Konzertbericht: Coppelius w/ Cellolitis, Meinhard

22.02.2013 München, Backstage Halle


Während die meisten neuen CDs nicht einmal für Schlagzeilen sorgen, machen COPPELIUS aus ihrer jüngsten Veröffentlichung direkt ein „Extrablatt“. Und genau wie die physische Platte ist auch die dazugehörige Tonträgerveröffentlichungsreise aller Ehre wert. Denn die Herren aus Berlin inszenieren nicht nur ihr aktuelles Material entsprechend, sondern haben ihre hervorstechendsten Stärken wie die Vielstimmigkeit auch auf ältere Songs übertragen. Chapeau!

In München gönnen sich die ostdeutschen Kammercore-Musiker den Luxus von direkt zwei Support-Acts. Zum einen ist dies MEINHARD, der unter seinem alten Ego Jeremias Meinhard bereits 2010 im Vorprogramm von Coppelius in der bayerischen Landeshauptstadt zu sehen war und einen bleibenden Eindruck hinterließ – wenngleich nicht auf positive Art und Weise. Folglich sind die Feen der Münchner Mittelalterformation Adas mit ihren Harfen und anderen Melodieinstrumenten drei Jahre später der klassischen Kombination aus Schlagzeug, Gitarre und Bass gewichen. Keine falsche Entscheidung, ist die neue Glam Rock-ähnliche Ausrichtung von MEINHARD kein kompletter Sockenschuss wie das mittelalterliche Crossover-Verbrechen. Dennoch erweist sich München als hartes Pflaster für den Nachwuchsmusiker und sein selbst erschaffenes Wunderland. So stoßen seine rockigen Songs größtenteils auf taube Ohren und null Reaktionen. Ist der Künstler mit seiner Extravaganz durchaus geeignet als Coppelius-Support, so reichen seine Kompositionen bei weitem noch nicht aus, um das coppelianische Auditorium in Ekstase zu versetzen.
Deutlich besser macht sich die zweite Vorband namens CELLOLITIS in Form von Nikolaus Herdieckerhoff und seinem Instrument Umbra, die erstmals in München vor größerem Publikum zu sehen sind. Der Name des Projekts ist dabei Programm: So ist das ungarische Instrument der Dreh- und Angelpunkt des Auftritts. Die technischen Spielereien wie Loops und andere Effekte sorgen für den notwendigen Abwechslungsreichtum. Einen besonderen Reiz erhält die Darbietung immer, wenn Nikolaus und Umbra sozusagen im Duett agieren: Das Ergebnis sind dann Lieder wie „Himmelblau“, welches charakteristisch für die Stadt Berlin stehen könnte. Vielleicht nicht so wie man es von Peter Fox kennt, aber der Song sprüht ebenfalls vor Identität, wenngleich die Hörgewohnheiten der meisten Konzertgänger dadurch vor Herausforderungen stehen. Dies dürfte anderswo eher funktionieren als in München. Gegen Ende folgt noch ein instrumentaler Gastauftritt von Le Comte Caspar und so schlägt sich CELLOLITIS trotz fragwürdiger Inszenierung des Lichttechnikers auf schwierigem Pflaster insgesamt sehr wacker. Dazu trägt auch sein sympathisches Wesen bei, welches bei den kurzen Ansagen mit dem nötigen Wortwitz überzeugt.


Doch im Vergleich zu den Meistern des Kammercore haben die beiden Supportbands noch einige Lektionen zu lernen. Das wird bereits zu Beginn der wieder einmal irrwitzigen COPPELIUS-Show deutlich: Es bedarf einiges an musikalischem Können und überzeugender Show, damit ein rund fünf Minuten langer Instrumentalopener wie „Transylvania“, dargeboten von altertümlich gekleideten Zylinderträgern, für durchschlagende Stimmung sorgt und nicht zu einem Rohrkrepierer mutiert.

