Interview mit Set Sothis Nox La von L’Acéphale

Read the English version

L’ACÉPHALE gehören mit Sicherheit nicht zu den bekanntesten Projekten der amerikanischen Black-Metal-Szene – wohl aber zu den interessantesten, was die Band um Mastermind Set Sothis Nox La mit ihrem aktuellen, selbstbetitelten Album einmal mehr unter Beweis gestellt hat. In unserem ausführlichen Interview mit dem Kopf der Truppe könnt ihr genaueres über die Geheimgesellschaft, nach der sich L’ACÉPHALE benannt haben, die lyrischen und philosophischen Einflüsse der Band, die Eigenheiten ihrer Musik und ihre Meinung zu „Status-quo-Bands“ lesen.

Guten Tag! Es freut mich, dass du für dieses Interview etwas Zeit erübrigen konntest. Wie geht es dir?
Hallo! Es geht mir gut. Ich bin gerade von unserer ersten Europa-Tour mit unseren lieben Freunden Fauna zurückgekehrt. Die Tour war großartig, wir lernten einige fantastische Leute kennen und sahen ein paar neue Bands, von denen ich begeistert bin.

Eure Band L‘ACÉPHALE ist nach einer französischen Geheimgesellschaft aus der Zeit des zweiten Weltkriegs benannt, richtig? Was hat erstmals euer Interesse an Georges Bataille und seiner Organisation geweckt?
Ich wurde mit Bataille irgendwann Mitte der 90er Jahre zum ersten Mal vertraut gemacht. Ich war in einer Gebrauchtbuchhandlung und fand das Buch „Die Tränen des Eros“. Später am selben Tag lieh mir ein Freund auch ein Exemplar seines Buches „Die Geschichte des Auges“. Von da an habe ich langsam die meisten seiner gedruckten Arbeiten aufgespürt. Ich komme oft auf seine Arbeit zurück und stelle fest, dass es viele Dinge gibt, mit denen ich mich in seinem Schreiben identifiziere. Insbesondere mit den Schriften aus den Zeiträumen vor und kurz nachdem die ursprünglichen L’Acephale aktiv waren (1930-1950). „Schuldig“, “ Die innere Erfahrung“, „Über Nietzsche“ und die Schriften, die sowohl mit der Zeitschrift L’Acephale als auch mit der öffentlichen Vortragsreihe, die Bataille und Roger Callois unter dem Titel „Collège de Sociologie“ leiteten, verbunden sind, sind Werke, die ich für besonders relevant halte. Ich finde sein Schreiben sehr ansprechend und immer noch wichtig für unsere moderne Zeit.

Soweit ich weiß, war Batailles Geheimgesellschaft antiautoritär und antifaschistisch eingestellt. Spielt diese Gesinnung auch für euch persönlich eine Rolle?
Das ist richtig. Die ursprüngliche Gruppe hatte linke Neigungen und entwickelte sich aus aktiven politischen Gruppen: Aus dem demokratischen kommunistischen Kreis, dem Gegenangriff und ein paar anderen. Seine Arbeit mit der Zeitschrift „Documents“ und die allgemeine Perspektive von L’Acephale bestanden darin, die Grundelemente der Gesellschaft und des Lebens (Basismaterialismus) anzuerkennen und zu erheben. In gewisser Weise kann das als Widerspruch zu der Bibelzeile Matthäus 6,10 gesehen werden, die da lautet: „Wie oben, so unten“. Bataille und andere versuchten, die Basis als grundlegenden Bestandteil der Gesellschaft und ein größeres gesellschaftliches Gleichgewicht zu integrieren. Das moderne Leben versucht, das zu beseitigen, was hässlich, niederträchtig und korrupt ist und will rein oder „heilig“ sein. Tatsächlich liefern das Tabu und die heterogenen Kräfte auch wesentliche „heilige“ Komponenten für die meisten Kulturen, die bis in die Frühzeit zurückreichen. Die Verneinung ihrer gesellschaftlichen Funktion führt zu Neurosen und gesellschaftlichem Unwohlsein. Bataille war stark von Emile Durkheim und der französischen Soziologie beeinflusst, und sowohl L’Acephale als auch das Collège de Sociologie suchten nach alternativen Wegen, um diese Theorien in die soziale und theoretische Revolte einzubinden. In beiden Fällen scheiterten sie, aber ihre Einblicke sollten nicht verloren gehen, da sie bis heute besonders relevant sind und eine ausgezeichnete Kritik an der Anziehungskraft, dem Reiz und der Funktion des heterogenen Heiligen in der Gesellschaft darstellen.
Die ursprüngliche L’Acephale-Gruppe war sowohl antiautoritär als auch antifaschistisch. Ich habe den Namen für das Projekt speziell gewählt, um auf die Zielsetzungen der ursprünglichen Gruppe hinzuweisen, zu denen die antifaschistischen und antiautoritären Elemente gehören, aber es ist auch erwähnenswert, dass sie eine spirituelle Revolution anstrebte, eine, die durch und durch im Sinne von Nietzsche wäre. Ich habe diese Wahl getroffen, um den tiefen Einfluss zu reflektieren, den die Schriften Batailles und vieler anderer aus der Gruppe auf mich hatten, aber auch, weil das Projekt eine Black-Metal-Band ist und auch von anderen Underground-Musikstilen beeinflusst wird, die in meinem Kopf eng miteinander verbunden sind. Es war mir wichtig, das Projekt nicht nur mit einigen der oben genannten größeren Ideen zu verknüpfen, sondern es auch politisch zu positionieren.

