Interview mit Stefan von Árstíðir Lífsins

Mitten aus seinen Uni-Abschlussprüfungen holten wir Stefan von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS und konnten ihn dennoch zur neuen Platte „Vápna lækjar eldr“ vernehmen. Wenngleich drei Fragen seinem strengen Rotstift zum Opfer fielen, gab er uns interessante Antworten zur Verquickung von Wissenschaft und Musik, der Wichtigkeit eines stimmigen Gesamtbildes und wie die Zukunft des ambitionierten Projektes aussieht.

Stefan, ich begrüße dich. Mit „Vápna lækjar eldr“ ist nun euer zweites Album draußen. War nach „Jötunheima dolgferð“ 2010 sofort klar, dass es einen Nachfolger geben würde?
Hallo Justus. Ja, es war bereits zu Release des ersten Albums klar, dass weitere komponiert werden sollen.

Bedeuten dir Kritiken etwas oder denkst du nur „Pah, wer kein Altnordist ist, peilt eh nicht, wie großartig das Werk ist!“?
Nun, natürlich achte ich auf positive wie negative Kritik und freue mich über jede ernste Meinung, die sich über die Kunst (ergo Musik, Text und Bild) von Árstíðir lífsins gemacht wird. Jedoch trenne ich dabei klar zwischen dem kreativen Prozess beim Schreiben von Material einerseits und der Meinung der Öffentlichkeit andererseits. Daher ist es so, dass Kritik im positiven wie im negativen nie Einfluss auf den Werdegang neuer Werke von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS hat, dafür ist mir – und den anderen in der Band – die Musik viel zu persönlich geworden, denke ich.
Dass für unsere Releases nun nicht gleich altnordische Literatur studiert werden muss, erübrigt sich natürlich aufgrund der englischen Übersetzungen der Texte und der (Metal-)Musik. Wenn ein Interesse vorhanden ist, kann daher der Hörer ohne weiteres die Texte auch übersetzt lesen – ohne nicht jede kenning einzeln auseinandernehmen zu müssen. Sicherlich ist etwas Wissen an manchen Stellen nicht von Nachteil, wichtig ist es aber meiner Meinung nach nicht, um die Texte (und die Musik) zu verstehen.

Ich muss mich tief verneigen für die opulente Aufmachung des Albums, da habt ihr euch wieder selbst übertroffen. Warum ist es dir derart wichtig, das Bild so abzurunden?
Für mich hat ein Album (oder allgemein eine Veröffentlichung) schon seit Jahren einen starken Bezug zwischen Musik und Bild eingenommen und ich lege sehr viel Wert darauf, dass auch das Layout anspruchsvoll und der Musik angemessen designt wird. Sicher können Bands schreckliches Artwork haben und trotzdem gute Musik komponieren, jedoch fehlt mir schlichtweg bei vielen Veröffentlichungen eine Verbindung beider Teile. Besonders im Fall einer Band wie ÁRSTÍÐIR LÍFSINS und dem komplexen wie weitflächigen Konzept, welches präsentiert werden soll, ist es in meinen Augen unausweichlich, auch dieses so weit und umfassend wie möglich visuell umzusetzen. An dieser Stelle sei ohne Frage auch noch einmal unserem Label Ván Records gedankt, welches keine Kosten und Mühen gescheut habt, das Album in der Form zu präsentieren, wie es von Beginn an vorgesehen war. Ebenfalls muss natürlich unserem Designer Christopher Duis (1gemachtes) gedankt werden, welcher meine abermals recht vielschichtigen Ideen Realität werden ließ.

Du hast eine längere Zeit auf Island verbracht – wie aber sind all die Kontakte für das „Line- Up“von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS zustande gekommen?
Ich habe durch mein Studium an der Háskóli Íslands (und meinem Aufenthalt in Reykjavík) zwischen 2008 und 2009 viele Musiker der dortigen Metal-Szene kennenlernen dürfen und stehe nach wie vor mit einigen von ihnen in regem Kontakt. Dass ein paar davon auch bei ÁRSTÍÐIR LÍFSINS mitmachen wollten, hat sich mit der Zeit einfach so ergeben. Es ist trotzdem aber so, dass ein Großteil der Musiker von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS aus Deutschland kommen. Beispielsweise sind nur drei der neun Musiker auf „Vápna lækjar eldr“ Isländer.

