Review Saviour Machine – Legend II

Ihr Vorhaben, den Legend-Zyklus bis zur Jahrtausendwende abzuschließen, schienen SAVIOUR MACHINE mit dem Zweitwerk „Legend Pt. II“ im Jahr 1998 noch einhalten zu können. Nur ein Jahr nach dem ambitionierten „Legend Pt. I“ konnten sich die Fans bereits wieder über eine mit fast 80 Minuten üppigst gefüllte CD freuen – so war sogar für „New World Order“ kein Platz mehr, so dass der Song auf „nur“ als Single erscheinen konnte. Einleitend sei versichert, dass dieser zweite Teil Part I in rein gar nichts nachsteht. Man geht erneut sehr originell mit dem Feeling für das gewisse bisschen Etwas zur Sache.

Nachdem in der Review zu „Legend Pt I“ vor allem der lyrische Hintergrund etwas genauer beleuchtet wurde, möchte ich diesmal ein paar Worte zu den Gemälden von Signorelli, Bosch und Cranach verlieren, die jede Seite des erneut anspruchsvoll gestalteten Booklets zieren. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Bilder verstörend auf der einen, hintergründig und metaphorisch auf der anderen Seite. So gesehen passen sie sich bestens den nicht immer leicht zu verstehenden Texten der zu Grunde liegenden Johannes-Offenbarung an. Allen Künstlern ist gemeinsam, dass sie zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert lebten und malten, die Voraussetzungen waren allein aufgrund der verschiedenen Wirkungsorte jedoch ganz andere. So stammt Luca Signorelli, wie es der Name vermuten lässt, aus Italien und malte dort unter anderem ein Fresko in der Sixtinischen Kapelle, die hier vorliegenden Bilder entstammen jedoch aus dem Dom von Orvieto, in dem er Szenen des jüngsten Gerichts so eindrucksvoll malte, dass sich selbst der viel bekanntere Michelangelo inspirieren ließ. Stilistisch völlig anders arbeitete Hieronymus Bosch, ein niederländsicher Maler, der zwar wesentlich bunter, aber auch noch tiefgründiger und geheimnisvoller zu Werke ging. Einen Anhaltspunkt hierfür liefert das Video zu Metallicas „Until It Sleeps“, die dort vorkommenden Figuren scheinen geradewegs aus den Bildern von Bosch zu stammen. Dem Betrachter begegnen allerlei Fabelwesen, Dämonen und Symbole, welche bis heute zum größten Teil unentschlüsselt sind. Der dritte Künstler im Bunde ist eigentlich gar keiner – zumindest nicht ein einzelner, denn die Bilder stammen aus der „Werkstatt Cranach“, und wurden daher nicht nur von Lucas Cranach dem Älteren, sondern weiteren Malern der Familie erstellt. Diese Bilder zeigen weniger verschlüsselte Szenen, so ist auf einem Gemälde die Erlösung der Märtyrer vor dem himmlischen Altar zu sehen.

Alles in allem ergeben die Bilder eine wunderbare Symbiose mit der wiederum durchweg apokalyptischen Musik. Erneut ist es gleich das eröffnende Lied – „The Covenant“ – welches mit düsteren Trommelschlägen das Album einläutet. Im Gegensatz zu der „Ouverture“ auf Part I ist „The Covenant“ jedoch weit weniger eingängig, was man auf die gesamte CD beziehen kann. Im Gegensatz zu den Teilen 1 und 3, die vergleichsweise fast „charttauglich“ sind, braucht es hier schon einige Durchläufe, bis die zahllosen kleinen und großen Genialitäten offensichtlich werden. Manchen vermögen Lieder wie „The Whore Of Babylon“ mit seinem narrativen Stil vielleicht langweilig vorkommen und dennoch ist es nicht alleine der Text, der den Song absolut hörenswert macht, sondern in diesem Falle beispielsweise die sich zum Ende hin enorm verdichtende Atmosphäre oder die bedrückende Stimmung von „Legend II:I“, welches hier statt als vollwertiges Lied eher als Einleitung zu einem der Highlights der Platte, „The False Prophet“ fungiert. Der falsche Prophet ist ebenfalls eine Figur der Schrift des Johannes und agiert als Verführer der Menschheit, welcher sich falscher Tatsachen und Versprechungen bedient. Hier harmoniert eine eingängige Violinen-Melodie mit dem zunächst ähnlich gearteten Gesang mit dem fast schon typisch-epischen Finale, auch wenn der Song für SAVIOUR-MACHINE-Verhältnisse sehr knapp gehalten ist.