Bist du der Meinung, dass Autorität immer etwas Schlechtes ist und falls ja, aus welchem Grund?
Bataille ist eine interessante Figur, er war in mehreren verschiedenen linken Fraktionen aktiv, aber er dachte auch, dass sie die Anliegen ihrer Zeit nicht berücksichtigt hätten. Das ist es, was ihn dazu veranlasste, L’Acephale als spirituelle Revolution zu erschaffen. Aber er hatte auch eine komplexere Einstellung als das traditionelle links/rechts-binäre politische Kontinuum. Während Nietzsche versuchte, über Gut und Böse hinauszugehen, versuchte Bataille, auch über die typischen polarisierten politischen Spektren hinauszuschauen. Er engagierte sich eifrig für menschlichen Fortschritt und Gleichberechtigung, fühlte sich aber durch eine binäre Sichtweise der Politik eingeschränkt. Ich kann seinen Kampf politisch und theoretisch nachempfinden.
Ich halte die Autorität an sich nicht für schlecht, aber die Korruption lauert den Menschen stets auf, vor allem, wenn der grundlegende Lebensansatz der Menschen auf einfachen binären Konzepten beruht.
Da ich versuche, einen grundlegenden Lebensansatz außerhalb einfacher Klassifizierungen und binärer politischer Objektive zu finden, halte ich persönlich das Manifest der ursprünglichen Gruppe für erhellend. Für viele erklärt es gar nichts, aber ich für meinen Teil schätze das „Lebe-das-Paradoxon“-Gefühl, das in diesen Aussagen einzeln und in ihrer Gesamtheit steckt. Ich versuche, sie in alle physischen Manifestationen des aufgenommenen Outputs der Band aufzunehmen, damit man sie betrachten und berücksichtigen kann.

„Programm (in Bezug auf Acéphale)
Eine Gemeinschaft zur Schaffung von Werten, Werten zur Schaffung von Zusammenhalt zu etablieren.
Den Fluch aufzuheben, das Schuldgefühl, das die Menschen trifft und sie in Kriege zwingt, die sie nicht wollen, und das sie an Arbeit bindet, deren Nutzen ihnen entgeht.
Die Funktion der Zerstörung und Zersetzung zu übernehmen, aber als Errungenschaft, nicht als Negation des Seins.
Die persönliche Erfüllung des Seins und seiner Anspannung durch Konzentration, durch eine positive Askese und positive persönliche Disziplin zu erreichen.
Die universelle Erfüllung des Seins innerhalb der Ironie der Tierwelt und durch die Offenbarung eines azephalischen Universums zu erreichen, eher verspielte Weise als getragen von Status oder Pflicht.
Sowohl Perversion als auch Verbrechen nicht als exklusive Werte anzusehen, sondern als etwas, das in die menschliche Gesamtheit integriert werden muss.
Für die Auflösung und Abschaffung aller Gemeinschaften, einschließlich der nationalen, sozialistischen und kommunistischen Gemeinschaften und Kirchen, mit Ausnahme dieser universellen Gemeinschaft, zu kämpfen.
Die Realität dieser Werte und der daraus resultierenden menschlichen Ungleichheit anzuerkennen und die organische Natur der Gesellschaft zu erkennen.
An der Zerstörung der Welt, wie sie heute existiert, teilzunehmen, mit offenen Augen für die Welt, die folgen wird.
Die Welt zu betrachten, die aus der Realität folgen wird, die ihr jetzt innewohnt, und nicht im Sinne eines ultimativen Glücks, das nicht nur unzugänglich, sondern auch abstoßend ist.
Den Wert von Gewalt und den Willen zur Aggression als Eckpfeiler des Allmächtigen zu bekräftigen.“

