Review Threshold – March Of Progress

Lange haben sie uns warten lassen, die britischen Ausnahmemusiker von THRESHOLD. 2007 erschien ihr letztes reguläres Studioalbum, das geniale „Dead Reckoning“. Seitdem gab es zwar ein Best Of-Album („The Ravages Of Time“) und eine Sammlung von Singles („Paradox“), aber das neue Studioalbum brauchte und brauchte. Dafür gab es zwar gute Gründe, wie den plötzlichen Ausstieg von Sänger Andrew „Mac“ McDermott (†2011) noch im Jahr 2007 und später Stimmprobleme des neuen Sängers Damian Wilson, der schon in den 90ern auf zwei Alben gesungen hatte. Aber bei allem Verständnis, es war langsam an der Zeit. Bei derartig langen Phasen zwischen zwei Alben steigen für gewöhnlich die Erwartungen ins Unermessliche, so dass das Ergebnis quasi zwangsläufig enttäuschen muss und sich die Band selbst keinen Gefallen tut. So auch hier?

Nein! THRESHOLD haben es wieder einmal geschafft, ein derartig überzeugendes Werk abzuliefern, dass sich die internationale Presse mit Lob gegenseitig überbietet – und ich kann mich dem nur anschließen. Das Album hat mich auf seiner ganzen imposanten Länge von 75 Minuten (inklusive Bonustrack) überzeugt, auf musikalische Reisen geführt und immer wieder überrascht. Es sind elf Tracks, die ganz unterschiedliche Stimmungen wecken und mit wundervollen Melodien inspirieren. Dabei hat jeder Song seine eigene Art und Weise, den Hörer anzusprechen. Schnell sind alle Spekulationen widerlegt, dass das Album eine Spur in Richtung simplerer Songstrukturen gehen würde, wie man anhand des im Vorfeld veröffentlichten „Ashes“ hätte vermuten können. Der Opener entpuppt sich zwar als Ohrwurm erster Güte und ist sehr eingängig, hat in der Albenversion aber mit einem gelungenen Instrumentalpart in der Mitte aufzuwarten, der die vermeintliche Simplizität des Liedes durchbricht. Auch ansonsten befindet sich kein zweites „This Is Your Life“ auf dem Album, so dass Progressive-Fans ganz beruhigt sein dürfen – hatte der verdächtig nach Power Metal klingende Song auf „Dead Reckoning“ doch für Überraschung gesorgt.

Das heißt nun aber gerade nicht, dass „March Of Progress“ ein verkopftes, verspieltes und unnötig kompliziertes Werk geworden ist. THRESHOLDs Stärke war schon immer, komplizierte Arrangements mit klaren, eingängigen Melodien zu versehen, so dass etwas aufgeschlossenere Power Metal-Fans ebenfalls Freude an ihren Alben haben konnten, ohne dass der musikalische Anspruch aufgegeben wurde. Genau diese große Stärke spielen sie auch hier wieder aus. Die Refrains aller Songs sind Volltreffer, die sofort zünden und den Hörer in ihren Bann ziehen. Das gelingt sogar dann, wenn die Melodieführung verdächtig an Pop-Harmonien kratzt, wie bei „Don’t Look Down“.
Dazu gibt es fantastische Instrumentalarbeit, großartige Soli und rhythmische Veränderungen auch innerhalb eines Songs. Streckenweise eingesetzte Samples sorgen für weitere Variation. Neben dem Songwriting und den Instrumentalisten ist aber auch der heimgekehrte Damian Wilson über jeden Zweifel erhaben. Er hat sich in den letzten Jahren zu einem absoluten Vollprofi gemausert – seine klare, angenehme Stimme schwebt geradezu über der Musik. Und so geht es mal wuchtig-pathetisch zur Sache („Liberty, Complacency, Dependency“), dann gefühlvoll und entspannt („That’s Why We Came“), fast mysteriös („Colophon“), melancholisch und doch positiv („The Hours“) bis es am Ende unerbittlich aus den Boxen stampft („The Rubicon“).
Dies alles sorgt dafür, dass sich die Komplexität des Albums in Phasen erschließt: Zuerst freut man sich über die guten Kehrverse und das abwechslungsreiche Songwriting, dann beginnt man mit jedem Hören die Details zu entdecken und auf die intelligenten Texte zu achten. Hier wirkt wirklich jede einzelne Note durchdacht.

Geschenkt: Ich könnte noch lange weiterschwärmen. Pflichtbewusst sei angemerkt, dass man darüber streiten kann, ob die Größe der beiden Vorgänger wirklich in jeder Faser erreicht wird. Auch könnte man sich, wenn man mit der Lupe nach Schwächen suchen will, an der etwas glatten Produktion stören. Andererseits haben THRESHOLD schon lange so geklungen, so dass man davon ausgehen muss, dass sie es genau so wollen – und es passt ja auch zu ihnen. Statt weiter verzweifelt nach Kritikpunkten zu wühlen, rate ich also jedem Progressive Metal-Fan und jedem auch nur ansatzweise aufgeschlossenen Power Metal-Fan dazu, sich selber zu überzeugen. Wer dieses Album nicht hört, ist selbst schuld.

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Marc Lengowski

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