Interview mit Hannes Braun von Kissin‘ Dynamite

KISSIN’ DYNAMITE mischen die deutsche Hard-Rock- und Heavy-Metal-Szene seit Jahren kräftig auf, mit „Not The End Of The Road“ legen die Schwaben sogar ihr bisher bestes Album vor. Auch, wenn die Pandemie an Spaßgranaten nicht spurlos vorbei geht, ist das Ende des Weges noch lange nicht erreicht. Sänger Hannes Braun spricht mit uns offen über die Auswirkungen von Corona, den Ausstieg von Schlagzeuger Andi, Depression und den Einsatz der Band für krebskranke Kinder.

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Hallo Hannes, vielen Dank dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wie ergeht es dir dieser Tage?
Tatsächlich geht es mir sehr gut! Es ist wieder sehr stressig geworden, was ein gutes Zeichen ist nach fast zwei Jahren Stillstand. So eine Albumveröffentlichung ist immer eine große Sache für einen Künstler mit allen Interviews und Terminen, die da so anfallen. Aber eben diesen Stress nehme ich gerade als sehr belebend wahr!

Mit „Good Life“ unterstützt ihr den Förderverein für krebskranke Kinder Tübingen e.V., eine großartige und wichtige Sache, die noch viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Wie kam die Zusammenarbeit zustande, was verbindet euch mit dem Thema Kinder und Krebs?
Es begann damit, dass vor vielen Jahren, noch zu Zeiten unserer zweiten Platte, ein Junge aus dem Nachbardorf an Leukämie erkrankte. Sein Name ist Tobias, er ist quasi im gleichen Alter wie wir und das hat uns damals sehr schockiert. Wir waren ja noch sehr jung, im Teenageralter… Und plötzlich so eine Diagnose zu bekommen war für uns nicht vorstellbar. Wir wollten ihm helfen und haben eine Benefiz-Show veranstaltet, sodass wir die Einnahmen für seine Typisierungs-Aktion spenden konnten. Nach einem langen Weg konnte Tobias tatsächlich einen Spender finden und wir waren davon so bewegt, dass uns das Thema nicht mehr losgelassen hat.

Wir intensivierten dann über die Jahre unser Engagement für den Kampf gegen Krebs – besonders bei Kindern – mit dem Förderverein für krebskranke Kinder Tübingen e.V., riefen unsere Fans auch schon vor zwei Jahren zu einer Spendenaktion auf, die wir mit unserer aufgezeichneten Summer-Breeze-Show bewarben. Und das Ende der Geschichte? Es gibt keins! Wir wollten noch mehr tun und so entstand in unseren Köpfen die Idee, einen Charity-Song zu schreiben, dessen Erlöse ebenfalls an den Förderverein gehen. Wir sind überglücklich darüber, dass wir dafür auch noch unsere Freunde und Kollegen von Saltatio Mortis, Guernica Mancini und Charlotte Wessels begeistern konnten. Ich finde, das ist wirklich ein schöner Song geworden und wir bekamen auch wahnsinnig gutes Feedback dafür!

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Kannst du verraten, was ihr durch den Song und das dazu gehörige T-Shirt an den Förderverein spenden konntet?
Wir planen derzeit tatsächlich gerade ein Treffen mit dem Förderverein in Bälde, bei dem wir den Verein mit der Summe überraschen wollen. Das heißt, ich kann es dir also noch nicht verraten, aber ihr werdet das schon in Kürze erfahren.

 

„Good Life“ als Song bezieht sich nicht nur auf kranke Kinder, sondern auf alle, das oft wiederholte „everybody“ macht das ganz deutlich. Wie seht ihr die Themen Diskriminierung und Ausgrenzung in der aktuellen Zeit und was könnte man bei uns machen, um diese Situation zu verbessern? Nicht zuletzt durch Corona haben sich da ja ganz neue Abgründe aufgetan.
Ganz richtig! „Everybody“, also JEDER hat das Recht auf ein gutes Leben. Es ist uns ein Rätsel, wie man in einer eh schon schwierigen Zeit mit Hass und Diskriminierung um sich schlägt… In Zeiten wie diesen ist es umso wichtiger, zusammen zu halten und an das Gute zu glauben. Wir sind eine Band, die auch schon ganz schön in der Welt rumgekommen ist und wir wurden immer mit Gastfreundschaft behandelt. Das erwarte ich irgendwie von den Menschen und das können die Menschen wiederum auch von mir erwarten. Ist das nicht eigentlich selbstverständlich?