– Georges Bataille (4.4.1936)

Gerade im Black Metal gibt es viele Bands, die trotz oder gerade wegen ihrer radikalen Ansichten bekannt und erfolgreich sind. Wie denkst du darüber?
Bataille war ein Fan und Verfechter der Schriften des Marquis de Sade. Er schrieb und sprach, um seine Schriften zu verteidigen. Er glaubte nicht, dass sie verboten werden sollten, und war der Meinung, dass das von ihm Geschriebene verfügbar sein sollte. Ebenso glaube ich nicht an Zensur, aber das bedeutet nicht, dass es keine klare, präzise formulierte Kritik an allen Arbeiten geben sollte. Wenn wir eine komplexe Auseinandersetzung mit dem gesamten Werk zulassen und den Wert und die Mängel der gesamten kulturellen Produktion analysieren und eine Tiefe der Analyse fördern, die über einfache Übertreibung und Fragen von Haftung hinausgeht, denke ich, dass wir als Menschen davon profitieren werden. Ich glaube, dass sich zu viele Menschen weigern, ihr Gehirn zu benutzen, um das zu verarbeiten, was sie denken und fühlen; schlimmer noch, ich glaube, dass aktuelle Trends versuchen, die Auseinandersetzung mit dem Inhalt zu minimieren und den Dingen einfach Etiketten binärer moralischer Urteile ohne kritische Bewertung anzuhängen. Kulturelle Produktion ist komplex und die Position, die man einnimmt, ist persönlich, wir alle betrachten die Welt von unseren verschiedenen Aussichtspunkten aus mit einer Menge Ballast, der auf unserer persönlichen Erfahrung basiert. Viel zu oft treffen Menschen persönliche Urteile und erlegen den Dingen moralische Imperative auf, ohne kritisches Engagement und wohlüberlegte Rücksichtnahme.
Die Probleme mit Black Metal ähneln den Diskussionen, die in der Kunst und in der künstlerischen Produktion insgesamt stattfinden. Können wir die Kunst lieben und die Künstler hassen? Ich glaube schon. Es geht aber auch um Einzelbewertungen, die von jeder Person selbst durchgeführt werden müssen. Diese individuellen Einschätzungen sind für die eigene Position und das eigene Leben sinnvoll, dürfen aber auch nicht mit den Einschätzungen anderer Personen in Konflikt geraten. Jeder Mensch sollte in der Lage sein, seine eigene Interpretation von Kunst zu bestimmen und was sie für ihn bedeutet. Sicherlich gibt es noch andere komplexe Fragen zu klären, aber es muss Raum für individuelle Untersuchungen und Bewertungen geschaffen werden, verbunden mit dem Zugang zur öffentlichen Auseinandersetzung mit der Kunst und seriöser Kritik. Den Menschen sollte der Zugang zu Raum und Informationen ermöglicht werden, um sich selbst eine fundierte Meinung zu bilden. Hier ist ein Link zu einer guten Analyse zu dem Thema:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Auch eure Musik ist äußerst ungewöhnlich – ihr setzt Elemente aus Black Metal, Folk und allerlei anderen Stilrichtungen ein und eure Songs sind mitunter 20 Minuten lang. Was ist in all dem deiner Meinung nach der Kern, der jedem einzelnen eurer Songs innewohnt?
Zu Beginn des Projekts wollte ich den besonderen Ort finden, an dem sich Black Metal, Folk, Dark Ambient und Musique Concrète kreuzen. Ich fühlte, dass es ähnliche Themen und akustische Elemente gibt, die sie miteinander verbinden. Es sind genau diese Punkte des Zusammenwirkens, die ich besonders bei diesen Genres interessant fand. Ich mag nicht alles, was in jedem dieser Genres zu finden ist, aber es gibt Punkte, in denen sie sich überschneiden, und ich wollte diese Elemente auf eine sinnvolle Weise kombinieren. Um den richtigen Raum für jeden dieser Parts zu schaffen, ohne dass die Genres bloß miteinander kollidieren. Mit gefallen die Fähigkeiten und Absichten von Musikern, die in kurzer Zeit breit gefächerte Musikstile kombinieren, wie etwa John Zorn und andere wie das französische Projekt Igorrr, aber das ist einfach nicht mein Weg als Musiker.
Ich bin daran interessiert, Musik zu schaffen, die Wildheit, Schönheit und Hässlichkeit gegenüberstellt. Also suche ich nach Musik, die diesen Weg beschreitet. Aber ich möchte auch Musik schreiben, die Melodie und Harmonie mit genügend „Riffs“ verbindet, um mitreißend zu sein. Die Zusammenarbeit mit den anderen Musikern an der neuen Veröffentlichung war in dieser Hinsicht sehr lohnend, und alle auf der Platte vertretenen Musiker verstehen und engagieren sich auch für dieses Ziel. Es war fantastisch, mit jedem einzelnen von ihnen zusammenzuarbeiten.

