Review Stratovarius – Visions

„Visions“, also Traumbilder oder Visionen, so heißt das nunmehr sechste Studio-Album der seit jeher im Melodic Metal angesiedelten Band STRATOVARIUS. Es ist aber erst das zweite Album, welches in der Besetzung eingespielt wurde, die diese Band zu einer der technisch versiertesten – und wohl beliebtesten – Gruppen im Melodic Metal überhaupt gemacht hat. Lyrisch geht es auf diesen Album vor allem um das Leben an sich. Zwar nicht ums zum-einkaufen-gehen, aber doch immerhin um Liebe, die Natur und die Ewigkeit, alles in ein sehr pseudo-philosophisches Gewand gepackt. Aber gut, den hartgesottenen Fan schreckt das nicht ab, und so taucht dieser mit „The Kiss of Judas“ ein weiteres Mal in diese unglaubliche Atmosphäre ein, die kurioserweise gleichzeitig seicht und verdammt tiefgehend ist. Zumindest auf dieses Lied lässt sich das Image der Band, ab „Destiny“ nur noch High-Speed Songs mit eingängigem Refrain und hohen Vocals zu schreiben, nicht im mindesten anwenden (es ist ja auch davor erschienen). Es geht hier vielmehr nur mit den Drums und viel Groove los, bald mischen sich die „Aaahs“ des Chors mit in die Musik. Die Gitarre hält sich völlig untypisch im Hintergrund, vielmehr wird das Lied tatsächlich vom Schlagzeug und dem Gesang dominiert, der schon bald in gewohnter Höhe einsetzt. Recht schleppend geht es voran, doch spätestens beim sehr eingängigen Refrain ist wieder klar: Es kann sich nur um Stratovarius handeln. Nach dem Refrain also wieder eine Strophe und noch einen Refrain gesetzt, fertig ist der sehr solide Melodic Metal Song Marke Timo Tolkki. Halt, sogar eine Bridge findet sich hier und ein recht langsames Solo, es herrscht also kein Instrumenten-Gepose vor.
Also doch kein typischer Tolkki.

Egal, es geht weiter mit „Black Diamond“, welches aus der Sicht der Band wohl DIE Über-Hymne überhaupt ist. Durchaus ein Grund sich das Lied mal näher anzuschauen. Der Text, oder zumindest die ihm von Keyboarder Jens Johansson zugewiesene Bedeutung, erscheint schonmal mehr als skuril. Betrachtet man diesen nämlich objektiv geht es im weitesten Sinne um Liebe, ein jemand fühlt sich zu jemand anderem – augenscheinlich einer Frau – hingezogen, ahnt aber dass diese Liebe nichts für die Ewigkeit sein kann und ist deshalb mental hin und hergerissen. Okay, soweit so gut, was ist daran schon komisch? Der Fakt, das Jens Johansson im Stratovarius-Forum meint, dass es in dem Lied keineswegs um eine Frau, sondern um Tolkkis Hund geht.
Na gut, sicher auch eine sehr interessante Perspektive, doch nun zur Musik an sich: Das Intro wird von Jens Johansson am Keyboard gespielt, hat einen akkustischen Touch und bereitet geistig schon sehr schön auf das Folgende vor. Denn schon ab dem ersten Ton ist klar, der Vers „There’s fascination in the air“ lässt sich zu 100% auf dieses Lied anwenden. Was jetzt kommt sind – mal wieder – die obligatorischen „Aahs“ der Chöre, gefolgt von Schlagzeug und Bass, wobei sich ersteres eher im Hintergrund hält, der Bass dagegen rattert seine Sechzehntel runter, dass einem warm ums Herz wird. Während Jens – und damit sein Keyboard – weiter melodieführend sind, setzt nun Kotipeltos Gesang ein. Man kann garnicht anders, als in diesem Lied zu versinken, da der Gesang hier vor allem im Refrain sehr gefühlvoll herüberkommt. Gäbe man mir für den Song einen einzigen Adjektiv um ihn zu beschreiben, ich würde „perfekt“ wählen. Er wirkt träumerisch, aber weder auf melancholische oder fröhliche Weise, einfach nur träumerisch. Erst das wie gewohnt recht spektakulär ausfallende Solo reißt einem aus der tollen Atmosphäre heraus, diese kehrt dankenswerterweise aber mit einem weiteren Refrain wieder. Nach dem wieder von Jens im Alleingang gespielten Outro bleibt einem nur zu sagen, dass das Lied zwar, wie leider jeder Song von Stratovarius, nicht wirklich livetauglich ist, was hier aber nicht wirklich stört, schließlich geht es in dieser Kritik sowieso um die Studioaufnahme. Daumen hoch also für Timo Tolkki, wohl eindeutig eines der besten Lieder, welches er je geschrieben hat.