Stichwort Corona: Inwiefern hat die Pandemie die Songs auf dem Album und euch selbst beeinflusst?
Naja, Corona hat ja eigentlich alles über den Haufen geworfen. Ich hätte es falsch gefunden, ein reines Party-Album zu schreiben. Es gab auch einfach zu viele deprimierende Rückschläge in den letzten zwei Jahren. Daher gibt es auch ein paar tiefgründigere und nachdenklichere Songs auf dem Album. Aber wir glauben an bessere Zeiten, auch wenn jetzt noch alles nicht so danach aussieht und so kommt es, dass der Titelsong quasi die Gesamtbotschaft in Kurzfassung beinhaltet. „Not The End Of The Road“ ist ein Mutmacher!

Wir sind und waren schon immer eine Band, die den Kopf nicht in den Sand steckt, sondern mit voller Power und Enthusiasmus die Dinge selbst in die Hand nimmt. Und da sind wir eigentlich bei dem Thema angelangt, was mich in den letzten beiden Jahren am meisten beschäftigt hat. Ich bin zu der wahren Erkenntnis gekommen, dass ich wirklich SELBST über mein ganzes Leben entscheiden kann. Das klingt jetzt vielleicht so einfach daher gesagt, aber ich meine es so. Wenn dir etwas an deinem Leben nicht oder nicht mehr gefällt, dann ändere es aktiv, anstatt dich zu beschweren. Wir haben alles selbst in der Hand! Diese Botschaft steckt daher auch ganz natürlich in manchen Songs. Das heißt, man könnte sogar sagen, dass das unser ehrlichstes Album überhaupt ist.

Das letzte Album „Ecstasy“ kam 2018, normalerweise war man von euch einen Zwei-Jahres-Rhythmus gewohnt. Kann man diese längere Wartezeit auch auf die aktuelle Lage schieben?
Ja. Es hätte keinen Sinn gemacht das Album früher rauszubringen, da alles verpufft ist, was in den letzten 2 Jahren an Musik rauskam. Das wäre für uns aber echt zu schade gewesen, da sehr viel Liebe und Arbeit in so einem Album steckt.

Wie du schon gesagt hast, ist „Not The End Of The Road” ein positiver, mutmachender Song in einer schweren Zeit mit der wichtigen Aussage, nicht aufzugeben. Wie ist der Song entstanden, welchen Hintergrund hat er?
Als uns unser Ex-Drummer Andi eines Abends letzten Februar verkündete, dass er aus der Band aussteigt, war das für uns alle ein Riesenschock. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Am nächsten Morgen fragte mich meine Freundin, wie es mir mit dieser Info geht und was ich mit dem Tag anfangen würde. Ich sagte nur trotzig „Keine Ahnung, aber ich werde heute definitv keinen Song schreiben“! Aber dieses Gefühl der Frustration und Enttäuschung hat sich ganz schnell in ein kämpferisches positives Gefühl verkehrt. Ich habe es nicht eingesehen, Trübsal zu blasen, sondern habe mir stattdessen selbst motivierend gesagt „Fuck, nein, das ist NICHT das Ende!“ So kam mir schlagartig die Zeile „Not The End Of The Road“ und ich schrieb den Song in wenigen Stunden komplett fertig. Das war ein wirklich magischer Moment.

Und als er fertig waren wussten wir alle, dass dieser Song zu allen Menschen spricht, weil so ziemlich jeder schon schwere Krisen in seinem Leben hatte. Der Song war quasi meine eigene Selbst-Therapie und sollte dann auch anderen Menschen helfen. Wir haben bis heute unfassbar viele Nachrichten gehört von ganz verschiedenen Leuten, die uns berichteten, wie sehr ihnen der Song in der gegenwärtigen Zeit und Situation hilft.