Man kann eure Musik durchaus als experimentell bezeichnen. Aus welchem Grund, denkst du, gibt es hingegen gerade im Black Metal derart viele Bands, die bloß den Status quo beibehalten wollen, anstatt neue künstlerische Wege zu gehen?
Ich verstehe, warum Bands inspiriert sind, die Musik zu kreieren, die sie kreieren. Ich höre eine große Vielfalt an Musik und schätze auch Bands, die unkompliziert an die Sache herangehen. Nur ein Genre zu mögen scheint wenig ausgeklügelt und langweilig zu sein, aber ich kann die Motivation der Leute nachvollziehen. Obwohl es sicherlich nicht meine Motivation ist. Ich denke, dass viele Künstler und Konsumenten nach Status-quo-Projekten suchen, weil sie diesen Glauben haben, dass die Musik, die sie konsumieren oder produzieren, ihnen irgendwie bestätigt, dass sie eine einzigartige Identität haben oder dass sie Teil einer Subkultur sind, die ihnen Sinn oder „Authentizität“ verleiht. Die Metalwelt war schon immer voll von Fragen darüber, wer ein Poser, trve, kvlt oder Hipster ist. Am Ende ist Musik nur ein Gebrauchsgut, bei dem die meisten Subgenres nur Ansammlungen von vereinbarten Signifikanten sind, die zur Kodifizierung bestimmter Subgenres repliziert werden. Diese Status-quo-Projekte sind nur eine Ansammlung von Signifikanten. Allerdings habe ich nicht das Gefühl, dass die Musik, die unser Projekt kreiert, mehr Gültigkeit hat als diejenigen, die sich an den Status quo halten, es ist nur der Weg, den unser Projekt eingeschlagen hat und andere stellt ein anderer Weg zufrieden. Das Kreieren und Wiedergeben eines Status-Quo-Stils von Musik ist ebenfalls völlig in Ordnung.

Zehn Jahre lang habt ihr keine Full-Length-Platte, sondern nur Splits und EPs herausgebracht. Was war der Grund dafür, dass ihr so lange keine längeren Alben veröffentlicht habt?
Das erste komplette Band-Line-Up war von 2004 bis 2006 aktiv und das zweite zwischen 2010 und 2013. Zwischen 2006 und 2010 arbeitete ich an einer großen Menge Musik. Die zweite komplette Band-Besetzung arbeitete daran, zuvor geschaffene Musik und neue Musik sowohl in einem Live-Set als auch in der aktuellen Veröffentlichung zu kombinieren. Wir betraten das Studio Ende 2012, um die Musik aufzunehmen, aus verschiedenen Gründen zog sich die Aufnahme jedoch von 2012 bis 2018. Es war ein langsamer Geburtsvorgang, und ich glaube, dass der Prozess für das Ergebnis wichtig war. Dieses Projekt ist nicht als traditionelle Band anzusehen. Die Splits und EPs resultierten aus einem Backkatalog von Musik, der gerade um des Erschaffens außerhalb des Kontextes der Musikindustrie willen erstellt wurde. Ich schreibe und nehme seit 1989 Musik auf und habe nur wenig davon veröffentlicht. Ursprünglich hatte ich gehofft, dass das Album 2013 oder so veröffentlicht werden würde, aber… das ist nicht passiert.

