Interview mit Stefan Lindner, Thomas Lindner & J. Wittermann von HumAnemy

Dark Future ist im Filmbereich in aller Munde. Beste Beispiele sind Filmklassiker wie „Blade Runner“ und neuere Produktionen im Stile von „Die Insel“ mit ihren düsteren Zukunftsvisionen der Erde. Im Hörspielbereich ist das Genre seit jeher unterrepräsentiert. Mit ihrem neuen Projekt namens „HUMANEMY“ wollen Stefan Lindner, Thomas Lindner und Johnny Wittermann diesen Umstand ändern. Für ihr erstes echtes Hörspiel haben sie sich allerlei namhafte Unterstützung aus dem Musik- und Synchronsprecherbereich ins Boot geholt. Was hinter diesem ungemein komplexen und ambitionierten Projekt steckt, verraten die drei Macher im ausführlichen Gespräch mit uns. Dazu plaudern sie aus dem Nähkästchen der Produktion, z.B. wie man unterschiedlichste und ungewöhnlichste Geräusche generiert.

humanemy

Angenommen, man kennt euch beide, Stefan und Thomas, bereits als die Gebrüder Thot, wie würdet ihr den Hörspielhörern „HumAnemy“ näherbringen?
Thomas: Es gibt drei Formen des Audiobooks: Das klassische Hörbuch, in dem jemand mit einer schönen Stimme ein Buch vorliest. Dann gibt es die szenische Lesung, in der auch ein Buch vorgelesen wird, das teils von Musik begleitet wird und unter Umständen auch mehr als einen Sprecher für alle Rollen aufweist. Es existiert beispielsweise eine Frau für alle weiblichen Rollen. Und dann gibt es noch das klassische Hörspiel, sprich ein Theaterstück für die Ohren. Ich sehe das so, dass wir uns mit den Gebrüdern Thot in der szenischen Lesung bzw. im Hörbuchbereich bewegt haben, wo Kurzgeschichten aneinandergereiht wurden. Mit „HumAnemy“ haben wir die Bühne des Spiels im Sinne des Schauspiels betreten.

Wenn man euch bzw. euer neues Hörspielprojekt „HumAnemy“ kennenlernt, ohne die Gebrüder Thot je gehört zu haben: Hilft es beim Hören, wenn man die Vorgängerwerke der Gebrüder Thot bereits kennt?
Stefan: Nein, das ist nicht nötig. Die Gebrüder Thot waren in jeder Hinsicht ein Lernprozess, da wir mit ihnen angefangen haben, Hörspiele zu machen. Dort haben wir mehr klassische szenische Lesungen, ein vertontes Kammerspiel und bei der letzten Geschichte „Zum Meister“ auch ein wenig Hörspiel gemacht. Das war eher der Testlauf, wo wir uns auch in Zukunft produktions- und sprechertechnisch austoben können. Der einzige Bezug zwischen den Gebrüdern Thot und „HumAnemy“ ist, dass beides nicht allzu mainstreamig ist.

Ihr hattet bei den Gebrüdern Thot „Das Wort als Schwert“ als plakative Überschrift. Gibt es für „HumAnemy“ etwas Ähnliches, womit man die Grundausrichtung auf den Punkt bringen kann?
Stefan: In gewisser Weise trifft dort dieser Spruch auch zu, weil sich das Genre, in dem sich „HumAnemy“ bewegt, wunderbar anbietet, um zeitgemäße Gesellschaftskritik in diese Geschichten mit einzubauen. Ansonsten sind die Begriffe Cyberpunk und Dark Future die Schlüsselworte für den Hörer.
Johnny: Gebrüder Thot waren mehr über die Jahre gesammelte Gedanken von Stefan, die erst einige Zeit später ausformuliert wurden. „HumAnemy“ hingegen ist wirklich eine Geschichte für sich, die eher spontan entstanden ist.

