Review Porcupine Tree – The Incident

Einen echten Workaholic erkennt man daran, dass er arbeitet. Klingt relativ logisch, im Falle des PORCUPINE-TREE-Fronter Steven Wilson gewinnt die einfache Formel jedoch zusätzlich an Gewicht. Eine groß angekündigte Pause nutzte er zur Fertigstellung seines Soloalbums und neben seiner Hauptband veranschlagen seine weiteren Projekte “Blackfield” (mit Aviv Geffen) und “Opeth”, wo er gelegentlich mit Mikael Akerfeldt zusammen arbeitet, zusätzliche Zeit.

Trotzdem erschien dieser Tage das neue Werk von PORCUPINE TREE, schlicht “The Incident” – der Zwischenfall – betitelt. Nach eigener Aussage bringt Wilson damit sein Unverständnis zum Ausdruck, wie teilweise unreflektiert (persönliche) Schicksalsschläge einfach als bloßer “Zwischenfall” bezeichnet werden. Regierte auf dem Vorgänger “Fear Of A Blank Planet” hauptsächlich die Emotion Wut, stellt “The Incident” das Thema “Nachdenklichkeit” in den Vordergrund. Glücklicherweise verlieren sich die Briten dabei nicht in zwanzigminütigen Softrockorgien, sondern legen ein Album vor, bei dem schon die Trackliste für einige Überraschungen sorgt. So beinhaltet CD 1 immerhin 14 Tracks auf 55 Minuten und man muss nicht gerade ein Bernoulli sein, um zu erkennen, dass es einige sehr kurze Nummern gibt. Kritischerweise möchte ich anmerken, dass diese dem Flow des Albums ziemlich die Fahrt nehmen. Insgesamt wirkt “The Incident” im ersten Moment ziemlich sperrig, der Zugang verbirgt sich irgendwo zwischen den nicht einmal kompliziert klingenden Riffs und den teilweise etwas unorthodox wirkenden Arrangements. Trotzdem lohnt sich das zweite (oder dritte, oder zehnte) Hinhören auf jeden Fall, mit jedem Durchgang erschließen sich neue Details, im Prinzip genau so, wie man es sich im progressiven Bereich vorstellt.

Da ist beispielsweise das im ersten Augenblick nervige “Drawing The Line”, doch noch einer Weile entpuppt sich der irgendwie näselnde Gesang als außerordentlich cooles Markenzeichen des Songs, der im Strophenbereich eher gemächlich dahinplätschert, im Refrain aber schön ausbricht. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht gerne mehr Lieder dieser Couleur gehört hätte. Freilich verbergen sich noch andere Perlen, Freunde der ausufernden Hymnen werden mit einiger Sicherheit “Time Flies” als ihren persönlichen Hit auserkoren haben, immerhin satte 11:40 Minuten dauert der längste Track des Albums und hat einiges zu bieten. Der Start ist mit akustischen Akkordfolgen erst einmal unspektakulär, nach etwa drei Minuten geht die wilde Soliererei aber auch schon los. Im wesentlichen wechseln sich diese Parts mit akustischen Einsprengseln ab, genaues Hinhören lohnt auf jeden Fall, es gibt viel zu entdecken.

Warum trotz ausreichender Spielzeit auf CD 1 eine zweite Scheibe beigepackt wurde, kann ich jetzt nicht so ohne weiteres sagen. Vermutlich werden “konzeptionelle” Gründe dafür den Ausschlag gegeben haben, musikalisch finde ich es jetzt nicht so unterschiedlich, dass man die vier Songs unbedingt einzeln veröffentlichen musste. Die Folgen sind aber wohl sowieso nur von praktischer Folge, so legt man sich halt nach dem Genuss der ersten CD rasch die zweite in den Player und gut is. Gut ist “The Incident” jedenfalls, nicht so überragend wie “In Absentia”, aber unter dem Strich trotz aller progressiven Elemente wesentlich leichter zugänglich als die Vorgänger. Freunde der Band schlagen bitte blind zu, progressive Seelen sollten in jedem Fall antesten, der eine oder andere wird sicher Gefallen an Wilson und Co finden.

Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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