So zieht der Berliner Sechser die Anwesenden mit glänzend dargebotenem Kammercore und jeder Menge Humor direkt in einen Strudel aus längst vergangenen Zeiten. Dieser Strudel besteht auf der aktuellen Tour aus einer bunten Mischung aus Songs des neuen Albums „Extrablatt“, zu den das beschwingt-wahnsinnige „Bitten Danken Petitieren“ oder das atmosphärisch-dunkle „Locked Out“ zählen, und Titeln älteren Baujahres wie „Urinstinkt“ und „Phantom Of The Opera“. Besonders „Die Glocke“ und „Operation“ scheinen es dem Münchner Auditorium angetan zu haben. COPPELIUS beeindrucken mit einer wahnsinnigen Spielfreude und leicht modifizierten Songs, die beweisen, dass die Musiker sich nicht nur mit ihrem aktuellen Material beschäftigen. Es ist kein Geheimnis, dass es sich bei COPPELIUS um eine der wenigen Bands handelt, bei der die unterschiedlichen Gesangsstimmen perfekt miteinander harmonieren.

Diese Ansicht ist offenbar bis zu den Musikern selbst durchgedrungen, denn die Vielstimmigkeit ist im aktueller Bühnenprogramm deutlich präsenter, wie sich bereits anfangs bei „I Get Used To It“ und „Diener 5er Herren“ zeigt und sich daraufhin wie ein roter Faden durch den ganzen Auftritt zieht. Zur Freude der aufmerksamen Hörer. Bei den Soloparts sorgt die Ausgewogenheit der unterschiedlichen Gesangsparts von Graf Lindorf, Bastille, Le Comte Caspar und Max Copella für Abwechslung: Während der Graf an seinem Cello „Butterblume“ und „Spieldose“ zelebriert, sind es bei Le Comte Caspar unter anderem die bereits angesprochenen „Operation“ und „Reichtum“. Lediglich Herrn Copella bleibt mit „Schöne Augen“ sein Paradestück verwehrt. Stattdessen avanciert Diener Bastille mit seiner Version des Subway To Sally-Klassikers „Maria“ zum Star des Abends: Perfekter und gefühlvoller Gesang mit Gänsehauteffekt vom ersten bis zum letzten Ton ließen die musikalisch einfach gehaltene coppelianische Version in einem völlig neuem Glanz erstrahlen. Selbst in seinen Blütezeiten dürfte es Eric Fish bei dieser Ballade nur mit größter Mühe gelungen sein, so viel Emotion in seine Stimme zu packen, wie es der inoffizielle Frontmann Bastille an diesem Abend bei COPPELIUS tat. Jeglicher Superlativ wäre hier eine Untertreibung. Selbst der musikalisch ähnliche und ebenfalls hervorragend gesungene Abschluss „Ade Mein Lieb“ konnte nicht an diese One-Man-Show anknüpfen.

Abseits des Gesangs, der Instrumentierung und der ungemein runden Inszenierung wird besonders eine junge Dame, welche an jenem Abend ihren Geburtstag feiert, die München-Show nicht so schnell vergessen: zur Feier des Tages widmen ihr COPPELIUS persönlich auf der Bühne ihr Lieblingslied „Zu Dir“, welches extra dafür in die Setliste aufgenommen wurde. Sissy Voss krönt das Ständchen schließlich mit einem feuchten Schmatzer für das Geburtstagskind.


In Mitten geburtstäglicher Festivitäten, einigen Iron Maiden-Coversongs und viel Hektik verlieren COPPELIUS bei ihrem „Extrablatt“-Tourstopp in München ihr Auditorium nie aus den Augen. Und so erlebt der Kammercore ein modernes Revival, wie man es besser kaum planen kann. Dass einige Livekracher fehlen und Cellolitis bei seinem Gastspiel im Rahmen der Headliner-Show fast vollends untergeht, sind dabei wirklich nur belanglose Randnotizen zu einer bombastischen Show, welche jede Schlagzeile – und jedes „Extrablatt“ – wert ist. Diese Musik gehört gehört und gefeiert.

Setlist
Transylvania (Iron Maiden-Cover)
Bitten Danken Petitieren
I Get Used To It
Diener 5er Herren
Welt im Wahn
Locked Out
Maria (Subway to Sally-Cover)
Die Glocke
Esc. I
Operation
Spieldose
Butterblume
Urinstinkt
Dreaming
Risiko
Habgier
Zu Dir
Reichtum
Phantom of the Opera (Iron Maiden-Cover)

Running Free (Iron Maiden-Cover)
To My Creator

Ade mein Lieb!

Anmerkung der Redaktion: Bei den Fotos handelt es sich um eigene Archivaufnahmen von einer Show aus dem Jahr 2012.

Publiziert am von und Uschi Joas

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