Review The Tangent – COMM

Sagtmal, wie ist das eigentlich bei euch: Seid ihr experimentierfreudig und risikobereit, oder im Grunde eures Herzens doch eher Traditionalisten und Gewohnheitsmenschen? Ich zum Beispiel bestelle im thailändischen Restaurant immer das gleiche Gericht. Und ich höre viele Bands, die ihren Stil eher in Nuancen ändern, anstatt mit jedem Album eine Soundrevolution anzuzetteln. THE TANGENT-Chef Andy Tillison jedenfalls ist – soviel nehme ich mir mal raus – Traditionalist.

Diese Behauptung leite ich vor allem aus zwei Tatsachen ab. Erstens: Auch wenn sich das Besetzungskarussell bei THE TANGENT wieder einmal gedreht hat, klingt das neue, mittlerweile sechste Studiowerk „COMM“ ziemlich exakt wie seine Vorgänger. Zweitens: Die Platte setzt sich kritisch mit dem Kommunikations- und Informationsüberschuss, den uns Facebook, Smartphones & Co. bescheren, auseinander. Titel wie „The Wiki Man“ oder „Tech Support Guy“ behandeln Pro und Contra einer extrem schnelllebigen Zeit, in der wir „always on“ sind. Passend dazu und zum Retro-Stil von THE TANGENT wird „COMM“ von dem Geräusch eines sich einwählenden Modems eröffnet – coole Idee!

Ansonsten gelten für die CD aber die Worte, die ich schon über den Vorgänger „Down And Out In Paris And London“ verloren habe: „Es dominiert nach wie vor jazziger Retroprog der Canterbury-Schule. Gleich der überlange Opener sollte THE TANGENT-Fans und Anhänger des Retroprogs überaus zufriedenstellen: Melodisch, abwechslungsreich, vielschichtig und wiedermal mit Melodien versehen, die man sich zwar erarbeiten muss, die dann aber lange Freude bereiten – sofern man den leicht unengagiert wirkenden Gesang von Tillison mag.“ Highlight ist nach wie vor Theo Travis, neben Tillison selbst die einzige wahrhafte Konstante der Band. Sein Saxofon- und Flötenspiel verzaubert und ist der warme, natürliche Gegenpol zum oftmals unterkühlten, klinischen Sound, den die Band zelebriert. Gott sei Dank ist „COMM“ aber wieder deutlich besser produziert als das letzte Studiowerk, so dass hier kein übersteuertes Schlagzeug den Genuss des komplexen Soundkosmos stört.

Der neue Gitarrist Luke Machin darf dann auch gleich im zweiten Stück „The Mind’s Eye“ nachdrücklich beweisen, dass er flotte Finger hat. Die etwas dynamischere Gitarrenarbeit tut der Band hörbar gut. Ansonsten aber gilt: „COMM“ ist Stagnation auf hohem Niveau. Kernstücke der Platte sind sicherlich die beiden Epics am Anfang und Ende, die mit 20 und 16 Minuten Spielzeit vor allem Longtrack-Freunde in Glückseeligkeit versetzen werden. Hier darf reichlich geschwelgt werden, während „The Mind’s Eye“ und „Tech Support Guy“ eher rockig daher kommen. „Shoot Them Down“ ist die ruhige Nummer in der Mitte, die nicht weiter auffällt, aber auch nicht stört.

„COMM“ beweist nachdrücklich: Tillison lebt in seiner eigenen (Klang-)Welt, die er sich von Nichts und Niemandem streitig machen möchte. Auch irgendwie sympathisch. Trockener und klassischer kann Retroprog Anno 2011 wohl nicht klingen. THE TANGENT-Fans greifen folgerichtig ohne zu zögern zu; Retroprogfreunde machen hier ganz sicher ebenfalls nichts falsch, denn dafür versteht Tillison einfach zu viel von Komposition. Ganz wie der Burger bei McDonalds schmeckt eben auch THE TANGENT fast immer gleich – kann ja auch ein Qualitätsmerkmal sein! Vor allem dann, wenn man länger was davon hat, als beim Fastfood-Menü. An Langzeitwirkung mangelte es Tillison-Musik schließlich noch nie.

Übrigens: Die Besetzung, die dieses Album eingespielt hat, ist bereits nicht mehr aktuell. Bassist Jonathan Barrett hat erst kürzlich seinen Austritt verkündet, während Schlagzeuger Nick Rickwood wieder durch seinen direkten Vorgänger Tony Latham ersetzt wurde.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert