Interview mit Timo Kotipelto von Stratovarius

Das letzte volle Studioalbum der finnischen Power-Metal-Aushängeschilder STRATOVARIUS liegt schon eine ganze Zeit zurück – zwar erschien 2018 eine EP namens „Enigma: Intermission II“, die aber nur drei neue Songs enthielt und ansonsten mit allerhand Bonustracks aufgefüllt wurde. Sieben Jahre nach ihrem letzten Studioalbum „Eternal“ haben die Herren aus Helsinki mit „Survive“ endlich ein neues Album auf Lager, über das wir mit Sänger Timo Kotipelto ausführlich sprechen konnten.

Das Logo der Band Stratovarius

Hallo Timo und vielen Dank für dieses Interview! Seit dem letzten STRATOVARIUS-Album sind sieben Jahre vergangen und seit „Enigma Act II“ immerhin vier. Was war in dieser Zeit bei euch los?
Ganz schön viel. Als das letzte Album erschienen ist, waren wir zunächst auf Europatour und haben dann auf etlichen Festivals gespielt. Ich weiß es nicht mehr ganz genau, aber ich glaube, dass wir zudem in Südamerika und in Japan waren. Nach etwa zweieinhalb Jahren hat unser Label mal gefragt, wann wir denn die nächste Platte zu veröffentlichen gedenken und zu diesem Zeitpunkt hatten wir da noch gar nicht dran gedacht. Weil aber eben schon eine längere Zeit vergangen war, wollten sie unbedingt eine Veröffentlichung von uns, weshalb wir die EP rausgebracht haben. Die neuen Songs zu komponieren und die alten neu zu arrangieren und dann alles aufzunehmen hat natürlich ein paar Monate gedauert – so etwas macht man nicht mal eben in zwei Wochen. Danach haben wir dann eine weitere Europatour und auf noch mehr Festivals gespielt. Vor „Survive“ endete die letzte vollständige Tour, die wir absolviert haben, in Bogota in Kolumbien. Wir haben also auch noch eine weitere Tour durch Südamerika gemacht – da haben wir Slipknot auf einer Reihe an Festivals supportet.

Das Cover von "Survive" von StratovariusUnd wann begannen die Arbeiten an „Survive“?
Wir haben schon 2019 mit dem Songwriting für das neue Album angefangen, aber dann kam ja Corona. Früher haben wir unsere Alben so geschrieben, dass jeder für sich komponiert und es dann den anderen geschickt hat. Natürlich hätten wir das wieder so machen können, aber wir wollten etwas anderes versuchen: STRATOVARIUS haben noch nie gemeinsam in einem Raum an ihren Songs gearbeitet und diesmal wollten wir es so machen. Wie gesagt kam dann aber Corona und es gab keine Flüge aus Schweden nach Finnland und Matias (Kupiainen, Gitarre, Anm. d. Red.) saß auch noch in Brasilien fest. Wir hatten schon 20 Demos oder so, aber wir wollten unbedingt sichergehen, dass die Songs so gut werden, dass wir selbst absolut gar nichts mehr daran auszusetzen haben. Es hat also einige Zeit gedauert – manch einer würde vielleicht sagen, dass wir faul waren, aber eigentlich haben wir an „Survive“ härter gearbeitet als an den letzten beiden Album zusammengenommen.

Obwohl COVID-19 euch also getrennt hat, habt ihr für das neue Album enger zusammengearbeitet?
Als Matias endlich nach Finnland zurückkehren konnte, saßen wir über Monate hinweg gemeinsam in meinem Studio. Jens (Johansson, Keyboard, Anm. d. Red.) konnte erst im Sommer 2020 wieder nach Finnland kommen – es gab ja jede Menge Reisebeschränkungen – und dann haben wir fast zwei Jahre lang nur gemeinsam komponiert.

Wie wirkt sich das deiner Meinung nach auf das fertige Album aus?
Ich würde sagen, dass die Songs viel frischer klingen und viel mehr Energie transportieren – vor allem, was den Gesang angeht. Früher war es so, dass wer auch immer den Song geschrieben hatte, auch die Gesangslinie schon vorgegeben hat. Ich musste dann jedes Mal einen Weg finden, wie ich das singen kann. Diesmal haben wir vor allem die Refrains um meine Gesangslinien herum aufgebaut. Für mich ist als Sänger ist das sehr wichtig und auch eine sehr angenehme Art, zu arbeiten. Auf diese Weise wurden der Gesang und die übrigen Elemente der Songs besser aufeinander abgestimmt. Ich finde, dass dadurch alles viel natürlicher und organischer klingt.

