Interview mit Sören Vogelsang

Er ist Schauspieler, Liedermacher, Label-Besitzer und Facebook-Kritiker – in unserem Interview spricht SÖREN VOGELSANG offen über sein neues Album „Fernweh“, sein aktuelles Projekt „LARP Vol. 1“ und viele weitere Themen, die ihn als Musiker, als verbleibende Hälfte von „Das Niveau“ und auch als Mensch bewegen.

 

Hallo Sören! Vielen Dank, dass du dir die Zeit für unsere Fragen nimmst. Wie geht es dir rund ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Fernweh“?
Moin. Sehr gerne. Mir geht es sehr gut gerade, auch wenn ich just in diesem Moment versuchen muss, sehr viel Verschiedenes unter einen Hut zu bringen. Es geht für mich sehr bald schon für vier Monate auf Kreuzfahrt. Hauptsächlich als Schauspieler (fünf verschiedene Theaterstücke, davon in vieren eine Hauptrolle), aber auch mit der „Fernweh“. Gleichzeitig sind wir derzeit noch im Studio, um das „Nebenprojekt“ eine CD mit LARP-Klassikern noch vorher fertig zu bekommen. Bei über 200 Seiten Text und nebenbei ja noch der Leitung meines eigenen Musiklabels irgendwie gerade viel Holz…

Insgesamt sind fünf Jahre zwischen deinem letzten Album „Augenblick“ und „Fernweh“ vergangen. In der Zwischenzeit hat sich dein Projekt „Das Niveau“ aufgelöst. Inwiefern hat dies den Schaffensprozess rund um deine neue CD beeinflusst?
In den fünf Jahren sind vor der Auflösung ja auch sechs CDs mit „Das Niveau“ entstanden, sowie hunderte von Konzerten absolviert worden. Das hat natürlich (auch) dazu geführt, keinerlei Zeit mehr für den kreativen Prozess, des Erschaffens eines eigenen Soloalbums zu haben.
Es war nicht die Auflösung von „Das Niveau“, die zur Verwirklichung der „Fernweh“ geführt hat, aber die Auflösung hat auf jeden Fall dazu geführt, dass ich für mein Soloprojekt endlich mal wieder Zeit habe.

„Das Niveau“ ist nach eurer Aussage immer ein bisschen wie Roulette gewesen. Wie verhält sich der Liedermacher Sören Vogelsang dazu?
Das Roulette in „Das Niveau“ ist ja viel mehr eine Anspielung auf unsere Bühnenshow, die zu 100% improvisiert und damit eben unvorhersehbar war, als auf unsere Musik gewesen, deshalb ist die Frage schwierig zu beantworten. Wenn du den generellen Unterschied zwischen meiner Solomusik und „Das Niveau“ meinst, dann würde ich sagen, dass ich trotz allen Witzes in den Songs durchaus öfter ernst und auch nachdenklich bin, als wir es mit „Das Niveau“ waren.

„Fernweh“ ist ein sehr persönliches Album, in dem sich viel Melancholie widerspiegelt, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Ist es die Zusammenfassung deines letzten Lebensabschnitts oder nur ein mehr oder weniger großer Teil davon?
Für eine Zusammenfassung fehlen glaube ich noch so acht bis neun Alben *lacht*
Jeder der Songs hat etwas mit mir zu tun. Ob nun mit dem letzten Lebensabschnitt, mit dem davor, oder mit Begegnungen auf meinem Weg. Schön finde ich, wenn andere Leute sich in den Bildern und Worten, die ich dafür finde, selbst wiederentdecken können.

Apropos persönlich: Würdest du dich als offenes Buch bezeichnen oder ist z.B. der Inhalt von „Gutmensch“ auch etwas, das du als allgemein wichtige Botschaft siehst?
Ich bin ein sehr, manchen Leuten sogar „zu“ offener Mensch. Ich verstehe das „oder“ in der Frage nicht. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Auch meine Intention zu sagen, dass man mal wieder mehr aufeinander achten und sich für Schwächere einsetzen sollte, ist ja Teil des offenen Buches.

