Interview mit Stephan von Fjoergyn

Man glaubt es kaum, doch es ist wahr – ein Interview der Fjoergyn-Schar. E-Mail-Interviews sind auch gerne mal ein gutes halbes Jahr unterwegs, aber glücklicherweise kommen einige davon doch wieder an ihren Ursprung zurück. Wie auch dieses hier mit Stephan von FJOERGYN, in dem es um das 2007er Album „Sade Et Masoch“ und weitere Themen geht.

Hy Stephan, danke dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wie läuft es momentan bei dir und euch?
Hey ich grüße Dich… Wie Du an dem enormen Beantwortungszeitraum feststellen konntest ist unser Zeitbudget äußerst knapp bemessen. Anderweitig jedoch haben wir keinerlei Grund zu klagen.

Symbolisiert das Einhorn in eueren Texten im übertragenen Sinne einen Aussenseiter oder Einzelgänger?
Oh, das ist schwierig… Ich sehe das Einhorn in einer ganz anderen Richtung verstanden. Vielleicht vorab von meiner Seite: Wenn wir an Einhörner denken, entstehen automatisch Phantasielandschaften. Unschuldige wunderschöne Geschöpfe, die dem Menschen normalerweise verborgen sind, in selbiger beheimatet. Eben auch das angesprochene Einhorn. Das Einhorn als auch die ihm angehörige Fabelwelt ist für mich ein Sinnbild der Unschuld. Gleichermaßen sehe ich in ihr einen Raum der Träume und des freien Willens. Einen derartigen offenen Geist für diese Welt zu haben ist oft nur Kindern vorbehalten. Mit unserem Alter vergessen wir den Raum der Phantasie und geben uns dem Konsum der Realität hin.

Die Quintessenz: Wenn Menschen glücklich sind, wir selber aber nicht, neiden wir ihnen oftmals selbiges Gefühl. Wir fragen uns, warum uns dieses Glück nicht zuteil wurde.
Dieser Neid (einem anderen Menschen etwas zu gönnen) wird in diesem Song thematisiert. Bevor ein anderer Mensch glücklich ist, verzichte ich auf die Chance selbiges zu empfinden und raube ihm die Möglichkeit, Glück zu finden. „Wenn ich es nicht habe, soll es keiner haben.“ Das Einhorn soll Glück bringen. Es ist in allen Menschen als Symbol der Kindheit und der Phantasie verankert. Es in Kauf zu nehmen, selbiges zu quälen bzw. für seine Existenz zu strafen, ist zutiefst masochistisch, doch vor allem sadistisch. Es soll nicht sterben, lediglich leiden. Es soll sich daran erinnern, wem es einen Wunsch verwehrt hat.

Der Mensch hat so viele Optionen sein Leben zu gestalten und nutzt so wenige davon. Viel lieber trauert er dem hinterher, was ihm fehlt, als sich an dem zu erfreuen, was er hat. Zu guter Letzt würde er sich selber lieber für immer vom Glück verbannen, als seinen verhassten Gartennachbar glücklicher zu sehen.
Es ist eine Metapher. Sie soll kein Abbild der Wirklichkeit geben als viel mehr eine überspitzte Darstellung unserer Gesellschaft darstellen.

Die ersten vier Zeilen von „Das Leid des Einhorn“ stehen nicht im Booklet, hat das einen bestimmten Grund?
Nein eigentlich nicht… Man könnte sie als vokale Hinführung in „Sade et Masoch“ verstehen, wodurch sie keinen gesonderten Platz zugesprochen bekamen.

Kann man „Die Hierarchie der Engel“ so interpretieren, dass die Unterdrückten gegen die Gesellschaft oder gar eine Diktatur aufbegehren?
Ja das ginge auch :)… Unsere Anklage stand jedoch auch hier im Vordergrund. Der in „Das Leid…“ klassifizierte Mensch steht auf dem Album unter ständiger Beobachtung der Engel. Sie sehen, was er aus seinem Geschenk des freien Willens macht. Er führt Kriege, tötet und neidet fremdes Glück. Die Engel kennen nach dem alten Testament jene Freiheit nicht. Man könnte sie tatsächlich als Söldner des Herrn bezeichnen, die lediglich funktionieren müssen. Ich verstehe sie hierbei nichts als trollige kleine beflügelte Wesen, die mit Pfeilen um sich schießend die kommenden Lieben verteilen. Ich benutze sie in diesem Song als wütende Söldner, die sich irgendwann am Menschen für seine Untaten und sein schlichtweg ignorantes Verhalten revanchieren. Sie hatten niemals einen freien Willen. Wir, die wir im Besitz selbigen sind, nutzen ihn nicht (bzw. die Wenigsten).