Wo kann man „HumAnemy“, speziell für Hörspiellaien, im Vergleich zu John Sinclair und Ähnlichem im Hörspielbereich einordnen?
Stefan: Ich habe durch die Internetarbeit für „HumAnemy“ mitbekommen, dass es eine Hörspielreihe namens Cassandras Run gibt. Ansonsten existieren noch einige wenige Hörspiele von Indie-Labels in diesem Genre. Es gibt eine Menge Material im Science Fiction Bereich, aber speziell das Cyberpunk-Dark Future-Genre kann nichts Vergleichbares aufweisen.
Thomas: Dazu muss man klar zwischen Science Fiction mit Aliens, Raumschiffen, etc. und Dark Future unterscheiden, was nichts miteinander zu tun hat. Dark Future spielt 20 oder 30 Jahre in der Zukunft…
Johnny: …und beruht auf einer nachvollziehbaren, technischen Entwicklung. „HumAnemy“ geht beispielsweise in die Richtung der Kurzgeschichten und Romane von Philip K. Dick.
Stefan: Im Filmbereich würde man an Blade Runner mit einer anderen Thematik denken.

Wo waren die Unterschiede in der Herangehensweise bei dem Hörspiel im Gegensatz zu den Gebrüder Thot-Projekten bezüglich Sprecherarbeit, Planung und Koordination?
Thomas: Bei den Gebrüdern Thot haben wir durchgehend gelernt. Wir selbst waren unsere größten Kritiker, weil wir eben selbst auch Hörspielfans sind. Nur, wenn man das Gemälde malt, steht man so dicht davor, dass man es selbst kaum im Ganzen wahrnimmt. Jetzt mit Abstand betrachtet kann man über das Hörspiel sagen, dass wir geübt haben. Zuerst standen wir gemeinsam vor dem Mikro und haben gespielt, haben ausprobiert, wie es ist wenn man gleichzeitig oder nacheinander spricht usw.
Dann haben wir das erste Lied und die ersten Geräusche einfließen lassen und so hat sich das aufgebaut. Bei dem „Dejà Vu“, was im Endeffekt schon ein Hörspiel ist, haben wir bereits mit mehreren Sprechern gearbeitet. Allerdings hatten wir dort auch nur zwei Handlungsschauplätze. Bei „HumAnemy“ mussten wir auf 70 Rollen und Schauplätze reagieren. Der Soundgewand- und der Sprecheraufwand waren hier natürlich viel größer. Bei knapp 70 Rollen, die zu besetzen sind, kann man nicht mehr auf die vier oder fünf Freunde zurückgreifen, die relativ gut sprechen, sondern muss an neue Sprecher gelangen. Jetzt sind wir hier in München noch relativ gut mit Sprechern bedient. Die Nummer eins ist Berlin, darauf folgt Hamburg. Wir können aber natürlich nicht Berliner oder Hamburger Sprecher einfliegen lassen.
Stefan: Deswegen haben wir ein paar frische oder auch verschollene Stimmen im Hörspielbereich dabei, wodurch wir schon neue Connections für zukünftige Projekte geknüpft haben. Ich mache mir um den Synchronsprecherstandort München keine Sorgen.
Johnny: Man muss einfach neue Wege beschreiten, zum Beispiel auf Theaterschauspieler und Ähnliches zurückgreifen. Man kann sich hier nicht in ein Polster wie in Berlin werfen, sondern man muss wirklich arbeiten, um etwas Neues zu finden.
Thomas: Was ich sehr bemerkenswert finde, ist, dass man als Hörspielfan die Stimmen der in Hamburg und Berlin produzierten Serien irgendwann einfach kennt. Es gibt Serien, in denen in jeder dritten Folge der Bösewicht von ein und demselben Sprecher gesprochen wird. Da kommt in der Folge der Bösewicht um die Ecke und der Hörer weiß sofort: „Ah, der war’s! Alles klar, ich weiß schon, das ist der klassische Bösewicht.“
Und diese Stimmen finde ich zu inflationär behandelt. Sie werden so breitgetreten, dass man sich irgendwann nur noch denkt: „Och nö, nicht schon wieder!“ Und aus der Not heraus haben wir, wie bereits erwähnt, Theater- und Filmschauspieler aus der Gegend engagiert, ebenso wie Synchronsprecher aus komplett anderen Genres.
Stefan: Wir haben einige Sprecher aufgetan, die im Hörspielbereich noch völlig unbekannt sind und eher Filmen und Serien präsent sind.
Johnny: Oder beispielsweise auch Leute wie Oliver Mink, die ursprünglich aus dem Hörspielbereich kommen, sich aber inzwischen anderweitig orientiert haben und jetzt eher Fernsehsprecher und Station Voice machen. Solche Leute wollen wir wiederfinden.

