Interview mit Marcel Breuer von Nocte Obducta

Spätestens seit dem Release des mystischen Abschiedsalbums „Sequenzen einer Wanderung“ ist es offiziell: NOCTE OBDUCTA, die Band, die den Begriff „Avantgarde Black Metal“ entscheidend mitgeprägt hat, gibt’s nicht mehr. Ein letztes Mal spricht der Bandkopf noch ein Mal im Namen Noctes – unter anderem über Koksnutten, Hochglanzfantasycover und warum er von Metal1.info Spenden in Millionenhöhe erwartet …

Hallo, Marcel. Danke, dass du dir Zeit für uns nimmst. Das letzte Album ist draußen, damit ist NOCTE OBDUCTA endgültig Geschichte. Wie fühlt es sich an, eine solche Band nach so vielen Jahren hinter sich zu lassen?
Nun, ich habe sie ja nicht hinter mir gelassen. Wir haben sie lediglich umbenannt. Sicherlich ist es ein großer Einschnitt, wenn auf einmal BM-Vox wegfallen und Blasts nicht mehr vorkommen, aber letztlich wäre das auch unter altem Namen passiert. Die Auflösung von Desîhra im Sommer 1995 war auch keine wirklich Auflösung, das ganze ging eigentlich fließend über in NOCTE OBDUCTA. Mit einer Pause zwar und mit neuem Material, aber eben dieses Material fußte ja zu einem nicht eben kleinen Teil auf altem Material, das neu überarbeitet wurde. So ist es heute auch. Es sind sogar mehr alte Mitglieder als damals mit ins neue „Zeitalter“ gestartet, der Bruch ist für uns absolut nicht so krass wie es der Außenstehende empfindet.

Wie ist die Stimmung zwischen den Bandmitgliedern nach der Trennung?
Unterschiedlich. Oder sagen wir, die Intensität des Kontakts ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Da DINNER AUF URANOS und NOCTE OBDUCTA, wie sie wären, hätten sie sich einfach weiter so entwickelt wie die letzten 14 Jahre, identisch sind, gab es ja auch nie eine komplette Trennung. Natürlich sind auch Personen ausgestiegen, aber das war ja schon immer der Fall. Wenn Du nur auf die letzte Besetzung anspielst, so habe ich von Patrick seit seinem Ausstieg praktisch nichts mehr gehört, der Kontakt zu Torsten wird die letzten Monate zwar wieder ein wenig regelmäßiger gepflegt, ist aber doch eher gering. Mit dem Rest mache ich weiterhin Musik.

Wenn du jetzt zurückblickst, was denkst du, würdest du anders machen? Gibt es etwas, das du besonders bereut hast?
Wir hätten sowohl intern als auch extern viel öfter viel härter durchgreifen und auf Kompromisse verzichten müssen. Es gibt noch tausend andere Dinge, die man anders hätte machen können, aber das ist das einzige, was wirklich komplett verpasst wurde. Naja, und möglicherweise wäre es nicht dumm gewesen, nach der Veröffentlichung von „Taverne“ zumindest einen Teil des Stolzes und der Punk-Attitüde abzuschütteln und zumindest ein klein wenig mitzuspielen im fucking Musik-Biz, dann hätten wir eventuell mit Musik zumindest ein paar Pfennig oder Cent verdient und nicht nur immer draufgelegt. Aber das wäre natürlich auch abhängig gewesen von Dritten und dem oben genannten Aspekt des Eisenbesens.