Ist „Katharsis“ eine allgemeine Abrechnung mit der Gesellschaft oder steckt hier noch etwas persönlicheres dahinter?
Katharsis“ hat eine sehr persönliche Note, ist aber dennoch als schlichte Antwort eines Aussteigers zu verstehen. Wer zum ersten mal seine Augen öffnet und realisiert, was mit uns und unserer Gesellschaft geschieht, wird an diesem Punkt der „Reinigung“ ankommen. Dieses ernüchternde und dennoch deprimierende Bild, das sich auftut, setzt Emotionen frei, dem viele Menschen oftmals nicht gewachsen sind. Denken wir nur an tatsächliche Depressionen. Damit meine ich keine unverstandenen Teenies, die irgendwann von einer negativen Gemütsregung gehört / gelesen haben und diese mit Depressionen gleichsetzen. Ich rede von Menschen, die sich und ihre Welt nicht mehr verstehen. Die ihren Teil in selbiger nicht mehr als beheimatet empfinden. Ist dieses geistige Türchen erst mal offen, ist es schwierig selbiges wieder zu schließen, bzw. sich von ihm zu reinigen. Früher (n. Aristoteles) waren es Trauer und Jammer, die den Begriff bzw. vielmehr den Satz der Katharsis ausmachten und man verstand selbige Gemütsregung gleich ihrer Reinigung als essentiell. Der Mensch müsse diese Gefühle durchleben, um sie beim erneuten Empfinden besser verarbeiten zu können. Mit 1600 Jahren verschob sich doch dieses Bild erheblich. Das nunmehr zu bewältigende Pensum an Eindrücken kann einen Menschen zerfressen. Der denkende Mensch, jener der nach der Verarbeitung aller Eindrücke giert, weiß wovon wir sprechen und welches Leiden gemeint ist.

Ist „Sade Et Masoch“ ein persönlicheres Album als „Ernte im Herbst“?
Nein, ich denke beide Alben haben einen gleichen Stellenwert. Das eine gibt einen Überblick, das andere betrachtet einen Teil genauer. Sie sind beide sehr persönlich und ich denke alle kommenden Alben werden einen Teil unseres Charakters tragen.

Wieso dominiert sowohl beim Vorgänger „Ernte im Herbst“ als auch beim aktuellen Album die Farbe weiß auf den Cover? Steckt hier mehr dahinter als nur ein Gegenpol zu der im Metal vorherrschenden Farbe schwarz?
Einerseits sicherlich das, andererseits gefällt mir der minimalistische Charakter beider Cover. Sie zeigen nicht viel und dennoch laden sie bereits hier ein, sich den Kopf zu zerbrechen.

Welche innere tiefere Bedeutung steckt hinter dem Apfel auf dem Cover, der zwar Engelsflügel trägt, jedoch bereits mit Maden gefüllt ist? Kann man hier von einer Fortführung des lyrischen Konzepts auf gestalterischer Ebene sprechen?
Ganz genau. Der Apfel steht synonym für die Versuchung, den Garten Eden und schließlich für unser irdisches Leben. Der Biss in ihn bzw. sein Inhalt ist unsere Erde. Wir hatten eine Chance und wir haben sie versaut. Die Naht steht dafür, dass sich uns immer wieder Versuchungen bieten werden. Dabei erkennen wir offenkundig, dass man ähnliche Trugschlüsse bereits durchlebt hat und dennoch wird man ihr, der Versuchung, wieder erliegen. Wir können es zunähen um es nicht zu sehen und dennoch wissen wir über unser Handeln und belügen uns nur selbst.

Bei der Anordnung der Lieder fällt auf, dass anfangs kein Klargesang verwendet wird und der im Verlauf des Albums immer mehr zunimmt. Eher Zufall oder steckt da eine bestimmte Absicht dahinter?
Das verhält sich nicht nur mit dem Klargesang so. Auch die Monotonie einzelner Songpassagen lässt mit Voranschreiten des Albums mehr und mehr nach um schließlich im Höhepunkt „Sade“ vollkommen (so hoffen wir zumindest) über den Haufen geworfen zu werden. Das Album entwickelt sich. Das macht es wahrscheinlich auch bei ersten Hördurchläufen so unnahbar und seltsam.

