Konzertbericht: Nils Frahm

02.10.2022 München, Isarphilharmonie

Es ist verdammt schwer, die Musik von NILS FRAHM jemandem zu erklären, der sie noch nie gehört hat. „Atmosphärische Klänge mit Elektro und Klavier und so“ wird den komplexen, immersiven und intelligent komponierten Werken FRAHMS lange nicht gerecht. Der Berliner sprengt Grenzen, setzt neue Maßstäbe – und geht mit dem Unbeschreiblichen auf Tour.

Ein Porträt-Foto des Musikers Nils FrahmIn München fiel die Wahl der Location auf die Isarphilharmonie, ein provisorischer Bau, der die Wartezeit zum neuen Gasteig überbrücken soll. Ein Konzertsaal also, durchgehend bestuhlt, was sich schnell als Fluch und Segen zugleich herausstellen wird. Doch der Reihe nach: Auf der Bühne stehen diverse Klaviere, eine Glasorgel, Geräte zum Mischen und Loopen sowie Lautsprecher, alles verschachtelt arrangiert, als sei es ein einziges Instrument statt vieler. Frahm bewegt sich auf diesem kleinen Raum wie ein Oktopus, die Hände überall, präzise auf Tasten und Knöpfen, und wendig, wenn er während des Songs in neue Positionen sprinten oder mit dem Hocker rollen muss. Für den nötigen Grip schmiert er sich vor seinem Auftritt live auf der Bühne noch die Hände mit Magnesium ein und segnet grinsend sein Publikum. Er spricht nicht viel während seines Auftritts, was durchaus auch der Länge der einzelnen Stücke zuzuschreiben ist, doch wenn er erzählt, blitzt guter Humor durch. „Berlin würde sich freuen, einen Konzertsaal zu haben, der so gut ist wie dieses Provisorium“, schmunzelt er und adelt damit die tolle Akustik der Münchener Isarphilharmonie. FRAHM startet mit den leisen Tönen der Glasorgel, die minutenlang sphärisch durch den Raum schweben, und baut Stück für Stück darauf auf, webt einen dichten Soundteppich, der nach gut 20 Minuten seinen imposanten Höhepunkt findet.

Leider müssen immer wieder einzelne Zuhörer lauthals husten, was den immersiven Charakter der Musik regelmäßig schmälert. FRAHM macht sich die Laute seines Publikums schließlich musikalisch zu Nutze und bittet den fast vollen Saal um diverse Naturgeräusche. Gepitcht und geloopt fügt sich das Gekrächze, Gezirpe und Gerausche nahtlos in die Musik ein. FRAHM ist überhaupt ein großartiger Klangarchitekt, der mit seinen Sounds immer auch wieder überrascht. Gekonnt baut er über viele Minuten eine Spannung auf, bei der man dem Höhepunkt entgegenfiebert – und sobald man denkt, das Maximum jetzt erreicht zu haben, legt FRAHM noch eine Melodie, eine zusätzliche Spur obendrauf, und Gänsehaut ist garantiert. Der Bass dröhnt, die Lichter blitzen, und man ist längst im Sog gefangen. Dabei ist es egal, ob das Stück den Fokus eher auf das Klavier oder auf Elektrosounds legt. Sitzend lässt es sich hier besonders genießen – doch der Wunsch nach Bewegung ist groß, und so ist es fast ein wenig schade, dass dieses Konzert als Klassikveranstaltung durchgeführt wird statt als Electro-Act. Zu gern hätte man spätestens bei der lang ersehnten Zugabe „Says“ die Musik einmal so körperlich gefühlt wie der Künstler auf der Bühne.

So geht ein beeindruckender Abend zu Ende, der FRAHM als einzigartiges deutsches Talent weiter festigt. Es mag eine sehr spezielle Nische sein, die der Berliner mit seiner Musik besetzt – aber sie hat eine Strahlkraft weit über diese Nische hinaus. So wird es hoffentlich auch in Zukunft noch mehr von FRAHM zu hören geben, egal ob live, in Filmen oder in Kooperation mit anderen bekannten Künstlern.

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