Konzertbericht: Coppelius w/ Jeremias Meinhard

2010-12-10/11 Hirsch, Nürnberg und Backstage, München

Bereits beim ersten Blick auf die Bühne wurde deutlich: Bei COPPELIUS wird nichts dem Zufall überlassen und hier präsentiert sich keine gewöhnliche Gruppe. Trotz teils überragender instrumentaler und gesanglicher Fähigkeiten wäre der Begriff „Musiker“ für diese Künstler zu tief gegriffen. Le Comte Caspar, Max Copella, Graf Lindorf, Sissy Voss, Nobusama und ihr Diener Bastille leben vielmehr von ihrem Gesamtpaket – und nicht zuletzt von den bleibenden Eindrücken, die sie sowohl optisch als auch akustisch auf den coppelianischen Konzertreisen zum Ruhme des Zinnobers hinterließen. Dabei wäre die Endung „zum Ruhme des Kammercores“ eigentlich passender gewesen, denn der aktuelle Longplayer „Zinnober“ fügte sich angenehm in das bereits vorhandene Gesamtkonzept ein anstatt es zu dominieren oder zu verändern. Ihren Wurzeln ist die Kapelle jedenfalls treu geblieben, obwohl man dieses Mal auf livetaugliche Vorzeigestücke wie „Operation“ und das intensive „Das Amulett“ verzichtete.

Bei den beiden Gastspielen in Bayern am Wochenende des 10. und 11. Dezembers 2011 wurde wieder einmal deutlich, wie unterschiedlich das Publikum (oder besser gesagt das Auditorium) selbst in zwei weniger als 200 km entfernten Städten sein kann. Sah man in Nürnberg noch eine Menge Zylinder, Fracks und Schminke, so unterschied sich das Gro der Besucher in der bayerischen Landeshauptstadt rein optisch nicht groß von denen auf anderen Konzerten. Ironischerweise benötigten allerdings die eher stilgetreuen Franken im Nürnberger Hirsch weit länger, um auf Touren zu kommen. Gegen Ende setzten sie sich allerdings gegen die Münchner Anhänger durch und konnten sogar mit „Morgenstimmung“ eine weitere ungeplante Zugabe herausschlagen, als Diener Bastille mit seiner Triangel eigentlich bereits das Ende eingeläutet hatte.

In den gut 2 Stunden zeigten Coppelius in beiden Städten zwei von musikalischer Leidenschaft geprägte Shows, die nie unter den widrigen Witterungsumständen und demzufolge schwierigen Reisebedingungen litten. Dabei bestätigte Diener Bastille den Eindruck, den man bereits bei der Studioproduktion von „Zinnober“ gewinnen konnte: Neben wunderbar improvisierten Momenten bei verschiedenen Ansagen traf er gesanglich selbst die schrägsten Töne und entpuppte sich mehrfach als – man möge mir den umgangssprachlichen Ausdruck verzeihen – echte Rampensau.
Erreichten die Coppelius-Fans in München bereits beim anfänglichen Zinnober-Dreier bestehend aus „Handschuh“, „Risiko“ und „Nachtwache“ erste Betriebstemperatur, dauerte es tags zuvor in Nürnberg bis zum psychedelischen „Gumbagubanga“, ehe zum ersten Mal richtige Stimmung aufkam. Gleichermaßen gefeiert in beiden Städten wurde das unter tatkräftiger Publikumsbeteiligung vorgetragene „Murders in the Rue Morgue“ – gemeinsames Headbangen on stage scheint bayernweit zu verbinden. Als größte Überraschungen erwiesen sich die beiden neuen Songs „Ein Automat“ und „Damen“, die im lebhaften Livegewand der Plattenproduktion meilenweit überlegen waren. In München bewies Bastille bei einem kurzen Texthänger bei „Damen“ die bereits erwähnte Improvisationsstärke und fügte passend zur Melodie ein spontanes „Text vergessen, scheißegal, lalalala“ ein. Nach einer Runde spontanem Szenenapplaus feierten die Coppeliusanhänger an beiden Abenden zusammen mit der Band eine der sieben Todsünden in „Habgier“ und sangen schließlich gemeinsamen den Refrain von „Time – Zeit“, ehe im obligatorischen Da Capo-Teil nach dem Ohrwurm „Diener 5er Herren“ die ruhigen Klänge zu dominieren begannen: Mit „I get used to it“ und dem wahnsinnig atmosphärischen Motörhead-Cover „1916“ gingen schließlich beide Auftritte mit einer Symbiose aus den ältesten Coppelius-Werken zu Ende. Bei letzterem saß sowohl das gesamte Publikum im Backstage als auch im Hirsch auf dem Hallenboden und hing gebannt an den Lippen von Graf Lindorf, der dabei seine beste Sangesleistung ablieferte. Die vereinzelt verteilten Kerzen waren dabei stets das Tüpfelchen auf dem I. Für einen meiner Meinung nach perfekten Abschied fehlte lediglich noch „Ade Mein Lieb“.

