Konzertbericht: Aesthetic Perfection w/ Empathy Test

Nach 23 Jahren kommt das Industrial-Pop-Project AESTHETIC PERFECTION 2023 ein letztes Mal auf Headliner-Tour. Nicht zuletzt, weil als VIP-Upgrade (für sportliche 150 €) ein „Funeral Service“ abgehalten wurde, schwang bei der Ankündigung der Tour viel Abschieds-Vibe mit. Dass noch vor Tourbeginn für Herbst die wohl größten Shows der Band bisher – eine weitere Tour als Main-Support von Till Lindemann – angekündigt wurden, lässt zumindest die Beerdigungs-Rituale etwas skuril anmuten. Zumindest aber muss kein Fan mehr befürchten, dass mit AESTHETIC PERFECTION bald ganz Schluss ist.

Das Interesse an den Shows ihrer aktuellen Tour hat die Bestätigung jedenfalls augenscheinlich nicht geschmälert: Bei der Nachholshow des krankheitsbedingt verschobenen München-Gigs stehen die Fans schon vor Einlass um 19:00 Uhr im Niselregen Schlange – während in der ersten Reihe bereits wie festgeklebt die VIP-Ticket-Besitzer:innen stehen und auf den Showbeginn warten.

Um 20:00 gehört die Bühne zunächst EMPATHY TEST. Von einer „Vorband“ zu sprechen, wäre allerdings hoch gegriffen, steht im Namen seiner Band heute doch nur deren Sänger Isaac Howlett mit einer „Solo Electronic Show“ auf der Bühne. Dass nur ein eher schüchtern wirkender Mann etwas unbeholfen ein Samplepad bedient und dazu singt, gibt dem Gig eher Kinderzimmerprojekt-Charme als die Dynamik einer „richtigen“ Liveshow. Das ist insofern schade, als Howlett stimmlich durchaus talentiert ist und die Synth-Pop-Songs von EMPATHY TEST – entsprechend aufgeführt – wohl auch gefallen könnten. So jedoch wird der Auftritt trotz nur gut 30 Minuten Spielzeit schnell monoton – und selbst ein Cover des Grammy-prämierten Gotye-Hits „Somebody That I Used To Know“ bringt niemanden so richtig in Wallung. Ob sich die Briten mit der Entscheidung, ihren Sänger ohne Band auf Tour zu schicken, wirklich einen Gefallen getan haben, sei also dahingestellt.

Knapp eine halbe Stunde erlischt das Licht erneut und AESTHETIC PERFECTION betreten unter Jubel die Bühne. Dass diese Band neben Sänger und Mastermind Daniel Graves auch nur aus zwei Musiker:innen besteht, fällt kaum auf – machen Joe Letz am Drumkit und Constance Antoinette Day an Gitarre und Keyboard doch genug Show für vier: Während die Gitarristin vornehmlich auf viel Bewerung und laszives Posing setzt, unterhält der bei bizarr maskierte und als Frau verkleidete Letz das Publikum auf seine Art: Mal lässt er seinen Umschnall-Busen blitzen, mal schüttet er aus einer Penisflasche Wasser über seine Toms und trommelt diese trocken. Dazwischen hält er seinen Drum-Tech auf Trab, indem er Stick um Stick davonschleudert oder Stück für Sück sein Schlagzeug demontiert … wer Letz noch von seiner Zeit bei Combichrist her kennt, weiß Bescheid.

Bei so viel Trubel würden andere Fronter schnell blass aussehen – auf Daniel Graves trifft das aber einzig und allein seiner Schminke wegen zu: Extrem sympathisch sorgt der in Österreich lebende Ami mit dem Fischerhut-Faible für Stimmung … nicht zuletzt, indem er ins Deutsche wechselt, um sich aufrichtig dankbar für die euphorischen Reaktionen zu bedanken. Und tatsächlich ist die Stimmung – trotz Nachholshow, trotz Donnerstagabend – herausragend: Das tropische Hallenklima lässt, dem nasskalten Regenwetter draußen zum Trotz, an Clubshows im Hochsommer denken („Is it hot in here or is it just you?“). Und als AESTHETIC PERFECTION ihr Set mit ihrem Song „Spit It Out“ vorgeblich beenden wollen, wird das Industrial-Trio energisch auf die Bühne zurückgejubelt.

So gibt es noch „Save Myself“, sowie „Love Like Lies“ zu hören (bei dem die Fans in der ersten Reihe eine Stand-Tom zu halten bekommen, auf die Joe Letz und der als Gast hinzugeholte Isaac Howlett einprügeln), ehe wirklich Schluss ist. Nach knapp eineinhalb schweißtreibenden Stunden haben sich AESTHETIC PERFECTION den Feierabend redlich verdient.

Vielleicht war die Entscheidung, nur noch diese letzte Headliner-Tour zu spielen, eine aus mieser Pandemie-Laune heraus getroffene Entscheidung, die nunmehr von der Realität überholt wird. So viel Freude, wie AESTHETIC PERFECTION augenscheinlich auf der Bühne haben, wäre es jedenfalls ein Jammer, würde man die Band künftig nur noch als Support-Act zu sehen bekommen. Zumindest die Fans haben nach dem heutigen Auftritt ohne Zweifel Lust auf mehr – die Lindemann-Tour im Herbst kann kommen!

Publiziert am 13. Mai 2023 von Moritz Grütz

Fotos von: Afra Gethöffer-Grütz