Interview mit Árstíðir Lífsins

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ÁRSTÍÐIR LÍFSINS waren schon immer eine Band mit hohen Ambitionen: Sämtliche Alben in ihrem Backkatalog sind mindestens 70 Minuten lang und behandeln die Geschichte Skandinaviens in altnordischer Sprache. Aktuell befassen sich die Pagan-Metaller auf ihrem Doppelalbum „Saga Á Tveim Tungum“ mit dem norwegischen König  Óláfr Helgi Haraldsson. Im folgenden Interview erfahrt ihr mehr über die Erzählstruktur des zweigeteilten Albums, die musikalische Entwicklung der Band und das eher unliebsame Pagan-Metal-Stigma.

Ihr kommt zum Teil aus Deutschland, zum Teil aus Island. Gerade die isländische Szene wird jedoch primär mit Bands wie Svartidauði oder Carpe Noctem assoziiert, bei letzteren ist Árni sogar involviert. Würdest du sagen, dass deren betont dissonanter Stil auch in irgendeiner Form Einfluss auf euer Schaffen in ÁRSTÍÐIR LÍFSINS hat?
Nicht wirklich, um ehrlich zu sein. Ich mag die meisten der aktuellen isländischen Black-Metal-Bands sehr, aber als Komponist des Großteils unserer Musik ist meine Hauptinspiration dieselbe wie schon immer: der norwegische und schwedische Black Metal der 90er Jahre und einige der älteren Bands wie Bathory, Candlemass und Black Sabbath.

Ihr selbst werdet meist dem Pagan Metal zugeordnet. Das Genre selbst hat jedoch einen eher zweifelhaften Ruf, da einige Bands von vielen als nicht ernstzunehmend angesehen werdet. Wie denkst du darüber?
Die Kategorien, in die wir eingeteilt werden, sind nicht immer angenehm. Vor allem die Pagan-Metal-Kategorie (was auch immer das bedeutet) mit all ihren seichten Party-Bands ist und war nie ein Teil der heutigen Metal-Musik, von dem ich besonders angetan bin. Aber andererseits werden wir in Reviews oft als ziemlich einzigartig in unserem Ansatz angesehen. Ich nehme an, dass die Kategorien, die man uns zuweist, eher eine vage Vorstellung davon vermitteln, was einen erwartet, wenn man noch nie zuvor eine unserer Platten gehört hat.

Ihr habt einen ziemlich markanten, musikalischen Stil, den ihr auf euren bisherigen Alben stets beibehalten habt. Darf man als Fan bei euch trotzdem noch mit der einen oder anderen Überraschung rechnen?
Danke für das Kompliment. Ja, seit unserem Debüt versuchen wir, in vielerlei Hinsicht einzigartige Kunst zu schaffen. Mit den letzten zwei oder drei Veröffentlichungen haben wir jedoch vielleicht eher einen bestimmten Stil gefunden, obwohl ich davon Abstand nehmen würde, ihn „unseren“ Stil zu nennen. Ich weiß jedoch, dass wir uns nicht auf dem Höhepunkt dessen befinden, was wir schaffen wollen, und es könnte noch ein oder zwei Überraschungen am Horizont geben. Der kommende, zweite Teil von „Saga Á Tveim Tungum“ könnte bereits einige solcher Überraschungen beinhalten.

Manchen Bands, die nicht viel experimentieren, wird mitunter nachgesagt, sie würden dadurch zu sehr auf Nummer sicher gehen. Wie kriegt man es deiner Ansicht nach hin, sich selbst als Musiker treu zu bleiben, ohne sich dabei bloß selbst zu wiederholen?
Ja, einige Bands scheinen nach einer Weile zu stagnieren. Was uns betrifft, so haben wir musikalisch nie einen festen Plan verfolgt und wir haben immer versucht, uns von jeglichen Einschränkungen zu befreien, anstatt bei dem zu bleiben, was wir vielleicht schon einmal getan haben. Das gilt auch für unsere Texte, auch wenn viele der Hörer, die unsere Musik bloß digital hören, sie nicht in ihrer Gesamtheit verstehen können.

