Letzte Ausfahrt Autokonzert – echt jetzt?

Der deutsche Rapper Alligatoah hat es schon vorgemacht, Heino und Revolverheld wollen nachziehen – die Rede ist vom Autokonzert, dem vielleicht absurdesten Auswuchs dieser sonderbaren Corona-Zeiten. „Ohne Bands und Konzerte kann der Sommer natürlich nicht stattfinden. Wir bereiten unter anderem eine Autokonzertreihe vor, die zumindest etwas abfangen soll, was uns diesen Sommer verwehrt bleibt“, verkünden die vom Großveranstaltungsverbot arg gebeutelten Organisatoren des Summer Breeze Open Air in einem Statement zum Festival. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis man auch Metal-Konzerte live durch die Windschutzscheibe erleben darf – Konzerte also, wie ehedem Filme im Autokino.

Die Älteren erinnern sich vielleicht, bei den Jüngeren dürfte der Begriff ähnlich viele Assoziationen auslösen wie „Telefonkarte“ oder die „D-Mark“: Es gab da mal das Autokino. Das war eine hippe Erfindung der 1930er-Jahre, schwappte in den ’50er- und ’60er-Jahren nach Europa und erlangte für vieles Berühmtheit – nur nicht dafür, ein Ort des cineastischen Hochgenusses zu sein.

Nun also Autokonzerte, für jene Musikliebhaber, die es ohne Konzerte nicht aushalten. Man ahnt, wo hier der Fehler zu suchen ist. Das Prinzip ist vergleichbar: Die Konzertgänger (-fahrer?) füllen mit ihren Vehikeln einen Parkplatz vor einer Bühne und auf dieser spielt die Band. Hupen statt Applaus, Lichtsignale als Interaktion. Und jetzt blinken alle links! Und jetzt die rechte Seite! Man kann sich die frenetischen Fans hinter ihren verschmierten Windschutzscheiben bildlich vorstellen. Und wenn dann der Bandhit kommt, öffnen sich alle Fenster und Schiebedächer und tausend Smartphones gehen hoch. Ekstase!

Ähnlich absurd dürfte sich das Ganze für die Musiker gestalten, wenn es im Zuschauerbereich aussieht, als wäre die Bühne aus Versehen auf dem Festivalparkplatz statt im Infield aufgebaut worden. Damit alle Fans etwas sehen, gibt es die Shows zumeist auf großer Leinwand – der Ton soll bisweilen statt aus einer großen Anlage über eine spezielle Frequenz in die Autoradios übertragen werden. Ob das dann wirklich besser ist, als von daheim aus ein Proberaumkonzert im Livestream zu verfolgen? Zumindest fraglich.

Fraglich ist auch das Signal, das man mit Autokonzerten sendet. Konzerte nur für Motorisierte, vielleicht gar bei laufendem Motor? In Zeiten der Klimakrise (ja, die gibt es trotz Corona noch!) keine richtig gute Entwicklung. Und selbst ganz unidealistisch betrachtet stellt die Grundvoraussetzung, über ein Auto zu verfügen, um an einem Konzert teilnehmen zu können, ein Problem dar. Denn wo es früher vielleicht selbstverständlich gewesen sein mag, Führerschein und Auto sein Eigen zu nennen, ist es das unter Jugendlichen längst nicht mehr. Gemäß den Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes für das Jahr 2018 haben bei den 18- bis 20-jährigen nicht einmal zwei Drittel (63,1 % der Frauen, 59,2 % der Männer) einen Führerschein – vom eigenen Auto ganz zu schweigen. Andererseits eröffnet das vielleicht einen ganz neuen Markt für Car-Sharing-Portale: Car2Go2Concerts – das neue Leasing-Modell für Kulturinteressierte.

