Review Träumen von Aurora – rekonvaleszenz

„sehnsuchts wogen“, das Debüt der ostwestfalischen Post-Blacker TRÄUMEN VON AURORA schlug im letzten Jahr zumindest bei mir persönlich ein wie eine Bombe. Dynamisch, erfrischend, stürmend und drängend präsentierte sich das Sextett auf seiner ersten Veröffentlichung und machte viel Lust auf mehr Material aus der Stadt, die eigentlich gar nicht existiert.

Wie damals im Interview schon angekündigt, legt man flott das Zweitwerk nach, „rekonvaleszenz“ setzt im Prinzip da an, wo „sehnsuchts wogen“ aufgehört hat, lyrisch wie musikalisch. Der Verlust des geliebten Menschen ist zu Beginn der Platte noch immer nicht verarbeitet – wir erinnern uns, bereits auf dem Debüt gab es einen „Bruch“ in der Geschichte, so dass die letzten beiden Songs die Perspektive aus der Sicht „ein Jahr später“ aufnahmen. Entsprechend der Vorgaben steigt man einerseits aggressiv, andererseits aber auch verzweifelnd in das Album ein. Ein wahrhaft überraschender Beginn, TRÄUMEN VON AURORA waren wohl bislang nie so hart und gleichzeitig fordernd wie beim Opener „phönix und asche“. Da werfen sie dem Hörer gleich mal einen ordentlichen Brocken vor, mit dem er sich erstmal arrangieren muss. War man es vom Debüt noch gewohnt, meistensteils melancholisch-romantische Midtempohymnen serviert zu bekommen, gibt es hier erstmal auf die Fresse, den martialischen Ausdruck bitte ich an dieser Stelle zu entschuldigen.
Freunde von „sehnsuchts wogen“ müssen allerdings nicht lange warten, schon „im morgengrauen“ nimmt die schaurig-schöne Atmosphäre wieder auf und pendelt im gemäßigten Fahrwasser zwischen harten Riffs voller Kraft und Energie und zerbrechlichen Akustik- bzw- Clean-Parts. Gerade der klare Gesang ist auch auf „rekonvaleszenz“ wieder ausgezeichnet geraten, man kann sich wahlweise an die Hand nehmen und trösten lassen, aber sich auch genauso gut dem tiefen Fall hingeben und alles, was einem lieb und teuer ist, loslassen. Überhaupt überlässt die Band viele Entscheidungen dem Hörer, was nicht zuletzt durch die beiden zusammen zwanzig Minuten langen Instrumentale „der sommerregen auf asphalt“ und „orion 2.1“ deutlich wird. Die wahre Gesundung des Individuums soll hier stattfinden, das macht es für den Uneingeweihten natürlich schwierig, weil er sich alleine auf die Musik verlassen muss, bietet aber auf der anderen Seite die Chance, dem Weg unvoreingenommen zu folgen und diesen vielleicht auch selber zu gehen.
Beide Titel zeigen zudem in beeindruckenderweise, wie die Band auf diesem Album eine insgesamt progressivere Ausrichtung einschlägt, dies aber mit spielfreudiger Technik so gut umsetzt, dass praktisch keine Sekunde Langeweile oder Überforderung aufkommt. Besonders erfreulich ist die starke Akzentuierung auf den Bass, der mehr als nur einmal die Führung übernimmt und den Songs so einen wirklich eigenen Stempel aufdrückt. Gerade bei dem oft stiefmütterlich behandelten Instrument sollte das mal erwähnt werden.
Und als wären dies alles noch nicht der Lobenshymnen genug, haben TRÄUMEN VON AURORA den wirklich Hit noch bis zuletzt im Ärmel verwahrt. Nun ja, Hit impliziert vielleicht eine radiotaugliche Nummer, die zügig ins Ohr geht und nach dem zehnten Durchlauf spätestens verbraucht ist. Ganz anders in diesem Fall, „was einst im wind der wälder lag“ läuft fast eine Viertelstunde und wird ebenso wenig fad wie der Rest der insgesamt 46 Minuten der „rekonvaleszenz“. Genaugenommen fährt man mit diesem Rausschmeißer noch einmal alle Qualitäten auf, die man zuvor schon mehr als angedeutet hat mit dem I-Tüpfelchen einer zutiefst bewegenden Gesangsmelodie aus weiblicher Kehle, zum Sterben schön!

TRÄUMEN VON AURORA können die Qualität des starken Debüts auf ganzer Linie bestätigen. „rekonvaleszenz“ ist ein Album, welches fordert und gibt, das mitreißt und nachhaltig in Erinnerung verharrt, es wächst in sich selbst und am Hörer, der, wenn er sich denn darauf einlassen möchte, nur davon profitieren kann.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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