Interview mit Skald Draugir von Helrunar

Sei es nun das „Des Kaisers neue Kleider“-Phänomen oder echte Begeisterung – wohin man blickt ernten HELRUNAR für ihr Doppel-Album „Sól“ nichts als lobende Worte.
Bei uns kam das Werk nicht ganz ungescholten davon – da das aber nicht, wie Skald Draugir mutmaßt, gleich heißt, wir würden die Band als solche nicht mögen, haben wir den Sänger des Duos natürlich dennoch zum Gespräch gebeten.
Was der sympathische Fronter über Selbstdarstellungszwäge im Musikbusiness und Sperrigkeit als Konzept zu berichten weiß, könnt ihr im Folgenden nachlesen.

Sers! Schön, dass du dir die Zeit für das Interview nehmen konntest. Wie geht es dir?
Etwas gesundheitlich angeschlagen, Erkältung mit Fieber, ansonsten gut, danke der Nachfrage!

Oh, dann wünsche ich gute Besserung!
Ich nehme an, ihr seid mit der Promotion-Arbeit für „Sól“ gut beschäftigt. Nerven die Interviews schon, oder machts noch Spaß?

Willst Du meine ehrliche Meinung? Ich halte eigentlich generell nicht mehr viel von diesem ganzen Musik-Business-Kram… dieser ganze Zwang zur Selbstdarstellung, diese Scheinwelt… damals hat mir das vielleicht sogar gefallen, das gebe ich offen zu. Ich war naiver. Heute ist mir dabei manchmal sehr unwohl. Diese Bemerkung soll sich nun nicht gegen die Musikjournalisten richten… sie müssen ja ihren Job als Informations-Vermittler zwischen Musiker und Fan erfüllen. Aber manchmal wird man dabei gegen seinen Willen zu etwas aufgebaut, das man nicht ist, und das gefällt mir nicht – weder zum Guten noch zum Schechten. Oft wünsche ich mir, man könnte einfach nur seine Musik machen und die für sich sprechen lassen, den ganzen restlichen Kram weglassen. Aber es gibt für uns wohl kein zurück mehr… mitgefangen, mitgehangen.

Andere Musiker frage ich zu Beginn eines Interviews für gewöhnlich nach dem Lieblingssong vom neuen Album – in diesem Fall bietet sich zunächst die Frage an: Hast du ein Lieblingsalbum von euren beiden Neuen, und wenn ja, welches und warum?
Das kann ich leider nicht so einfach beantworten… „Sól“ und funktioniert für mich nur als Gesamtwerk. Sorry für die schwammige Antwort…
…und der Lieblingssong?
… auch den kann ich aus dem selben Grund leider nicht nennen. Die Stücke entfalten, zumindest für mich, Reiz und Bedeutung, wenn sie im Kontext zu den anderen gestellt werden.

Ok. Ihr hattet ja nach „Baldr Ok Iss“ mit dem Weggang von Dionysos als Band einen großen Umbruch zu verkraften. Wie kam es zu seinem Ausstieg, wenn man fragen darf?
Man hatte einfach verschiedene Vorstellungen, was Musik und Arbeitsweise angeht. So etwas passiert halt.

Gab es damals Überlegungen, die Band aufzulösen? Immerhin war er Hauptsongwriter, wenn ich mich nicht irre…
Nein, da irrst Du Dich. Wir waren schon immer zu mehr oder weniger gleichen Teilen beim Songwriting involviert. Die Band aufzulösen stand niemals zur Debatte.

Zumindest musstet ihr innerhalb der Band wohl einiges umstrukturieren – was hat sich in der Band und eurer Arbeitsweise/-aufteilung seit dem verändert?
Wir sind nun nur noch zu zweit, was aber optimal funktioniert, weil wir uns sehr einig sind, in dem was wir musikalisch und konzeptionell wollen.
In die Arbeit ist vielleicht mehr Ruhe und Sorgfalt gekommen… statt, wie damals, alles größtenteils im Proberaum zu schreiben, haben wir nun mit einem Heimstudio gearbeitet, was uns die Möglichkeit gab, immer wieder an den Songs zu feilen, bis wir das aus unserer Sicht optimale Ergebnis erreicht hatten.

Ist das Material auf den beiden Alben denn samt und sonders in der Zeit nach Dionysos Ausstieg entstanden?
Ja.