Eure Alben sind nie unter 70 Minuten lang. Warum ist es für euch deiner Meinung nach unerlässlich, eure Konzepte in diesem Ausmaß umzusetzen?
Vor allem das Konzept unserer Alben ist etwas komplexer als bei herkömmlichen Metal-Alben. Wenn wir uns einem neuen Album nähern, komponieren wir sowohl die Geschichte als auch die Musik Seite an Seite und ändern den Aufbau in beide Richtungen, falls dies erforderlich sein sollte. Die umfassende Mischung aus Musik, Texten und auch dem Layout ist uns sehr wichtig, und ein Album ist nicht vollständig, wenn einer dieser Teile fehlt. Du hast vielleicht auch herausgefunden, dass alle unsere Alben aus neun Songs bestehen, von denen jeder einfach nach dem ersten (manchmal verkürzten) Satz des jeweiligen Songtextes benannt ist. Gleichzeitig setzen alle Alben bezüglich der Handlung an dem Punkt an, wo ihr Vorgänger aufgehört hat (und ebnen den Weg für ihre Nachfolger). Ein so ungewöhnliches Konzept braucht Zeit, und da wir auf unseren Platten (abgesehen von der Länge der Vinylseiten) nicht begrenzt sind, nehmen wir uns die Freiheit, den Raum nach Belieben zu nutzen.

Für die Veröffentlichung eurer neuen Platte „Saga Á Tveim Tungus I: Vápn Ok Vidr“ habt ihr euch deutlich mehr Zeit genommen als bei euren ersten drei Alben. War dies euren anderweitigen Verpflichtungen geschuldet oder nahm das Album selbst mehr Zeit in Anspruch, um in dieser Form realisiert zu werden?
Abgesehen von unserem alltäglichen Leben haben wir noch Verpflichtungen in unseren anderen Bands und Projekten. Gleichzeitig nahm aber auch unsere letzte EP „Heljarkviða“ einige Zeit in Anspruch, da es ebenso lang dauerte, sie zu schreiben und fertigzustellen wie bei einem Album, und in ihrer Länge kann sie auch als Album betrachtet werden – auch wenn sie mit dem zuvor beschriebenen Albumkonzept wenig zu tun hat. Aber ansonsten, nein, der Zeitaufwand, den wir in dieses neue Doppelalbum gesteckt haben, war derselbe wie bei unseren vorherigen Alben.

Thematisch setzt ihr euch darauf mit der Geschichte des norwegischen Königs Óláfr Helgi Haraldsson auseinander. Was hat euch dazu veranlasst, gerade über diese historische Figur zu singen?
Es wurde einfach Zeit. Das oben erwähnte Konzept um die Alben herum deckt jeweils einen Teil der (späten) Wikingergeschichte ab und bei den beiden Alben namens „Saga Á Tveim Tungum I-II“ erreichen wir die kurze Herrschaft des Heiligen Olav und seine Versuche, Norwegen brutal zu vereinen und zu christianisieren.

Wie bereits erwähnt, werdet ihr noch in diesem Jahr auch noch ein zweites, dazugehöriges Album mit dem Titel „Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir“ veröffentlichen. Wie kam es zu der Entscheidung, euer Konzept in zwei zeitversetzt veröffentlichten Teilen umzusetzen?
Der zweite Teil des Doppelalbums ist eng mit dem nun erschienenen ersten Teil verbunden. Beide sind als ein großes Ganzes zu betrachten. Während der erste Teil mit dem Titel „Vápn Ok Viðr“ von einem jungen Mann erzählt, der die heftigen Versuche von Óláfr Helgi Haraldsson, Norwegen zu vereinen, durch die Augen eines christlichen Mitkämpfers erlebt, werden dieselben Jahre auf dem zweiten Teil mit dem Titel „Eigi Fjǫll Né Firðir“ aus Sicht seiner Schwester dargestellt, welche die Kampfzeiten mit nicht-christlichen, heidnischen Augen betrachtet. Da die beiden Teile sowohl lyrisch als auch musikalisch sehr unterschiedlich sind, haben wir uns entschieden, sie nicht als ein Album, sondern einzeln zu veröffentlichen.

Habt ihr den zweiten Teil schon jetzt vollständig geschrieben und aufgenommen oder arbeitet ihr momentan noch daran?
Ja, der zweite Teil wurde zur gleichen Zeit wie der erste Teil geschrieben und aufgenommen. Es ist bereits gemischt und gemastert, er wird noch in diesem Jahr über Ván Records veröffentlicht.

Inwiefern wird sich die zweite Platte auch musikalisch von der ersten unterscheiden?
Der zweite Teil unterscheidet sich musikalisch in gewisser Weise stark vom ersten Teil. Dies liegt vor allem an der unterschiedlichen Geschichte und der daraus resultierenden anderen Musik, die wir verwenden wollten. Da viele Parts auf den beiden Alben lyrisch so eng miteinander verbunden sind, gibt es im zweiten Teil etliche Tracks, die eine Verbindung zum ersten Teil aufweisen.

