Review Alter Bridge – Fortress

Man fragt sich ja manchmal, wann Myles Kennedy eigentlich schläft. Nicht nur spielt er bei ALTER BRIDGE Gitarre und singt, nebenbei ist er maßgeblich am Erfolg der Solokarriere des ehemaligen Gitarristen von Guns N’ Roses, Slash, beteiligt. Beide Gruppen touren zudem intensiv und lange. Die Bilanz der letzten vier Jahre kann sich ergo sehen lassen: 2010 das letzte Studioalbum von Alter Bridge, dann 2011 und 2012 Live-Scheiben, mit Slash 2010 ein Livealbum, 2012 ein Studioalbum, dazwischen immer auf Tour und jetzt, 2013, die Neue von ALTER BRIDGE: „Fortress“.

Wären das alles Soloprojekte von Myles Kennedy, man müsste sich wohl Sorgen um die Originalität machen. Aber es handelt sich ja bei seinen Projekten nicht um Soloarbeiten, in beiden Fällen sitzen einige der besten Musiker des Genres mit ihm am Schreibpult und an den Reglern im Studio – besonders ALTER BRIDGE sind mit einer beachtlichen personellen Kontinuität und, man muss es einfach sagen, musikalischen Kreativität gesegnet. Und so gelingt „Fortress“ auf Anhieb das, was man von einer erfolgreichen Band im besten Fall erwarten darf: Es klingt vertraut und doch frisch, bedient lieb gewonnene Hörgewohnheiten, ohne sich darauf auszuruhen.

Dabei irritiert der Opener „Cry Of Achilles“ gleich zu Beginn von „Fortress“. Zu ungewöhnlich wirkt der Anfang, fast schon progressiv kommen manche Passagen in der ausgezeichneten Produktion aus den Boxen. Kennedys Stimme schwebt bei den ersten Gesangslinien fast auf gleicher Klanghöhe wie die Gitarren und sorgt für einen Klang, der zwar etwas fremd, aber keineswegs schlecht ist. Das Mimikry wird lange aufrechterhalten, und erst weit in der zweiten Minute erlöst die Band mit dem typischen Sound von ALTER BRIDGE. Eigentlich ist alles, was das neue Album auszeichnet, in diesem Song schon ausgelegt, fast wie ein Programm, das die Band die restlichen 55 Minuten abarbeitet: überraschend progressive Gitarrenriffs, wahnwitzige Soli und die erstaunlich abwechslungsreiche Stimme von Myles Kennedy.

Mit „Addicted To Pain“ folgt zur Beruhigung aber erst einmal ein vorwärtstreibender Song, der sich mit seiner Energie und seinem unglaublichen Ohrwurm-Refrain in Kürze zum festen Bestandteil des Livesets gemausert haben dürfte – fast fühlt man sich an die Energie des ersten Albums von ALTER BRIDGE erinnert, wäre da nicht die zweite Gitarre. Wenn man aber nach dem ebenfalls eher klassischen „Bleed It Dry“ denkt, die Amerikaner würden jetzt in gewohntes Fahrwasser zurückkehren, so irrt man: Obwohl es im Mittelteil von „Fortress“ immer wieder vertraute Momente gibt (vielleicht würden manche sagen: zu vertraut), kommt es schnell zu den erwähnten Abwandlungen im Konzept. „Lover“ beginnt fast sphärisch und erreicht erst auf der Hälfte einen dieser hochemotionalen Refrains, wie sie die Band immer wieder erzeugt. Mit einem ganz ähnlichen Trick fängt die Band auf „Calm The Fire“ erneut die ganze Aufmerksamkeit des Hörers.

Wenn man jetzt aber denkt, das Konzept durchschaut zu haben, überrascht „Waters Rising“ mit einem Wechsel am Mikrofon: Zum ersten Mal auf einem Album von ALTER BRIDGE singt Mark Tremonti, der Obergitarrist, die Leadvocals, was in interessanten Wechselparts mit Myles Kennedy mündet. Weniger von der Musik, sondern vom Inhalt her überrascht schließlich gegen Ende „All Ends Well“ – so positiv klangen die Texte von ALTER BRIDGE höchstens bei „Rise Today“. Und die progressiven Frickeleien auf dem Rauswerfer „Fortress“ setzen dem Album die Krone auf. Schön! Wer die Band nicht schon immer ausgemacht schlecht fand, sollte spätestens jetzt anfangen, sie zu hören.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Marc Lengowski

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