Statt Stagnation muss da bei euch ja der kreative Eifer ausgebrochen sein – habt ihr doch nicht nur relativ schnell ein Album geschrieben, sondern gleich zwei. Wie kam es dazu?
Das war nicht geplant… es hat sich einfach so ergeben. Wir begannen im Sommer 2008 mit dem Songwriting, und es gesellten sich immer neue Ideen hinzu… auch das Textkonzept wuchs immer weiter und nahm klarere Formen an.
Es dürfte gegen Ende 2009 gewesen sein, als wir merkten, dass eine CD für das Material nicht reichen würde. Weglassen wollten wir aber nichts, da alles seine Richtigkeit und seinen Platz im Konzept hatte. Also mussten es eben zwei Teile werden.

Ihr hattet also nicht von vorneherein feste Konzept, ein Doppelalbum zu schreiben, sondern am Ende der kreativen Phase einfach so viel Material, dass ihr euch zu diesem Schritt entschieden habt?
Ein grobes Konzept hatten wir von Anfang an, aber es war nicht als Doppelalbum, sondern als normales Album geplant. Dann aber entwickelte es ein bizarres Eigenleben, und so führte der Weg halt immer weiter, bis uns irgendwann klar wurde, dass daraus zwei Alben werden müssen.

Wie habt ihr das Material auf die beiden Alben verteilt? Habt ihr die Alben nacheinander fertiggestellt, oder erst Material gesammelt und dann zusammengestellt?
Da das Konzept von Anfang an schon grob umrissen war, fanden die Kompositionen recht schnell ihren Platz darin… wir haben also quasi beide Alben gleichzeitig geschrieben. Wenn ich mich recht entsinne, war Teil I aber zuerst fertig komponiert.

Die beiden CDs heißen „Sól I – Der Dorn im Nebel“ und „Sól II – Zweige der Erinnerung“.
Kannst du uns etwas zu diesen Einzeltiteln verraten, beispielsweise in welchem Zusammenhang sie zu den jeweiligen Alben stehen?

Der Dorn bezieht sich auf eine unbekannte, verborgene Katastrophe (darum „im Nebel“), auf eine zerstörerische Kraft. Wer sich für Runen interessiert, mag dabei auch an Þorn bzw. Þurs denken. Das Erleben und Erfahren auf jenem Teil ist größtenteils subjektiv und findet im Einzelnen statt.
Auf Teil II ändert sich dieser Blickwinkel: Die Zweige stehen symbolisch für eine Vernetzung, also für einen objektiveren Blickwinkel und weil sie „Zweige der Erinnerung“ sind, auch für Identität und tradiertes Wissen.

Worin unterscheiden sich die beiden Alben denn deiner Meinung nach, und in welchen Bereichen haben sie jeweils ihre Stärken, vielleicht auch, selbstkritisch gesehen, Schwächen?
Der erste Teil ist wohl direkter… mehr Black Metal, während der zweite experimenteller ist. Die größte Stärke ist nach unserem Empfinden die erzeugte Atmosphäre und die emotionale Tiefe – und das auf beiden Teilen. Genau das wollten wir erreichen und wir denken, dass uns dies gelungen ist, ebenso wie die Umsetzung eines komplexen Konzeptes.
Schwächen… ich denke, Sól ist sowohl textlich wie auch musikalisch bei weitem schwerer zugänglich als unsere früheren Alben. Viele werden keinen Zugang dazu finden, vielleicht auch, weil sie es gar nicht wollen. Das könnte ich sogar verstehen, denn „Sól“ verlangt dem Hörer recht viel ab.Letzten Endes waren wir uns darüber aber bewusst und wollten es auch so.
Wir haben viele Gefälligkeiten früherer Tage und auch die Eingängigkeit zugunsten von Atmosphären und Spannungsbögen über Bord geworfen. „Sól“ ist also sehr sperrig, und diese Sperrigkeit ist tatsächlich auch Teil des Konzeptes… ob man es mag ist sehr stark vom Geschmack des Einzelnen abhängig. Aus unserer Sicht ist es daher eigentlich keine Schwäche, aus kommerzieller Sicht aber natürlich schon, da viele Leute eher leicht zugängliche Musik wollen, die schnell zündet.

Besteht zwischen den CDs ein direkter Zusammenhang, der sie zu einem Doppelalbum machen würde, haben die beiden Alben beispielsweise ein gemeinsames Textkonzept?
Ja, das Erzählte hat einen roten Faden, allerdings einen, der nicht sofort auffällt. Denn die „Handlung“ auf „Sól“ orientiert sich nicht an einer rationalen Logik, wie wir sie aus unseren gewohnten Erzählstoffen kennen, sondern an der erzählerischen Logik der Mythen… es ist eine Mytho-logik, wenn man mir das Wortspiel gestattet. Ich kann mir vorstellen, dass die Texte auf den ersten Blick für viele sehr befremdlich sein können.

