Review Oranssi Pazuzu – Mestarin Kynsi

  • Label: Nuclear Blast
  • Veröffentlicht: 2020
  • Spielart: Black Metal

Vier Jahre, ein Labelwechsel und einen Tausch in der Bandbesetzung später präsentiert die Crème de la Crème des psychedelischen Black Metals, ORANSSI PAZUZU, ihr nunmehr fünftes Studioalbum „Mestarin Kynsi“. Das mit Spannung erwartete Werk der Finnen wurde zuletzt durch die Veröffentlichung „Live At Roadburn 2017“ enorm angeheizt; einer Platte, auf der Urgestein Moit schon nicht mehr zu hören war. Stattdessen ist Ikon (Waste Of Space Orchestra) in die Rolle des zweiten Gitarristen neben Gründungsmitglied und Sänger Jun-His (Grave Pleasures) geschlüpft und feiert somit auf „Mestarin Kynsi“ sein Debüt.

Wie viel künstlerische Freiheit Nuclear Blast seinem finnischem Neuzugang gewährt, wird besonders an dem Punkt deutlich, an dem man merkt, dass „Mestarin Kynsi“ keinerlei kurzweilige Hits wie „Danjon Nolla“ („Muukalainen Puhuu“), „Komeetta“ („Kosmonument“), „Vino Verso“ („Valonielu“) oder „Lahja“ („Värähtelijä“) hat – also Songs, die sich hervorragend als leicht verdauliche Appetizer-Singles eignen. Stattdessen fiel die Wahl der Vorab-Single auf den längsten Track des neuen Albums, das zehnminütige Meisterwerk „Uusi Teknokratia“. ORANSSI PAZUZU geben sich auf „Mestarin Kynsi“ einer Trance hin, die eher als homogenes Werk statt einer Ansammlung grundverschiedener Songs zu verstehen ist; nicht verwunderlich also, dass die Platte weniger Stimmungsschwankungen aufweist als bspw. ein „Kosmonument“, das neben erdrückender Schwere („Sienipilvi“) ebenso smoothe („Luhistuva Aikahäkki“) wie treibende Tracks („Loputon Tuntematon“) bietet.

Unterm Strich stellt „Mestarin Kynsi“ also das in sich geschlossene und absolut stimmige Album dar, das man als Fan ihrer bisherigen Diskographie schon immer hören wollte. Die sechs Songs reihen sich aneinander, wie sich eine mathematische Gleichung auflöst; der Hörfluss bleibt ununterbrochen auf dem gleichen Niveau und ist völlig frei von harschen Ausbrüchen oder einer rapiden Tempodrosselung. Das kann man ORANSSI PAZUZU natürlich zum Vorwurf machen: Wo sind die Wendungen, die Motivwechsel? Warum haben die Finnen ihre Eingängigkeit wie bspw. in „Valveavaruus“ („Värähtelijä“) aufgegeben? Wieso hat sich das Quintett gegen die Dynamikwechsel zwischen melodischer Fragilität („Lahja“) und groovigen Nummern  („Hypnotisoitu Viharukous“) entschieden?

Als Rezensent kann man diese Fragen nur stellen, aber nicht beantworten. Mit bestem Gewissen sagen kann man allerdings Folgendes: Mag man in den ersten Durchläufen noch die kompakten Nummern und die catchy Hits vermissen, doch „Mestarin Kynsi“ gewinnt im Laufe der Hörgänge immer mehr an Eindringlichkeit. Die typische Intensität von ORANSSI PAZUZU ist nun nicht mehr nur auf einige Songs begrenzt, zwischen denen sich treibende Nummern befinden, sondern baut sich in jedem der sechs Tracks auf. Somit ist „Mestarin Kynsi“ der legitime Nachfolger von „Värähtelijä“, aber ein Kontrast zu den ersten drei Platten.

Hörer mit dem Faible, Musik Zeit und Raum zur Entfaltung zu geben, werden von „Mestarin Kynsi“ begeistert sein; zur einfachen Hintergrundbeschallung oder dem schnellen Hören zwischendurch eignen sich ORANSSI PAZUZU nun aber wirklich nicht mehr. Viel zu hoch ist die Gefahr, keinen Zugang zum sanften Beat des Openers „Ilmestys“ zu finden, die grandiose Abgespactheit von „Oikeamielisten Sali“ zu unterschätzen, die extravaganten Sprachsamples zu überhören, die stark an den „Arrival“-Soundtrack erinnern („Uusi Teknokratia“), oder die Gänsehautmomente während der Steigerung und dem Outro von „Kuulen Ääniä Maan Alta“ zu verpassen.

ORANSSI PAZUZU wagen sich auf ihrer fünften Platte „Mestarin Kynsi“ somit mehr denn je: fort von den kompakten, sicheren Nummern und hin zu kreativ hochinteressanten, aber auch weniger leicht zugänglichen Liedern. Schaden tun sich die Finnen mit dieser Entwicklung nicht, da sie dennoch – oder gerade deswegen – noch immer hoch oben auf dem Thron eines Genres sitzen, das sie maßgeblich formten.

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Wertung: 8.5 / 10

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