Erfahrungsgemäß ist ein Coppeliusauftritt auf Grund des Instrumentariums und dadurch erschwerten Timings nie ganz frei von kleineren Unsauberkeiten, die die musikalischen Perfektionisten wohl mehr stören dürften als die treue Anhängerschaft. Andererseits bietet die Kombo ein wahrlich einmaliges Erlebnis, sowohl optisch als auch akustisch, was z.B. allein durch die detailverliebte Umsetzung von „Olimpia“ deutlich wird, die mehr Schauspiel als reines Konzert ist. Wer unbedingt parallel ziehen will, kommt rein von den Instrumenten betrachtet an Apocalyptica nicht vorbei. Allerdings werden Vergleiche dem Gesamtprojekt Coppelius nicht gerecht. Dieses lässt man – wahlweise mit oder ohne Absinth – am besten live auf sich wirken, um festzustellen ob die beiden Worte, mit denen jedes Konzert beendet wird (Coppelius Hilft!), individuell wirklich zutreffen.

Einen weiteren Vorteil hatten die Nürnberger gegenüber ihren südlichen Nachbarn: Ihnen blieb die Vorband namens JEREMIAS MEINHARD erspart. Oder wie man es besser nennen könnte: „Jeremias und seine epileptischen Trümmerfrauen“. Eben jene weiblichen Bandmitglieder sind in ihrem Hauptprojekt ADAS durchaus in der Lage, ansprechende Musik zu fabrizieren. Doch dieses gänzlich andere musikalische Unterfangen irgendwo zwischen quietschigem Manga-Pop und einer Art Alternative Rock war eine Todgeburt von der ersten Sekunde, als Sänger Jeremias unter totaler Ignoranz des sichtlich irritierten Publikums die Bühne betrat. Goldglitzernde Gitarren (abgestimmt auf die Gesichtsbemalung) und eine stets gekünstelt klingende Stimme samt extrem fragwürdiger Pantomime-Einlagen waren von Anfang an Gift für jegliche Form von Stimmung, die über Höflichkeitsapplaus hinaus geht. Wenn dann auch noch (fast) alle Bandmitglieder eher gelangweilt als motiviert auf ihren Instrumenten herumhacken, ist dies mehr Abschreckung als Werbung für die angekündigte CD-Präsentation am 16. April 2011 im Spectaculum Mundi. Den absoluten Höhepunkt erreichte die groteske Darbietung allerdings mit den weiblichen Tanzeinlagen am Ende: Ich habe in den letzten Jahren wirklich viel live erleben dürfen bzw. müssen, aber der ungewollte Humorfaktor dieser Szenen ist beinahe ungeschlagen. Selten hat eine Band sich selbst besser parodiert. Oh Je(remias)!

Setliste Jeremias Meinhard:

01. Vertigo
02. Finally
03. Grey
04. Nimmerwo
05. Universal Breakdown
06. Caucus Race
07. Cat Nip
08. Burning Hope
09. Chasing Demons

Setliste Coppelius:

01. Handschuh
02. Risiko
03. Nachtwache
04. Der Advokat
05. Schöne Augen
06. Ein Automat
07. Olimpia
08. I told you so
09. Ouvertüre
10. Gumbagubanga
11. Damen
12. Murders in the Rue Morgue
13. To My Creator
14. Klein Zaches
15. Zu Dir
16. Habgier
17. Coppelius hilft!
18. Time – Zeit

19. Diener 5er Herren
20. Transylvania
21. I get used to it
22. 1916
(23. Morgenstimmung)

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert