Cover-Artwork des Albums „The Likes Of Us“ von Big Big Train

Review Big Big Train – The Likes Of Us

„The Likes Of Us“ ist für die britischen Symphonic-Progger BIG BIG TRAIN Einschnitt und Neuanfang zugleich: Es ist das erste Album nach dem Tod ihres langjährigen Sängers David Longdon (2021) und das Studiodebüt für Vokalist und Multiinstrumentalist Alberto Bravin (ex-PFM). Der Italiener hat in den vergangenen Jahren bereits einige Konzerte mit der Band gespielt und ist weit mehr als nur der neue Mann hinter dem Mikro – er war am Songwriting für die neue Scheibe genauso beteiligt wie an der Produktion und ist damit ein integraler Bestandteil des Septetts.

Es war die richtige Entscheidung, dass BIG BIG TRAIN weitermachen. Wenn Alberto Bravin im epischen, größtenteils instrumentalen Opener glasklar die Zeile „make the most of the light left in the day“ intoniert, klingt das – nach der Trauer um David Longdon – nicht nur authentisch; es setzt zugleich die Stimmung für eine Platte, die das Erinnern an Vergangenes zelebriert – ob thematisch mit der Rekapitulation der eigenen Jugend oder musikalisch mit ihrem charmant rückwärtsgewandten Siebziger-Sound.

„The Likes Of Us“ erweist sich als ein sehr geschmackvolles, warm produziertes und orchestral edel ausgearbeitetes Album. Hier zeigt sich der Vorteil einer siebenköpfigen Besetzung, die in weiten Teilen aus hervorragenden Multiinstrumentalisten besteht. Zusätzliches Plus: Sehr gute Sänger*innen sind es auch noch. Alberto Bravins Stimme ist dabei ein gutes Stück wärmer und klarer als die seines Vorgängers.

Stilistisch bleibt die Band sich treu: BIG BIG TRAIN folgen den Spuren der klassischen Genesis der Peter-Gabriel-Ära. Das ist mehr als offensichtlich, auch ohne das Beinahe-Zitat von „Dance On A Volcano“ im Abschlusstrack „Last Eleven“. Insofern werden sich Fans von Bands wie Transatlantic, Simon Says, Neal Morse oder Spock’s Beard hier sofort heimisch fühlen und frohlocken – zumal mit Nick d’Virgilio der ehemalige Spock’s-Beard-Schlagzeuger und Session-Drummer für Genesis hinter dem Kit sitzt. Mit den genannten Genre-Kollegen teilen sich die Briten dann auch die AOR-Schlagseite, die mal mehr, mal weniger deutlich zu Tage tritt.

Mit dem 17-Minüter „Beneath The Masts“ sowie dem zehnminütigen „Miramare“ sind der Band zwei grandiose Epen gelungen, die trotz ihres gemäßigten Tempos zu keiner Zeit Längen aufweisen und sehr bunt arrangiert sind. Unter den kürzeren Tracks stechen das rockige „Oblivion“ sowie die Power-Ballade „Love Is The Light“ heraus. Beide profitieren immens von Clare Lindleys zu Tränen rührendem Violinenspiel. Diese Songs markieren auch zwei Extreme, denn straighter als beim erstgenannten und kitschiger als beim letztgenannten Track wird es auf „The Likes Of Us“ nicht mehr (außer beim Cover-Artwork). „Love Is The Light“ wäre in den Achtzigern – etwas synthetischer instrumentiert – ein Megahit gewesen.

Schon nach dem ersten Durchgang der 64-minütigen Scheibe ist klar: Das hier ist ein Retroprog-Album, wie es im Buche steht. Mit jeder weiteren Rotation offenbart sich mehr und mehr die Klasse und Schönheit der acht Songs. Musik zum Schwelgen und Träumen, die sich Zeit nimmt und keine Hochgeschwindigkeitsattacken braucht. Progressiv im Sinne des Wortes? Nicht die Bohne. Richtig gut gemacht? Aber ja! Die Briten haben ihre Zielgruppe klar vor Augen und bedienen sie par excellence. Mit „The Likes Of Us“ setzen BIG BIG TRAIN die Messlatte für alle Retroprog-Alben, die 2024 noch erscheinen werden. Was für ein Fest!

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Wertung: 9.5 / 10

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