Eine weitere düstere Vision wird in „Mark Of The Beast“ verarbeitet, der Song ist vergleichsweise unharmonisch und hart, man könnte fast sagen: aggressiv. Berichtet wird über die kommende Herrschaft des „Tieres“ und das Zeichen, welches die Menschen, die ihm folgen, tragen werden. Der Text deutet es bereits an und mit dem nächsten Lied wird es auch gewiss, der Antichrist tritt in diese Szenerie ein. In der Vergangenheit wurde sehr viel spekuliert, wer der Antichrist (gewesen) sein könnte, Namen wie Adolf Hitler machten (mit einiger Berechtigung) die Runde, gefunden hat man ihn aber scheinbar noch nicht. Dafür findet (Wortspiel!) der Hörer in „Antichrist II – The Balance Of Power“ ein ganz großartiges Stück Musik vor, welches man ohne Übertreibung als eines der besten (Metal-) Lieder aller Zeiten bezeichnen kann, beginnt der Song noch recht verhalten mit einer fast lieblichen Klaviermelodie, steigert er sich während der kompletten acht Minuten in unermessliche Sphären. Der zweite Part, der etwa ab der Hälfte beginnt („…The Final Enemy Of Humanity…“) ist so unglaublich intensiv, dass man es mit Worten nicht beschreiben kann. Das ist schlicht und ergreifend die ganz große Kunst und mir ein Rätsel, wie man so etwas überhaupt erschaffen kann.

Weiterhin Erwähnung finden muss „Behold A Pale Horse“, welches seit dem Erscheinen der CD im Jahre 1998 zu den Klassikern im ambitionierten Gothic-Metal-Bereich zu zählen ist. Kaum ein Szene-Sampler kam seinerzeit ohne dieses Lied aus, welches die Konsequenzen der Öffnung des vierten Siegels beschreibt, eine Textstelle, die im übrigen auch von diversen anderen Bands, u.a. Satyricon im Song „The Dawn Of A New Age“ auf dem Album „Nemesis Divina“ (wenn auch mit anderen Hintergedanken), verwendet wurde. „The Martyr`s Cry“ ist im Gegensatz zu seinen diversen Vorgängern am ehesten das, was man auf „Legend Pt. II“ als Ballade bezeichnen könnte, im Anschluss folgt das, aus textlicher Sicht gesehen, Herzstück des Albums, das über zehnminütige „The Promise“, welches in einer Art Rückblick auf die zwölf Gründungsstämme Israels über das Versprechen der Erlösung durch Gott an sein Volk berichtet.

Bis zu dieser Stelle ist „Legend Pt. II“ deutlich düsterer als der erste Teil, die Lieder haben mehr aggressives Potential und die Texte strahlen wenig (maximal in „The Martyr`s Cry“) bis gar keine Hoffnung aus. Dies ändert sich mit dem folgenden „Dreier-Paket“, bestehend aus „Legend II:II“, „The Holy Spirit“ und „The Bride Of Christ“, welche nahtlos ineinander übergehen und epische Stimmung vom feinsten verbreiten. Dazu noch mit einer gandenlosen Ohrwurmmelodie versehen zählt diese Song-Kombination neben dem unerreichbaren „Antichrist II“, „The False Prophet“ und „Behold A Pale Horse“ zu den absoluten Highlights des Albums. Alleine für diese handvoll Lieder würde eine Höchstwertung schon zu rechtfertigen sein, zum Glück ist die CD aber bis zum Bersten gefüllt, so dass man auch noch in den Genuss von „Rapture: The Seventh Seal“, welches recht gefühlvoll daherkommt, vor allem wenn die Botschaft des bevorstehenden Krieges im Himmel, welcher im abschließenden „War In Heaven – The Second Fall“ thematisiert wird, bedenkt.

An dieser Stelle wird schon deutlich, dass SAVIOUR MACHINE sich zum damaligen Zeitpunkt fast am Ziel ihres Vorhabens wähnten. Der das Album beschließende Satz „Die Zeit nähert sich dem Ende“ deutet schon daraufhin (und im biblischen Kontext ist dies auch so), dass die Prophezeiung fast zu Ende erzählt ist. Glücklicherweise ist heute klar, dass ein weiterer Teil nicht mehr ausgereicht hat, so dass es noch einen vierten „Legend“-Teil gegeben hat, der das Kapitel SAVIOUR MACHINE aber leider endgültig beendet hat. Dieser zweite Teil besticht wie der Erste durch extreme Innovation, Komplexität in Ton, Wort und Bild sowie in einem genialen Songwriting, welches durch fähige Musiker und eine wunderbare Produktion, die hier mehr als im ersten Teil die mitunter chaotischen Zustände der Welt während der Endzeit zur Schau stellt. Auch in diesem Fall ist nichts anderes als die Höchstwertung angemessen.

Wertung: 10 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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