Review Nocte Obducta – Irrlicht (Es schlägt dem Mond ein kaltes Herz)

  • Label: Supreme Chaos
  • Veröffentlicht: 2020
  • Spielart: Black Metal

Trockene Bassdrum-Schläge. „1, 2, 3, 4!“ Eingezählt, los geht’s. Und zwar beinahe punkig. NOCTE OBDUCTA machen bereits in den ersten Sekunden von „Irrlicht (Es schlägt dem Mond ein kaltes Herz)“ unmissverständlich klar, wohin die Reise diesmal gehen soll – bei so viel plakativem Proberaumcharme natürlich rückwärts auf dem Zeitstrahl. Nicht nur ist die Band zurück auf Supreme Chaos Records, wo einst großartige Platten wie „Stille“ und die beiden „Nektar“-Alben erschienen sind, sondern auch der rohe Black Metal hält in einem Maße Einzug, wie es zuletzt auf „Verderbnis“ aus dem Jahr 2011 der Fall war. Die Produktion ist – natürlich – ungeschliffen und knarzig.

Dass sich die Band seitdem weiterentwickelt hat, kann „Irrlicht“ jedoch nicht verhehlen. Zwar lässt der zum Album veröffentlichte Pressetext verlauten, dass NOCTE OBDUCTA „stilistisch zurück in alte Gefilde“ kehren würden, doch ist das nur die halbe Wahrheit. Ja, das neue Album ist wieder härter, zupackender, insgesamt tosender. Doch nimmt die mit den Jahren etablierte post-rockige Psychedelik auch diesmal viel Raum ein.

Die Lyrics sollen thematisch an „Nektar“ anknüpfen – und scheinen das, zumindest in loser Form, auch tatsächlich zu tun, sofern der Rezipient das angesichts der gewohnt hohen Dichte an kryptischen Metaphern überhaupt beurteilen kann. In einem kalten Heute ruinöser Städte treibt das Individuum, das lyrische Ich, auf sein Ende zu und sieht die Brücken zum Gestern bersten, das doch irgendwie wärmer, einladender war – oder im verklärten Blick der Erinnerung scheint?

Ein Blick zurück ist bereits der Opener „Zurück im bizarren Theater“, der Bezug nimmt auf den wiederum ersten Song des Debüts „Lethe“ (1999), „Im bizarren Theater“. Eine Selbstreferenz, wie sie im NOCTE-Kosmos keine Seltenheit ist. Passenderweise verarbeitet der Song auch Textideen, die auf 1997, 2001 und 2002 zurückgehen. Bereits hier der regelrecht perverse Kreischgesang Marcels auf, der schon lange nicht mehr so bitterböse, räudig und fies klang, der auf „Irrlicht“ zu den großen Stärken gehört.

Mehr davon gibt es dementsprechend im zweiten Track, „Von Stürzen in Mondmeere“, der sich als zähflüssig-doomige Lavasuppe präsentiert und in den Gitarren mit tief melancholischer Death-Doom-Melodik, Marke Paradise Lost, überrascht. Das steht den Mainzern gut zu Gesicht. Der Text zeichnet dazu emotionale, poetische Bilderwelten: „Es sind die tiefen Seen, die tiefen Augen, die uns locken. Dort im edlen, eb’nen Antlitz einer Hoffnung, die uns nährt. Es ist die warme Haut, die unter unsren schwachen Händen bebt. Das Fieber, das ein Land formt, in dem Glück auf ewig währt.“ Eine starke Leistung, die „Irrlicht“ einen frühen Höhepunkt beschert.

Als weiteres Highlight darf „Der alte Traum“ gelten, das nach bewährter Rezeptur schwarzmetallisches Getöse neben sphärische Parts mit perlender Clean-Gitarre und warmen Keyboards stellt. Dabei gelingt es der Band, über die gesamten 9,5 Minuten Spielzeit zu fesseln und ihre Stärken auf den Punkt zu bringen.

Ganz so zwingend ist der 7,5-Minüter „Rot und grau“ leider nicht geraten: Er wirkt besonders im Vergleich eher zerfahren. „Bei den Ruinen“ knüpft an den psychedelischen Stil von „Umbriel“ an, ohne ganz dessen Stärke zu erreichen – was auch daran liegen dürfte, dass eine poliertere Produktion hierzu einfach besser passt. Aufhorchen lässt da schon eher der mit 10,5 Minuten längste Track, „Noch“, den die Gruppe an den Schluss von „Irrlicht“ gestellt hat. Der fügt dem bereits Gehörten zwar nichts wirklich Neues hinzu, gefällt aber wieder mit tief melancholischen Gitarrenlinien.

So bleibt unterm Strich der Eindruck eines grundsoliden NOCTE-OBDUCTA-Albums mit einigen großartigen Momenten zurück, das sich in der bandeigenen Diskografie langfristig wahrscheinlich einen Platz im Mittelfeld sichern wird. Der schiere Wahnsinn der Frühwerke geht „Irrlicht“ ebenso ab wie die Finesse der „Nektar“-Alben, die Zerbrechlichkeit von „Stille“ und die grenzenlose Verspieltheit von „Umbriel“. Und doch dürfte kein NOCTE-Fan mit „Irrlicht“ einen Fehlkauf erleiden. Besonders diejenigen, denen „Mogontiacum“ und „Totholz“ zu wenig zupackend erschienen, dürften nun wieder ihre Freunde an den Mainzern finden.

Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Nico Schwappacher

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