Bleiben wir in der Vergangenheit: Was waren die Höhepunkte eurer jetzt beendeten Bandkarriere?
Das kann ich nicht sagen. Dazu lief immer viel zu viel parallel. Wenn Du zum Beispiel das Summerbreeze 2005 nimmst, unseren größten Gig, dann könnte man das als einen Höhepunkt bezeichnen. Andererseits war zu dieser Zeit an anderer Stelle schon so viel im Argen, dass man eigentlich nichts aus diesem Jahr zu positiv bewerten sollte, weil es der Art und Weise, wie sich die Band fühlte, nicht gerecht würde. Es gab auch geile Gigs in sehr guten Zeiten, ich denke da an das I-Wood 2003. Wie wir gespielt haben, ist mir letztlich egal, aber es war ein großartiger Sommer und eine fantastische Nacht. Unglaublich intensiv sind vor allem die Proben zum Demo gewesen. Einerseits ist das kein Höhepunkt, denn es ging ja gerade erst (wieder) los, andererseits war es eine unglaublich intensive Zeit, so wie fast das ganze folgende Jahr 1998. Die Zeit, in der sich Desîhra wandelten und langsam auf das zusteuerten, was dann später NOCTE OBDUCTA und noch später DINNER AUF URANOS hieß, zähle ich ebenfalls zu meinen ganz persönlichen großen Momenten. Das war allerdings Herbst 1994 bis Frühling 1995, und man wird kaum eine Zeit ohne Aufnahmen, Gigs oder irgendetwas Greifbares als einen Höhepunkt bezeichnen können.

„Sequenzen einer Wanderung“ ist ja mehr als experimentell ausgefallen. Was war die Intention dahinter, in eine so ungewöhnliche Richtung zu gehen?
Es mag ein wenig flach klingen, aber wir hatten einfach Bock darauf. Denn auch wenn wir immer als vergleichsweise experimentierfreudig galten, so fühlte zumindest ich mich immer auch irgendwie eingeschränkt. Bei den „Sequenzen“ war das viel weniger der Fall. Ich hatte einiges an Material, ein Konzept und ein paar Ideen und dachte, mal sehen, wie sich der Kram entwickelt. Er hat sich gut entwickelt.Und so unglaublich experimentell finde ich die Musik auf der Platte auch gar nicht, aber das sieht der Musiker wohl immer anders als der Hörer.

Musik und Texte von NOCTE OBDUCTA waren ja bisher immer in erster Linie dein Werk. Hatten die anderen Bandmitglieder diesmal etwas beim Songwriting, oder bei der stilistischen Ausrichtung überhaupt etwas mitzureden?
Das Songwriting ging auch diesmal auf meine Kappe, es ist sogar das einzige Album, das über weite Strecken mehr oder minder auf dem Papier entstanden ist. Wir habe aber hinsichtlich des Arrangements wesentlich stärker zusammengearbeitet, vor allem Stefan und mehr noch Flange haben da ihren Teil beigesteuert. Und selbst wenn auch das Arrangement größtenteils auf meine Kappe geht, weil es ja integrativer Bestandteil des Songwritings ist, kommt der Anteil der engagierten Mitmusiker immer sehr stark durch bei dieser Art von Musik. Denn da ich oft sehr grobes Arrangement in den Proberaum getragen habe, ist zumindest nie ein Arrangement durchgegangen, das nicht gemeinsam „überprüft“ wurde. Bei diesem Album hatte aufgrund der Arbeitsweise und der Ausrichtung jeder sehr viel mehr Freiheiten als sonst, wenn auch auf einem vorgegeben Muster. Stefan und Flange hatten an dem Entstehungsprozess des Albums einfach großes künstlerisches Interesse und haben sich auch in den Zeiten, in denen alles auf Eis lag oder ärger am Horizont brodelte, mit dem Kram auseinandergesetzt.

Wenn man weiß, dass man am letzten Album arbeitet, weiß man auch, dass man sich weniger darum kümmern muss, ob man jetzt Fans und Kritiker mit untypischen Ansätzen verschrecken könnte. Arbeitet man da freier?
Als ich das Album geschrieben habe und wir es dann im Proberaum erarbeitet haben, da dachten wir noch gar nicht an so etwas wie eine Auflösung, von daher erübrigt sich die Frage fast. Wir hätten das Album so oder so gemacht. Das Wissen um das Ende hatte dann lediglich Einfluss auf einige Aspekte, die nach der allzu langen Aufnahmepause entstanden sind. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob wir das Wort „Ende“ in der ursprünglichen Version an den Anfang des Albums gesetzt hätten, vermutlich eher nicht.

Apropos Kritiker: Wie sind die Kritiken bisher ausgefallen?
Eigentlich nur sehr gut und sehr schlecht, wobei erstens die sehr guten überwiegen und die schlechten außerdem auch journalistisch, inhaltlich und vom musikalischen Verständnis her unterste Schublade sind, was dann ja wieder ein großes Lob für den Musiker ist. Also quasi nur großartige Kritiken.

