komplett zerbrochen, aber geschuldet dem lyrischen Konzept ist dies natürlich auch nicht anders möglich.

Zwei Lieder sollen jetzt noch eine besondere Erwähnung erfahren. Zum einen ist dies „Ten – The Empire“, der vielleicht epischste Track auf „Legend I“, behandelt die Thematik der zehn ungekrönten Könige, von denen ein König das verbleibende Rech regieren wird. Zum Ende des Liedes findet sich ein erster ganz deutlicher Hinweis auf die temporäre Machtübernahme des Teufels („Thy Kingdom Will Come, Thy Will Be Done, On Earth At It Is In Hell“). Das große Finale der CD stellt freilich „Antichrist I“ dar, der Song steigert sich von einem ohnehin intensiven Anfang immer weiter, bis am Ende alle Kraft, die sich aufgestaut und gebündelt hat, voll herausbricht. Textlich ist „Antichrist I“ sicher am schwierigsten zu verstehen, fast den gesamten Song werden nur einzelnen Substantive besungen („My Name – My Face – My Eyes – My Rage…“), musikalisch geht es meiner bescheidenen Meinung aber kaum besser (das es dann doch noch ging, bewiesen SAVIOUR MACHINE zumindest mit dem zweiten Teil, „Antichrist II – The Balance Of Power“ auf „Legend II“).

Abschließend noch einige Worte zu Artwork und Produktion. Ein alles umfassendes Werk wie dieses kommt natürlich nicht ohne eine vernünftige Gestaltung aus. Die CD-Hülle ist noch in schlichtem Schwarz gehalten, in roten Lettern prangt dort „Legend – Part I“, in silbernen der Bandname. Das Booklet ist mit hebräischen Zeichen verziert, welche den historisch-biblischen Hintergrund unterstreichen. Wirklich genial sind aber die kleinen Bilder alter Künstler (in diesem Fall Hieronymus Bosch, Luca Signorelli und Gemälde aus der Werkstatt Lucas Cranach), die verschiedene Visionen der Offenbarung zeigen und somit das Gesamtwerk gebührend abrunden. Dies tut auch die Produktion. Hierzu ein Zitat eines eher diametral ausgerichteten Musikers, Ihsahn von EMPEROR sagte einmal: „Es ist nicht das Schwierige, seine Instrumente gut zu beherrschen, das gelingt durch regelmäßiges Üben. Das Schwierige ist, die gesamten Details in der Produktion auch hörbar zu machen.“ Man kann sich leicht vorstellen, dass dies gerade im Fall von SAVIOUR MACHINE ein wirklich problematische Angelegenheit gewesen ist, wenn man die diversen Instrumente, Chöre und Stimmen bedenkt. Doch auch hier wurde ganze Arbeit geleistet, es macht sich scheinbar bezahlt, dass zumindest Mastermind Eric Clayton scheinbar überall gewesen ist (so führte er die Aufnahmen der Chöre in der Würzburger St. Stephans-Kirche durch, war bei den Aufnahmen im Studio permanent zugegen und übernahm mit Brian Kehew auch noch den Mix der Albums). Die gute Freundschaft zu Matthias und Rainer Mittelstädt, die als ausführende Produzenten genannt werden, sorgt im übrigen dafür, dass SAVIOUR MACHINE für ihre Verhältnisse häufig nach Deutschland kommen.

Da der „Legend“-Zyklus drei weitere CDs, wie „Part I“ samt und sonders mit annähernd 80 Minuten bestens gefüllt, gibt es an dieser Stelle nur ein vorläufiges und dem Werk der Künstler sicher unangemessenes Fazit. Nur soviel: bereits hier stimmt im Prinzip alles, aber es gilt zu bedenken, dass SAVIOUR MACHINE alles sind, nur nicht gewöhnlich. Daher ist die Punktevergabe mit Vorsicht zu genießen, denn auf eine derartig polarisierende Musik muss man sich einlassen (können), sicher ist es nicht jedermanns Sache. Aus subjektiver Sichtweise gibt es für mich aber nur eine einzige Punktzahl, die diesem bahnbrechenden Projekt gerecht wird.

Wertung: 10 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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