Das Konzept des Projektes sieht ausschließlich altisländische Texte vor. Warum hätten es deutsche, englische oder anderssprachliche Texte nicht getan? Immerhin verpasst ihr so haufenweise Hörer.
Das Konzept von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS bezieht sich seit Bestehen auf die Literatur und Geschichte des isländischen 10. Jahrhunderts. Nicht nur aufgrund der naheliegenden Benutzung der (alt-) isländischen Sprache in den Texten (schließlich ist eine ähnliche Form jener Sprache damals auf Island gesprochen worden), sondern auch aufgrund der Sprachkenntnisse der vier Sänger von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS war es eine logische Konsequenz, auch auf isländisch zu singen. Dass dies nicht sonderlich sprachkompatibel mit dem überwiegenden Teil der Hörer ist, steht außer Frage. Zur besseren Verständigung sind bereits bei dem ersten Album alle Texte auf englisch übersetzt und mit einer Einleitung ergänzt worden.

Dein Anspruch ist, ÁRSTÍÐIR LÍFSINS frei von modernen Klischees zu halten, wenn es um historische Geschehnisse geht. Für wie realistisch hältst du deine Ambition? Jedes Geschichtsbild ist doch Konstruktion, nie Re-Konstruktion…
Es ist mir natürlich von Anfang an bewusst gewesen, dass die Lyrics von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS nie einen gänzlich historischen Anspruch erlangen. Dies war aber auch ohnehin nie das Interesse gewesen. Der Anspruch bezieht sich eher darauf, eine intelligente, tiefgehende Verbindung von Musik, Sprache, Text und Layout zu präsentieren, die den eigenen Ansprüchen entspricht. Eine Form, die mehr als reine Oberflächlichkeit und (drastische) Verfälschung der Víking-Zeit Islands beinhaltet.

Insgesamt ist „Vápna lækjar eldr“ wieder recht kopflastig geworden. Wie beurteilst du die Spannungen zwischen akademischem Anspruch und Hörerfreundlichkeit?
Sicherlich muss sich der Hörer etwas von gängigen Formen von Songstrukturen, Lyrics oder Layout trennen, jedoch ist das vielleicht auch nicht immer schlecht. Die Songs von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS sind zum großem Teil wie bereits bei dem Debüt relativ lang geworden und verfolgen vielleicht auch komplexere Strukturen. Dies ist in meinen Augen jedoch kein Ausdruck von akademischem Anspruch, sondern schlichtweg von privaten Interesse. Es sollte wie bereits bei „Jötunheima dolgferð“ natürlich kein Werk entstehen, welches einen elitären Anspruch hat, sondern schlichtweg zwei persönliche Interessen zusammenführen: Wissenschaft und Musik.

Insgesamt muss ich sagen, dass das neue Album in meinen Ohren keine großen Sprünge zum Vorgänger gemacht hat. Wo siehst du die signifikantesten Unterschiede zu „Jötunheima dolgferð“?
„Vápna lækjar eldr“ ist in meinen Augen eine logische Konsequenz auf das erste Album „Jötunheima dolgferð“, sowohl musikalisch als auch in den Texten. Es schließt direkt an das erste Album an und sollte auch so verstanden werden.

„Mjök erum tregt tungu…“ vertont das Sonatorrek des Egill Skallagrímsson, eines der berühmtesten Skaldenlieder. Warum, glaubst du, haben solche Dichtungen bisher so gut wie keinen Fuß in der Pagan Metal-Szene gefasst?
Das größte Problem wird sicherlich die Sprache sein, da auch eine gute Übersetzung von Skaldenliedern natürlich nie die Form und besonders die Reimschemata einer Þórsdrápa oder Höfuðlausn wiedergeben kann. Es erfordert schlichtweg nicht nur das Können der isländischen Sprache, sondern darüber hinaus auch etwas Hintergrundwissen in der Skaldik, um Skaldenlieder zu vertonen. Aufgrund der Tatsache, dass ein Großteil der Musiker, die sich in der Metal-Szene mit Geschichte und Kunst des mittelalterlichen Nordens auseinandersetzen, dies für gewöhnlich nur in einen vergleichsweise laienhaften Form verfolgen, darf natürlich nicht davon ausgegangen werden, dass die ohnehin sehr komplexe semantische Form der Skaldik auch vertont werden kann.