Als ihr „HumAnemy“ geschrieben habt, hattet ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bestimmte Vorstellungen, wie manche Rollen zu klingen haben bzw. von welchen Sprechern die Charaktere zu sprechen sind?
Stefan: Das war tatsächlich unterschiedlich. Johnny und ich haben uns zuvor die Storyline überlegt und währenddessen auch schon einige Sprecher besetzt. Zum Beispiel war bereits beim Schreiben klar, wer die vier Hauptdarsteller sprechen wird. Alex Wesselsky und Holly Loose waren absolute Wunschkandidaten, deren Rollen ich bereits mit ihnen im Kopf geschrieben habe. Bei meinem Sohn stand auch von Anfang an fest, dass er eine bestimmte Figur sprechen soll. Bei anderen hat es sich erst ergeben, als die Rollen bereits standen und wir geschaut haben, wer die Rollen umsetzen kann.

Gibt es einen Charakter, der nicht mit dem Wunschsprecher besetzt werden konnte?
Stefan: Nein. Es gab nur die Situation, dass wir bei einem relativ bekannten Sprecher davon ausgingen, dass er die Rolle des Herrn Schmidt spricht, was sich dann aus verschiedenen Gründen nicht ergeben hat. Die Figur wurde neu besetzt, wodurch das Ergebnis anders als in der Vorstellung wurde, aber trotzdem geil. Die Rolle wurde jetzt von Jo Hempel übernommen, der das sehr gut gemacht hat, weswegen wir auch nicht enttäuscht sind, obwohl wir nicht den Sprecher bekommen haben, den wir wollten.

Würdet ihr „HumAnemy“ im Hinblick auf die Rollenverteilung als maskulines Hörspiel bezeichnen?
Stefan: Es ist durchaus so, dass im Laufe der Story noch mehr Frauenpower hinzukommt. Grundsätzlich denke ich aber, dass das gesamte Dark Future-Genre eher ein Männerding ist. Ich würde nicht sagen, dass es keine Frauen gibt, die Blade Runner mögen. Aber dieses Düstere, diese gescheiterten, tragischen, whiskeytrinkenden Hardboiled-Typen gefallen Männern eher. Wobei ich damit nicht sagen möchte, dass sich Frauen das nicht anhören sollten.

Ihr beschreibt manche Personen sehr genau, den Hauptcharakter allerdings nicht. War das ein bewusster Zug um mit der Fantasie des Hörers zu spielen?

Johnny: Gerade bei dem Chamäleon ist es schwer, das Aussehen greifbar zu machen, eben weil es ein optisch wandelbarer Charakter ist. Wir wollten den Hauptcharakter mehr durch diese Off-Stimme bzw. die Gedankenstimme des Chamäleons charakterisieren. Deswegen ist hier auch die Optik nicht so entscheidend. Da kann und soll sich jeder Hörer sein eigenes Bild machen.
Stefan: Zumal man in dem Vierteiler doch ein paar Hinweise bekommt. Schon im ersten Teil erfährt man, dass er eine teure Uhr und schicke Schuhe trägt, dass er in dem Ghetto eher auffällt als Snob und mehr der Anzugträger ist.
Johnny: Das Ganze ist im Prinzip mehr aus der Sicht des Chamäleons erzählt, der sich selbst weniger oft sieht als die anderen Charaktere.
Stefan: Bei manchen Figuren ist die Optik wichtiger für die gesamte Geschichte, als bei anderen.

In diesem Hörspiel gibt es generell sehr viele Charaktere, zu denen man als Hörer erst einmal eine Beziehung aufbauen muss. War es Absicht, dass bei dieser Personenmenge und -komplexität der Beziehungsaufbau unterschiedlich schwer fallen oder teils sogar zu Überforderung führen kann?
Stefan: Episode eins ist ganz klar die Folge, durch die der Hörer in die Welt eingeführt wird. Dort ist Lennart, das Chamäleon, sozusagen der Guide, der den Hörer bei der Hand nimmt und dort durchführt. Auf der ersten CD bekommt man vieles einfach hingeworfen, die nachfolgenden Episoden werden, was die Handlungsstränge angeht, ruhiger.
Johnny: Das Chamäleon kommt im Prinzip auch aus einer anderen Welt, wobei hier eher die schicken Hotels etc. gemeint sind. Der Charakter ist in der ersten Episode mit diesen Slums ebenso ein bisschen überfordert, was sich eventuell auf den Hörer übertragen kann.

Die Geschichte spielt in einer futuristischen Welt. Warum habt ihr euch dazu entschieden, den Euro als Währung beizubehalten?
Stefan: Da haben wir tatsächlich auch überlegt und uns dafür entschieden, weil es ja eine DÜSTERE Zukunft ist (schmunzelt). Nein, im Ernst: ich glaube nicht daran, dass der Euro oder die EU untergehen wird.
Thomas: Im Gegenteil. Irgendwann wird es die Vereinigten Staaten von Europa geben.

Auf dem Cover bzw. der CD gibt es keine Inhaltsangabe. Absichtlicher Schritt oder Zufall?
Stefan: Erstens gab es das bei den Gebrüdern Thot auch nicht. Hier wusste ebenfalls niemand, was einen erwartet. Und außerdem sind Klappentexte auf gut Deutsch für den Arsch und überflüssig. Wenn man bei John Sinclair etwas von einem Geisterjäger liest, weiß man, worum es geht. Bei uns geht es um ein Dark Future-Hörspiel. Und eigentlich sind der Titel und auch die Optik des Covers bereits interessant genug, um neugierig zu werden. Wem das noch nicht reicht, der kann sich online ein bisschen umschauen. Dort findet man ein paar mehr Infos, unter anderem auf unserer Homepage von Lindenblatt Records.
Johnny: Bei einem Vierteiler ist es ein bisschen schwierig, ein Viertel der Story auch noch auf einen Klappentext zusammenzuschmelzen. Da hat man irgendwann nur noch Belanglosigkeiten hinten drauf stehen.
Stefan: In dem Begriff Dark Future steckt eigentlich schon alles Wissenswerte drin.

Habt ihr bei der Verteilung der Rollen auf die Bekanntheit der Sprecher spekuliert oder war die Absicht vorherrschend, die passenden Stimmen zu den Charakteren zu finden?
Stefan: Wie Thomas bereits sagte, kann man bei 70 Rollen nicht mehr nur auf talentierte Freunde zurückgreifen. Es war klar, dass wir mehr Menschen dafür brauchen. Und durch Thomas Musikerkarriere haben wir nunmal einen guten Draht zu diversen Musikern. Auch ein Großteil des Erfolgs der Gebrüder Thot beruht auf Rezensionen von Musikmagazinen und Käufen von Musikhörern und gar nicht unbedingt auf dem klassischen Hörspielmarkt. Deswegen war es naheliegend, dass wir wieder ein paar Musiker mit an Bord nehmen, zumal Sänger auch keine vollkommenen Laien sind. Die meisten Frontmänner spielen auf der Bühne eine Rolle, sie sind mit dem Mikrophon und dem Sprechen vertraut und haben bereits ein Händchen für diese Sache.