Selbst wenn man als Konzertenthusiast bis vor kurzem die schönste Zeit seines Lebens in der Crowd verbracht hat, eng zusammengedrängt in den ersten Reihen, verschwitzt im Mosphit oder auch entspannt und gesellig an der Bar: Dass das Konzept Autokonzert Erfolg hat, scheint selbst für den Fall, dass „echte“ Konzerte über Jahre hinweg verboten blieben, kaum vorstellbar. Schon der kurze Einblick in die Alligatoah-Show lässt daran jedenfalls massive Zweifel aufkommen: Statt des wohlwollenden Jubelsturms ertönt, als der Künstler die Bühne betritt, ein grässliches Hupkonzert, wie man es selbst im Feierabendverkehr wohl nur erlebt, wenn ein Lastwagen auf der viel zu schmalen Kreuzung wendet. Wie es dann bei Metal-Shows in den Autos aussieht, ob dort ruhig gesessen oder „abgegangen“ wird, vermag man sich kaum auszumalen. Eher, wie es wohl nach der Show aussieht: Statt einiger Bierleichen, die es nicht mehr aus der Halle schaffen, stehen drei von 300 Opel-Ottos noch lange vor der Bühne. Sie warten nicht auf Autogramme, sondern auf den ADAC, die Scheinwerfer-Lightshow war zu viel für die altersschwache Autobatterie.

Mag die Live-Branche auch noch so gebeutelt sein – manche Ideen sollten auch in der schärfsten Krise besser in der Schublade bleiben. Das Autokonzert ist definitiv eine davon. Nicht zuletzt, weil sich die Realität wohl als noch dröger herausstellen dürfte als die hier beschriebene Utopie: Denn Hupen und das Betätigen der Lichthupe sind zumindest bei den nun in Bonn genehmigten Events als „Applaus“ nicht erlaubt. Verdecke müssen geschlossen bleiben, pro Auto sind nur zwei Personen zugelassen und die maximal 200 Autos müssen mit 1,50 Meter Mindestabstand geparkt werden. Let’s go crazy! 

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3 Kommentare zu “Letzte Ausfahrt Autokonzert – echt jetzt?

  1. Die andere Seite der Medaille: Künster haben Einnahmen, Veranstaltungstechniker haben Einnahmen, eine ganze Kulturbranche findet einen kreativen Weg um wenigstens etwas Umsatz zu generieren. Man muss es nicht gut finden, man muss nicht hin fahren, aber: Nein, solche kreativen Ideen sollten nicht in der Schublade bleiben. Sie helfen gerade einer ganzen Kulturbranche dabei am Leben zu bleiben. Klar kann es nicht die Einnahmen einer Tour ersetzen, auch technisch ist es nicht der selbe Aufwand – vom Konzertfeeling mal ganz zu schweigen. Aber: Wenn eine Band aus einem Proberaum ein bisschen Musik ins Netz streamt verdienen sie im Zweifel wohl weniger dran als an solchen Events – und der Rattenschwanz, der dran hängt (Technikdienstleister, Zulieferer, Booker, Kinos etc.) hat von solch einem „Konzert“ auch deutlich mehr als vom Stream bei Instagram oder fb – und bei diesen Autokonzerten dürfte auch die Produktionsqualität deutlich höher ausfallen als aus dem heimischen Proberaum.

    In Zeiten, in denen einer ganzen Branche aufgrund des Virus die Auftragslage entzogen wurde, sollte man mMn um kreative Ideen, die zumindest etwas Umsatz generieren, froh sein anstatt alles direkt zu verteufeln.

    1. Also ich muss sagen: Ich sehe es fast etwas anders. ich verstehe zwar das Argument, einen neuen Ertragsweg gefunden zu haben, aber – aus meiner Warte heraus – ich würde lieber die 30 oder 50 Euro an die Band spenden, Merch kaufen oder ähnliches, anstatt dieses Anti-Konzert-Konzept salonfähig zu machen. Ich stelle es mir persönlich auch enttäuschend vor. Vielleicht wäre ich positiv überrascht, ok. Aber schon in der Theorie empfinde ich die Sache eher als Gegenkonzept zu einem Konzert – quasi: Konzert ad absurdum. Bis gespannt, ob es sich durchsetzt.

      Super geil übrigens:
      Die Älteren erinnern sich vielleicht, bei den Jüngeren dürfte der Begriff ähnlich viele Assoziationen auslösen wie „Telefonkarte“ oder die „D-Mark“: Es gab da mal das Autokino. Das war eine hippe Erfindung der 1930er-Jahre, schwappte in den ’50er- und ’60er-Jahren nach Europa und erlangte für vieles Berühmtheit – nur nicht dafür, ein Ort des cineastischen Hochgenusses zu sein.

      :-D!!!!!

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