Werdet ihr diese Arbeitsweise also beibehalten?
Mal sehen! Ich persönlich würde gerne wieder so vorgehen, aber es hängt natürlich auch von den Gegebenheiten zum Zeitpunkt des nächsten Albums ab. Vielleicht kommt das nächste Album ja auch etwas eher, weil wir nicht wieder sieben Jahre warten … (lacht)

Wie haben Fans und Kritiker bisher auf „Survive“ reagiert?
Die Reaktionen waren bisher absolut fantastisch! Ich habe bisher nur die iTunes-Charts gesehen, aber da haben wir es in mehreren Ländern auf Platz eins geschafft. Auch die Fans haben bisher durchweg positiv auf „Survive“ reagiert. Bisher haben wir drei der neuen Songs live gespielt und ich war wirklich überrascht, wie schnell die Leute auch das neue Material akzeptiert haben. Normalerweise merkt man auf Konzerten bei neuen Songs deutlich, dass die Leute weniger enthusiastisch als bei den Klassikern sind. Diesmal haben sie aber auch die neuen Sachen total abgefeiert und das werte ich als wirklich gutes Zeichen.

Ein Foto der finnischen Band Stratovarius

Wie liefen die Aufnahmen zum neuen Album ab?
Anders als bei allen bisherigen STRATOVARIUS-Alben habe ich den Gesang diesmal komplett in meinem Studio aufgenommen. Eigentlich sollte das Album schon im Februar fertig sein, aber jemand, der an der Produktion mitwirken sollte, erkrankte an COVID und lag für drei Wochen flach. Matias musste also mitten in den Aufnahmen das Studio wechseln und ein anderes in Brasilien anmieten, wo er immer noch festsaß. Dort hat er den Mix dann fertiggestellt. Zum Mastering haben wir die Platte übrigens nach Australien geschickt, also entstand „Survive“ auf drei verschiedenen Kontinenten (lacht).

Wie würdest du „Survive“ beschreiben?
Es ist die Quintessenz dessen, was STRATOVARIUS 2022 ausmacht. Natürlich erkennt man sofort, dass wir das sind, aber wir haben versucht, unseren Sound zu modernisieren. Wir wollten also nicht altbacken klingen, aber gleichzeitig sind wir uns natürlich auch unseres Erbes bewusst und wollten unseren Stil nicht radikal umkrempeln. Als wir die Songs geschrieben haben, war es unser Ziel, ein möglichst vielseitiges Album zu machen und nicht bloß eine Art „Hitformel“ zu wiederholen. Ich würde also auf jeden Fall sagen, dass es ein sehr modernes Album ist. Ich habe schon einmal gesagt, dass ich „Survive“ für unser bestes Album seit 20 Jahren halte – das ist natürlich mit Vorsicht zu genießen, denn wer weiß, wie ich das in fünf Jahren sehe …

Der einzige Song auf „Survive“, der nach dem klassischen STRATOVARIUS-Sound klingt, heißt passenderweise auch noch „Glory Days“. War das beabsichtigt?
Ja, natürlich! Das ist sowieso ein ziemlich interessanter Song: Er war eine der letzten Nummern, die wir für das Album ausgewählt haben. Wir hatten zwei Songs, einen mit einer echt starken Melodie und einen mit einem wirklich guten Refrain – aber wir konnten keinen davon zu einem würdigen Abschluss bringen. Also haben wir sie beide zu einem Song verschmolzen und auf einmal hat es funktioniert! Ich liebe auch das alte STRATOVARIUS-Material und während „Glory Days“ vielleicht ein bisschen zu progressiv ist, um auf einem unserer Alben aus den späten 90ern zu stehen, hört man doch definitiv diese Periode der Band heraus.

“Survive“ ist ein ziemlich düsterer Titel, der erschreckend gut in die heutige Zeit passt. Worum geht es in den Songs?
Sämtliche Texte waren schon geschrieben bevor der Irre im Osten mit seinem Bullshit angefangen hat. Es dreht sich also kein Song um den Krieg gegen die Ukraine. Um ehrlich zu sein dreht sich auch keiner der Texte explizit um die Pandemie. Der Titeltrack handelt vom Überlebenskampf einer Person in ihrer ganz eigenen Hölle. Das ist natürlich ein ernstes Thema, aber es bekommt bei uns schon auch einen positiven Spin. Als Albumtitel hat „Survive“ eine doppelte Bedeutung, weil es einerseits natürlich ums Überleben geht, aber auch darum, dass STRATOVARIUS als Band nach all den Jahren und all den Höhen und Tiefen immer noch da sind und eben überlebt haben. Außerdem ist „Survive“ ein Wort mit sieben Buchstaben und das ist wirklich ganz wichtig, weil wir das ja schon seit vielen Jahren so machen. Wir haben versucht, davon wegzukommen, aber es hat nicht geklappt (lacht).

