Ellende - Ellenbogengesellschaft Cover

Review Ellende – Ellenbogengesellschaft

  • Label: AOP (Art Of Propaganda)
  • Veröffentlicht: 2022
  • Spielart: Black Metal

Den optimistisch Denkenden erschien die Coronapandemie anfangs vielleicht sogar als Chance: ein ganz ohne Feindbilder auskommender Anlass, als Gesellschaft dichter zusammenzurücken – unter Einhaltung der Abstandsregeln, versteht sich. Die Realität sah anders aus: Während manche es sich im Home Office bequem machten, schufteten andere in systemerhaltenden Berufen sich halb (und mitunter tragischerweise sogar ganz) zu Tode. Unzählige Menschen verloren ihre Jobs und rutschten in die Armut ab, während die Reichsten Rekordprofite einstrichen. Der Titel, den ELLENDE für sein viertes Album gewählt hat, ist demnach nur zu bezeichnend für die Zeit, in der es erschienen ist: „Ellenbogengesellschaft“.

Anders als es der etwas ungelenke, aber aussagekräftige Albumtitel anzudeuten scheint, setzt Solomusiker L.G. sich hier nicht (bzw. allenfalls hintergründig) mit Egoismus auf der Makroebene auseinander. Vielmehr treiben den Österreicher im Wesentlichen dieselben Themen um, die den introspektiven Output seines Black-Metal-Projekts zuvor bereits geprägt haben: Verlust, Rastlosigkeit, Vereinsamung, Lebensmüdigkeit. Mit seinem kernigen Schrei- und eher seichten Klargesang gibt L.G. sich zwar eher unpersönlich, in seiner Musik spürt man jedoch deutlich, welchen tiefen Empfindungen ELLENDE als Vehikel dient.

Feinfühliges Klavierspiel sowie melancholische Clean- und Akustikgitarren kommen nicht nur im Intro „Ich bin“ zum Einsatz, sondern drücken auch im weiteren Verlauf des Albums an mehreren Stellen eine Verletzlichkeit aus, die in dieser Kunstform nur gelegentlich Platz findet. Ansonsten herrscht jedoch die typische Black-Metal-Stilistik vor: mal intensiv mit geradezu apokalyptischen Riffs und Blast-Beats („Abschied“), mal getragen und betrüblich („Freier Fall“), aber kaum den Rahmen des grimmigen Genres sprengend.

ELLENDE ist sich und seinem musikalischen Zuhause also treu geblieben. Lediglich das seinem Titel entsprechend getriebene „Ruhelos“, zu dem J.J. (Harakiri For The Sky) seine heiseren Screams beiträgt, erinnert mit seiner Dynamik eher an die Band des Gastsängers. Dass L.G. ELLENDE nicht neu erfunden hat, hat aber insofern sein Gutes, als er dadurch seinen gewohnten Stil weiter verfeinern konnte. So ist „Ellenbogengesellschaft“ durchwegs stimmig arrangiert, ohne eklatante Patzer eingespielt und dank Markus Stocks kraftvoller, gut abgerundeter Produktion auch klanglich gelungen.

„Ellenbogengesellschaft“ mag nicht die aufschlussreiche Studie des menschlichen Zusammenlebens, die sein Titel in Aussicht stellt, und auch kein Meilenstein des Black-Metal-Genres sein. Davon abgesehen hat ELLENDE damit jedoch sein bislang konsistentestes Album geschaffen. Im Gegensatz zu früheren Releases finden sich hier keine Durchhänger oder Unstimmigkeiten im Songwriting und auch soundtechnisch lässt „Ellenbogengesellschaft“ keine Wünsche offen. Wer ELLENDE zuvor bereits geschätzt hat oder melancholischem, eher gemäßigtem Black Metal nicht abgeneigt gegenübersteht, kann ohne große Bedenken zugreifen.

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Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

Ein Kommentar zu “Ellende – Ellenbogengesellschaft

  1. Hat mich tatsächlich überrascht. Bisher mochte ich Ellende ja nicht so sonderlich. Aber das Album überzeugte mich die letzten Monate und lief regelmäßig. Gute Atmosphäre, richtig guter Black Metal-Gesang und Melodien, die mitreißend wirken. Dauerbrenner mit Cover-Sau.

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