In der Tat… könntest du das Konzept deshalb an dieser Stelle vielleicht nocheinmal etwas genauer erklären?
Geschildert wird eine unbekannte Katastrophe – und die Zeit danach, die Isolation, die resultierenden Ängste und Gefühle von Entfremdung, die Wut, die Einsicht und die langsame und schmerzhafte Bewusstwerdung, bis hin zu einer Wandlung.
Jedes Stück bildet dabei eine Station, die auf den ersten Blick gesehen, von den anderen sehr unterschiedlich sein kann, Symbolik und Atmosphäre betreffend. So kann man jedes Stück isoliert betrachten und interpretieren. Man kann es aber auch in einen Bezug zu einem anderen Stück setzen, und es ergibt sich eine neue Deutungsebene. Viele Symbolismen tauchen immer wieder auf, manchmal auch in variierter Form, was aber natürlich nur jemand merkt, der sich intensiver damit beschäftigt. Man kann jedes Stück auch im Kontext seines Teiles betrachten, oder im Kontext des ganzen Albums und immer werden sich neue Interpretationsebenen eröffnen. Alles in allem ergeben die Texte ein Sinngeflecht, eben so, wie auch Mythen es tun.
Auf den ersten Blick erscheinen Mythen sehr Bizarr und möglicherweise sinnlos. Erst wenn man sie in einen Kontext setzt und beginnt, die Symbolik zu entschlüsseln, sei es nun psychologisch, soziologisch, historisch, kulturell oder philosophisch, eröffnen sie immer neue Bedeutungsebenen. Das macht sie so zeitlos, man kann in ihnen immer etwas Neues finden, egal, wie man an sie herantritt. Sól ist also gewissermaßen ein Experiment in mythischer Sprache.
Ich hoffe, dies wirkt nicht zu wirr und ich kann damit halbwegs erklären, wie die Texte funktionieren.
Wenn du willst, dann halte mich für einen Idioten, der sich da in etwas verrannt hat… ich kann Dir aber versichern, dass ich sehr viel Arbeit darauf verwendet haben, die Texte so aneinander anzupassen, dass sie dieses Sinngeflecht erzeugen. Du kannst Dir einen beliebigen Teil von Sól herauspicken – egal ob musikalisch oder textlich – und uns fragen, warum er so ist wie er ist und nicht anders – und wir werden Dir sagen können warum. Diese Durchdachtheit, diese Sorgfalt ist man dem Werk, sich selbst, dem Hörer schuldig. Ob das Resultat dann auch allen gefällt… diese Frage sollte man sich gar nicht stellen, denn das wird es sowieso nicht.

Interludien wie „Lichtmess“ oder „Europa nach dem Eis“ machen ja einen nicht unwesentlichen Teil der beiden Alben aus. Worin siehst du ihre Bedeutung für das Album? Atmosphäreförderndes „Füllmaterial“ oder für das Konzept des Albums essentiell?
Sie haben ihren festen und wichtigen Platz im Konzept. Sie formen natürlich Übergänge, auch Ruhepausen, und erzeugen damit atmosphärische Kontraste. Inhaltlich haben sie oft die Funktion eines Perspektivwechsels.

Textlich wirkt das Album bisweilen etwas zerrissen auf mich: Während „Moorgänger“ gradewegs von „Frostnacht“ entstammen könnte, wirken die Texte der eben erwähnten Interludien oder auch von Songs wie „Europa nach dem Eis“ eher modern denn naturmystisch. Könntest du uns eure Gedanken dazu kurz darstellen?
Ich habe mich ja gerade schon bemüht, das Textkonzept ein wenig genauer zu erklären… diese „Zerrissenheit“, wie Du sie wahrnimmst, kommt dabei auch nicht von ungefähr.
Auch sie ist Teil des Konzeptes und reflektiert eben denselben, in der Moderne weit verbreiteten und oftmals erfolgreich verdrängten Zustand innerer Zerrissenheit. In der Vielfältigkeit der Ansichten, Möglichkeiten und Eindrücke geht das wichtige, das essenzielle oft verloren – vielleicht hast Du diesen Zustand schon einmal an dir selbst bemerkt. In diesem Sinne – ja, ist Sól ist ein durch und durch „modernes“ Album, nicht im Sinne von Mode oder Trend, sondern inhaltlich. Hier geht es nicht um frühere Zeiten und Mythen, sondern ganz allein um moderne Daseinszustände. Sól will nicht von Mythen erzählen, sondern mythisch erzählen, und das mit modernen Mitteln. Erst am Ende, eben ab „Moorgänger“, als langsam eine Wandlung erfolgt, werden Sprache und Form wieder archaischer. Bis dahin sind die ältesten Formen von Dichtung, die Einfluss auf Sól haben, Expressionismus und Surrealismus – beides Stilrichtungen des 20. Jahrhunderts und damit der Moderne. Nur die schon erwähnte Struktur und der Symbolismus von Sól sind durchgehend archaisch. Ich liebe Naturmystik als Stilmittel nach wie vor… auf einem eher sperrigen und hässlichen Werk wie Sól blieb dafür aber nicht viel Platz.