Das abschließende „Scars“ ist im Gegenzug dazu wohl euer traurigster und emotional ergreifendster Song bisher überhaupt. Um welche Wunden und Narben geht es im Text?
Das war mein persönlicher Tiefpunkt im Leben. Ich hatte sehr an mir und an meinem Leben gezweifelt, nachdem und teilweise schon während wir auf der „Ecstasy Over Europe“-Tour waren. Ich wusste einfach nicht mehr, wo mir der Kopf stand, fühlte mich mehr und mehr passiv und ließ andere über mein Leben bestimmen. Das hatte bei mir zur Folge, dass ich wirklich depressiv wurde. Das wurde so schlimm, dass ich irgendwann vom einen auf den anderen Tag alles umgekrempelt habe. Man sagt ja, dass man in einer so schwierigen Phase keine wichtigen Entscheidungen fällen sollte, aber ich habe genau das getan. Und es war goldrichtig! Heute geht es mir wieder super, bestimme selbst über mein Leben und fühle auch die Band mehr denn je! „Scars“ ist aus dieser schweren Zeit, aber allein schon wegen diesem tollen Song bereue ich nichts!

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Mit eurem neuen Drummer Sebastian Berg habt ihr zum ersten Mal seit dem Debütalbum 2008 ein neues Bandmitglied an Bord. Wie habt ihr euch gefunden, wie hat er sich inzwischen im nach so vielen Jahren sicher gefestigten Bandgefüge eingelebt und was hat der Wechsel in der Band verändert?
Sebbes, wie wir ihn nennen, begegnete uns in der einzigen Audition, die wir nach Andis Ausstieg gemacht haben. Wir wollten ja nicht nur einen tollen neuen Drummer finden, sondern vor allen Dingen einen Bro, der wie wir tickt, der mit uns menschlich auf einer Welle surft. Wir haben bei ihm sofort ein gutes Gefühl gehabt. Ich erinnere mich daran, dass wir den ersten Song zusammengespielt hatten und wir anderen Vier uns währenddessen angesehen haben und uns ein Grinsen nicht verkneifen konnten. Irgendwie hat es einfach so Bock gemacht! Dann haben wir Sebbes erneut eingeladen, ihn standesgemäß abgefüllt, weil wir wissen wollten, ob er auch noch besoffen ein guter Kerl ist. Den Test hat er mit Bravour bestanden und wir können sagen: Durch alles, was wir bis hierhin gemacht haben, egal ob Video-Drehs oder Gigs und so weiter fühlen wir uns einfach wieder wie eine Band und das ist das, worum es geht!

Eure Songs sind immer sehr eingängig und machen auch trotz der diesmal etwas weniger spaßigen Texte wieder viel Spaß. Ist euch das beim Songwriting immer wichtig, dass die Songs schnell hängen bleiben und direkt sind? Habt ihr beim Schreiben direkt den „Stadionrock“-Gedanken?
Das ist quasi unser Trademark. Wir wollen keine Songs schreiben, die man erst zwanzigmal hören muss, um einem Song irgendwelche komplizierten Riffs abgewinnen zu können. Wir wollten schon immer Songs schreiben, die dir tagelang nicht aus dem Kopf gehen, die möglichst schon beim ersten Hören zünden. Wir heißen ja schließlich Kissin DYNAMITE! (lacht)

Seit „Megalomania“, spätestens seit „Generation Goodbye“, scheint ihr den typischen KISSIN‘-DYNAMITE-Stil gefunden zu haben. Würdest du das auch so sehen und inwiefern habt ihr euch deiner Meinung nach seitdem verändert und verbessert?
Ich würde sogar sagen, dass erst so richtig seit „Ecstasy“ unser Sound zu hundert Prozent gefunden ist. Es ist aber auch logisch, dass wir eine Reise durchgemacht haben. Wir haben als Teenager begonnen, pubertär unseren Idolen zu huldigen. Da war das alles noch etwas Kraut und Rüben. Mit der Zeit haben wir bewusst experimentiert. Ich sehe das wie eine Art Pendel. Du stößt es mal in eine Richtung an, es bewegt sich dann zwangsläufig auch mal extrem in die andere Richtung. Entscheidend ist, wo es sich für uns wie die goldene Mitte anfühlt.

