Review Anathema – Hindsight

18 Jahre Kirchenbann (danke für die Aufklärung, Freund Han), yeehar. Ja, richtig gelesen, schon 18 Jahre ist es her, dass die britischen Doomdeath-Pioniere ANATHEMA aus Liverpool sich unter dem Namen Pagan Angel zusammenfanden, nur um kurz darauf die Namensänderung zu vollziehen und sich gemeinsam mit Paradise Lost, Katatonia und My Dying Bride daran zu machen, unter Peacevilles Banner den Doom Metal zu revolutionieren. Und so geschah es dann auch…

Aber das sind ja, wie der Anfang des vorigen Absatzes nahe legte, schon längst alte Hüte, denn in diesen 18 Jahren hat sich viel getan bei den Briten. Wie zwei ihrer damaligen Label- und Genrekollegen entfernten sie sich weiter und weiter von ihren Wurzeln, seit „Eternity“ ist mit Death Metal nicht mehr viel los, auf der „Alternative 4“ verabschiedete sich dann auch der Doom und spätestens seit „Judgement“ kann man die Jungs (und das Mädel) nicht mal mehr wirklich als Metal bezeichnen. Atmosphärischen Rock mit ein wenig Gothic-Einschlag boten sie seit der CD auf. Jetzt, im Jahre 2008, gehen sie noch einen Schritt weiter.

Mit „Hindsight“ kommt nämlich eine neue Best-Of-Compilation in die Läden. Aber die hat es in sich, denn hier wurde nicht nur lieblos altes Liedgut zusammengeschustert und auf eine neue CD gepresst, ney, ANATHEMA haben in die vollen gelangt und aus „Hindsight“ etwas neues, frisches gemacht. Und zwar ließen die Liverpooler sich nicht lumpen, sondern nahmen neun ihrer größten Hits neu auf, allerdings nicht mit klassischen Metal-Instrumenten, sondern als „semi akustische“ Versionen, mit akustik-Klampfen, sanften Keyboards, Streicherarrangements und was weiß ich noch alles. Ein gewagtes Experiment… Ob es funktioniert?

Ich würde jetzt wahnsinnig gerne „Ja“ sagen, denn ANATHEMA sind einfach eine wahnsinnig tolle Band, handwerklich und songwriterisch absolut über jeden Zweifel erhaben, aber „Hindsight“ hat seine Macken. Dabei fängt mit der Neuaufnahme von „Fragile Dreams“ vom „Alternative 4“-Album alles so schön an. Der Song bietet sich für diese ruhigen Arrangements geradezu an und kommt verdammt gut rüber. Ich will nicht sagen, dass die Version besser als die alte ist, sie ist einfach anders, aber mindestens auf einem Level mit dem, was sich auf der mittlerweile zehn Jahre alten „Alternative 4“ findet. Auch „Leave No Trace“, im Original vom „A Fine Day To Exit“-Album, und „Inner Silence“ klingen im neuen Gewand recht fein und laden zum Träumen und zum Kuscheln ein…

Aber dann zeigt „Hindsight“ auch schon sein anderes Gesicht und das gerade bei ANATHEMAs Über-Song schlechthin, „One Last Goodbye“. Ich liebe das Lied, die Originalversion von „Judgement“ gehört zu den besten Songs, die ich kenne. Und auch auf „Hindsight“ fängt alles so nett an, mit einem einzelnen Klavier und Cavanaghs gefühlvollen Vocals, aber in der zweiten Hälfte packt die Band die Bombast-Keule aus und die zerstört massiv die fragile, zerbrechliche Atmosphäre des Songs. Er ist immer noch schön, aber gegen die geniale Originalversion kommt er einfach nicht an. Und da fragt man sich doch unweigerlich, wieso ANATHEMA das gemacht haben… Etwas besseres als die alten Versionen aufzunehmen konnten sie eigentlich nicht erwarten, denn vor allem „One Last Goodbye“ ist schon sehr dicht an der Perfektion dran.

Mit den anderen Neuauflagen verhält es sich ähnlich, die sind auch nett, aber eben nicht mehr. Und am Ende findet sich noch ein neuer Song, „Unchained (Tales of the Unexpected)“. Der ist ebenfalls im „Hindsight“-Stil gehalten und eigentlich eher langweiliger Natur, kann auf jeden Fall nicht mit dem genialen älteren Material mithalten und gibt einen denkbar schlechten Rausschmeißer ab. Da hätte etwas melancholisch-melodramatischeres wesentlich besser gepasst (also in etwa jeder andere Song, der sich auf „Hindsight“ findet…). Schade drum.

So ist das neuste Lebenszeichen aus dem Hause ANATHEMA eine sehr zwiespältige Sache. Ich will jetzt niemandem abraten, es sich zuzulegen… Es sind ein paar unglaublich schöne Stücke drauf (die Neuauflagen von „Fragile Dreams“, „Angelica“ und „Leave No Trace“ sind wundervoll), aber alles in allem weiß ich nicht so recht, wer diese CD eigentlich braucht. Wenn man die Augen schließen und träumen will oder mit der Liebsten kuscheln, dann eignet sich die „Hindsight“ vielleicht besser, Komplettisten stellen sie sich eh in den Schrank, aber wer einfach nur ANATHEMAs Genius bewundern will, der ist in den meisten Fällen mit den Originalversionen der Songs besser bedient.

Keine Wertung

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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