Auf dem neuen Album hast du auf Coverversionen verzichtet und singst nur eigene Nummern. Wird es deinerseits keine Eigeninterpretationen bekannter Hits oder Traditionals wie der „Rabenballade“ mehr geben?
Doch, das wird es, allerdings ein bisschen abgekoppelt. So denn alles gut geht, kommt noch in diesem Sommer eine CD mit LARP-Klassikern, wie „Wein, Weib & Gesang“ (Die Streuner), „Die nackte Elfe“ (Hasenscheisse), „Aussatz“ (Cultus Ferox) etc. pp. heraus, teils auch mit den Schreibern der Songs selbst als Special Guests, z.B. Roland von den Streunern am Piano, für eine sehr besondere Version des Songs.
Diese CD trägt nicht umsonst den Titel „LARP Vol. 1“. Wir planen tatsächlich mit dem Trio weitere CDs in diese Richtung aufzunehmen. Zum einen, weil mich die Leute aus diesem Genre heraus kennen und sich auf solche CDs freuen, zum anderen einfach, weil mir selbst diese „bodenständigen Pfadfinder-Songs“ gefallen. Allerdings sind diese CDs dann im eigentlichen Sinne keine Alben von mir, sondern eher eine Art Nebenprojekt. Für meine Soloalben möchte ich gerne auch weiterhin den Weg gehen, den ich mit der „Fernweh“ eingeschlagen habe und alles selbst schreiben und eben damit sehr persönlich bleiben.

Im Vergleich zu „Augenblick“ hast du dir neue Musiker an deiner Seite gesucht, die nicht in bekannten Formationen wie Feuerschwanz tätig sind. Wie kam es dazu?
Das war tatsächlich der nette Herr Zufall. Kai, meinen Percussionisten, habe ich auf einem LARP kennengelernt, habe dann bei ihm für „Das Niveau“ Cajon-Unterricht genommen und ihn gefragt, ob er nicht Lust hat, mich und B.Deutung am Cello bei einem Konzert von mir (damals auf dem Pipes&Whistles Festival) zu begleiten. Deutung hatte leider zu wenig Zeit das für weitere Konzerte zu tun, aber Kai kannte noch eine fantastische Cellistin. So ist es dann zum festen Trio mit Kai an der Percussion und Natasha am Cello gekommen.

Hattest du zuerst deine Texte vor dir liegen oder Melodien im Ohr, die du mit den entsprechenden Instrumenten umsetzen wolltest?
Das kommt immer wie es kommt. Mal so mal so. Meist aber erst die Texte, oder Textideen.

„Kalsarikännit“ bedeutet aus dem Finnischen übersetzt soviel wie Unterhosensuff. Steht der Song in einer Verbindung zu Finnland?
Nein. Ich habe auf Facebook ein Meme gesehen mit dem Text „Kalsarikännit ist finnisch und bedeutet sich alleine Zuhause in Unterhosen zu betrinken“. Da ich ein Fable für seltsame Wörter habe, musste ich daraus einfach einen Songtext machen…

Du reist und fotografierst gerne und viel. Ist das für dich Ablenkung, Erholung oder Quell für Inspiration?
Alles zusammen, wobei ich leider in letzter Zeit nicht viel zum Fotografieren gekommen bin. Ich würde mir gerne auch mal eine neue Kamera zulegen, aber derzeit fehlt mir dazu leider einfach das nötige Kleingeld.

Wie ist „Fernweh“ zum Titeltrack und Namensgeber deines Albums geworden?
Puh, gute Frage. Da ich gern und viel reise, war es für mich nur logisch, dass das Album den Titel dieses Songs bekommt. Wobei „Fernweh“ tatsächlich einer der letzten Songs war, die fertig geworden sind. Ich hatte den Song, habe über Cover/Gestaltung/Titel nachgedacht und mich durch Bilder auf meinem Rechner geklickt, als ich nach den ganzen Reise-Fotos den Ordner von meinem letzten Shooting mit meinem Freund Bernhard Risse geöffnet habe. Mit dem Foto von mir mit der Gitarre in dem offenen Güterwagon war mir klar, so klischeehaft es auch sein mag, dass ist ein Bild das einfach passt und welches ich, zusammen mit dem Titel als Titelsong, dann gerne nehmen möchte, weil es eben sehr gut zu mir passt.