Andreas stieg ja kürzlich aus, kannst du etwas zu den Gründen sagen?
Es waren persönliche Gründe. Er hatte sehr viel zu tun und musste daher auch aus wirtschaftlichen Gründen leider aussteigen. Wir sind dennoch sehr gute Freunde und daran wird sich auch nie etwas ändern. Mittlerweile haben wir zwei neue Musiker und sie kommen ihrer Aufgabe mehr als nur gut nach.

Ihr habt 2007 beim Ragnarök und dem Wolfszeit gespielt, die öffentlich ja recht unterschiedlich präsentiert wurden. Wie fandet ihr die beiden Festivals im Vergleich?
Sie waren beide von Publikumsseite aus grandios. Wir hatten einen enormen Spaß und man hat uns auch dankend angenommen. Hervorheben sollte man jedoch, dass das eine (und ich werde nicht sagen welches) von einer Professionalität glänzte, die man nur ganz selten erlebt. Wir wurden super versorgt, keine Band genoss besseres Ansehen und sobald irgendetwas war bzw. ein Wunsch anstand wurde jener umgehend erfüllt. Das jedoch ist so oder so eher selten.

Würde es dich reizen einmal die Songs der beiden Alben zusammen mit einem richtigen Orchester erklingen zu lassen?
Oh ja! Wir haben bereits Kosten eingeholt, wie teuer ein derartiges Unterfangen wäre. Bei unserem jetzigen Berühmtheitsgrad jedoch, würde es sich nicht rentieren doch wir hoffen, dass wir uns jenen Traum noch irgendwann erfüllen können.

Mit euerem ersten Album „Ernte im Herbst“ wurdet ihr teilweise in die Pagan-Schublade gesteckt, obwohl die Musik und die Hörer zu einem großen Teil im Gegensatz zu euch ja eher durch heuchlerische unehrliche Naturverbundenheit und plumpe Texte aufwarten. Deine Meinung zu dieser Neo-Heiden-Szene?
Tja, es ist schwierig über diese Menschen zu urteilen, da man ein derartiges Verhalten in allen Musikszenen findet. Denke man nur an richtige Black Metaller. Sobald eine Musik in der Öffentlichkeit Fuß fasst, muss man mit Mitläufern rechnen, die den Inhalt für sich neu interpretieren und dann ganz schnell auch zu Heiden werden. Das Internet machts möglich.

www.Heide-in-24h-direkt-service.de… Könnte mir vorstellen das so etwas irgendwann kommt (lacht).
Schauen wir uns den durchschnittlichen Neu-Heiden an. Sein Freund zeigt ihm über MySpace ein paar Bands. Der Neu-Heide findet das total interessant und steht dazu noch auf die eine Tussi seiner Fav.Friends-Liste. Die aber möchte nur noch Metaller als Freund… Was also tun ?

Die Anonymität machts möglich. Ich besorge im 24-Dienst einen Thorshammer, Andrea Haugens Runenfibel und diverse MP3s angesagter Bands. Noch schnell ein paar Grundeinstellungen definieren (Natur, Odin, Wikka) und ab zum nächsten Metal-Festival.

Das war natürlich übertrieben (hehe, wir haben Humor) aber real betrachtet läuft es oftmals so ab. Alleine Umfragen in Foren schmettern mir Fragezeichen ins Gesicht. Welche CDs habt ihr original? Ähhh? Welche Bands habt ihr schon live gesehen? Ähhh? Irgendwie verändern sich die Parameter?

Wie zufrieden bist du nach dem Weggang von Black Attakk nun mit Reartone Records?
Es war eine ziemlich gute Entscheidung. Reartone unterstützt uns in allen Belagen. Am meisten schätze ich jedoch die uns entgegen gebrachte Freiheit. Man vertraut uns und lässt uns machen. Ich denke, dass so etwas selten ist.

Arbeitest du bereits am dritten Album, gibt es bereits spruchreife Ideen? Wirst du stilistisch wieder Änderungen vornehmen wie vom ersten zum zweiten Album?
Das Songwriting zum dritten Album ist bereits abgeschlossen und wir werden noch dieses Jahr ins Studio gehen. Wir waren sehr fleißig und ich denke, dass es sich gelohnt hat. Unser kommendes Album setzt ebenso an „Ernte im Herbst“ als auch an „Sade et Masoch“ an und schließt dabei diese Dreierkonstellation. Musikalisch möchte ich nicht zu viel verraten… Das Warten wird sich definitiv lohnen…

Da warten wir doch gerne. Vielen Dank für das interessante Interview!

Geschrieben am von Metal1.info

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