Da sich das Album sehr stark von eurem bisherigen Schaffen unterscheidet, stellt sich die Frage, inwieweit ihr es zur bisherigen Nocte-Discographie hinzuzählt. Wolltet ihr bewusst eine Abgrenzung von allem, was davor war oder besteht durchaus ein Bezug zu den Vorgängeralben?
Es ist tatsächlich ein wenig anders, aber diese extreme Sichtweise, die viele Außenstehende haben, kann ich nur sehr bedingt nachvollziehen. Ich habe in irgendeinem Review sogar gelesen, dass dieses Album die logische Fortführung der Bandgeschichte ist, und das ist nicht ganz falsch, denke ich. Ein krasser Bruch ist ganz klar das fast völlige Fehlen von Vocals. Auch die Unterteilung in nur zwei Tracks ist bei uns vorher nicht einmal im Ansatz dagewesen. Musikalisch finde ich den Schritt aber so extrem überhaupt nicht. Stell Dir mal vor, die Vox auf „Nektar 2“ wären stark reduziert, variabler und die Produktion/Spielweise wäre dynamischer, offener … was mir beides sehr gut gefallen hätte … dann käme einem der Schritt so krass gar nicht mehr vor. Außer halt, man denkt in Genregrenzen, aber für sowas sind wir wohl ein wenig zu alt. Natürlich kann man das Album auch als Debüt von DINNER AUF URANOS betrachten. Dennoch hat es einen sehr starken Bezug zu den Vorgängerlaben (wie es auch die Alben von DINNER AUF URANOS haben werden, nur eben nach verändertem Rezept gekocht), die ersten zehn Minuten von Teil 2 fanden schon nach den Aufnahmen zu „Galgendämmerung“ ihren Weg in den Proberaum und gehen zurück auf eine Idee vom Dezember 1995. Es findet sich außerdem eine Passage von Desîhra gleich zweimal auf dem Album, die Liste ließe sich fortsetzen.

Wo wir schon bei der NOCTE-Diskographie sind: Gibt es für dich ein absolutes Lieblingsalbum in eurer Geschichte oder zumindest eines, das du besonders hervorheben würdest?
Ich fasse diese und die nächste Frage mal zusammen, denn die ganze Sache besteht doch eher aus Überschneidungen. Das kann ich kaum beantworten. Jedes Album hat seine guten und seine schlechten Seiten, wobei ich persönlich wohl vor allem die zwei oder drei ersten und „Sequenzen“ anhören würde. Das hat natürlich auch mit Erinnerungen und persönlichen Dingen zu tun. Ich halte diese Alben aber auch für unsere damaligen Möglichkeiten einfach gelungen, auch wenn ich heute tausend Sachen anders machen würde und oft das Gesicht verziehen muss beim Anhören. Es ist halt ein Stück Vergangenheit und damals war für uns wirklich noch so eine Art „gute alte Zeit“.

„Lethe“ steckt so voll von Erinnerungen, dass es platze müsste, und mit „Taverne“ hätten wir vielleicht unter anderen Umständen wirklich etwas bewegen können. Für viele ist es ja auch immer noch unser bestes Album, wenngleich natürlich nach heutigen Produktionsstandarts völlig am abkacken. Ich könnte auch „Nektar 1“ nennen, da hier schwerpunktmäßig das Material vertreten ist, das ich mir für unser Debüt gewünscht hatte, aber da sind dann die Verbindungen eher zum Songmaterial gegeben, nicht zum konkreten Album in dieser Form. „Sequenzen“ steht deshalb weit vorne, weil es schlicht das breiteste Spektrum abdeckt und viel Raum für Kopfkino lässt. Außerdem ist auch hinsichtlich der tatsächlich verwendeten Parts aus allen möglichen Band-Epochen von 1993 bis 2006 etwas vertreten.

„Galgendämmerung“ hingegen ist immer noch unser bei weitem komplexestes Album, nur leider haben wir das Material weder angemessen eingespielt, noch wurde es angemessen produziert. Die Grätsche zwischen klirrendem BM-Alarm und technisch diffizilem Zeug war in der kurzen Zeit einfach zu viel und so ist es letztlich beim Klirren geblieben. Was „Nektar 2“ an moderner Produktion eindeutig zu viel hat, hat „Galgendämmerung“ zu wenig. So ist es halt einfach „nur“ unser brutalstes und kältestes Album, aber das ist ja auch schon was …

Bleiben wir bei euren vergangenen Werken: Nicht jedes NOCTE-Album hat unbedingt die Produktion bekommen, die es verdient hätte. Mit dem Sound welcher Alben bist du besonders zufrieden, welches Album würdest du, wenn du die Möglichkeit hättest, am liebsten noch mal neu aufnehmen?
Mich würde es natürlich bei „Lethe“ in den Fingern jucken. Zeitdruck und Krankheit haben uns einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht, natürlich auch unsere Unerfahrenheit. Die Frage ist nur, ob wir das Album heute nicht zu gut einspielen würden, das wäre ja auch nicht Sinn der Sache. Ich denke, dass „Taverne“ mit einer Prise mehr Aggression einerseits und mehr DINNER-AUF-URANOS-Sound neu eingespielt ein Killer würde … natürlich würde ich auch am Arrangement drehen wollen. Letztlich sind mir ja auch die beiden „Nektar“-Alben zu statisch und zu gebügelt, die könnten ebenfalls mehr von unserem heutigen Sound und mehr Dynamik vertragen. Bei „Stille“ haben wir ja den gröbsten Fehler, nämlich den katastrophalen Mix von „Vorbei“ (bei dem wir nicht anwesend waren) auf der „Aschefrühling“-Single behoben, auch wenn viele Fans es für einen „neuen“ und weniger guten Mix hielten. Auf den „Sequenzen“ sind ein paar Stellen, die unter weniger katastrophalen Umständen anders klingen würden, außerdem fehlen ein paar Spuren, die wir gerne noch eingespielt hätten, aber das war leider nicht drin, ihr hättet das Album sonst wohl erst 2011 bekommen. Und wie weiter oben schon bemerkt, wäre da noch „Galgendämmerung“, hier könnte man mit einer Prise mehr Nektar-Sound (und mehr Disziplin) noch Unmengen rausholen beziehungsweise hörbar machen … es geht einfach zu viel unter. Aber „Taverne“ … schickst Du uns mal eben einige Millionen Euro?

Was gab es denn für „massive Unstimmigkeiten“ zwischen euch, eurem Produzenten und der Plattenfirma, die dazu geführt haben, dass sich das Album ein ganzes Jahr verspätet hat?
Es hat sich zwei ganze Jahre verspätet, nicht bloß eins. Und mit den Unstimmigkeiten hatten wir auch absolut nichts am Hut, das war ein Problem zwischen der Plattenfirma und dem Studio, wir waren da hilfloser Spielball, mehr nicht. Die Details gehören hier aber nicht hin.

Euer Album verzichtet fast vollkommen auf Gesang und legt die Gewichtung viel mehr auf Sprachsamples. Habt ihr die alle extra für das Album aufgenommen oder wurden manche auch aus Interviews oder dergleichen entnommen?
Dazu muss ich sagen, dass man bei den Sprachsamples niemals irgendwelche Bandmitglieder hört, respektive die nur sehr leise und unverständlich im Hintergrund. Es handelt sich also keineswegs um NOCTE-Interviews, es handelt sich auch nicht um unsere Kommentare, es sind nicht einmal unsere Gedanken, sondern die von Bekannten, die wir extra für dieses Album spontan etwas zu diversen Begriffen haben erzählen lassen.

Apropos wenig Gesang: NOCTE OBDUCTA sind ja eigentlich eher bekannt für ihre ausschweifenden, seitenlangen Texte. Wie kam es dazu, dass „Sequenzen einer Wanderung“ nur einige, andeutende Zeilen enthält?
Dass es so extrem wenig wurde, lag auch an den äußeren Umständen. Mehr wäre organisatorisch unmöglich gewesen, hätte das Album nicht noch ein paar Jahre länger liegen sollen. Es war aber tatsächlich so oder so für nur sehr, sehr wenig Vocals ausgelegt, weil es schlicht zu dieser Art der Musik gepasst hat. Es hat sich auch im Proberaum nicht mehr ergeben. DINNER AUF URANOS ist auch instrumentaler als NOCTE OBDUCTA es war, das hat sich ja schon bei unseren späten Konzerten herauskristallisiert. Allerdings wird es wesentlich mehr Vox geben als auf „Sequenzen“, und vor allem auch „wirkliche“ Vox und Lyrics in mehr oder minder alter Tradition. „Sequenzen“ bildet in dieser Hinsicht vielleicht einen Gegenpol zu Liedern wie „Und Pan spielt die Flöte“. Hier wird meiner Ansicht nach das Lied einfach von der Masse an Vox niedergeschrien, obwohl (auch wenn das alle Fans anders sehen) ohnehin schon recht wenig passiert. Mich hat das schon während der Aufnahmen genervt, aber ich wollte halt unbedingt alle Lyrics unterbringen … dadurch dass neben Torsten auch ich viele Vocals beigesteuert habe bei diesen beiden Alben und außerdem Steffen wieder einen viel größeren Anteil hatte als etwa auf „Galgendämmerung“, sind mir die Vox dennoch zu viel und zu dominant gewesen. Ich bin vielleicht einfach zu alt für Alben, auf denen sehr viel vergleichsweise statisch rumgeschrien wird und gleichzeitig auch noch die Instrumentalfraktion ordentlich in der Suppe rührt …Übrigens bin ich nicht der Meinung, dass es sich nur um ein paar angedeutete Zeilen handelt. die Sequenz „Der Nussbaum“ ist praktisch ein richtiges Lied, und auch die beiden anderen Stellen mit Vox sind in sich geschlossene, logische Texte.

Den Texten und Samples kann man auf jeden Fall die groben Themen Abschied, Schlussstrich und Wanderung durch das Leben entnehmen. Kannst du genauer darauf eingehen? Hat das Album eine zentrale Aussage, die du den Hörern vermitteln wolltest?
Du hast den gewichtigsten Punkt, nämlich „Neubeginn“ vergessen. Und genau darum geht es bei dem ganzen Album. Dass ein Neubeginn immer auch mit einer Art Abschied zusammenhängt, ist natürlich klar, aber unser Fokus lag ganz eindeutig auf dem Morgen und dem Beginn. Als wir mit den Proben zu dem Album begonnen, war klar, dass wir einen größeren Schritt machen mussten als bisher, wir hatten ihn eigentlich schon gemacht. „Sequenzen“ war ja nicht das einzige Album, auf das wir nach „Nektar“ geprobt hatten. Die beiden anderen in Frage kommenden Alben waren zwar „klassischer“, aber eben auch mit einem im Vergleich zu den Vorgängern deutlich reduzierten Metal-Anteil. Der Großteil der Band identifizierte sich mit dieser stilistischen Freiheit und erlebte sie glaube ich sehr positiv und intensiv, es passierte einfach etwas. „Sequenzen“ war und ist keineswegs als neue Marschrichtung gedacht, denn auch wenn es fast schon das Debüt von DINNER AUF URANOS ist, so war der Soundtrackcharakter doch auch eine Art Zwischenspiel, wie es auch schon bei „Schwarzmetall“ der Fall war. Dieser Rahmen aber war hervorragend dazu geeignet, den Hörern zu vermitteln, dass der nächste Schritt größer und bedeutender sein würde als die vergangenen. Dass es dann letztlich zu einer Art Ende kam, war nie geplant, passte aber irgendwie.

Kommen wir zum Thema, das zwar schon in eurem Statement geklärt wurde, aber das einige Fans noch mehr im Detail interessieren könnte: Wie kam es zur Entscheidung, NOCTE OBDUCTA endgültig Geschichte werden zu lassen? Es wird im Statement von „den negativen Aspekten“ geredet, die „überwiegen“. Um welche negativen Aspekte handelt es sich dabei?
Die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen externen Institutionen, eine extrem intolerante, ungebildete, beschränkte Szene, fehlende Entfaltungsmöglichkeiten in einem gegebenen Rahmen, ich denke, es waren auch unterschwellige künstlerische Differenzen, die aber weniger schwer wogen als die anderen Aspekte. Desweiteren geht die Metal-Szene sowas von unglaublich unkritisch mit Rechtstum um, dass einem das schiere Kotzen kommt. Es sind nicht bloß unglaublich viele Faschos insbesondere im BM unterwegs, es gibt noch viel, viel mehr Hohlbrote die das völlig okay finden, solange man damit Geld verdienen kann.