Stratovarius in der Besetzung von 2022

Warum sind die sieben Buchstaben eigentlich so wichtig?
Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung. Wahrscheinlich ist das irgendein bescheuerter Insider, aber wir machen das wirklich schon eine Ewigkeit (lacht).

“Survive“ ist voll von großen Refrains und Melodien – entgegen seines Titels ist es also wirklich kein düsteres Album …
Ja, die Musik ist sehr erheben, da habt ihr recht. Aber die Texte sind tatsächlich etwas düsterer als es normalerweise bei uns der Fall ist. Ich weiß, dass das ein Widerspruch ist, aber wir machen ja auch keine Chartmusik. Warum das so ist? Naja, als Musiker, die in der Unterhaltungsindustrie arbeiten, hatten wir natürlich alle zwei Jahre praktisch keinen Job mehr – da kann man dann kaum Texte über eitel Sonnenschein schreiben. Ich glaube aber auch, dass es keine Spannung mehr gibt, wenn sowohl die Musik als auch die Texte ausschließlich positiv konnotiert sind.

Welche Themen verarbeitet ihr denn noch in den Texten?
In „World On Fire“ geht es um den Klimawandel. „Before The Fall“ handelt von egozentrischen, narzisstischen Arschlöchern, die große Konzern oder – noch viel schlimmer – ganze Länder führen und denen alle anderen Menschen scheißegal sind. „Glory Days“ und „Voice Of Thunder“ haben keinerlei Realitätsbezug – vor allem letzterer hat was von den Marvel-Filmen. „Broken“ handelt davon, dass die Menschheit alles andere als perfekt ist und sich unter anderem deshalb viel zu sehr auf Computer verlässt.

Das Cover von "Visions Of Europe" von StratovariusWerden STRATOVARIUS eigentlich mal wieder ein Live-Album machen?
Unsere letzte Live-Platte war 2016, oder? Ja, die Möglichkeit besteht durchaus. Die Frage ist nur, wann wir das machen werden – vielleicht ja auf dieser Tour. Ich finde nach wie vor, dass „Visions Of Europe“, das wir damals in Italien aufgezeichnet haben, eine unserer besten Live-Scheiben ist. Klar, ein paar Gesangslinien und auch der Rest der Performance sind stellenweise nicht ganz tight, aber das liegt auch daran, dass die Aufnahmen nicht editiert wurden. Daher kommt aber auch das fantastische Feeling dieser Show. Wir haben schon mal über ein weitere Live-Album nachgedacht – aber sag das bloß nicht unserer Plattenfirma, sonst wollen sie schon nächstes Jahr eins haben (lacht)! Auf jeden Fall könnten wir es machen. Matias hat schon für die Japan-Version von „Survive“ eine Live-CD zusammengestellt – wir hatten noch nicht einmal geplant, irgendwas mitzuschneiden. Dann haben wir es aber trotzdem gemacht und er hat noch ein bisschen Bonusmaterial dazugepackt. Insofern wäre es umso schöner, eine ausgewachsene Live-CD oder -DVD zu machen. Allerdings weiß ich nicht, ob heutzutage überhaupt noch irgendwer DVDs kauft …

Passend dazu: Wie sieht es mit euren Tourplänen aus?
Wir spielen noch zwei Festivals, bevor der eigentliche Tourzyklus beginnt. Mindestens eines der beiden Festivals – ich glaube, es ist das in Schweden – ist eines von denen, die aufgrund der Pandemie verschoben werden mussten. Am 11. November beginnt dann unsere Tour durch Finnland und danach geht es einmal mehr nach Lateinamerika. Derzeit wurden dort erst zwei Festivals angekündigt, aber es werden noch deutlich mehr Konzerte werden – nicht einmal wir wissen derzeit, wie viele es am Ende sein sollen. Was das Touren in Europa angeht, so ist das leider ziemlich problematisch: Ich habe mit etlichen anderen Bands und Booking-Agenturen gesprochen vor allem in Deutschland bestehen aktuell sehr viele Unsicherheiten. Die Vorverkäufe laufen wirklich schlecht und da fehlt dann natürlich die Planungssicherheit. Dieses Jahr schaffen wir es aus Zeitgründen sowieso nicht mehr nach Deutschland, aber ich hoffe, dass es nächstes Jahr klappen wird. Anfang des Jahres wird meiner Meinung nach aber noch zu früh sein, weshalb es wohl bis nach dem Sommer dauern wird. Die Möglichkeiten sind auf jeden Fall da, denn es haben uns schon etliche andere Bands gefragt, ob wir gemeinsam touren sollen – am Ende muss man gucken, was zum tatsächlichen Zeitpunkt funktioniert.

