Review Ellende – Triebe (EP)

  • Label: AOP (Art Of Propaganda)
  • Veröffentlicht: 2021
  • Spielart: Black Metal

Wer weiß schon, wann ein Kunstwerk wirklich fertig ist? Kann ein kreativer Prozess überhaupt jemals wirklich abgeschlossen sein? Unmengen an täglich veröffentlichten Remixes, Neuaufnahmen, Alternativ- und Coverversionen, die mitunter sogar größere Bekanntheit als die Originale erlangen, bezeugen, dass etwa ein Musikstück selbst nach dem Release kein unveränderliches Ding ist. Auch L.G., der Künstler hinter der österreichischen Ein-Mann-Black-Metal-Band ELLENDE, betrachtet seine bisherigen Veröffentlichungen offensichtlich nicht als unantastbar. So hat der Einzelgänger seine 2014 erschienene EP „Weltennacht“ komplett überarbeitet, abermals aufgenommen und unter dem Titel „Triebe“ als eigenständige Neuinterpretation herausgebracht.

Dass ELLENDE sich in den Jahren nach dem Release der ursprünglichen Version in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt hat, ist auf „Triebe“ nicht zu überhören. Sowohl bezüglich Performance als auch Tonqualität ist das Kurzalbum merklich ausgefeilter als „Weltennacht“. Die gramvollen, immer noch eher unscharf abgemischten Screams, die Akustik-, Clean- und Distortion-Gitarren und die kraftvollen Drums klingen hier um einiges druckvoller und diesmal wurden die Instrumente weniger holprig eingespielt.

Allerdings hat ELLENDE die drei melancholischen, über weitere Strecken im Midtempo gehaltenen Stücke nicht einfach nur schick herausgeputzt, sondern sich auch an den Kompositionen selbst zu schaffen gemacht. Die Songs wurden ein wenig ausgeschmückt – insgesamt kratzt die EP dadurch nun an der 30-Minuten-Marke – und auch die zuvor bereits vorhandenen Parts hat L.G. nicht unberührt gelassen. Mal ersetzt der Solokünstler eine Akustikgitarre mit einer unverzerrten E-Gitarre, mal rückt er einen vormals im Vordergrund gestandenen Streicher-Part dezent in die Peripherie. Über die Notwendigkeit dieser Änderungen kann man sicherlich streiten, stimmig sind die Tracks in ihrer neuen Gestalt jedoch allemal.

Für sich betrachtet bietet „Triebe“ jedenfalls alles, was man von ELLENDE an diesem Punkt erwartet. L.G. versteht sich darauf, mit gängigen Black-Metal-Stilmitteln ein Gefühl tiefster Schwermut zu vermitteln. Vor allem begeistern jedoch die kleinen Besonderheiten in den Songs wie etwa das gefühlvolle Piano in „Triebe II“, das Sample eines verstörenden Stimmengewirrs in „Weltennacht“ oder das ausgedehnte, beinahe friedliche Akustik-Intro in „Zwischen Sommer und Herbst“.

Ob „Triebe“ für jene, die bereits „Weltennacht“ besitzen, ein Muss ist, darf angezweifelt werden – schließlich soll es ja durchaus Black-Metal-Fans geben, denen ein rumpelndes Klangbild genehm ist. Verschlimmbessert hat ELLENDE die drei Songs aber definitiv nicht. Vielmehr gestalten sich die Stücke in ihrer aktualisierten Form ungemein packend, sodass die EP sogar das letzte Album – das etwas schale „Lebensnehmer“ (2019) – in den Schatten stellt. Im Gegensatz zu so vielen sinnlosen, weil kaum anders klingenden Remasterings oder klanglichen Vollpannen wie In Flames‘ Jubiläums-Reissue von „Clayman“ (2020) hat ELLENDE hiermit tatsächlich etwas Hörenswertes zustandegebacht.

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Publiziert am von Stephan Rajchl

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