Was hat euch dann letztendlich dazu angetrieben, mit eurer selbstbetitelten Platte wieder ein vollumfängliches Album zu kreieren?
Wie bereits in meiner letzten Antwort erwähnt haben wir seit 2012 langsam an dem Album gearbeitet. Die Entscheidung für den Titel „L’Acephale“ fiel aufgrund der Konzentration auf Texte, die direkt von der ursprünglichen Gruppe inspiriert wurden. Aber auch das größere Ziel der musikalischen Bandbreite, von der ich mir erhofft hatte, sie in einem einzigen Album zu integrieren, habe ich mit der Veröffentlichung erreicht. Darüber hinaus beinhaltet es auch Musik, die über fast die gesamte Geschichte der Band hinweg geschrieben wurde, wobei „Runenberg“ und „Winternacht“ in den Jahren 2005 und 2006 geschrieben wurden, sowie andere Songs, die zwischen 2010 und 2012 geschrieben wurden. Aus diesen drei Gründen war es also sinnvoll, die Veröffentlichung nach uns selbst zu betiteln.

Also habt ihr eure neue Platte nach euch selbst benannt, weil das Album die Essenz eurer Musik wiedergibt?
Genau, die Platte erreicht die Ziele, die du hiermit angesprochen hast. Viele der Texte beziehen sich direkt auf die Ideen und Motivationen der ursprünglichen Gruppe. Aber ich denke, noch wichtiger ist, dass die Platte eine ist, mit der ich sehr zufrieden bin, was den Sound und den Umfang dessen betrifft, was ich mit einer Veröffentlichung erreichen wollte.

Ihr singt auf dem Album in mehreren Sprachen – Englisch, Deutsch und Französisch. Inwiefern kommt es der Umsetzung eurer lyrischen Konzepte deiner Meinung nach zugute, dass ihr mehrsprachig singt?
Es gibt einige gute Gründe für die Verwendung mehrerer Sprachen. Auf der einen Seite ist das Quellmaterial entweder auf Französisch oder Deutsch und die Muttersprache der beteiligten Musiker ist zum Teil Französisch oder Deutsch, sodass es für mich als Hommage an die ursprünglichen Ideen, die präsentiert werden, sinnvoll war, sie die Texte in ihrer Muttersprache formulieren zu lassen. Mein eigener Prozess als englischer Muttersprachler besteht dann darin, mich mit dem Ausgangsmaterial in der Übersetzung zu beschäftigen. Ich glaube, dass die Sprache im Allgemeinen eine Einschränkung ist, und ich bin immer bestrebt, Ideen besser zu artikulieren. Auch die literarische Arbeit funktioniert auf mehreren Ebenen, wo Begriffe je nach Definition unterschiedliche Bedeutungen haben können. Gute Poesie nutzt diese Dynamik, deshalb ist es mir wichtig, lyrische Konzepte in mehreren Sprachen zu verwenden und auch die vielfältigen möglichen Bedeutungen von Worten in einem Stück zu erforschen.

Die Texte auf eurem aktuellen Album sind sehr kryptisch und auf eine geheimnisvolle Weise düster. Kannst du uns ein wenig mehr über die Themen erzählen, die ihr im Laufe der Platte besingt?
Gute Texte sollten kryptisch und düster sein! Das ist die Essenz der Poesie, die ich mag, und sie funktioniert perfekt mit dem Musikstil, den wir zu produzieren versuchen. Ich neige dazu, Texte aus literarischen Quellen zu verwenden. Ich fühle, dass die lyrischen Standardthemen des Bösen, der Dunkelheit und dessen, was viele Bands für ihre Musik verwenden, für mich wertlos und bedeutungslos sind. Dennoch gibt es Autoren, die sich seit Jahrhunderten auf erstaunliche Weise artikuliert haben, die von Themen oder literarischen Themen sprechen, die für mich und andere von Interesse sind, die diese verschiedenen Musikstile mögen, von denen wir beeinflusst werden. Als Sammler und Suchender avantgardistischer Literatur ist es für mich selbstverständlich, auf dieses Material zu verweisen und hoffentlich auch andere zu ermutigen, diese Autoren nachzuschlagen. Es fühlt sich für mich ehrlicher an, als über einen erfundenen satanischen Ritus oder einen anderen Schwachsinn zu schreiben.
„Winternacht“ basiert auf den Schriften von Georg Trakl, einem österreichischen Dichter aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg. Mehrere Lieder basieren auf Gedichten von Georges Bataille, „Sovereignty“ basiert auf den Schriften von Batailles Geliebter Laure aus der ursprünglichen L’Acephale-Gruppe. „Last Will“ ist ein Gedicht von Nietzsche, das zu den Ideen der ursprünglichen Gruppe passt, und „Runenberg“ basiert auf einer Kurzgeschichte von Ludwig Tieck, einem deutschen Schriftsteller der Romantik aus dem späten 17. Jahrhundert.