Tatsächlich wird vor allem in Deutschland sehr viel über die fehlende Planungssicherheit und die gestiegenen Kosten im Unterhaltungssektor gesprochen und manch einer ist der Ansicht, dass einige kleinere Bands das nicht überstehen werden. Wie siehst du das?
Ja, das verstehe ich gut. STRATOVARIUS hatten für dieses Herbst zum Glück keinerlei Tourpläne, denn die wären wahrscheinlich sowieso abgesagt worden. Ich mag mich irren, aber ich glaube, dass ein Nightliner vor Corona pro Tag etwa anderthalbtausend Euro gekostet hat. Mittlerweile sind das um die zweieinhalbtausend Euro – wenn man sich vor Augen führt, dass eine Tour etwa 30 Tage dauert, dann sind das schon mal 30.000 Euro mehr an Fixkosten. Das ist für die meisten mittelgroßen Bands einfach zu viel. Es kommen ja auch noch die gestiegenen Reisekosten dazu: Wir haben auf dem „Prog Power“ in den USA gespielt und waren aufgrund unserer Visa sowieso schon spät dran. Dann wurde auch noch unser Flug am Vortag gestrichen und wir mussten ein Heidengeld für einen Ersatzflug zahlen. Wir hätten natürlich absagen können, aber es haben sich ja Leute auf unsere Auftritt gefreut. Leider wissen wir selbst nicht, wo genau wir am Ende dieses Jahres stehen werden, weil die Inflation die Preise immer weiter in die Höhe treibt – da kaufen die Leute natürlich auch nicht zwei Konzerttickets pro Woche. In Finnland läuft es aktuell noch einigermaßen gut, wenngleich die Spritpreise auch bei uns schon ganz schön irre sind. Aber immerhin gehen die Leute hier noch auf Konzerte. Ich glaube, die Leute haben hier nicht so viel Angst vor Corona, weil wir eine sehr gute Impfquote haben.

Würdest du sagen, dass die Fans dieses Problem durch Ticketkäufe lösen können oder vielleicht sogar müssen?
Es würde auf jeden Fall viel helfen. Früher haben die örtlichen Promoter – zumindest im Metal – etwa 30 oder 40 Prozent der Tickets im Vorverkauf abgesetzt. Wenn die Leute natürlich bis zum Tag des Konzerts warten und erst dann entscheiden, ob sie sich ein Ticket holen oder nicht, dann ist ein Großteil der Kosten, die der Veranstalter bist dahin hat, nicht gedeckt. Ich rede da von den Mietkosten für Equipment, die Halle usw. Wenn die Leute wieder mehr Tickets im Vorverkauf erwerben würden, wäre zumindest das Problem, dass eine Show seitens des Veranstalters aufgrund zu hoher Kosten abgesagt werden muss, abgefangen. Das würde das Risiko für die Bands deutlich kalkulierbarer machen, weil sie bereits vor Beginn der Tour eine Vorstellung davon haben, wie weit sie vom Breakeven entfernt sind – oder ob er vielleicht sogar schon erreicht ist. Es geht im Augenblick gar nicht so sehr darum, mit einer Tour sonderlich viel Geld zu verdienen, sondern wenigstens nicht auch noch draufzuzahlen. Es ist ein bisschen schwer, seiner Frau zu erklären, dass man jetzt arbeitsbedingt einen Monat nicht zuhause ist und dafür 5.000 Euro bezahlen muss. Ich hoffe, dass es bald einen Impfstoff geben wird, mit dem man überhaupt kein Corona mehr bekommen kann, denn das würde das Problem sofort lösen. Das Paradoxe ist ja, dass die ganz großen Bands ständig ganze Stadien ausverkaufen, aber wenn man in einen kleinen Club geht, dann soll es plötzlich „gefährlicher“ sein – es ist genau dieselbe Situation! Im Stadion hocken nur noch mehr Menschen eng aufeinander. Aber wie gesagt: STRATOVARIUS haben in dieser Zeit keine Clubshows in Europa gespielt, als kann ich gar nicht genau sagen, ob und wie viele Leute kommen würden.

Damit sind wir am Ende angekommen – möchtest du noch ein paar abschließende Worte an unsere Leser richten?
Kommt und seht STRATOVARIUS live, wenn wir endlich wieder bei euch sind! Und hoffentlich gefällt euch das neue Album – ich finde, es ist ziemlich gut geworden, also hört doch mal rein! Wir sehen uns im kommenden Jahr!

Ein Foto der Band Stratovarius

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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