AMEOKAMA sind das Brainchild der US-amerikanischen Multiinstrumentalistin und Tontechnikerin Aki McCullough, „I Will Be Clouds In The Morning And Rain In The Evening“ ihr Debüt, auf dem sie (mit ein wenig Unterstützung, vor allem am Schlagzeug) so gut wie alle Instrumente selbst eingespielt hat. Der außergewöhnliche Stilmix ist außerdem ein sehr persönliches Werk geworden – und sowohl musikalisch als auch lyrisch alles andere als leichte Kost.
Das für heutige Verhältnisse eher lange Album bietet neun Songs auf ziemlich genau einer Stunde Spielzeit und startet recht sperrig: „My Fears Have Become Fetishes“ ist ein astreiner Noise-Rock-Hammer, Julie Christmas zu „Made-Out-Of-Babies“-Zeiten nicht ganz unähnlich. Nach fünf großartig disharmonischen Minuten folgt mit der Single „Phantom Cock“ AMEOKAMAs Verbeugung vor der elektronischen Clubmusik. Mächtig treibend kommt der offensiv elektronische Beat daher, stimmlich erinnert McCullough (gerade in Verbindung mit der fast schon Prodigy-esken Strophe) an Lucia Cifarelli von KMFDM. Spätestens im gitarrenlastigeren Chorus fühlt man sich auch musikalisch an die deutsch-amerikanische Industrial-Legende erinnert.
So weit, so abwechslungsreich: „I Am Driving A Car With A Cute Girl And Pretending That The World Isn’t Ending“ und der Titeltrack an vorletzter Stelle des Albums wildern erfolgreich in Shoegaze- und Post-Punk-Gefilden – zumindest bis McCullough im Chorus ihre durchaus bemerkenswerte Schrei-Keif-Stimme auspackt, die auch im Rahmen einer Black-Metal-Darbietung super passen würde. Deafheaven-Freund*innen dürfte das fraglos sehr gefallen. Auf halber Albumlänge zeigt die großartige zehnminütige Noise-Rock-Oper „Izanami“ ein weiteres Mal, dass genau dieses schräge Subgenre den musikalischen roten Faden auf „I Will Be Clouds In The Morning And Rain In The Evening“ darstellt und das vielfältige Gesamtwerk erfolgreich zusammenhält.
Immerhin gönnen AMEOKAMA der Zuhörerschaft auch in regelmäßigen Abständen Atempausen: Die Akustikgitarrenballade „Ravensong“ ist einfach schön, genauso wie das gelungene und sehr gediegene The-Mars-Volta-Cover „Copernicus“. Kontrapunktiert werden diese Bemühungen dann aber erfolgreich mit dem anstrengendsten Stück auf „I Will Be Clouds In The Morning And Rain In The Evening“: „Cluster B“ zeichnet sich durch eine sechseinhalbminütige Ringmodulator-Noise-Distortion-Kakophonie aus, die in ein allerdings fantastisches, leider nur neunzigsekündiges Industrial-Doom-Finale mündet. Dass das Album mit einem fast zwölfminütigen, jazzig anmutenden Neo-Classic-Pianostück endet (inklusive dem für McCullough nach rund 45 Spielzeit obligatorischen elektronischen Beiwerk), ist eine gelungene Überraschung.
Der Name AMEOKAMA leitet sich übrigens von „Ameonna“ ab, welches der Name einer Art Regengeist in der japanischen Mythologie ist. Inhaltlich ist das Album ebenso harter Stoff wie die Musik: McCullough arbeitet lyrisch sehr persönliche Erfahrungen auf, angefangen bei ihrer Transition über Depressionen während der Pandemie bis hin zu zwischenmenschlichen Enttäuschungen. Dabei geht es auch durchaus explizit zur Sache, Sex ist fast schon eine Art Leitthema, beschönigt wird hier gar nichts. Die daraus resultierende emotionale Glaubwürdigkeit in jeder Sekunde ist das Sahnehäubchen auf der Torte und macht „I Will Be Clouds In The Morning And Rain In The Evening“ zu etwas wirklich ganz Besonderem. Die herausragend gute Produktion macht das Album zusätzlich zu einem wahren Hörvergnügen.
Für Noise-Rock-Fans ist AMEOKAMAs Longplayer ohne Frage ein Highlight des Jahres. Aber auch alle anderen Interessierten, die den genannten Referenzkünstlern etwas abgewinnen können, sollten „I Will Be Clouds In The Morning And Rain In The Afternoon“ eine Chance geben, wenn auch auf eigene Gefahr. Vielleicht gefällt nicht jeder Song gleich gut, aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass für jede*n etwas dabei ist. Unterm Strich ein fantastisches Album.
Wertung: 9 / 10