Den Track „Runenberg“ habt ihr als erstes schon vorab mitsamt Video veröffentlicht. Warum habt ihr gerade diesen Song gewählt, um vorweg einen Einblick in das Album zu geben?
Die Auswahl eines ersten Songs, um die Platte zu promoten, war schwierig. Ich betrachte die gesamte Veröffentlichung als eine Reise in Form von Songs und die Reihenfolge, in der sie stattfindet, ist Teil der Reise. Viele der Songs sind ziemlich lang für einen „ersten Einblick“ oder sie sind experimentell auf eine Art und Weise, die als erste Auskopplung für die Veröffentlichung keinen Sinn ergeben würde. „Runenberg“ schien kurz genug zu sein und hatte genug Vorzüge für sich allein, deshalb habe ich es gewählt.

Obwohl eure Musik primär als Black Metal angesehen wird, finden sich mit „In Gloria In Excelsis Mihi“ und „Hark! The Battlecry Is Ringing“ zwei nahezu gänzlich akustische Songs auf dem Album. Warum wolltet ihr gerade diese beiden Nummern anders vertonen?
Ich wollte, dass es auf der Veröffentlichung eine Mischung aus Black Metal und experimentelleren Songs gibt. Ich habe experimentelle Stücke gezielt nach direkteren Schwarzmetall-Parts platziert. Mir war es wichtig, dass die Platte einen gewissen dynamischen Fluss hat, die Nicht-Black-Metal-Abschnitte bieten einen Kontrast, der jedes Stück mehr hervorhebt. Der Fluss der Platte ist das zusammengesetzte Ganze, wobei jeder Teil einem anderen Zweck dient. „In Gloria…“ ist eine Kollaboration mit Geneviève von Menace Ruine und Preterite, sie hat den größten Teil des Stückes geschrieben und gespielt und ich bin begeistert von dem Ergebnis. „Hark!…“ wurde vor der Aufnahme für einen anderen Zweck geschrieben, aber ich war der Meinung, dass der Track wegen der beiden spezifischen Musikstile, die er kombiniert, in das Album aufgenommen werden sollte. Wie ich bereits sagte, möchte ich wirklich, dass alle Veröffentlichungen verschiedene Musikstile beinhalten, die in ein einziges Stück integriert sind, anstatt den Weg von Ulver mit ihrer Trilogie zu gehen. Ich liebe es, dass jede dieser Platten einen ganz anderen Musikstil hat, aber ich möchte, dass L’ACÉPHALE diese Elemente innerhalb derselben Veröffentlichung kombiniert.

Ich habe den Eindruck, dass sich die Produktion im Lauf des Albums verändert – in der ersten Hälfte klingt sie wuchtig und zeitgemäß, später klingt sie hingegen öfter lo-fi. Was habt ihr damit beabsichtigt?
Die Produktionsänderungen sind teilweise beabsichtigt und auch Teil des jeweiligen Flusses der Songs. Sowohl „Last Will“ als auch „Sleep“ haben Gesangsproduktionen, die spezifisch für diese Songs sind, und wir haben uns entschieden, den Gesang grober zu gestalten, damit er besser zu den Songs selbst passt. „In Gloria…“ und „Hark!…“ wurden in einem anderen Studio aufgenommen, sie haben eher wärmere Elemente. „Sovereignty“ hat einen längeren akustischen Teil, der sich meiner Meinung nach auch wärmer anfühlt. „Winternacht“ wurde wie die früheren Tracks gemischt und produziert, daher bin ich mir nicht sicher, warum sich dieser Song kälter oder lo-fi anfühlt.