Ist es für jemanden wie Peter Henrici, der Hauptmann Feuerschwanz verkörpert, leichter, in so eine Rolle zu schlüpfen, als für einen Holly Loose oder Alex Wesselsky?
Stefan: Gerade Holly hat Erfahrung mit diversen Einsprechungen. Auf einigen Letzte Instanz-Alben hat er einige Dinge schon hörbuchartig eingesprochen und arbeitet bei Periplaneta als Autor und Sprecher. Auch der Alex hat ein wenig Erfahrung in diesem Bereich. Er spricht aktuell sogar in einem Disney-Film. Die beiden sind in dieser Hinsicht keineswegs unbedarft. Peter hingegen hat so etwas noch nie gemacht und das Ganze hat sich über Thomas ergeben.
Thomas: Gerade bei Holly war das gewünscht, weil bekannt ist, dass er lange in der Türkei gelebt hat und der Sprache durchaus mächtig ist. Er spielt einen Türken vom Verfassungsschutz, der zwar Deutsch spricht, aber hin und wieder auch etwas auf Türkisch einfließen lassen kann. Das soll natürlich nicht so klingen, als ob ich oder jemand anderes, der kein Türkisch kann, einfach ein türkisches Wort abliest. Der Holly hingegen hat das einfach drauf.

Geht es euch hierbei um Authentizität?
Stefan: Auf jeden Fall! Wir haben auf Facebook auch schon für die vierte Episode einen Japaner gesucht und Nobusama von Coppelius gecastet, was natürlich geil ist. Unser Amerikaner ist wirklich ein Amerikaner, unser Japaner wird von einem Japaner gesprochen…
Johnny: …was gar nicht so leicht ist, weil die meisten Japaner, die man kennt, Koreaner sind.
Stefan: Nobusama ist keineswegs ein Profi, hat das aber sehr engagiert gemacht. Und dieser Dialekt ist, wenn man nicht gerade Andreas Fröhlich heißt, beinahe unmöglich zu imitieren.

Ihr habt mit Laiensprecher gearbeitet und seid selbst mit den Gebrüdern Thot von Anfängern zu Semiprofis geworden. Konntet ihr mit euren Erfahrungen durch die bisherigen Projekte den jetzigen Laien weiterhelfen oder Fehler vermeiden?
Thomas: Ich persönlich glaube, dass die Gebrüder Thot-Projekte hier gar nicht ausschlaggebend waren, sondern vielmehr, dass wir selbst so krasse Hörspielfans sind und wir dadurch wissen, wie ein gutes Endergebnis klingen soll. Nur fällt einem die Beurteilung der eigenen Stimme viel schwerer als bei einem anderen. Darum war es für uns hier als Regie viel einfacher zu sagen, dass das Mist oder eben kein Mist war, was gerade in der Kabine eingesprochen wurde. Dadurch, dass Stefan ganz konkrete Vorstellungen hatte, wie etwas zu klingen hat und wir viel Hörgewohnheit aufweisen können, war es unkomplizierter. Auch wenn etwas abweichend von unseren Vorstellungen gesprochen wurde, was aber dennoch genial war, haben wir die Aufnahme genommen. Aber wenn etwas kam, was überhaupt nicht ins Konzept gepasst hat, wurde der Sprecher so lange gepiesackt, bis das entstand, was wir haben wollten.
Johnny: Das wiederum ist der Vorteil, wenn man mit Leuten aus dem Bekanntenkreis arbeitet. Bei denen weiß man, wie man mit ihnen umzugehen hat, um an das zu kommen, was man sich vorstellt.
Stefan: Es ist so, dass gerade bei den Laiensprechern einige Regisseure meckern würden, weil bei dem einen ganz klar ein bayerischer Akzent zu hören ist, der andere hingegen etwas mit der Zunge anstößt oder nuschelt usw. Das war uns aber tatsächlich egal, weil wir uns dachten, warum das in einer nahen Zukunft in einer deutschen Metropole nicht so sein sollte. Das wäre etwas anderes, wenn wir ein klassisches Science Fiction-Hörspiel gemacht hätten, wo ein Akzent natürlich fehl am Platz gewesen wäre. Uns ging es mehr um den Ausdruck und ob dieser der Situation angemessen war.