Mit „Fick dich“ hast du eine klassische „Das Niveau“-Nummer aufgenommen. Mit welchem Gefühl hast du den Song eingespielt?
Die Grundidee des Songs war tatsächlich mal für „Das Niveau“ gedacht. Da ich den Song selbst so mochte, wollte ich ihn nicht für ungewisse Zeit in der Schublade verschwinden lassen. Wer weiss ob und falls ja, wann es je weitergeht mit „Das Niveau“. Außerdem hat er im Gesamten irgendwie gut zum Album gepasst. Das Gefühl zu „Das Niveau“ war dabei tatsächlich völlig unwichtig. Wichtig war mir, diesen Song mit den Leuten zu teilen. Und wie man auf Spotify und YouTube sehen kann, findet gerade dieser Song auch regen Zusspruch, auch bei Leuten, denen „Das Niveau“ nie gefallen hat.

Sind simpel gestrickte Nummern wie „Ich bin ich“, „Zwei“ oder „Fick dich“ generell live die besseren Eisbrecher?
Nein. Das kommt immer auf das Publikum an. Deshalb arbeite ich auch unglaublich ungerne mit Setlisten, sondern suche mir viel lieber spontan den Song aus, der gerade zur Stimmung und zum Publikum passt. Das macht nicht nur die Shows unterschiedlicher, sondern lässt uns als Band auch ganz anders auf der Bühne agieren, weil wir aufeinander hören müssen.

Wie waren deine Erfahrungen im Hinblick auf die Livetauglichkeit allgemein? Und was nimmst du daraus mit für eine mögliche dritte CD?
Sowohl die Festivals im Sommer als auch unsere Tour im Herbst waren absolut traumhaft. So viele Leute, die teils die komplette CD mitsingen konnten – das war ein wirklich tolles Gefühl. Ich persönlich hätte gerne noch ein paar Nummern mehr, die so richtig schön nach vorne gehen, wie „Zwei“ oder „Fick dich“. Das heisst nicht, dass ich explizit jetzt nur in diese Richtung schreiben werde, aber im Moment habe ich einfach Bock auf ein „Auf die Fresse“-Album :-)

Du trittst in unterschiedlichen Formationen und bei verschiedensten Anlässen auf, oftmals auch allein. Welche Situation bevorzugst du auf der Bühne?
Keine und alle. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Im Moment spiele ich viel lieber mit der Band. Da kann man einfach irgendwie mehr aus den Songs an sich machen als ganz allein. Alleine ist halt, je nach Situation, oft sehr schön intim.

Spielst du lieber in Clubs oder auf Open-Air-Bühnen?
Das gleiche wie oben. Sowohl als auch. Es sind andere Situationen. Du kannst genauso gut einen Schauspieler fragen, ob er lieber Theater oder TV macht. Es sind einfach unterschiedliche Arbeitsplätze mit unterschiedlichen Anforderungen. Das kann man so pauschal schlecht sagen.

Wie kamst du auf die Idee, dein eigenes Label Pretty Noise Records zu gründen?
Am Anfang diente das Label lediglich dazu für die eigenen Produktionen von mir und „Das Niveau“ einen Labelcode und ISRCs etc. zur Verfügung zu haben. Ich habe allerdings festgestellt, dass ich mir auch im administrativen Bereich über all die Jahre sehr viel Know-how angeeignet habe und wollte dieses nicht für mich behalten, sondern es für Künstler, die ich mag, gerne ebenfalls zur Verfügung stellen. Daher kam dann die Idee, das Label auch für andere Singer/Songwriter und Bands zu öffnen.