Viele Bands und Labels bevorzugen es, zwischen zwei Alben mehr Zeit verstreichen zu lassen, um nicht Gefahr zu laufen, dass der zweite Release „unter dem Radar verschwindet“. Wie siehst du das?
Nun, wir sind nie diesen geschäftsorientierten Vorstellungen gefolgt, um unsere Kunst auf eine Weise zu präsentieren, für die „die Industrie“ in der Vergangenheit vielleicht Maßstäbe gesetzt hat. Wir haben nie live gespielt (und werden es möglicherweise auch nie tun), was die meisten dieser Ziele bereits von vornherein unerreichbar macht. Bei der Komplexität unserer viel zu langen Alben käme es bei einer gewöhnlichen Plattenfirma auch zu ernsthaften Problemen, uns in einen Standardkatalog zu packen. Am Ende ist es die Musik (und die Kunst im Allgemeinen), die zählt, und wenn es zwei, vier oder sogar zehn Jahre zwischen zwei Alben dauert, dann möge es so sein. Die Qualität der Kunst selbst wird durch das bevorzugte Veröffentlichungsdatum nicht beeinflusst.

Euer aktuelles Album besteht größtenteils aus langen Black-Metal-Nummern, ein paar Tracks werden hingegen von tiefen Chören und Folk-Instrumenten getragen. Habt ihr euch bei der Wahl der Stilmittel von Track zu Track bewusst nach dem Fluss der erzählten Geschichte gerichtet?
Ja, das haben wir. Jeder Track hat seinen ganz eigenen Zweck auf jedem Album und es gibt keinen Grund, solche Nicht-Metal-Songs von unseren Veröffentlichungen auszuschließen, nur weil sie möglicherweise nicht für die Zielgruppe geeignet sind.

Würdest du sagen, dass es auf „Saga Á Tveim Tungus I: Vápn Ok Vidr“ einen bestimmten Höhepunkt gibt, sei es nun in der Erzählung oder der Musik?
Es gibt sicherlich einen Höhepunkt auf „Vápn Ok Viðr“. Wie bei allen unseren vorherigen Alben liegt der Höhepunkt im letzten Song, in dem der Tod der Hauptfigur vertont wird. Es ist kein Wunder, dass gerade dieser Song immer der längste ist und meist auch die komplexesten Texte hat.

Eure Texte sind stets auf Isländisch verfasst, weshalb gewiss nicht all eure Fans ihnen folgen können. Stört es dich, dass eure Lyrik deshalb von vielen gar nicht gewürdigt werden kann?
Wir haben immer englische Übersetzungen der Texte in unseren Veröffentlichungen beigelegt und beabsichtigen, dies auch bei allen zukünftigen Veröffentlichungen zu tun. Mit unseren altnordisch-isländischen Texten war es uns nie ein Anliegen, irgendeine Art von besonderem Elitismus an den Tag zu legen, denn nur sehr wenige unserer Zuhörer sind in der Lage, den Text aus erster Hand zu verstehen. Tatsächlich ist praktisch jeder Zuhörer, der unsere Texte vollständig verstehen könnte, aufgrund des starken Gebrauchs von eddischer und vor allem skaldischer Poesie bereits seit einigen hundert Jahren tot. Kurz gesagt, wenn man verstehen möchte, was wir in einer unserer Platten präsentieren wollen, empfehle ich, sie in einem physischen Format zu kaufen und sie nicht nur über einen der digitalen Kanäle zu konsumieren. Die Zeit, die wir in den Text und das Layout investieren, ist wahrscheinlich sogar noch mehr, als wir in die eigentliche Musikkomposition einer Veröffentlichung investieren. Alle drei Bestandteile sind als Einheit zu verstehen.

Neben dem zweiten Teil eures derzeitigen Album-Zyklus soll in absehbarer Zeit auch eine Split mit einer anderen isländischen Black-Metal-Band erscheinen. Könnt diesbezüglich schon genauer sagen, was die Fans darauf erwarten wird?
Nein, leider nicht. Für diejenigen, die uns schon seit einiger Zeit folgen, wird die Ankündigung unseres Split-Partners jedoch wohl keine große Überraschung sein.

Wie sieht es bezüglich Live-Shows aus? Zieht ihr in Betracht, mit ÁRSTÍÐIR LÍFSINS irgendwann doch auch mal auf Tour zu gehen?
Die Idee, live zu spielen, gibt es bei uns schon seit einigen Jahren, aber bis jetzt haben wir darauf verzichtet, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Dies liegt in erster Linie an der Zeit, die wir investieren müssten, um externe Mitglieder für Live-Shows vorzubereiten. Aber man soll niemals nie sagen, wir werden diese Idee vielleicht irgendwann aufgreifen und mit ÁRSTÍÐIR LÍFSINS auf Tour gehen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass dies in naher Zukunft geschehen wird.

Danke nochmals, dass du uns deine Zeit zur Verfügung gestellt hast. Falls du noch ein paar abschließende Worte sagen möchtest, kannst das an dieser Stelle gerne tun:
Vielen Dank für das Gespräch.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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