Wie war die Zusammenarbeit mit professionellen Sprechern, wie Claudia Urbschat-Mingues und Oliver Mink im Vergleich zu der Arbeit mit den Laien?
Thomas: Es hat beides seinen Reiz. Die Profis sind einfach angerauscht oder wurden aus zeitlichen Gründen woanders aufgenommen und haben etwas abgeliefert. Im Falle von Claudia Urbschat-Mingues hat sie die Spuren aufgrund von Schnee- und Verkehrschaos in ihrem eigenen Studio aufgenommen und uns geschickt. Wir saßen alle mit offenem Mund da, nach dem Motto: „Danke, passt! Großartig!“ Einige Theaterschauspieler haben die Rolle ein bisschen anders interpretiert, als wir es uns gedacht hatten. Wir haben uns das angehört und ein paar Anweisungen gegeben. Darauf wurde sofort reagiert, die Anweisung umgesetzt und die Rolle war fertig. Bei den Laien hingegen hat das Ringen und Kämpfen Spaß gemacht. Da wurde für eine Rolle, die im Hörspiel acht Minuten lang ist, zwei Stunden gekämpft, aber wir hatten danach was wir wollten. Es war einfach unterschiedliches Arbeiten. Die einen lieferten ab, mit den anderen musste man richtig arbeiten. Wir haben glücklicherweise die Möglichkeit, das hier auch zu tun. Wenn man sich in ein fremdes Tonstudio hätte einmieten müssen, wo die Uhr tickt, hätten wir nicht so viele Laiendarsteller gehabt, weil das Studio teurer als alles andere gewesen wäre.
Stefan: Es hat auf jeden Fall beides Spaß gemacht.

Gibt es Anekdoten zu diesen Laiensprechern oder bemerkenswerte Erkenntnisse?
Stefan: Eigentlich nicht. Wir haben einige Laien dabei, gerade auch die Hauptdarsteller, von denen wir im Vorfeld wussten, dass sie gut sprechen können. Bei einigen anderen, gerade den Statistenrollen, haben wir tatsächlich einen Großteil des Freundes- und Familienkreises vors Mikrophon gezerrt und waren teilweise vom Ergebnis überrascht.
Thomas: Wobei man sagen muss, dass die Laien eher von uns in die Richtung getrieben wurden, die wir uns vorgestellt haben. Diese wurden dann so lange getriezt, bis wir hatten, was wir wollten. Überrascht wurden wir hin und wieder von einem Profi, der eine Rolle einfach anders interpretiert hat, als es gedacht war und aber trotzdem ein geiles Ergebnis am Ende rauskam, weil es einfach besser zu diesem Schauspieler gepasst hat. Deswegen haben wir ihm diese Art und Weise zu sprechen gelassen.
Stefan: Grundsätzlich ist zu sagen, dass wir eine Vorstellung davon hatten, in welche Richtung das gehen sollte. Aber wir haben nicht den Anspruch zu sagen, dass wir uns an ein in Stein gemeißeltes Drehbuch halten müssen. Wenn einem Sprecher etwas auf eine andere Art und Weise leichter über die Lippen ging, haben wir ihm das zugestanden. Solange der Sinn erhalten geblieben ist, war das kein Problem. Das Wichtigste ist, dass sich die Sprecher wohl fühlen. Nur dann wirkt etwas authentisch.
Johnny: Die große Überraschung war meiner Meinung nach eher auf Seiten der Laien, die wir ja alle teils sehr gut persönlich kennen und bei denen klar war, wer welche Rolle übernehmen sollte.
Stefan: Wobei es überraschend ist, dass jemand, der als extrovertiertes Großmaul durch’s Leben geht, nicht zwingend vor dem Mikrophon auch der große Redner ist und manches stille Wasser dann erst richtig aufblüht und man nur noch „Wow!“ denkt.

Lernt man so auch die Menschen nochmal neu oder anders kennen?
Stefan: Nein.
Thomas: Man merkt, ob einer schauspielerisches Talent hat oder eben nicht.

Habt ihr dadurch, dass ihr jetzt selbst in diesem Bereich tätig seid, einen anderen Blickwinkel auf Hörspiele entwickelt?
Thomas: Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten bei der Geräuschuntermalung. Man kann entweder auf Audiosoftware-Programme oder Internetdatenbanken zurückgreifen oder die Geräusche, die man nirgends bekommt, selbst generieren. Jetzt, nachdem ich so intensiv mit den Geräuschen gearbeitet habe, erkenne ich in anderen Hörspielen beispielsweise dieses Fußtrappeln oder jenes Türquietschen, weil wir bei unserer Recherche selbst darüber gestolpert sind. Ich höre die Geräuschkulisse plötzlich ganz anders als zuvor. Es ist lustig, wenn man Parallelen mit einer fremden Produktion und dem eigenen Hörspiel feststellt. Oder wenn man sich überlegt, wie man einen Arschfick vertont. Ich bin schnell bei einer Honigmelone gelandet. Das war auch letztlich die Lösung.
Stefan: Der Spaß an der ganzen Sache leidet aber überhaupt nicht! Ich bin nach wie vor seit frühester Kindheit ein sehr, sehr großer Hörspielfan.

Stefan, du warst selbst bei der Drei Fragezeichen – Record Release Party in München. Hast du hier Unterschiede im Erleben festgestellt?
Stefan: Nein, das Erlebnis ist immer noch das Gleiche. Es ist insofern etwas anderes, als dass man aus gegebenem Anlass so ein bisschen schaut, wie der Profi so eine Party führt und man sich ein paar Kniffe abgucken kann.

Was wollt ihr den Hörern über die folgenden drei Teile von „HumAnemy“ an die Hand geben?
Stefan: Es wird einiges anders kommen, als man es sich nach dem ersten Teil denkt. Man kann sogar verraten, dass die Erzählstruktur wechseln wird. Das heißt, der Erzähler mit Kopfstimme, also Lennart das Chamäleon, wird so nicht beibehalten, sondern die Perspektive des Ich-Erzählers wechselt im Laufe des Vierteilers. Das ist sehr interessant, weil die Story linear weiter verläuft, aber sich die Sichtweise immer ein wenig verändert und jeder Charakter etwas andere Gedanken zu einer Situation beitragen kann. Das war die Idee von Johnny und mir. Wir wollten weg von diesem klassischen Gut und Böse, sondern die individuellen Intentionen für die Handlung eines Charakters durch diesen Perspektivenwechsel etwas mehr beleuchten.

Hattest du, als du „HumAnemy“ geschrieben hast, bereits ein Ende im Kopf und hast die Geschichte so aufgebaut, dass alles auf dieses Ende hinausläuft oder kam der Einfall für den Schluss tatsächlich erst beim Abschluss der Arbeit?
Stefan: Ich habe das Drehbuch geschrieben, das heißt, dass ich sämtliche Dialoge ausformuliert und den Charakteren Tiefe gegeben habe. Aber die Story haben Johnny und ich gemeinsam entwickelt. Wir hatten zunächst einen simplen Plot, worauf wir ein Storyboard entworfen haben, in dem die Cliffhanger und die einzelnen Stationen genauer festgelegt wurden. Wir haben uns danach auch immer mal wieder getroffen und an den Stolperstellen gefeilt, an denen die Story gehakt hätte.
Johnny: Die Sache ist die, dass es eine in sich geschlossene Geschichte ist, es aber im Prinzip eine übergeordnete Handlung gibt, die angedeutet wird. Wir wollen eventuell nach einem abgeschlossenen Vierteiler noch einen weiteren abgeschlossenen Vierteiler machen, über die dann eine wiederum abgeschlossene Story gespannt ist. Das heißt, dass wir mit den Gedanken schon viel weiter sind und für uns das Ende gar kein definitives Ende, sondern mehr als Abschluss einer Episode zu sehen ist.
Stefan: Als Hörspielfan hat man in den letzten Jahren mitbekommen, dass einige kleinere Hörspiellabels recht ambitionierte Ideen haben, eine Handlung zu gestalten und sich dabei allerdings enorm verschätzen. Sei es der Rattenschwanz, den die Verlagsorganisation mit sich bringt, die Sprecher, die zu viel kosten, oder die Verkaufszahlen, die einfach nicht stimmen. Für einen Hörspielfan gibt es nichts schlimmeres, als eine Story, die immer neue Rätsel aufwirft und die Reihe dann einfach mittendrin abgebrochen wird, ohne einen Handlungsstrang zu beenden. Deswegen war es uns ein Anliegen, diesen Fall mit einzuplanen, dass man nach dem Vierteiler nicht das Gefühl hat, dass dieser noch nicht zu Ende geführt wurde. Andererseits haben wir genug offene Fährten gelegt, die man im Falle eines Falles wieder aufgreifen kann, um die Reihe fortzusetzen. Es ist einfach ein in sich geschlossenes, aber fortsetzbares Hörspiel.

Zum Abschluss noch unser Metal1.Wortspiel. Bitte teilt eure ersten Gedanken zu den folgenden Begriffen mit uns…

Englische Hörspiele
Stefan: Dafür dann ich zu schlecht Englisch. Mir würde es nicht gelingen, das nötige Kopfkino zu generieren, wenn ich nicht ausreichend verstehe, was vor sich geht.
Thomas: Käme mir auch nicht in den Sinn. Für mich sind Hörspiele Unterhaltung und Entspannung. Und wenn ich versuche, zwanghaft zu übersetzen, dann leidet genau dieser Effekt darunter.
Johnny: Ich kann zwar gut genug Englisch, aber ich höre keine Hörspiele.

Star Trek-Randnotizen
Stefan: Lennart, das Chamäleon, steht in keinem Zusammenhang zu Star Trek, sondern ist mir einfach nur in dem Zusammenhang mit einer Hörspielreihe aus unserer Kindheit eingefallen, die „Geheimagent Lennet“ heißt. Und ich habe aus Lennet einfach Lennart gemacht. Mit Star Trek hat das also gar nichts zu tun.
Johnny: Auch nichts mit „The Big Bang Theory“, was mein erster Gedanke zu dem Namen Lennart war.
Stefan: War euch bewusst, dass der Sprecher von Sheldon Cooper auch gleichzeitig der Sprecher von Leonardo DiCaprio ist? Ich wusste das nicht und bin selbst erst kürzlich durch einen Zufall bei Wikipedia darüber gestolpert.
Johnny: Naja, ist ja auch fast derselbe Charakter (schmunzelt)
Thomas: Aber wer hat schon Andreas Fröhlich als Gollum erkannt?

Pferdefleischlasagne
Johnny: Lecker!
Stefan: Für mich als Vegetarier völlig irrelevant.
Thomas: Wir wollen doch beschissen werden. Sonst könnte man sich doch nicht für 1,10€ eine fertig gekochte Lasagne kaufen. Das Pferdefleisch an sich ist wohl noch das Ungefährlichste darin.

Papstrücktritt
Thomas: Großartig!
Johnny: Gibt es einen Papst?
Stefan: Ich kann da nicht groß was dazu sagen. Ich habe mit dieser ganzen Maskerade und dem Getue der katholischen Kirche nicht viel am Hut. Das interessiert mich tatsächlich gar nicht. Jetzt kommt eben ein anderer Clown auf diesen Stuhl, der vielleicht ein bisschen reformkompatibler ist.

Vielen Dank für das Gespräch und eure Zeit!

Publiziert am von Uschi Joas und

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