Review Nebelkrähe – Ephemer

Es ist immer eine Herausforderung für jeden Musiker, in seiner Landessprache zu singen. Ein Großteil der Bands hierzulande wählt lieber das unspezifischere Englisch. Fremdsprachen kann das Gehirn im Zweifelsfall einfach durchrauschen lassen, bei der eigenen Sprache stellt sich die Aufmerksamkeit auch ungewollt ein. Wenn man sich die Inhalte der meisten Texte genauer ansieht, ist es auch gut so, dass vieles unverstanden bleibt – von allseits beliebten Klassikern des schlechten Geschmacks à la „The Time Is Came!“ (Wolfchant) einmal abgesehen. Dennoch hat sich gerade im deutschen Black Metal eine gehaltvolle Szene in der Landessprache gebildet. Neben den geradezu zwingend sich hier aufdrängenden – und gerade auch selbst veröffentlichenden – Mainzern Nocte Obducta oder den Österreichern Dornenreich haben auch die Münchner NEBELKRÄHE keine Berührungsängste mit ihrer eigenen Sprache – und erst recht nicht mit genrefremden Einflüssen. Gut so!

Zehn Jahre nach dem Vorgänger „Lebensweisen“ steht mit „ephemer“ das nunmehr dritte Album in den Startlöchern. Das so bittersüße wie treffende Cover – Treffen der Generationen vor Seifenblase in ihren letzten Zügen – verrät die herbstliche Ausrichtung der Musik zwischen kraftvollem Drängen und fragiler Zerbrechlichkeit. Auch der lyrische Stil der Songtitel lässt recht die Erinnerung an mittlere Nocte-Dekaden aufkommen. Der Vergleich geht jedoch ins – nun, ephemere. Doch der Reihe nach.

Der Opener „Tumult Auf Claim Abendland“ umfasst die Ausrichtung des Albums in knapp sechs Minuten. Wie die das Cover schmückende Seifenblase und entgegen dem tumultuarischen Titel schwebt das Stück nachdenklich durch den Raum, stets in Gefahr zu zerreißen. Unzweifelhaft ist Black Metal das Fundament, doch ist er nur ein Ausgangspunkt für eine sehr melodiöse, sehr innerliche Reise durch eine vergilbte Vergangenheit.

Die Stücke verorten sich gerne im Midtempo, an den Riffs lässt sich jedoch unzweideutig die Herkunft aus dem klassischen Black Metal vor allem deutscher Prägung erkennen. Dark Fortress wären ein potenzieller Ausgangspunkt; von diesem aus versammeln NEBELKRÄHE aber frohgemut alle Einflüsse, die ihnen zum Aufbau von Atmosphäre und Spannung notwendig erscheinen. Erfreulicherweise wirkt dies alles wie aus einem Guss und umschifft geschickt und professionell etwaige Brüche. Dazu tragen auch die gelungenen deutschen Texte bei, die sich weit entfernt von Peinlichkeiten anderer Genrekollegen bewegen.

Sepiafarbene Stimmung erlaubt selten echte Ausbrüche. Blastbeats etwa finden sich nur kurz in „Nielandsmann“, einem Duett mit Noise (Kanonfieber); ein (Anti-)Kriegslied, das sich zu einem kleinen Albumhit mausert. Statt Marduk’schem Sturmangriff mit der Dicken Berta erwarten den Hörer hier aber dicke Tubaklänge, die das Vorwärtskommen im Schlamm erschweren.

Gastinstrumente wie Gastmusiker spielen auf „ephemer“ eine wesentliche Rolle. Neben dem bereits erwähnten Noise haben auch Markus Stock (Empyrium, The Vision Bleak) sowie sG (Secrets Of The Moon) ihr Scherflein dazu beigetragen, dass „ephemer“ vor allem auch mit Abwechslungsreichtum glänzt. Leider ist es gerade sGs Klargesang, der das stilvoll von Akkordeonklängen begleitete „Dornbusch“ mittig in die Schieflage kippen lässt. Das war man von den späten SOTM-Alben zwar leider schon gewöhnt, fällt hier aber noch einmal besonders deutlich auf. So fällt dieser Auftritt klar hinter die starke Leistung Noises in „Nielandsmann“ zurück.

Mit „Kranichträume“ und vor allem „Über Menschen Unter Tage“ finden sich die großen Albumhighlights im letzten Drittel des Albums. Während ersteres die unverstellt melancholische Seite der Band eindrucksvoll durchzelebriert, hat zweiter Song das Potential zum „Steigerlied“ des melodischen (Post-)Black Metal. Mit rußverschmierten Kumpeln geht es tief in den Schacht, wo ein altes, verbeultes Radio unbekannte Wellen aufsaugt und sich unversehens eine flotte Gitarrenmelodie durch die Gesteinswand nach oben schlängelt: Chapeau, so geht spannendes Songwriting.

Vielleicht hätten dem abschließenden „Die Strandbar von Scheria“ ein paar Minuten weniger Spielzeit gutgetan, um durchgängig den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Doch das ist Motzen auf hohem Niveau. NEBELKRÄHE ist mit „ephemer“ ein so abwechslungsreiches wie spannendes, im besten Sinne „modernes“ Black-Metal-Album ohne Berührungsängste gelungen. Einzig das Fehlen jener gallig-zynischen Bitterkeit, die andere Vertreter des Genres so auszeichnet, mögen manche ankreiden. Auf „ephemer“ herrscht stattdessen farbig-schimmernde Vergänglichkeit.

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Wir weisen darauf hin, dass in der hier besprochenen Band ein Redaktionsmitglied von Metal1.info aktiv ist. Selbstverständlich sind wir auch in solchen Fällen stets um professionelle Distanz bemüht. Eine Einflussnahme des betreffenden Redakteurs auf Text oder Wertung schließen wir aus.

Wertung: 8 / 10

Redaktion Metal1.info

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4 Kommentare zu “Nebelkrähe – Ephemer

    1. Hehe, klar, Geschmäcker sind verschieden. Aber weder klingt das Album nach Nocte Obducta, noch gibt es drauf ne Ukulele, daher meine Frage :) Ich feiere die Platte auf jeden Fall sehr und kann dem Rezensenten nur zustimmen.

  1. Eine Gemeinsamkeit zwischen Album + Review: Beides wirkt hochnotpeinlich.

    Das haben Nocte Obducta schon vor knapp 20 Jahren um Längen besser gemacht. Nun wird hier viel Aufhebens, um eine schlechte Kopie betrieben, die versucht durch externe Bestätigung und verkrampfte „Andersartigkeit“ zu ihren Wert zu vermitteln (Otto Waalkes hat die innovative und genrefremde Ukulele auf „U-Bahn fahren zur Herbststurmzeit“ eingespielt und einige Funkparts die innovativ und genrefremd sind damit bereichert.) Mag sogar alles „innovativ und genrefremd“ sein – ist aber eben vor allem genreunabhängig schlecht.

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