Warum auch diejenigen so unkritisch damit umgehen, die nicht daran verdienen, kann ich mir nicht erklären. Vieleicht liegt es daran, dass die Leute einfach zu weltfremd durchs Leben tappen, vielleicht liegt es auch daran, dass die Rechten den Konservativen bisweilen vergleichsweise nahestehen und der Durchschnittsmetaller unglaublich konservativ und kleinkariert ist. Vielleicht sind es auch die gemeinsamen Interessen an völlig verdrehter, romantisierter „Geschichte“ (was mich als Geschichtswissenschaftler immer wieder aufregt), Dogmen, Heldentum und was weiß ich … wir waren außerdem schlichtweg ausgebrannt.

Das ganze Unternehmen hatte über die Jahre so viel Geld, Zeit und Energie gekostet, dass man sich fragte, warum man sich eigentlich nicht einfach wieder in den Proberaum zurückzog und einzig und allein auf sich selbst konzentrierte. Wenn man dann in einer gewissen Erwartungshaltung feststeckt, dann ist es unglaublich schwierig, künstlerisch wieder frei atmen zu können. Und so haben wir einfach einen radikalen Einschnitt gemacht (erst noch nicht mit dem Ziel die Band auch wirklich umzubenennen, Anfang Mai dachten wir nur an eine Pause und das Erarbeiten neuen Materials fernab externer Erwartungen), um wider mehr das zu sein, was wir immer sein wollten. So ist schlussendlich dann DINNER AUF URANOS auch viel mehr NOCTE OBDUCTA als es NOCTE am Ende ihrer „Karriere“ selber waren.

Und wieder eine Frage, auf die jeder die Antwort ahnt, aber bei der doch jeder gerne Gewissheit hätte: Schließt ihr eine Wiedergeburt von NOCTE OBDUCTA oder ein weiteres Album absolut aus?
Eine klassische Wiedergeburt schließen wir eigentlich aus, ein weiteres Album nicht. Wir sitzen gerade an einem Album, das am ehesten „Schwarzmetall“ ähnelt, allerdings langsamer und schwerer … roh und bedruckend und sehr untot. Wir werden nämlich weder Gigs spielen, noch als geschlossene, klar umrissene Band in Erscheinung treten. Wir wollen zusehen, dass wir möglichst viele Ex-Members, die auf das Album passen, irgendwo einige Töne spielen oder ein paar Zeilen schreien, knurren, grunzen, raunen lassen. Diese derbe Form des BM ist derzeit die einzige, die mich reizt, und einen Nachfolger von „Schwarzmetall“ wollten wir schon immer gerne machen. Bis auf Torsten hat aber keiner mehr Lust, aktiv durch die Metal-Gemeinde zu pilgern, es wird Musik aus der Gruft für die Gruft. Sicherlich ein wenig eigen, aber weitgehend traditionell im Sinne des BM. Was dann kommt, weiß keiner. Ein evil Twin für „Sequenzen“ würde mich reizen, aber was würde einen nicht alles reizen …

DINNER AUF URANOS hat mit Metal ähnlich wenig zu tun wie „Sequenzen einer Wanderung“. Wie sieht es aus, ist dir die Lust an den harten Klängen gänzlich vergangen? Was dreht sich in letzter Zeit allgemein in deinem Player?
Da muss ich erst einmal sagen, dass Dinner doch wieder weitaus härter klingt als „Sequenzen“, vor allem auf der Bühne dürfte da ordentlich Alarm zu erwarten sein, da wir die Lieder teilweise auf der Bühne anders als auf Platte umsetzen werden. Aber Härte allein ist natürlich kein Anzeichen für Metal, das stimmt schon. Wenn dir Mogwai (um mal was Bekanntes zu nennen) live eine Gitarrenwand in die Halle stellen, dann bläst das jede Trümmer-Kombo an die Wand, aber trotzdem ist es ja kein Metal … mir ist also die Lust an harten Klängen mitnichten vergangen, die Proben ballern heutzutage streckenweise wesentlich dichter und gewichtiger als früher.Mir ist lediglich die Lust vergangen, selber schwerpunktmäßig Metal zu spielen, das ist mir einfach zu wenig. Und was sich bei mir dreht … hm, die letzten Tage waren das wohl Alben von Pink Floyd, Marillion, Entombed, Queensryche, Peter Gabriel, Black Mountain, Mike Oldfield, alte Genesis, Urlaub In Polen, O.S.I., Sisters, Rory Gallagher, Man, Tori Amos … gerne auch mal Sleepytime Gorilla Museum, aber dafür bin ich derzeit zu oft zu gestresst.