Schön, nach diesem atmosphärischen Ausflug geht es endlich richtig Stratovariusmäßig weiter mit „Forever Free“, hoher Gesang, schnelles Riffing, an den Übergängen von der Strophe zum Refrain geniales Drumming , sonst ist es immer noch guter Highspeed. Die sonstigen typischen Merkmale aufzulisten spare ich mir mal, bei Stratovarius reicht es auf den Großteil der Diskographie bezogen nämlich auch, einen einzigen Song zu beschreiben. Diese Beschreibung kann man dann recht auf die anderen Lieder übertragen.
Mit der nächsten Nummer „Before The Winter“ brettern die Fünf dann volles Rohr in den Sperrbezirk „Kitschige, unnötige und unbrauchbare Ballade“. Naja ok, den Refrain hätte man vielleicht ausschneiden und woanders einfügen können, den Rest hätte man meiner Meinung nach aber souveränerweise auch einfach von der CD löschen können. Es hätte sicher niemanden gestört. Timo Kotipeltos Gesang wirkt hier einfach nur schrecklich gejault, wenn das Melancholie ausdrücken soll, oder gar stimmungsfördernd wirken soll: Es gelingt absolut nicht! Der Text setzt dann allerdings noch einen drauf, zumindest so schrecklich gesungen. Musste mich mit einer Drahtbürste waschen um den Liebeslied-Kitsch wieder weg zu bekommen. Ein Lied also, bei dem man das Häkchen bei der Option „Auf den PC kopieren“ guten Gewissens entfernen kann.
„Legions“ hat dann aber wieder wirklich heavy Riffing, es wirkt hier zumindest die erste halbe Minute nicht so abgehoben wie bei den anderen Stratovarius-Songs. Dann geht es im allgemein anerkannten Stil weiter, der Text handelt von den Fans der Band, den „Armies of Europe“. Zu bemängeln ist die teils misslungene Metrik im Gesang, der gelungene Refrain entschädigt einen dafür aber vollkommen. Einer der stärkeren Songs diese Albums, aber auch auf die gesamte Diskographie bezogen ist er weit vorne mit dabei .

Das nächste Lied, „The Abyss of Your Eyes“, erinnert von der Geschwindigkeit wieder ein wenig an „The Kiss of Judas“, hat aber nicht diese leicht düstere Stimmung. Eher durchschnittlich, und bis auf einige nette und unverhältnismäsig heavy ausfallende Riffs nicht erwähnenswert. Mit „Holy Light“ findet sich im Anschluß ein reines Instrumental, und wem Zuckungen am Keyboard gefallen, dem gefällt auch dieses Lied, denn es besteht zur Hälfte aus ebensolchen Alleingängen im Highspeed. Die andere Hälfte kann man auch mit einem beliebigen Stratovarius-Text hinterlegen, ein recht gewöhnlicher Melodielauf.
Oha, was ist das? Timo Kotipelto kann auch tief singen? Ist er das überhaupt? – Diese Fragen stellen sich einem zu Beginn von „Paradise“, denn Kotipelto singt hier zu Beginn alleine mit einer recht tiefen Gitarre, was auch auf seine Stimme Einfluss zu haben scheint. Nach einer halben Minute ist die Welt aber wieder in Ordnung, wenn es auch wieder einmal recht melancholisch zur Sache geht (sofern das bei Stratovarius eben möglich ist), denn Kotipelto kehrt wieder in gewohnte Höhen zurück. Es geht hier von textlicher Seite betrachtet um die Natur, die vom Mensch zerstört wird. Kein schlechter Song, aber der Stratovarius-Kick fehlt mir hier irgendwie. Die Halbballade des Albums, „Coming Home“ ist dann richtig schön und gefühlvoll geworden , textlich zwar genauso kitschig wie „Before the Winter“, aber in ein viel besseres Soundgewand verpackt. Solide, sticht aber wiederum nicht heraus.
Puh, nun habe ich es fast geschafft, ein einziges Lied fehlt noch, „Vision (Southern Cross)“. Hier wird zum Teil Nostradamus zitiert, überhaupt ist hier alles sehr befremdlich, es scheint wenig mit Stratovarius zu tun zu haben. Naja, der Rhythmus zumindest ist den Großteil des Songs sehr interessant. Auch die Highspeed-Ausbrüche sind nett, trotzdem komme ich nicht darum herum, den Song komisch zu finden…

Soviel also zu den einzelnen Liedern, als Fazit kann man sagen, dass „Visions“ mit „Kiss of Judas“, „Black Diamond“ und „Legions“ drei wahnsinnig starke Songs enthält, im Gegensatz dazu steht nur ein einziger Totalausfall, „Before the Winter“. Die Songs sind untereinander noch nicht so gut zu vergleichen wie auf späteren Alben, was hier aber eher positiv auffällt. So spreche ich also eine absolute Empfehlung für Fans der Stratovarius vor dem Album „Stratovarius“ aus, diese erwartet hier eines der abwechslungsreichsten Alben der Fünf.

Wertung: 7.5 / 10

Publiziert am von Marius Mutz

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