Die Texte bestehen sonst alle aus Prosa, Refrains oder andere Strukturen fehlen daher völlig. Siehst du „Vápna lækjar eldr“ gewissermaßen als Hörbuch?
Nein, ein Hörbuch soll keines der Alben von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS darstellen. Sicher wird eine starke Verbindung zwischen Musik und Artwork angestrebt, jedoch liegt dies nicht in der Natur einer erzählten (audiellen) Geschichte, die sich erst in dem Layout erschließt. Sowohl der Musik als auch dem Artwork sollte daher die Möglichkeit zukommen, auch einzeln betrachtet und gehört zu werden. Nichtsdestotrotz besteht aber ohne Frage eine starke Verbindung zwischen Musik und Layout.

Wie wird es weitergehen mit Dingen wie Konzerten oder einem dritten Album? Was wird eigentlich aus Kerbenok?
Konzerte wird es in Zukunft keine geben, da wir viel zu weit verstreut leben und zudem alle zu sehr in Arbeit, Studien usw. eingespannt sind. Ein drittes Album ist hingegen bereits fest geplant und wird voraussichtlich bereits im späten Sommer 2012 geschrieben werden. Fest steht außerdem eine Split CD/LP mit Helrunar, die noch im Oktober aufgenommen wird und vielleicht noch in diesem Jahr erscheinen könnte. Mit Kerbenok haben wir bereits seit etwa zwei Jahren ein neues Album aufgenommen, jedoch nie genügend Zeit gefunden, dieses abzuschließen. Dem wollten Christopher und ich uns aber noch im Juli dieses Jahres widmen. Eventuell könnte daher jenes Album namens „Grund“ noch im Herbst veröffentlicht werden.

Gut soweit, wir schließen mit dem traditionellen Metal1.brainstorming. Was fällt dir spontan zu folgenden Begriffen ein:

Harðfiskur
Der traditionell seit Jahrhunderten an der frischen Luft getrocknete Fisch, isl. Harðfiskur, mag zwar zutiefst in der Geschichte Islands, Norwegens usw. verankert sein, mögen muss man ihn dafür aber trotzdem nicht.

Kommunismus
Kommunismus ist wie jede andere „extreme“ Form der Politik / des Staates eine Utopie, die bereits im Entstehen zum Scheitern verurteilt war. Dabei lag das Problem gar nicht mal in der Staatsform, sondern in dem Menschen selbst, der regiert oder regiert wurde. Wenn Gewinnsucht und Gier zu den Grundfesten des menschlichen Denkens zählen (was sie offensichtlich tun), dann kann eine Staatsform wie der Kommunismus nicht funktionieren – und schlägt um in die schlimmste Form eines Staates, der Diktatur. Ich halte mich daher an die knappen, sarkastischen aber pointierten Worte Churchills und vertraue in der Folge in die Stärken einer gerechten und rücksichtsvollen Demokratie: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, es gibt aber keine bessere.“

Mecklenburg-Vorpommern
Die Natur Mecklenburg-Vorpommerns ist mir seit meiner frühen Kindheit immer positiv in Erinnerung geblieben, besonders die bekannte Seenplatte, auf welcher meine Familie oft mehrere Tage mit Kanu, Hund und Zelt unterwegs war. Eine sehr wilde und vielleicht auch etwas romantische Natur.

BWL
Die berühmt-berüchtigte Betriebswirtschaftslehre mag einem jungen Studenten zwar eine sichere finanzielle Zukunft und auch eine relativ klare Richtung des Studiums in die Arbeitswelt geben, sonderlich viel für sein Leben lernt er aber vielleicht auch wieder nicht. Ich für meinen Teil bin nach wie vor froh, etwas gelernt zu haben, worin vor allem mein Interesse lag und nach wie vor liegt.

Apple
Ich habe nie einen Apple MAC oder ein iPod, iPhone usw. besessen und habe dies soweit auch nicht vor. Sicherlich hat das Interface und die Software ihre Vorteile, jedoch bin ich nicht darauf angewiesen – und spare mir daher die ohnehin überteuerten Preise dieser Modefirma.

Halldór Laxness
Halldór Laxness ist ohne Frage der bekannteste Schriftsteller Islands und das auch zurecht. Wer einmal Werke wie die Islandglocke, Salka Valka oder vor allem die glücklichen Krieger (Gerpla, besonders für Altnordisten ein außerordentlich humorvoller Roman) gelesen hat, der wird nicht allein durch die ausgesprochen bilderreiche Sprache von Halldór, sondern auch bereits durch die fantastischen Geschichten begeistert sein.

Metal1.info
Eines der großen und bekannten (Online-)Metalmagazine Deutschlands.

Stefan, takk fyrir deine Aufmerksamkeit. Deine letzten Worte?
Vielen Dank für das Interview.

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