Leider mussten eure geplanten Release-Shows aufgrund der anhaltend schwierigen Lage abgesagt werden. Nach „Ecstasy“ habt ihr zwar unfassbar viele Konzerte gespielt, das ist aber nun auch schon gut zwei Jahre her. Wie sehr fehlt euch die Bühne und der direkte Kontakt zu den Fans? Ein Autokonzert ist da wohl auch kein adäquater Ersatz.
Eigentlich braucht man die Frage gar nicht näher beantworten… Es fehlt uns wie die Sau, aber es nützt ja nichts! Wir machen das Beste aus der Situation. „NOT THE END OF THE ROAD!“

Zu „Not The End Of The Road” wollt sicher nicht nur ihr, sondern auch die Fans unbedingt eine Tour. Könnt ihr da momentan überhaupt in irgendeiner Art und Weise etwas planen oder euch optimistisch über eine sinnvolle Umsetzung Gedanken machen?
Wir planen schon seit über einem Jahr hinter den Kulissen hin und her, verwerfen wieder, planen neu, und so geht das im Kreis. Wir wollten nicht mit einer Tour an die Öffentlichkeit ohne die Garantie, diese auch spielen zu können. Wir haben fest an die Release-Shows geglaubt und nun waren auch wir gezwungen, sie abzusagen. Aber wir haben immerhin für alle Fans und auch für uns selbst eine Möglichkeit gefunden, wenigstens für einen Abend in unserer Veröffentlichungswoche den Release unseres Albums gebührend zu feiern. Und zwar mit unserer Streaming-Release-Show! Irgendwann gibts wieder normale Konzerte und da werden wir auch am Start sein, so viel ist sicher!

Das Video zu „Coming Home“ macht jedenfalls unglaublich viel Lust auf Konzerte und das ganze Drumherum. Ist die Bühne für euch das Zuhause, zu dem ihr endlich wieder zurückehren wollt?
Du hast es erfasst! Aber mehr noch als nur die Bühne. „Coming Home“ ist ein Gefühlszustand, bei sich selbst anzukommen, mit sich im Reinen zu sein, sich in seinem inneren Zuhause wohlzufühlen. Aber wo du das Thema Bühne ansprichst: Wir haben eine wahnsinnig fette neue Produktion auf die Beine gestellt, die wir den Fans auch bei der Streaming-Show zum ersten Mal vorführen werden! Da habe ich persönlich mega Bock drauf!

Kommen wir zum Abschluss zu unserem traditionellen Brainstorming. Was fällt dir zu folgenden Begriffen zuerst ein…
Aktuelles Lieblingsalbum: Miley Cyrus – Plastic Hearts.
Bestes Film-/Serien-/Buch-Universum: „Tribute von Panem“.
Religion: Führt nur zu Ausgrenzung.
Etwas, das einen schlechten Tag besser macht: Ein geselliger Abend mit Freunden – und Bier. (lacht)
Vorsatz für 2022: Keine! Das Leben so anzunehmen, wie es kommt!
Kissin‘ Dynamite in zehn Jahren: Alive and kicking!

Nochmals vielen Dank für deine Zeit, Hannes! Die letzten Worte gehören dir.
Liebe Freunde der Gitarrenmusik! Ich bin unfassbar stolz, dass wir nun schon seit 15 Jahren allen Widrigkeiten zum Trotz und aus tiefster Überzeugung diese Mucke machen. Ich danke euch für euren Support! Bitte supportet uns auch weiterhin, damit wir euch auch noch weitere geile Scheiben um die Ohren hauen können. Wie das geht? Holt euch noch heute unser Album „Not The End Of The Road“ als Box, Vinyl, CD, Earbook oder Tape! Es geht nur mit euch oder gar nicht. Ich danke euch!

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