Konzertbericht: Oranssi Pazuzu

15.05.2020 Rytmikorjaamo, Seinäjoki (Stream-Show)

Ein neues Album zu veröffentlichen, ohne es live vorstellen zu können; das ist der Stoff, aus dem die Alpträume von Musikern gemacht sind. Nun ist es Realität geworden: Großveranstaltungen sind untersagt, Konzerte wurden abgesagt, Festivals finden nicht statt.

Von dem Vorhaben, ihr neues Album „Mestarin Kynsi“ erstmals in Gänze auf dem diesjährigen Roadburn-Festival vorzustellen, mussten sich ORANSSI PAZUZU somit verabschieden – von der Chance, es dennoch einem Publikum vorzuspielen, aber nicht.

Und so geschieht es, dass sich die Finnen am Freitag um 21 Uhr vor die Kameras begeben. Eingehüllt in einem weißen Licht, in einem Raum ohne ersichtliche Dimensionen, lediglich in schwarz-weiß getaucht, dazu die ersten Klänge der Gitarre und ein verstörend krächzender Jun-His: So eröffnen ORANSSI PAZUZU mit „Ilmestys“ ihr Set des heutigen Abends. Ein Set, dass ausschließlich „Mestarin Kynsi“ beinhaltet – die folgenden 50 Minuten sind somit zwar frei von Überraschungen in der Setlist, aber definitiv nicht frei von hervorragender Musik.

Der Hintergrund wechselt von grellem weiß zu finsterer Dunkelheit; wo bei „Ilmestys“ noch schwarze Baumumrisse auf weißem Hintergrund projiziert worden sind, wird bei „Tyhjyyden Sakramentti“ der nun komplett schwarze Raum durch Flackerlicht und weiße Rauchprojektionen erhellt. Einfache visuelle Kniffe, die vom eigentlichen Geschehen, der Musik, nicht ablenken, sondern deren Wirkung nur unterstützen.

Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: Oranssi Pazuzu

Wer bisher noch verhalten auf der Couch saß, wird spätestens ab dem Mittelteil von „Uusi Teknokratia“ den Körper in die Senkrechte bringen: Die Finnen brechen bei ihrer Singleauskopplung alle Dämme, das Quintett ist spürbar auf Betriebstemperatur hochgefahren. Ein starkes Brett, dass musikalisch zwar über jeden Zweifel erhaben ist, aber das Manko dieses Streams deutlich macht: Je schneller ORANSSI PAZUZU werden, umso höher ist die Anzahl der Bildschnitte, was aufgrund der stellenweise nur mittelmäßigen Aufnahmequalität der Kamera zu unscharfen Konturen und verschwommenen Flächen führt – ein Phänomen, was man auf einem Konzert sonst erst nach drei frisch gezapften Bieren kennt.

Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: Oranssi Pazuzu

„Oikeamielisten Sali“ kommt als nächstes und somit genau zum richtigen Zeitpunkt, bietet der Song schließlich die Erholung, die man nach dem furiosen „Uusi Teknokratia“ dringend benötigt. Der nachfolgende Track „Kuulen Ääniä Maan Alta“ verdeutlicht einmal mehr, wie sehr ORANSSI PAZUZU die Kunst des Klimax‘ für sich perfektioniert haben. Passenderweise schwenkt die Kamera am Ende zu Ville Leppilahtis magischen Händen, lebt der Song immerhin auch von den Synthesizer- und Keyboardklängen, die seine Finger den Instrumenten hervorlocken.

Screenshot der Live-Stream-Show, Foto-Credit: Oranssi Pazuzu

Mit dem Rausschmeißer „Taivaan Portti“ leiten ORANSSI PAZUZU schon das Ende ihres neuen Albums und somit auch das des Live-Streams ein, falls zuvor das Streamingmedium der Wahl nicht bereits unter der schieren Klanggewalt des Songs zusammenbricht. Eine Überlagerung nach der anderen, beißend rotes Licht: verstörend und brilliant zugleich, womit sich ORANSSI PAZUZU von der Bildfläche verabschieden.

Nach weniger als einer Stunde Spielzeit denken sich die zwischenzeitlich knapp 4.000 Zuschauer des Live-Streams sicherlich nur eines: Schade, dass „Mestarin Kynsi“ nicht länger geht. Schade, dass die Finnen nicht wirklich in meinem Wohnzimmer standen. Schade, dass man sich auf die bevorstehende Europatour im September nur unter Vorbehalt freuen kann.

Damit die Erinnerung an den Gig allerdings nicht allzu schnell verblasst, lassen ORANSSI PAZUZU nicht nur den Stream uneingeschränkt online, sondern bieten außerdem ein Streaming-Event-2020-T-Shirt an. Wer die Finnen hingegen direkt und ohne zwischengeschaltete Vertriebsinstanz unterstützen möchte, findet hier die Gelegenheit dazu.

>> Hier geht es zu Oranssi Pazuzu performs Mestarin kynsi

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