Der Track „Winternacht“ beginnt mit verstörenden, kreischenden Streichern. Was genau war euer Gedanke dahinter, den Song auf diese selbst für euch ungewöhnliche Weise einzuleiten?
Ich habe die Samples für „Winternacht“ 2006 erstellt. Damals benutzte das Line-Up Samples in allen Songs und Jared Huston hat diese Samples kreiert und mit Markus in allen Songs Perkussion hinzugefügt. Das Sample am Anfang und am Ende stammt von Krzysztof Penderecki aus seinem Stück „Threnody to the Victims of Hiroshima“. Es ist ein erstaunliches Musikstück, das ich sehr empfehlen kann.

„Winternacht“ scheint mir aus mehreren, verschiedenen Abschnitten zusammengesetzt zu sein und es ist nicht nur die Abschlussnummer, sondern zugleich auch das längste Stück der Platte. Warum habt ihr gerade diesen Track an das Ende des Albums gesetzt und würdest du sagen, dass es der Höhepunkt der gesamten Platte ist?
„Winternacht“ wurde ursprünglich mit der ersten kompletten Band-Besetzung geschrieben. Es war das letzte Stück, das dieses Projekt zusammen geschrieben hat, und es ist das komplexeste. Diese erste Besetzung wurde zu dem Zweck geführt, lange komplizierte Stücke zu schreiben, und ich war glücklich darüber, wie der Song geworden ist, und wollte, dass er aufgenommen wird. Als das zweite volle Bandaufgebot anfing, zu proben, stellte ich den Song der Band vor und wir überarbeiteten ihn, um ihn an das aktuelle Line-Up anzupassen.
Was die Platzierung des Songs betrifft, so war er immer schon als der letzte Song auf der Veröffentlichung gedacht. Schon früh sollte „Sovereignty“ das erste Lied sein und ich wollte, dass „In Gloria….“ darauf folgt. Wenn ich mir Veröffentlichungen im Allgemeinen durch den Kopf gehen lasse, denke ich daran, wie die Songs auf Vinyl passen und fließen werden. „Runenberg“ kam natürlich als Nächstes, und „Winternacht“ war zu lang, um nach „Runenberg“ zu passen, was bedeutet, dass die Platte eine Doppel-LP sein musste, sodass wir Songs für die dritte Seite brauchten. Ich wollte, dass „Hark!…“ als Kontrast nach „Runenberg“ auf der Platte steht. „Last Will“ wurde geschrieben, um einen Kontrast nach „Hark!….“ zu schaffen, und ich habe auch die Aufnahme einer Vollband- Version von „Sleep“ vorgeschlagen, um zusätzlichen Kontrast zum Rest der Songs zu schaffen.

Was habt ihr als Nächstes für L‘ACÉPHALE geplant? Denkst du, dass ihr euch für euer nächstes Album wieder so viel Zeit nehmen werdet wie für euer selbstbetiteltes?
Es gibt derzeit zwei Hauptprojekte. Das eine ist eine Kollaboration mit einer Band, die seit etwa 2011 diskutiert wird. Das war auf Eis gelegt, während wir die selbstbetitelte Veröffentlichung kreierten. Wir haben eine Demo-Version von unserem Beitrag für die Kollaboration im Jahr 2013 aufgenommen und jetzt müssen wir nur noch alle Teile richtig vollenden und die Logistik mit der anderen Band, die in einem anderen Land residiert, ausarbeiten. Es ist also unklar, wie das genau funktionieren wird. Aber jetzt haben wir die Zeit, es zu tun.
Ich habe auch drei, vier Songs, die größtenteils geschrieben sind und an denen ich mit den anderen Mitgliedern arbeiten muss. Ich hoffe, dass die Veröffentlichung nur eine einzige LP sein wird und auch nicht sechs Jahre in Anspruch nimmt. Aber wer weiß.

Zum Abschluss möchte ich mit dir noch kurz unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming durchgehen. Bitte sage uns, was dir zu den folgenden Begriffen als Erstes einfällt:
Ritual: Fauna
Brand in Notre-Dame: Der Verlust historischer Architektur
Cascadian Black Metal: Fauna
Weltordnung: Zusammenbruch
Drei-Minuten-Songs: D-Beat Crust
Derzeitiges Lieblingsalbum: Rohit – Window

An dieser Stelle nochmals vielen Dank für dieses Interview. Möchtest du den Lesern noch ein paar letzte Worte mit auf den Weg geben?
Danke!
Neben zukünftigen L’ACÉPHALE-Veröffentlichungen sollte es auch neues Material von dem anderen Projekt geben, an dem ich mit Carl Annala arbeite – Hail. Das sollten wir in diesem Sommer aufnehmen.

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert