Review Stratovarius – Under Flaming Winter Skies – Live In Tampere (DVD)

STRATOVARIUS gehören mit Sicherheit zu einer der prägenden Bands des European Power Metals und haben seit ihrer Gründung zahllose andere Bands beeinflusst. Neben einer großen Menge an Erfolgsalben waren sie immer auch ein Garant für lange und ausgedehnte Touren – zumindest bis zu der katastrophalen Phase der Selbstzerstörung in den Jahren ab 2004. Auch das kurze Comeback mit Saitenhexer Timo Tolkki im Jahr 2005 samt dazugehöriger Tour konnte an die alten Erfolge nicht anknüpfen. Jedem, der die Band auf dieser Tour sah, war klar, dass ihre großen Tage wohl vorüber waren. Die kurzfristige Auflösung 2008 war auch eine logische Konsequenz der schlechten Konzerte, die damals gespielt wurden. Und dennoch rappelte man sich nach 2008 wieder auf, bekam den Segen des ausgeschiedenen Bandvaters Tolkki, fand einen neuen Gitarristen und nahm mit „Polaris“ ein Album auf, das zwar nach verbreiteter Meinung kein Meilenstein, aber zumindest solider Power Metal war.

Es nimmt trotzdem nicht Wunder, dass an die Veröffentlichung eines Live-Albums lange nicht zu denken war. Zu wenig routiniert präsentierte sich die Bands auf Konzerten, sogar Verspieler und Temposchwierigkeiten bei alten Songs konnte der werkkundige Besucher mit Erstaunen feststellen. Auch der stimmlich empfindliche Sänger Kotipelto stellte immer ein gewisses Risiko dar.
Umso skeptischer war ich, als eine Live-DVD angekündigt wurde. Dabei ist der Anlass durchaus ehrenwert: Bandurgestein Jörg Michael (Schlagzeug) verlässt die Band nach 16 Jahren, was STRATOVARIUS mit einer Abschiedstournee in Finnland begingen. Das komplette Konzert aus Tampere wurde aufgezeichnet und auf Silberling zur Verfügung gestellt (wahlweise auch Blu-ray). Gesprochen wird während des Konzertes übrigens auf Finnisch, was für den Normal-Metaller mit englischen Untertiteln unterlegt wurde – nur Jörg Michael spricht Englisch, weil er in den 15 Jahren, die er in Finnland lebt, noch immer kein Finnisch gelernt hat, wie er reumütig zugibt.

Es sei vorweggenommen: Ich wurde von „Under Flaming Winter Skies“ auf angenehmste Art positiv überrascht. STRATOVARIUS liefern eine überraschend erwachsene Show, die musikalisch kaum einen Wunsch offen lässt. Kitschig wird es trotz zwei Balladen in der Setlist nie und die Band präsentiert sich in einer gelösten Stimmung, wirkt entspannt wie seit der Zeit vor dem großen Bruch nicht mehr. Das Zusammenspiel ist endlich wieder perfekt aufeinander abgestimmt, von musikalischen Schwächen oder Verspielern fehlt jede Spur. Lediglich Gitarrist Kupiainen kann man manchmal ansehen, dass er etwas verkrampft und hochkonzentriert agieren muss, wobei sich dies zu keinem Zeitpunkt in seinem Spiel niederschlägt, lediglich in seiner Körperhaltung und Mimik. Hierzu passt auch seine Platzgebundenheit, er bringt nur wenig Bewegung auf die Bühne, so dass Bassist Porra und Sänger Kotipelto die einzigen sind, die die etwas statische Präsens auflockern.
Kritisch anzumerken ist aber, dass die Soli der Instrumentalisten etwas belang- und zusammenhanglos wirken, besonders das an der Gitarre. Das homogenste Solo stammt von Keyboarder Johansson, ist allerdings bereits von der Polaris-Tour bekannt. Und warum es auf der Abschiedstour des Drummers kein richtiges Drumsolo gibt, sondern lediglich ein verlängertes Outro von „Black Diamond“ hätte wirklich eine Erklärung verdient.

Beweisen darf sich hingegen Sänger Kotipelto, der sich in richtig guter Form präsentiert. Natürlich kriegt er nicht jede Note der 90er-Alben noch in originaler Höhe, aber das überrascht wenig. Manchmal fällt dies auf, wie bei „Black Diamond“, andernorts aber schafft er es, aus der Not eine Tugend zu machen und bekannte Lieder neu zu intonieren. Überhaupt haben STRATOVARIUS ein paar ihrer ganz großen Klassiker ein neues Gewand spendiert: Das Intro von „Kiss Of Judas“ klingt erfreulich frisch und anders, der Gesang auf „Paradise“ ist zuerst gewöhnungsbedürftig, dann interessant, und an dem Soundeffekt des Keyboards auf „Hunting High And Low“ wurde ebenfalls merklich gearbeitet. Das freut den Fan, denn die Originalvarianten hat man schon oft gehört. Es tut außerdem der Setlist merklich gut, denn sie wäre sonst sehr von den typischen Hits dominiert gewesen, sind doch alleine sechs Songs vom „Visions“-Album.
Allerdings finden sich auch ein paar ungewöhnlichere Songs auf der DVD, wie „I Walk To My Own Song“ vom live eher wenig frequentierten „Elements Pt. 2“-Album. Auch die Coverversionen, die sich in den Zugabeblock geschlichen haben, sind erfrischend, wenn auch die Wahl von „Burn“ nicht sonderlich originell war.

Sehr gelungen präsentiert sich die Scheibe von der technischen Seite. Das Bild ist gestochen scharf, der Sound glasklar. Die Kameraführung ist weder zu hektisch noch zu ruhig, auch wenn sie für meinen Geschmack etwas zu selten die Totale liefert. So kriegt man als DVD-Zuschauer nicht genug vom Licht mit, das den Kern der Bühnenshow darstellte. Abseits der intensiv genutzten, meist in Blautönen gehaltenen Strahler bleibt diese nämlich minimalistisch – keine wechselnden Backdrops, keine Pyros, keine Aufbauten, keine Video-Einspielungen. Am ehesten bekommt man die Wirkung noch bei den Soli mit. Schade, denn während des Konzertes dürften einige wirklich schöne Lichteffekte dabei gewesen sein.
Der Sound verdient Extralob und Extrakritik zugleich. Einerseits ist er herrlich differenziert und klar geraten, so dass man jedes Instrument jederzeit astrein erkennen und verfolgen kann – eine tolle Leistung und ein Genuss beim Hören. Andererseits aber vermisst man in der Mischung das Publikum. Nur ganz selten ist es in den Refrains zu hören, wenn Kotipelto nicht singt, und selbst dann ist der Backgroundgesang der Saitenfraktion lauter. Zusammen mit der Neigung Kotipeltos, nur am Ende einer Show symbolisch ein Mitsingspiel auf niedrigem Niveau zu starten, fallen die Fans in der Audiospur also fast ganz aus. Befremdlich wirkt es da, dass Kotipelto während des Konzertes betont, wie viel Wert er auf die Beteiligung des Publikums für die DVD lege – hätte er das mal dem Mischer gesagt!

Neben dem eigentlichen Konzert findet sich auf der DVD noch eine halbstündige Dokumentation, in der die Bandgeschichte kompakt erzählt wird – leider nur von den jetzigen Mitgliedern, interessant wären natürlich auch die Meinungen der zahlreichen ehemaligen Musiker, allen voran Timo Tolkki gewesen. Dennoch eine nette Beigabe, wenn auch leider die einzige.
Obwohl jetzt auch einige Kritik geäußert wurde: Es ist eine verdammt gute DVD geworden, besser als man selbst optimistischerweise erwarten konnte. Die Band beweist, dass sie alle Krisen überwunden hat und endlich wieder die organische Einheit geworden ist, die sie einmal war und von der man in Zukunft musikalische Großtaten erwarten kann – wenn sie denn den Weggang von Jörg Michael gut verkraftet, was man ihnen von Herzen wünschen will.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Marc Lengowski

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