Der Erzähler spricht im Tagebuchstil immer wieder von nummerierten Tagen („Tag 184.“ beispielsweise).
Tag X nach was, oder worauf wird hier Bezug genommen? Ist die Zeitspanne zwischen den erwähnten Tagen von Bedeutung, oder wahllos festgelegt?

Tag 0 ist der Tag der Katastrophe. Die Zeitspanne ist nicht wahllos festgelegt, sondern wird durch die Phasen der Wandlung und ihre Dauer bestimmt.

Im letzten Track bedient ihr euch erneut einer fremden Sprache – ich nehme an, wieder alt-isländisch?
Ja.
…, ansonsten hält „Sól“ aber, gerade im Vergleich zum Vorgänger, der ja extrem auf den Aspekt der alten Sprachen einging, diesbezüglich überraschend wenig bereit. Hat sich das so ergeben, oder war es eure Intention, auf diesen Aspekt von HELRUNAR diesmal nahezu gänzlich zu verzichten?
Eine solche Intention gab es nicht. Es hat sich so ergeben, als die Atmosphären und das Konzept von „Sól“ mehr und mehr Gestalt annahmen… warum habe ich ja gerade schon erklärt.

Das Coverartwork schaut sicherlich gut aus, sonderlich kreativ oder individuell finde ich es jedoch nicht unbedingt. Nach welchen Kriterien habt ihr die Bilder ausgewählt, und wie viel Einfluss auf die optische Gestaltung von „Sól“ hatte euer Label?
Das ist halt Geschmackssache. Wir mögen es. Wir wollten ein Artwork, dass Musik und Texte unterstützt ohne dabei zu aufdringlich zu sein.

Zum Abschluss die obligatorische Frage nach den Live-Aktivitäten: Wird es zu Sól auch eine Deutschlandtour geben? Eure letzte ist nun ja doch schon länger her…
Wir arbeiten dran… aber ich kann noch nichts genaues sagen. Hoffen wir, dass es in der zweiten Jahreshälfte 2011 was wird!

Ok, das wärs dann von meiner Seite fast gewesen, als Abschluss würde ich gern das Metal1.info-Brainstorming mit dir machen:

Pfad: Weg, der führt, mit unbekanntem Ziel.

Stein: Kann im Außen Orientierung sein, da er nicht vergeht und immer einen Ort markiert. Im Inneren jedoch verhärtet, ähnlich Eis, und Stagnation.

Grab: Tor zu Unterwelt, Ende einer Spirale.

Lichtung: Verborgen, ungesehen. Doch nach langem Weg endlich freie Sicht.

Strom: Fließt für immer, gleich ob Menschen ihn entdecken oder nicht.

Zeichen: Zweige, Steine, Runen auch. Jeder mag die eigenen finden.

Metal1.info: Ich glaube, ihr mögt uns nicht. Aber was soll man machen? Man tut, was man für richtig hält, so gut man kann. Dem einen gefällt dann das Ergebnis, der andere findet es zum kotzen. Das ist halt das Spiel.

Das würde ich so nicht sagen – Kritik üben und damit umgehen ist schließlich ein essenzieller Bestandteil jeder Freundschaft – und sollte nie über das Kritisierte hinaus auf das große Ganze bezogen werden.
In diesem Sinne wünsche ich dir alles Gute und viel Erfolg mit HELRUNAR, beziehungsweise „Sól“ im Speziellen! Wenn du noch etwas loswerden willst, hast du jetzt die Gelegenheit dazu:

Dankeschön, dir auch alles Gute! Noch etwas loswerden…?
Nein, ich habe glaube ich schon genug geredet.

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