Apropos Nachfolge- respektive Nebenprojekte von NOCTE OBDUCTA: Was ist eigentlich mit EXEKUTIONSROMANZE? Gibt es das Projekt überhaupt noch? Soll da auch mal etwas veröffentlicht werden?
Jein. Ein Teil der Musik ist im Lager von DINNER AUF URANOS gelandet, ein paar andere Sachen werde ich wohl bei meinem Soloprojekt mit dem (derzeitigen) Namen Cüühn unterbringen, an dem ich seit einigen Wochen sehr sporadisch sitze. Sehr viel ist allerdings bei Thalsperre gelandet, einem 2-Mann-Projekt mit Gastmusikern, das im Frühling 2008 von Flange und mir ins Leben gerufen wurde … wir haben ja schon zusammen bei EXEKUTIONSROMANZE, VATER CARUS und natürlich NOCTE OBDUCTA gespielt, auch wenn der Herr leider Ende 2006 bei DINNER ausgestiegen ist. Nunja, und natürlich wird wie immer viel des Materials von EXEKUTIONSROMANZE in irgendwelchen Schubladen auf Tapes, CDs und Papier vergammeln, so wie es bei mir Tradition ist, und Traditionen sollte man pflegen.

Welche Pläne habt ihr alle für die Zukunft?
Unermesslich reich werden und alle Koksnutten der Welt kaufen und dressieren.

Zum Schluss noch unser Brainstroming. Wir nennen fünf Begriffe, du antwortest, was dir spontan dazu einfällt:
Ende: Kommt vor dem Neuanfang oder dem nichts. Außerdem wäre da noch Michael Ende.
Neuanfang: Käme dann wohl nach dem Ende, in der Regel aber nicht unbedingt nach Michael.
Metal: Eine Musikrichtung von vielen. Bedeutet mir viel, auch wenn in der Regel andere Tonträger bei mir rotieren. Als Musik großartig, sofern es sich nicht über ewige Jahre um den absoluten Schwerpunkt der Plattensammlung handelt. Als Szene leider allzu oft nur deprimierend und völligst hängengeblieben zwischen Mittelerde, Met, Mannestum, Hochglanzfantasycovern, falsch verstandener Rebellion, vergewaltigter Romantik und Scheuklappen. Ansonsten: ganz laut die Killers hören. Immer wieder gut. Nein, nicht die alberne Band.
Anrufbeantworter: Ja, hab ich. Analog. Man kann das Zeug darauf prima auf Alben verwenden und durch das Schneiden des Materials im richtigen Kontext eine Wirkung erzielen, die der Originaltext so nicht hervorgerufen hätte.
metal1.info: Habt Ihr mich beim letzten mal schon gefragt.

Wir danken dir für das Interview – die letzten Worte gehören dir.
Gut, also kauft das Album, und viel, viel wichtiger noch: Kauft auch die DINNER-Alben. Haltet außerdem die Augen offen, wir werden hoffentlich noch ein paar Shirts machen, da es sich bei den jetzigen Motiven um Produkte handelt, für die einzig und allein die Plattenfirma verantwortlich ist. Die von der Band angedachten Shirtmotive liegen entweder noch in Mainz rum (aus eigener Schlamperei) oder wurden von der Plattenfirma ignoriert (weil SCR das eigene Shirtprogramm besser gefällt).
Hört außerdem auf, euch das Album aus dem fucking Scheißnetz zu ziehen, und wenn es sich bei Euch um irgendwelche politisch verwirrten Faschos handelt, lasst bitte die Finger ganz von unserer Musik.

Geschrieben am von Metal1.info

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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