Du schreibst auf Facebook viel über die Schikanen des Social-Media-Imperiums im Hinblick auf Reichweite und Bezahlung. Andererseits ist der Kanal für dich bis zu einem gewissen Grad wichtig. Ein zweischneidiges Schwert – oder überwiegen am Ende nicht doch die Vorteile?
Ich habe gerade eine einmonatige Facebookpause hinter mir, die mir sehr gut getan hat. Ich war so genervt von den Posts, die immer und immer weniger Leute erreichen, aber bei jedem Post die Werbung kommt, dass man, wenn man bezahlt, ja mehr Leute erreichen kann. Es nervt mich einfach unglaublich (vor allem auch als Konsument), dass ich tausende nervige, für mich völlig uninteressante Werbeposts sehe, aber mir teilweise wichtige Posts von Bands, denen ich folge, nicht angezeigt werden, weil ich die letzten 2 Monate vielleicht nicht jeden Post geliked habe. Natürlich sind die Social-Media-Kanäle und für Nischenkünstler wie mich auch extrem wichtig, trotzdem nervt es mich extrem, wenn ich zwei Monate lang (teils sogar bezahlt) circa 20 Posts über unsere anstehende Tour mache und danach zehn Leute auf Facebook sagen: „Wie du warst auf Tour, hab ich nichts von mitbekommen!“
Das frustriert einfach, da man nur wieder sehen kann: Nur wer Geld hat, erreicht auch Leute. Für mich ein Punkt, der dem SOCIAL (!) Gedanken dieser Plattformen völlig widerspricht. Denn ich like ja Dinge um explizit auch über eben diese Dinge bitte informiert zu werden.

Wie sehen deine Pläne für 2017 aus? Ist auch dafür dein Albumtitel Programm?
Erst die LARP-CD fertigmachen und dann bin ich vier Monate auf dem Kreuzfahrtschiff – endlich mal wieder Theater spielen, das habe ich ursprünglich studiert. Danach würde ich gerne einen kleinen „Atem holen“-Urlaub einlegen und dann hoffentlich mit genug Ideen, oder gar direkt einer neuen CD im Gepäck, zurückkommen. Mein Augenmerk, wie bei vielen Musikern, liegt also jetzt schon eher auf 2018 :-)

Was macht die Arbeit an deiner Mittelalter- & LARP-Klassiker-CD?
Einen Tag vor der geplanten Aufnahme hat sich Natasha, unsere Cellistin, einen bösen Virus eingefangen. Bei der zweiten geplanten Aufnahme haben wir vier Songs eingespielt (wir spielen zum ersten Mal eine CD komplett live ein, ohne Klick und ohne Overdubs), bevor ich so heiser war, dass meine Stimme nur noch ein Krächzen war, von jetzt auf gleich. In der Nacht dann Fieber und Schüttelfrost und dann hab ich erst mal flachgelegen (und so richtig auf dem Damm bin ich auch noch nicht wieder beim Beantworten dieses Interviews).
Der nächste Termin ist Anfang Mai und unsere vorerst letzte Möglichkeit der Aufnahme, bevor ich dann weg bin. Also Daumen drücken, dass wir da dann alle gesund sind.

Du suchst immer noch nach einem neuen Partner für „Das Niveau“. Hast du dir eine innere Deadline gesetzt, ab der du die Suche aufgibst und das Projekt für immer ruhen lässt?
Nö. Ich halte die Augen (und Ohren) offen und wenn mir einer über den Weg läuft, der passt, wird ausprobiert.

Vielen Dank für eure Zeit und Antworten – zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Martin Spieß –
Meine Ex-Frau
MPS – Ein mir sehr ans Herz gewachsenes Festival, dessen Veranstalter mich leider urplötzlich, nach jahrelanger guter Zusammenarbeit nicht mehr mag und mich nicht mehr buchen will
Festival Mediaval – beste Backstage Sessions ever
Heimat – Et Rheinland Leevelein
Let’s Plays – Seit gestern 1000 Subscriber auf meinem Gaming-Kanal, yeeha!

Gibt es noch etwas, das du an dieser Stelle loswerden möchtest?
Ein herzliches Danke, an alle, die mich und/oder meine Musik mögen und mich unterstützen. Und ein ganz besonders herzliches Danke an alle, die mich (und damit natürlich auch meine Musik) via Patreon aktiv unterstützen. Ich küsse euch!

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